Wer ist denn dieser Clemens Tönnies, der sich vor großem Publikum – 1600, inklusive Erzbischof, – am 31. Juli beim Tag des Handwerks in Paderborn unter Schmunzelgelächter, verhaltenem Beifall ohne hörbare Unmutsbekundungen rassistisch und so verächtlich über „die Afrikaner“ meint äußern zu müssen? Wofür steht er, wenn er nicht grade als Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04 seinen Verein in Verruf bringt?
„,Schauen Sie‘, sagt eine rumänische Frau und führt durch die Wohnung. Die zwei Türen links sind verschlossen, weil die männlichen Mitbewohner schlafen. Am Ende des kleinen Flures ist ‚ihr‘ Zimmer, das sie sich mit einer Kollegin teilt. Zwei Betten, ein Schrank auf geschätzten zehn Quadratmetern. Zu zweit ist das Zimmer voll. Die Wohnung an der Friedrich-Ebert Straße misst vielleicht 70 Quadratmeter – bewohnt mit zehn Personen.
Fotografieren ausgeschlossen, Nachfragen zu Namen, Herkunft verbieten sich. Das Gespräch ist fragil, scheue Blicke, freundliche Geste und ein paar Sätze, die sie eigentlich schon nicht hätte sagen dürfen. In der Nacht um halb zwei wurde sie vom Shuttle-Dienst abgeholt und zu Tönnies nach Rheda gebracht. Die Nachtschicht beginnt um 3 Uhr. Vor fünf Minuten ist sie nach Hause gekommen. 15.30 Uhr. Zwölf Stunden Arbeit sind nach deutschem Arbeitsrecht nicht erlaubt. Und dennoch an der Tagesordnung.
‚Jeden Tag. Jeden Tag zwölf Stunden. Sieben Tage die Woche‘, betont ein junger Rumäne ein Stockwerk höher. Vor vier Wochen habe er zuletzt einen einzigen freien Tag gehabt. Mit acht Männern wohnt er zusammen, und er hat Angst.“[2]
5.000 Osteuropäer – viele davon bei Tönnies beschäftigt – leben und arbeiten allein in Gütersloh (ein Zentrum der Fleischwirtschaft und Sitz der Zentrale von Bertelsmann) unter solchen Bedingungen. Nach Abzug der Miete, die gleich vom Lohn einbehalten wird, bleiben ihnen noch 900 bis 1.000 Euro, Bezahlung nach Mindestlohn, gegen dessen Einführung damals Tönnies sich wichtig hatte. Die Betätigung des DGB im Betrieb ist untersagt. Am Stammsitz Rheda mit seinen 6.300 Beschäftigten haben 3.000 lediglich Werkverträge.
In Gütersloh hat sich ein „Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung“ gebildet. Über den Tönnies Schweine-Schlachthof, den größten Deutschlands, geraten, so der Vorwurf, multiresistente Keime in die Ems. Immerhin 26.000 Schweine lassen hier jeden Tag ihr Leben. Und das was als nicht verwertbar übrigbleibt, geht über die städtische Kläranlage in den Fluss. Schwer haben es die KämpferInnen dort: Tönnies steht mit der „lieben Liz“ Mohn von der Bertelsmann-Stiftung auf Du und Du. Fleisch- und Medien-Monopol zusammen ebnen sich die Wege in der Politik, in Gütersloh, in Düsseldorf und auch in Berlin.
Aber Clemens Tönnies spricht ja an jenem 31. Juli über „Unternehmertum mit Verantwortung – Wege in die Zukunft der Lebensmittelerzeugung“ und seine Gütersloher Management-Vögte behaupten ihr Schmutzwasser sei sauberer als häusliche Abwasser.
Die Tönnies-Gruppe mit weltweit rund 16.000 Mitarbeitern hat 2018 mit dem Schlachten von Schweinen und Rindern einen Umsatz von 6,65 Milliarden Euro erzielt. Er zählt zu den Hauptlieferanten bei MacDonald, aber beliefert auch unter verschiedenen Markennamen bei Aldi, Lidl, Edeka und Rewe. Das US-Magazin Forbes schätzt sein Vermögen auf schlappe ca. 1,4 Milliarden Euro. Damit belegt Clemens Tönnies Platz 85 der reichsten Deutschen (Stand April 2019).
Tönnies ist natürlich kein Rassist – iwo! Solange die Arbeiter aus aller Herren Länder willig und billig für ihn schuften und die Konsumenten aller Hautfarben seine Fleisch- und Wurstwaren klaglos konsumieren. Es ist allerdings bezeichnend, dass solche Tönnies und Co. aus der herrschenden Klasse schon keine anderen Lösungen für die Rettung ihres Systems sehen als „die Afrikaner“ verächtlich zu machen.
Im rechten Lager hat sich C. Tönnies beliebt gemacht durch die Heimholung der Gebeine des Schalker Nationalspielers Adolf Urban, der im tiefen Russland 1943 als Unteroffizier samt Eisernem Kreuz sein Leben im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ließ. Da kann man doch nicht dagegen sein, das ist doch keine Unterstützung der Nazis, iwo!
Tönnies wird im Zusammenhang mit allen möglichen kriminellen Aktivitäten genannt: Großverdiener im Kartell der Cum-Ex-Steuerbetrüger, wegen verbotener Absprachen im Fleisch- und Wurstkartell, wegen Einstiegs in die Landwirtschaft und Tierfutterproduktion in Rumänien (Agro Iulia) mit zweifelhaften EU-Subventionen, wegen Machenschaften gegen Gewerkschaften und die Gründung von Betriebsräten. Aber Clemens Tönnies ist doch kein Arbeiterfeind, iwo! Kommt doch selbst aus „kleinen Verhältnissen“. Wer kann schon was gegen Ellenbogen sagen, wenn Aufstieg angesagt ist.
Die frühere Agrarministerin und Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast steht im „Nachhaltigkeits-Dialog“ mit Tönnies. Das Unternehmen schreibt ihr artig: „Sehr geehrte Frau Künast, haben Sie vielen Dank für Ihre Einschätzung zu unserem Nachhaltigkeits-Dialog auf www.toennies-dialog.de. Ihre Meinung als Abgeordnete und langjährige Expertin für Fragen der Ernährungs- und Tierschutzpolitik ist uns wichtig. Daher freut es uns, dass Sie das Angebot des Dialogs annehmen. Es ist ja unser Ziel den aktiven Nachhaltigkeitsdialog mit der interessierten Öffentlichkeit weiterzuführen und Fragen zu beantworten. Ihre Idee, die Bratwurst in deutschen Fußballstadien mit Fleisch aus dem Tierschutzlabel zu beliefern, findet unsere volle Unterstützung. Wenn die Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland diese Produkte nachfragen, werden wir es als erste liefern.“[3] So spricht doch kein Umweltsünder, iwo. Wer wie Künast meint, im Klimaschutz ginge es vorwärts mit Tierschutzlabels ohne Enteignung des Agrobusiness und generell der Monopole, ohne Veränderung der Machtverhältnisse, ohne Planwirtschaft, ohne Sozialismus ist entweder böswillig oder naiv. Und hilft letztlich die Kosten und Lasten der Umweltverheerung auf die Werktätigen abzuladen. Fleisch gibt’s dann nur noch für die Reichen.
Tönnies spielt natürlich nicht in der Liga der wirklichen Oligarchen wie die Oetkers etwa, aber bei Familienzwistigkeiten kann er es bereits – was die Ekelhaftigkeit betrifft – mit den ganz Großen aufnehmen. Der Sohn seines Bruders, der ebenfalls 50 Prozent an der Tönnies-Holding hält, hatte ihm vorgeworfen, ihn jahrelang hintergangen und betrogen zu haben. Die Angelegenheit ging mehr als fünf Jahre durch die Gerichte bis zum BGH. Zwischendurch nach 2017 schlachteten sie wieder gemeinsam. Jetzt ist der Streit erneut ausgebrochen. Man weiß, was sich da schlägt und verträgt.
1 Der untenstehende Artikel von Richard Corell wurde (Informationsstand August 2019) in UZ und KAZ veröffentlicht. Jetzt mitten in der Corona-Krise werden durch die unsäglichen „Schweinereien“ des Clemens Tönnies manche Fakten dramatisch an die Öffentlichkeit gebracht und bestätigt: die katastrophale Behandlung der Arbeiter, deren Wohnverhältnisse, die kriminelle Energie und rassistische Einstellung des Möchtegern-Oligarchen, seine Vernetzung in höchste Kreise wie Bertelsmann-Mohn u.a. Über tausend Infizierte allein in Gütersloh/Rheda-Wiedenbrück z.T. mit schwersten Krankheitsverläufen hätten vermieden werden können, wenn den kämpferischen Bewegungen in Gütersloh und den sonstigen warnenden Stimmen Gehör geschenkt worden wäre. Bei aller derzeitigen (Juni 2020) Aufregung in den Medien, drei Fragen stellen sie nicht: die Eigentumsfrage, die Klassenfrage, die Machtfrage!
2 aus: Neue Westfälische v. 1.8.2018 www.nw.de/lokal/kreis_guetersloh/guetersloh/22152970_5.000-Osteuropaeer-wohnen-in-Guetersloh-unter-widrigen-Verhaeltnissen.html.
3 toennies.de/einladung-an-reante-kuenast-zum-dialog/ – Der Vorname von Künast so im Original
Clemens Tönnies – hier als Halbgott in Schwein verkleidet – weiß natürlich auch, was Schalke und „dem Afrikaner“ nottut.