Für Dialektik in Organisationsfragen
In der KAZ 371 haben wir das Thema „Notverordnungen gegen die Gefahr, die aus dem Volke kommt“ angesprochen und im Artikel „Überfall auf das Arbeitszeitgesetz“ (ArbZG) über die Änderung bzw. Ergänzung von Paragraf 14 durch einen 4. Absatz berichtet. In dem Zusammenhang stand oder steht die Frage, ob diese Änderung nach Ende der Corona-Pandemie rückgängig gemacht wird. In der „Bundestagsdrucksache 19/18107 - 4 - Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode“ heißt die Antwort darauf: „Mit der Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes wird eine Verordnungsermächtigung in das Gesetz eingefügt, um durch Rechtsverordnung in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen, insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes, Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz erlassen zu können ...“
Damit ist die „Verordnungsermächtigung“ zunächst bleibender Bestandteil in § 14 Abs. 4 des ArbZG. Unter Berücksichtigung der Folgewirkungen von Corona gilt sie hierbei möglicherweise für die nächsten vom Kapital beantragten, und vom Bundestag beschlossenen „außergewöhnlichen Notfälle“. Nach der Gesetzesänderung hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im „Einvernehmen“ mit Gesundheitsminister Spahn davon im April Gebrauch gemacht. Das Ergebnis ist die „COVID-19-Arbeitszeitverordnung – COVID-19-ArbZV vom 07.04.2020“. Sie ist am 10. April in Kraft getreten und gilt bis zum 31. Juli 2020. In sieben Paragrafen ist darin auf 11 Seiten vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) festgelegt, welcher Teil der Lohnabhängigen davon betroffen ist. Ihre Inhalte müssten mindestens Thema einer gewerkschaftlichen Tagesschulung oder ggf. Online-Schulungsveranstaltungen sein, z. B. beim DGB, der IGM oder ver.di. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass jeder Betriebs- und/oder Personalrat, aber auch Vertrauensleute und Belegschaften überhaupt mitkriegen, was ihnen damit verordnet wurde und von ihnen erwartet wird. Nachstehend daraus einige Auszüge. So stellt das BMAS in seinen Verordnungs-Zielsetzungen u. a. fest: „... das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 und die hierdurch verursachte Krankheit COVID-19 zeigen, dass in diesem außergewöhnlichen Notfall das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinwesens erheblich gefährdet sein kann. Deshalb verlangt die COVID-19-Epidemie auch besondere Anstrengungen von Arbeitgebern sowie von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.“
Den hat Arbeitsminister Heil mit Paragraf I Absatz 1 der Covid-19-ArbZV dem lohnabhängigen Teil der betroffenen Bereiche des „Gemeinwesens“ als „besondere Anstrengung“ auferlegt. Vorausgesetzt es gibt keine Verlängerung, gilt dort bis zum 30. Juni 2020 als „Notfall-Regelung“: „Abweichend von den §§ 3 und 6 Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden ...“ (siehe Kasten: Wer ist betroffen)
Die 12 Stunden gelten auch für Nacht- und Schichtarbeit sowie die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen, die möglich ist, wenn die Arbeit nicht an Wochentagen erledigt werden kann. Die zwischen zwei Arbeitstagen gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden (§ 5 ArbZG und EU-Recht) wurde auf 9 Stunden verkürzt. Für die Wochenarbeitszeit heißt es hierbei: 60 Stunden! Die 60-Stunden-Arbeitswoche kann in besonderen Fällen – wie z. B. für Spargelstecherinnen und Spargelstecher (und sicher auch für viele andere) erst kürzlich einige Wochen praktiziert –, durch Rechts-Verordnung abgedeckt, auf 72 Stunden verlängert werden.
Im Begründungsteil der Covid-19-ArbZV wird zu diesen Arbeitszeiten erklärt: „Der Entwurf trägt zur Erreichung der Ziele im Bereich SDG 8 bei: Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern. Gerade in einem außergewöhnlichen Notfall mit bundesweiten Auswirkungen müssen die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt so gestaltet werden, dass die Menschen mit Zuversicht in die Zukunft blicken können. Mit den vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten vom Arbeitszeitschutz soll auch erreicht werden, dass die durch eine besondere Notsituation gefährdete wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Arbeitgeber in bestimmten Bereichen erhalten werden kann (Schlüsselindikator 8.4 der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie).“ (siehe Kasten: „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie“)
Bei den „Abweichungen vom Arbeitszeitschutz“ können insbesondere die Kapitalisten zuversichtlich auf Arbeitszeiten aus dem 19. Jahrhundert blicken. Der 12-Stunden-Arbeitstag ist dabei die Abrissbirne, um den Achtstunden-Arbeitstag als gesetzliche Höchstarbeitszeit endgültig aus dem Weg zu räumen. Die Corona-Verordnung war bzw. ist dafür der erste Probelauf und das Beispiel zur Übertragung auf andere „systemrelevante“ Bereiche. Wie unten beim Kapitalverband Gesamtmetall nachzulesen, haben die Kapitalisten der Metall- und Elektro-Industrie das auch so verstanden. Zur Frage der Arbeitszeit haben sie der Regierung aber auch den Gewerkschaften im Mai 2020 in einem Drei-Phasen-Wiederaufbau-Programm und einem verlangten „Belastungsmoratorium“ mitgeteilt: „Die Corona-Krise hat bewiesen, dass ein Festhalten an starren Arbeitszeiten nicht länger nötig, noch im Sinne von Unternehmen und Beschäftigten ist. Auch hier ist mehr Freiheit möglich. Die bislang im Koalitionsvertrag geplanten Experimentierräume für Arbeitszeit für tarifgebundene Unternehmen sind dagegen eine mutlose Mogelpackung, die keinem Unternehmen und keinem Beschäftigten nützt. Sie sind weder eine Hilfe beim Wiederhochfahren der Wirtschaft (2. Phase) noch bei der Wiederherstellung (3. Phase). Wichtiger ist es stattdessen, die Arbeitszeit für alle Unternehmen richtig zu flexibilisieren. Die gesetzlichen Spielräume für die Arbeitszeitgestaltung müssen erweitert werden, um dadurch Arbeit flexibler zu gestalten und wirtschaftliches Wachstum zu beschleunigen.“
Was hierdurch „ordnungsgemäß“ und nach Corona wieder hochgefahren und funktionieren soll, ist die kapitalistische Ausbeuterordnung. Sie ist die gesellschaftliche Realität, dieses „Gemeinwesens“. So sieht das auch Kanzlerin Merkel. Eine andere Ordnung und ein anderes Gemeinwesen kann sie als Leiterin des geschäftsführenden Ausschusses der Kapitalistenklasse, der Regierung, nicht vertreten. Anlässlich der ab Juli bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft durch die BRD hat sie am 18. Juni 2020 in ihrer Regierungserklärung dazu festgestellt: „Die Antwort auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie darf eben keine Rückkehr zu herkömmlichem Arbeiten und Wirtschaften sein, sondern muss den Wandel in ein neues Arbeiten und Wirtschaften stärken und beschleunigen. Davon hängt ab, ob wir nach der Pandemie kreative, wettbewerbsfähige Unternehmen und nachhaltig gesicherte Arbeitsplätze haben. Und wir wissen, dass andere in der Welt nicht ruhen, sondern sehr entschlossen und sehr robust handeln.“
Möglicherweise hat sich Angela Merkel beim Wandeln durchs Gesamtmetall-3-Phasenpaket und dem Kapital-Verlangen nach „richtigem Flexibilisieren“ der Arbeitszeit (siehe Kasten: Das „richtige Flexibilisieren“) zur Forderung nach „Neuem Arbeiten und Wirtschaften“ anregen lassen. Dabei geht es vor allem darum, dem deutschen Imperialismus die bisherige Führungsposition in Europa und die Einflussgebiete in der Welt zu sichern. Die Kanzlerin macht das klar mit der Warnung vor den „Anderen“, diejenigen, die in der Welt „entschlossen“ und „sehr robust handeln. Im Kapitalismus ist das die durch die Pandemie nicht ausgehebelte und „nicht ruhende“ Konkurrenz der Kapitalisten unter- und gegeneinander. Zur Durchsetzung „kreativer, wettbewerbsfähiger Unternehmen“ und der angeblich „nachhaltig gesicherten Arbeitsplätze“, bedarf es auch „robuster“ Arbeitszeiten. Da braucht es ein Mittel aus dem „Nachhaltigkeits“-Methoden- und Instrumentenkoffer, um die Ausbeutungszeiten in den Betrieben zu verlängern, die Profite zu steigern und die Konkurrenten zur eigenen Standortsicherung „beschleunigt“ aus dem Feld zu schlagen. Mit der Hetze gegen und Warnung vor China, lassen sich den Lohnabhängigen, Belegschaften und Betriebsräten dabei dann auch noch 12-stündige Arbeitstage als menschenwürdige Arbeitszeit und notwendiger Solidarakt verkaufen.
Das ist das Ziel, was Gesamtmetall für Metall- und Elektrokapital – „das Herz der deutschen Wirtschaft“ – im o. e. 12-seitigen „Belastungsmoratorium“ vorgibt. Was hierbei das Herz stärken soll, ist der Abbau von Arbeits- und Sozialrecht. Zusammen mit der Arbeitszeit werden sie sowie der „massive Ausbau der Sozialleistungen“ in den letzten Jahren angegriffen. Als zu große Belastung fürs Herz sollen deswegen die Rente mit 63, die Mütterrenten sowie die Wiedereinführung der Parität bei den Krankenversicherungsbeiträgen abgeschafft und die Grundrente verhindert werden.
Im Arbeitsrecht werden „Anpassungen“ – das Schleifen von Arbeiterrechten – beim Kündigungsschutz und Betriebsverfassungsgesetz verlangt. Um Betriebsratssitzungen einzusparen, sollen die aufgrund von Corona vorübergehend gesetzlich ermöglichten virtuellen Sitzungen und rechtsgültigen Beratungen und Beschlussfassungen auf Dauer Betriebsverfassungsrecht werden. Abgesehen davon sind dem Kapital insbesondere die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates ein Dorn im Auge. Dabei geht es u. a. um die Rechte aus den §§ 87 und 99, durch die das Direktionsrecht der „Unternehmer“ eingeschränkt wird. Sie können z. B. nicht allein über die Verkürzung und/oder Verlängerung der Arbeitszeit entscheiden. Das gilt ebenso für den Arbeits- und Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1, 7.), der ausdrücklich als „Belastung“ genannt wird. Die Forderung an die Regierung lautet dabei: „Insbesondere muss auf eine Ausweitung der Mitbestimmung über den Hebel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes verzichtet werden.“ Das Kapital befürchtet, dass ihm durch Forderungen infolge von Corona über den Gesundheitsschutz ein „Supermitbestimmungsrecht“ der Betriebsräte reingewürgt wird. Was dann „... bei anderen Themen wie etwa der Arbeitszeit, dem mobilen Arbeiten, dem Homeoffice oder der Personalbemessung zur Anwendung ...“ kommt. Im Moratorium heißt es deswegen: Keine weitere „Einschränkung unternehmerischer Freiheit und des Direktionsrechts“. Das möchten die Kapitalisten auch bei Personaleinstellungen wieder für sich allein haben. Das soll erreicht werden „... durch Anpassung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretungen (insbesondere § 99 BetrVG).
Im Zusammenhang mit Einstellungen wird hierbei die Zurücknahme der 2017 erfolgten „Einschränkungen“ bei der Leiharbeit gefordert. Gleiches gilt für Pläne zu Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverträgen mit oder ohne Sachgrund und Werkverträgen. Beim Einstellen gehört dazu, auf welche Art die Kapitalisten vor allem die Lohnabhängigen mit unbefristeten Arbeitsverträgen als Ballast beim Profitmaximieren auch wieder los werden können. Nachdem die Leiharbeiter in aller Regel bereits als „abgemeldet“ rausgeflogen, sind, greift die IGM-Führung dem Kapital seit Jahren und bis heute mit den sogenannten „Zukunftstarifverträgen“ unter die Arme. Sie sind meistens die Basis, für das Ende der Zukunft von Zigtausenden Arbeitsplätzen und dem Rausschmiss der entsprechenden Zahl von Kolleginnen und Kollegen. So wie das z. B. bei den Auto-Kapitalisten mit dem „Verzicht auf „betriebsbedingte Kündigungen“ durchgezogen wird. Möglicherweise ist das Kapital mit dieser Form von Rausschmiss etwas in Schwierigkeiten geraten und will für den nächsten Schub gesetzliche Hürden abbauen. Gesamtmetall fordert jetzt: „Der Kündigungsschutz muss rechtssicher ausgestaltet werden. Vor allem die §§ 17 ff. des Kündigungsschutzgesetzes müssen überarbeitet werden, um die dringend notwendige Rechtssicherheit bei Verfahren der Massenentlassung wiederherzustellen.“
Was bei diesem Anpassungs-Überfall auf Arbeits- und Sozialrecht die „Rechtssicherheit“ angeht, können die Kapitalisten sich auf die Worte von Kanzlerin Merkel vom „Neuen Arbeiten und Wirtschaften“ berufen. Mit den ganzen Folgewirkungen von Corona, möglichen Insolvenzen, Kurzarbeit usw. und 6,5 Prozent vorausgesagtem Rückgang vom Bruttoinlandsprodukt werden sie zum zusätzlichen Druck- und Erpressungspotential. Das gilt insbesondere gegenüber den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern. Die haben mit ihren Schwüren auf die Sozialpartnerschaft, vom „fest Zusammenstehen“ mit Kapital und Regierung die „Sozialpartner“ (siehe Kasten: „Sozialpartnerschaft“), wie die IGM-Führung mit Lohnverzicht und Stillhalten zum „jetzt Zuschlagen“ geradezu ermutigt (siehe KAZ 371).
Gesamtmetall wird hierbei mit seinen Angriffen unterstützt von den einzelnen Kapitalverbänden, wie z. B. von Südwestmetall, der Vereinigung der bayrischen Wirtschaft u. a. Das sieht nach einem Programm aus, hinter dem die Absicht steht, in den Betrieben Fakten gegen Arbeitsrecht und Tarifverträge zu schaffen, um Verschlechterungen als neues Recht durchsetzen zu können. Wie in der IGM Presse berichtet wird, melden viele Geschäftsstellen der sieben IGM-Bezirke die Versuche der Kapitalisten aus den Klein- und Mittelbetrieben, sich unter Berufung auf Corona über Löhne und Tarifverträge herzumachen und Leute rauszuschmeißen. In dem Zusammenhang werden die Metallerinnen und Metaller unter der Überschrift: „Arbeitgeber wollen Sozialstaat demolieren“ auf Seite 15 der metallzeitung von Juli 2020 auf das „Positionspapier“ von Gesamtmetall hingewiesen. Dazu wird festgestellt: „Der Inhalt liest sich aus Arbeitnehmersicht wie ein Katalog des Grauens: tägliche Höchstarbeitszeit streichen, Ruhezeiten abschaffen ... Ausweitung von Leiharbeit und Werkverträgen.“ Abgesehen von den Angriffen auf die Renten (s. o.) spielt die Attacke auf die Mitbestimmung in der Betriebsverfassung und das Kündigungsschutzgesetz hierbei keine Rolle. Darüber erfahren die Kolleginnen und Kollegen – z. B. die Betriebsräte – in den paar Sätzen, die dem „Grauen“ in der metallzeitung gewidmet sind, kein Wort. Genauso wenig ist dabei die Rede davon, wie die IGM als Kampforganisation auf diesen „Katalog“ der „Sozialstaatsdemolierer“ reagieren kann und müsste. Z. B. mit der Organisierung einiger breit angelegten Warnstreiks und/oder als Kampfansage, den Zusammenschluss der Metallerinnen und Metaller um eine gemeinsame Gegenforderung nach Arbeitszeitverkürzung. Eine Forderung, bei der viele aus anderen Bereichen und Gewerkschaften mitgenommen werden können. Doch die IGM-Führung hat bisher als Antwort auf die Angriffe des Kapitals statt einer Gesamtstrategie nur dezentrale Aktivitäten in den einzelnen Bezirken parat. Die führen den Kampf gegen die Angriffe des Kapitals mit mehrseitigen #Fairwandel-Forderungs-Resolutionen zur Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaft und Anleitungen zur zukünftigen „digitalen Transformation“. Bei Gesamtmetall heißt es dazu: „Hier werden wir mit den Gewerkschaften ‚zusammen weiterdenken’ müssen.“
Beim Weiterdenken über den #Fairwandel der kapitalistischen Wirtschaft hat der IGM-Bezirk Baden-Württemberg eine Kampagne unter dem Namen „Solidarität gewinnt“ als Online Petition gestartet. Nach Information der Bezirksleitung wurde sie Ende Mai 2020 von 3.000 Vertrauensleuten bei einer digitalen Funktionärskonferenz diskutiert und im Juni den ansässigen Kapitalverbänden und der Baden-Württembergischen Regierung zugestellt. Unterschrieben wurde sie von tausenden IGM-Mitgliedern, Vertrauensleuten, Betriebsratsmitgliedern und Belegschaften. Den Angriffen des Kapitals, in dem Fall Südwestmetall, werden dabei 10 Forderungen zum fairen Wandel der Wirtschaft und „gemeinsamen Zukunftsgestaltung“ als bessere Lösung zum Sozialabbau entgegengestellt. Hierzu wird u. a. ausgeführt: „Die Folgen des Shut-Downs führen in vielen Fällen zu einer ernsthaften, betriebswirtschaftlichen Herausforderung. Dafür gute Lösungen zu finden, z.B. im Rahmen von belastbaren Zukunftsvereinbarungen, ist in unserem Interesse ...“
Zu den „guten Lösungen“ können je nach Situation auch Konzepte für befristete tarifliche Abweichungen gehören. Die Bedingung hierbei: Sie müssen nach Aussage vom Baden-Württemberger IGM-Bezirksleiter Zitzelsberger „verbindliche Beschäftigungssicherungen“ – wie bekannt – Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen beinhalten und sich am konkreten betrieblichen Fall orientieren. (IGM-Pressemitteilung 05.06.2020)
Bei so viel Verständnis für die kapitalistische Ordnung stehen die Chancen fürs Kapital nicht schlecht, der Metall-Führung am „betrieblichen Fall orientierte“ Zugeständnisse abzuringen. Wer dabei gewinnt, steht allerdings jetzt schon fest. Die Gewerkschaftsmitglieder, Betriebsräte und Belegschaften, werden unter dem Begriff „Solidarität gewinnt“, auf das Managen des kapitalistischen Ausbeutungssystems orientiert, statt auf den gewerkschaftlichen Kampf für seine Abschaffung und eine sozialistische Gesellschaftsordnung.
Für die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer gilt hierbei nach wie vor, was Lenin beim 2. Kongress der kommunistischen Internationale im Juli 1920 festgestellt hat: „Die Praxis hat bewiesen, dass die Politiker innerhalb der Arbeiterbewegung, die der opportunistischen Richtung angehören, bessere Verteidiger der Bourgeoisie sind als die Bourgeois selber. Hätten sie nicht die Führung der Arbeiter in ihrer Hand, so könnte sich die Bourgeoisie nicht behaupten.“ (Lenin Werke Bd. 31 S. 219, 19. Juli 1920)
Ludwig Jost
In den Covid-19-Erklärungen heißt es dazu:
„Gerade die in Nummer 2 angeführte medizinische Behandlung sowie die Pflege, Betreuung und Versorgung von Personen steht infolge der COVID-19-Epidemie vor besonderen Herausforderungen. Die Regelung ist weit zu verstehen. Erfasst werden alle Tätigkeiten in diesem Bereich unabhängig davon, ob sie in Krankenhäusern, Praxen, Pflegeeinrichtungen oder der anderen Einrichtungen zum Beispiel der Rehabilitation, der Integration schwerbehinderte Menschen, der Kinder- und Jugendhilfe oder der Sucht- und Obdachlosenhilfe ausgeübt werden. Eingeschlossen sind auch ambulante Dienste, die Pflege, Betreuung und hauswirtschaftliche Versorgung auch in der eigenen Häuslichkeit sowie Assistenz- und Hilfstätigkeiten. Der Begriff „,medizinische Behandlung‘ ist ebenfalls weit zu verstehen und umfasst insbesondere alle medizinischen, pflegerischen, präventiven und rehabilitativen Maßnahmen, einschließlich Assistenz- und Hilfstätigkeiten nicht nur für Patientinnen, Patienten und Pflegebedürftige, sondern zum Beispiel auch für Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen.“
Daran anschließend wird eine ganze Latte von Tätigkeiten genannt, für die ebenfalls die Covid-19-ArbZV gilt. Z. B. für Tätigkeiten: „beim Herstellen, Verpacken einschließlich Abfüllen, Kommissionieren, Liefern an Unternehmer, Be- und Entladen und Einräumen von Waren des täglichen Bedarfs“ und einer ganzen Reihe anderer wie bei „Not- und Rettungsdiensten, der Feuerwehr sowie beim Zivilschutz, in den Energie- und Wasserversorgungsbetrieben sowie in Abfall- und Abwasserentsorgungsbetrieben ...“
Definition: Mit SDG (Sustainable Development Goals) werden die „Ziele für eine nachhaltige Entwicklung“ der UNO bezeichnet. Die deutsche Bundesregierung hat das, auf die BRD angewendet, mit dem pompösen Etikett „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie“ versehen.
2016, aktualisiert 2018, hat die Bundesregierung Indikatoren zur Erfolgskontrolle festgelegt (siehe Tabelle einschließlich Quellenhinweise auf de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Nachhaltigkeitsstrategie)
Der „Schlüsselindikator 8.4“ wird nun im Begründungsteil der Covid-19-ArbZV zu den verlängerten Arbeitszeiten herangezogen. Als SDG im Sinne der UNO – also als „Ziel für eine nachhaltige Entwicklung“ – heißt es unter Indikator-Nr. 8: „Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern.“ Etwas konkreter als bei diesem in keinem kapitalistischen Land verwirklichbaren Geschwurbel geht es dann unter der der Rubrik „Bereich“ des Schlüsselindikators 8.4 zu: „Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit: Wirtschaftsleistung umwelt- und sozialverträglich steigern“. Und in der Spalte „Indikator“ heißt es dann „BIP je Einwohner“ (BIP=Bruttoinlandsprodukt). Es geht also bei dem Schlüsselindikator 8.4 um die Werte, die wir Arbeiter schaffen, um die „Wirtschaftliche Leistung“, die den Herrschaften so noch nicht genügt, zu steigern, weshalb wir länger und flexibler und überhaupt mehr arbeiten sollen.
„Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie“ heißt also in diesem Zusammenhang: Flexibel schuften bis unsere Gesundheit nachhaltig ruiniert ist und wir mit einem nachhaltigen Tritt auf die Straße gesetzt werden, nachhaltig dicke Profite für die Kapitalisten.
Die Forderung – Jedem Betrieb seine eigene Arbeitszeit – kann in Kürze ihr hundertjähriges Jubiläum feiern (s. u. Borsig). Gesamtmetall will alles, was dem gesetzlich und/oder tariflich entgegensteht, aus dem Weg räumen. Die „Betriebsparteien“, Kapitalisten und Betriebsräte sollen regeln, was je nach Situation – „Ausnahme-Notfall“ usw. – notwendig ist. Wir haben darüber immer wieder in KAZ-Ausgaben berichtet. Das soll als gesetzliche Regelung durchgesetzt und damit „nachhaltig“ im Arbeitszeitgesetz verankert werden. Dann sind die Gewerkschaften raus.
Dafür gilt auch heute noch, was der Großindustrielle Maschinenbau- und Lokomotivenfabrikant Borsig 1924 im Auftrag der Schwerindustrie mit den Worten erklärt hat: „Es ist falsch den Arbeitgebern vorzuwerfen, sie wollten den 10-Stunden-Tag einführen. Die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat wiederholt darauf hingewiesen, dass ein schematischer Zehnstundentag ebenso falsch wäre, wie ein schematischer Achtstundentag. Eine schematische Regelung der Arbeitszeit ist nicht zum Segen der Wirtschaft. Deswegen verlangen wir nichts weiter, als dass in den Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen für jeden Betrieb diejenige Arbeitszeit zugelassen wird, die nach den gegebenen Verhältnissen den höchsten Nutzeffekt in der Produktion gewährleistet.“
Mit einer Rechtsverordnung, mit einer auf drei Monate begrenzten Laufzeit, ist kein „Segen für die Wirtschaft“ erreichbar. Arbeitsminister Heil konnte mit der „Covid-19-ArbZV“ nach geltendem Arbeitsrecht jedenfalls keine durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen geregelte Arbeitszeit-Ordnungen automatisch außer Kraft setzen bzw. den Kapitalisten dazu das Recht geben. Gleiches gilt für die in Arbeitsverträgen vereinbarten Arbeitszeiten. Einseitige Vertragsänderungen, bei denen sich das Kapital auf sein Direktionsrecht beruft, sind juristisch Rechtsverstöße, gegen die geklagt werden kann. Es sei denn, Betriebsräte und Belegschaften ersparen sich in solchen Fällen den Weg vor Gericht, indem sie das mit gemeinsamen Aktivitäten in den Betrieben selber regeln. Was hierbei auf der Basis der Covid-19-ArbZV in den festgelegten Bereichen und Betrieben – z. B. in Krankenhäusern, Altersheimen, Reha-Kliniken, Pflegeeinrichtungen usw. – auch die Bezahlung, Zuschläge u. a. betreffend – durchgesetzt wurde, ist im Moment nicht zuverlässig erfahrbar. Möglicherweise wurde den dort sowieso schon geltenden oder verlangten Arbeitszeiten, Überstunden, Schicht u. a., mit der COVID-Verordnung vorübergehend nur ein rechtlicher Rahmen verpasst. Letzteres gilt natürlich insbesondere für die betriebsratslosen Kleinbetriebe, die Klitschen, wo Arbeiterinnen und Arbeiter meistens uneingeschränkt das sogenannte „Direktionsrecht“ der Klein-Kapitalisten als ständige Bedrohung im Nacken haben.
„Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) stehen fest zusammen, um die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise zu bewältigen. Die Sozialpartnerschaft hat sich schon in der letzten großen Wirtschaftskrise 2008/09 bewährt. Das Zusammenspiel von Politik und Sozialpartnern wird auch jetzt dazu beitragen, dass Menschen in Arbeit und Unternehmen am Markt bleiben. Dadurch leisten wir einen wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
Österreich, vor zwei Jahren: Die Regierung aus ÖVP und FPÖ brauchte kein Corona, um einen Überfall auf das Arbeitszeitgesetz zu veranstalten. Aber anders als bei uns waren über 100.000 Arbeiter in Wien auf der Straße gegen 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche! Wenigstens ein Teilerfolg konnte erreicht werden: Überstunden über 10/50 Stunden können ohne Begründung verweigert werden.