KAZ
Lade Inhalt

Für Dialektik in Organisationsfragen

Zur Geschichte des Betriebsräte- und des Betriebsverfassungsgesetzes

Ich möchte meine Ausführungen zum Betriebsräte- und Betriebsverfassungsgesetz mit einer Geschichte aus dem Erleben einiger Betriebsratsmitglieder beginnen. Sie hat sich so vor vielen Jahren in einem Betrieb, ein paar Kilometer von Aachen entfernt, zugetragen. Nach Berichten von Seminarteilnehmern, Kolleginnen oder Kollegen, Vertrauensleuten und/oder Betriebsratsmitgliedern, war ihnen gesagt worden: Nach der Rückkehr vom IGM-Seminar ist der erste Gang im Betrieb für euch: „Im Betriebsratszimmer antreten und Waffen abgeben!“

Als wir wissen wollten, wer das gesagt hat, hieß es: Der „Blaue“! So wurde der damalige, etwas „fussig-rothaarige“ BR-Vorsitzende in der Belegschaft genannt.

Von ihm wurde ihnen beim „Waffenabgeben“ dann mehr oder weniger erklärt, sie sollten die Seminarinhalte und was sie evtl. gelernt hätten, schnell wieder vergessen. Denn, was in den Seminaren vermittelt würde, hätte mit der betrieblichen Praxis vielfach überhaupt nichts zu tun. Und sie sollten jetzt nicht glauben, nur weil sie ein IGM-Seminar besucht hätten, wären sie jetzt die Kings, die im Betrieb alles umkrempeln könnten.

Der „Blaue“ hat natürlich instinktiv recht gehabt. Was die Kolleginnen und Kollegen zumindest damals noch bei den IGM-Seminaren gelernt haben, hatte mit seiner und der Betriebsrats-Praxis, von in der Regel sehr oft allein und selbstherrlich regierenden Betriebsratsvorsitzenden nur wenig zu tun.

Nicht umsonst wurden sie und die hauptamtlichen sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer in den Belegschaften „Die Fürsten“ genannt.

Die Belegschaft im o.e. Betrieb hat sich allerdings weder vom „Antreten“ noch „Waffenabgeben“ einschüchtern lassen, sondern im Gegenteil. Sie hat sich dadurch angetörnt gefühlt und immer wieder Seminarteilnehmer gestellt. In der Regel wollten sie alle wissen, welche Waffen sie dem BR-Vorsitzenden abliefern sollten. Sie haben dann tatsächlich dafür gesorgt, dass das, was ihr „Blauer“ befürchtet hat, im Betriebsrat und im Betrieb passiert ist. Es wurde aufgrund von mehr Wissen einiges umgekrempelt, was der Kapitalist dann zu spüren bekommen hat. Z. B. vier Betriebsversammlungen im Jahr statt einer oder keiner.

Beim „Umkrempeln“ ist dann auch der „Blaue“ irgendwann in der Versenkung verschwunden. Worauf ich mit dieser Geschichte hinweisen will; Für uns kann es nicht heißen, „Waffen abgeben“, sondern sich für die Tätigkeit im Betriebsrat (BR) bewaffnen. Die Bewaffnung besteht dabei unabhängig davon, ob jemand Kommunist ist oder nicht: Sich für diese Aufgabe das notwendige Wissen anzueignen, um im Sinne unserer Ziele – der wirtschaftlichen und politischen Entmachtung und Enteignung der Bourgeoisie – für Betriebsrat, Belegschaft und Arbeiterklasse nützlich zu sein.

Aus meiner Sicht gehört dazu, sich als BR-Mitglied oder auch als Vertrauensfrau/-mann einen Überblick über die Geschichte der Arbeiterbewegung in diesem Land zu verschaffen. Und dabei geht es auch um die ungeheuerlichen Gewalttaten und Verbrechen wie Faschismus und Krieg, die die herrschende Klasse, das Kapital, an der Arbeiterklasse begangen hat, und darum, dass – mit dem Aufkommen des Revisionismus und Opportunismus – diese Verbrechen von der sozialdemokratischen Führung, insbesondere von den opportunistischen Gewerkschaftsführern durch Desorganisierung des Kampfes zugelassen oder sogar mit durchgeführt wurden. Und wie wir aus heutiger Sicht feststellen können und müssen, ist das weiterhin der Fall.

Dabei geht es ebenfalls ums „Waffen abgeben“, um Entwaffnung, Spaltung und Entrechtung der Arbeiterklasse und was sich die Bourgeoisie dazu auf gesetzlicher Ebene hat einfallen lassen. U. a. zählt dazu die „Allgemeine Preußische Gewerbeordnung“ von Januar 1845 – vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm unterschrieben. Darin heißt es im Paragraphen 182: Gehülfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter, welche entweder die Gewerbetreibenden selbst, oder die Obrigkeit zu gewissen Handlungen oder Zugeständnissen dadurch zu bestimmen suchen, dass sie die Einstellung der Arbeit oder die Verhinderung derselben bei einzelnen oder mehreren Gewerbetreibenden verabreden, oder zu einer solchen Verabredung Andere auffordern, sollen mit Gefängniß bis zu einem Jahre bestraft werden. Diese Bestimmung ist auch anzuwenden auf Arbeiter, welche bei Berg- und Hüttenwerken, Landstraßen, Eisenbahnen, Festungsbauten und andern öffentlichen Anlagen beschäftigt sind.“

Und weiter:

„§ 183 Die Bildung von Verbindungen unter Fabrikarbeitern, Gesellen, Gehülfen oder Lehrlingen ohne polizeiliche Erlaubniß ist, sofern nach den Criminal-Gesezen keine härtere Strafe eintritt, an den Stiftern und Vorstehern mit Geldbuße bis zu fünfzig Thalern oder Gefängniß bis zu vier Wochen, an den übrigen Theilnehmern mit Geldbuße bis zu zwanzig Thalern oder Gefängniß bis zu vierzehn Tagen zu ahnden.

§ 184 Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, welche ohne gesezliche Gründe eigenmächtig die Arbeit verlassen oder ihren Verrichtungen sich entziehen, oder sich groben Ungehorsams oder beharrlicher Widerspänstigkeit schuldig machen, sind mit Geldbuße bis zu zwanzig Thalern oder Gefängniß bis zu vierzehn Tagen zu bestrafen.“

Für das Gesinde (Landarbeiterinnen und Landarbeiter oder auch Mägde und Knechte) galt die 1854 erlassene Gesindeordnung, die erst 1918 mit der Revolution abgeschafft wurde. Sie verbot jeden gewerkschaftlichen Zusammenschluss des Gesindes, der land- und forstwirtschaftlichen Tagelöhner und bedrohte sie mit Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr.

In beiden Fällen, bei der Gewerbe- und Gesindeordnung, geht es um Koalitions- und Streikverbot. Das war damals die Antwort der Preußischen Monarchie und auch des Adels auf Widerstandsaktionen, auf Streiks der Arbeiter gegen Hunger, gegen die Ausbeutungsbedingungen in den Betrieben sowie ihre Forderung nach Arbeiterausschüssen in den Fabriken zur Interessenvertretung gegenüber dem Kapital.

Was hierbei das Streikverbot gegen Kapitalisten (BR und Belegschaft haben kein Streikrecht) und die „Obrigkeit“ angeht, wird das heute durch die Klassenjustiz (3, 5 oder 7 Richter) gegen die gesamte Arbeiterklasse durch Urteil entschieden: „Der Streik darf nicht darauf gerichtet sein, den Staat oder ein sonstiges Subjekt hoheitlicher Gewalt zu einem hoheitlichen Tun zu zwingen.“ Das verstößt zwar gegen die „Europäische Sozialcharta“ (ESC). Aber die deutschen Gewerkschaftsführer heute wollen davon nichts wissen, im Gegenteil, die IG Metall hat beim vorletzten Gewerkschaftstag beschlossen, die EU soll ein vernünftiges Streikrecht beschließen, statt dass sie das nutzen, was mit der ESC längst da ist. Und die deutsche Regierung ist seit Jahren vom Europäischen Rat aufgefordert worden, das Streikrecht in der BRD der ESC anzupassen. Damit wäre die Mehrheit aller Streikurteile, die hier die Klassenjustiz gefällt hat, rechtsungültig. Aber die Gewerkschaftsführung macht davon keinen Gebrauch.

Mit all dem gelingt es der Bourgeoisie, die Allgemeine Preußische Gewerbeordnung seit annähernd 175 Jahren vor der Arbeiterklasse zu retten. Im entsprechenden Urteil (BAG, DB 1988, 2102) erklärt das Bundesarbeitsgericht: „Die Arbeitsniederlegung sei eine gefährliche Waffe und könne deshalb nur Instanzen anvertraut werden, die sich dieses Mittels in verantwortlicher Weise bedienen. Auch muss die Gewerkschaft nach ihrer Satzung für den in Frage stehenden Betrieb zuständig sein.“

Hierbei können Kapital und Regierung sich voll und ganz auf die rechten sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer verlassen. Sie unterstützen sie in „verantwortlicher Weise“ mit dem gegen alle fortschrittlichen und kämpferischen Kolleginnen und Kollegen, gegen Betriebsräte, Belegschaften und Klasseninteressen gerichtetes Dogma: „Gegen eine demokratisch vom Volk gewählte Regierung streiken wir nicht!“

Nach dem o.g. Urteil muss der Streik von der Gewerkschaft getragen sein, das ist eine Einschränkung gegenüber der Streik-Regelung in der Weimarer Republik – oder nachträglich übernommen werden. „Der sog. Politische Streik – etwa eine Arbeitsniederlegung mit dem Ziel einer gesetzlichen Ausdehnung der Mitbestimmung – ist nach BAG verboten (so schon BAG, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4R)“. (Wolfgang Däubler, 4. Auflage Arbeitsrecht S. 142 Nr. 3./4.)

Aber zurück zu den in der Geschichtsschreibung genannten Vorläufern der Betriebsverfassung. Hierbei wird auf die bürgerliche Revolution von 1848/49 hingewiesen und wie oben bereits angemerkt, von der Entstehung von Arbeiterausschüssen seit Anfang des 19. Jahrhunderts berichtet. Sie sind in einer Reihe von Betrieben aufgrund von Streiks und darauf gemachten Zugeständnissen der Kapitalisten zum Abfangen von Widerstandsaktionen entstanden. In der Regel hatten sie jedoch keine gesetzliche Grundlage. Die gab es in Deutschland erstmalig im Bergbau, ab 1900 in Bayern und 1905 in Preußen. Dabei hatten sie nie mehr als Anhörungsrechte, die auch nicht einklagbar waren. Als Durchbruch und direkter Vorläufer fürs Betriebsräte- und spätere Betriebsverfassungsgesetz wird in der gewerkschaftlichen aber auch generell in der Geschichtsschreibung das „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“ genannt. „Das Gesetz ist ein Wegbereiter des Betriebsrätegesetzes von 1920“, heißt es unter „Meilensteine der Mitbestimmung“ im Mitbestimmungsportal der Hans-Böckler-Stiftung 2019.

Es wurde am 5. Dezember 1916 – also Mitte des 1. Weltkrieges – vom damaligen Reichstag mit 239 Für- und nur 19 Gegenstimmen beschlossen. Grundlage und „Wegbereiter“ dieses „Meilensteins“ sind bzw. waren im wahrsten Sinne des Wortes Leichenberge. Als es in Kraft gesetzt wurde, gab es bereits Millionen Kriegstote und Hunderttausende verstümmelte, zu Krüppeln gebombte und geschossene Menschen auf beiden Seiten. Ein Kriegsgesetz, von der obersten Heeresleitung mit dem Ziel veranlasst, aufgrund der hohen Verluste an Menschenleben Arbeitskräfte, Freiwillige für den Krieg zu mobilisieren, entgegen der immer stärker werdenden revolutionären Bewegung in der Arbeiterklasse.

Dementsprechend bestimmte § 1 des Gesetzes: „Jeder männliche Deutsche vom vollendeten siebzehnten bis zum vollendeten sechzigsten Lebensjahr ist, soweit er nicht zum Dienste in der bewaffneten Macht einberufen ist, zum vaterländischen Hilfsdienst während des Krieges verpflichtet.“ (Reichsgesetzblatt 1916, Nr. 276, S. 1333 u. 1335)

Damit wurde die freie Wahl des Arbeitsplatzes aufgehoben und Teile der Arbeiterklasse gezwungen, in Rüstungs- oder sonstigen kriegswichtigen Betrieben zu arbeiten. Was ebenso die Einschränkung politischer Aktivitäten oder Ausschaltung politischer Aktivisten bedeutete bzw. bedeuten konnte.

Der für die Durchführung des Hilfsdienstgesetzes zuständige Leiter des dafür eingerichteten Kriegs­amtes, General Gröner, hatte erklärt, dass er zur Durchsetzung und Durchführung des Gesetzes auf die Mithilfe der Gewerkschaften angewiesen sei. Arbeitervertreter sollten zur Beratung und Entscheidung aller Arbeiterfragen herangezogen werden. Um die Interessen der Arbeiter zu vertreten und zu wahren, wurde zusätzlich ein Gewerkschaftsvertreter ins Kriegsamt einbezogen.

Der General wurde nicht enttäuscht. Die Vertreter aller Gewerkschaften und Angestelltenverbände beschlossen 7 Tage nach Verabschiedung des Gesetzes bei einem Kongress in Berlin, seine Durchführung und den Hilfsdienst zu unterstützen. Die Belohnung dafür waren Arbeiterausschüsse – erstmalig gesetzmäßig verankert und deswegen als „Meilenstein der Mitbestimmung und als „Wegbereiter“ fürs Betriebsrätegesetz gehandelt. Sie konnten in den Betrieben auch von den Frauen (Wahlrecht für Frauen) auf gesetzlicher Grundlage mit gewählt werden. Ihre Aufgabe war u.a., das „gute Einvernehmen innerhalb der Arbeiterschaft des Betriebes zu fördern“ und „Anträge, Wünsche und Beschwerden der Arbeiterschaft, die sich auf Betriebseinrichtungen, die Lohn- und sonstigen Arbeitsverhältnisse des Betriebs und seiner Wohlfahrtseinrichtungen beziehen, zur Kenntnis des Unternehmers zu bringen und sich darüber zu äußern.“

Außerdem gab es die Möglichkeit, sich bei ungelösten Konflikten an eine von Kapitalisten und Gewerkschaften mit je drei Vertretern paritätisch besetzte Schiedsstelle zu wenden.

Mit Kriegsende und 1918er Revolution war dann auch das vaterländische Hilfsdienstgesetz erledigt und die Arbeiterausschüsse verschwanden mit dem ZAG, dem Zentralen Arbeitsgemeinschaftsabkommen der Gewerkschaften mit den Kapitalisten und mit dem Betriebsrätegesetz, wozu ich jetzt komme.

Hierbei möchte ich vorweg feststellen, dass es sich bei diesem Gesetz nicht um ein Kind der Revolution handelt, wie das schon mal in der Geschichtsschreibung zu lesen oder auch in Reden zu hören ist. Das Gegenteil ist der Fall. Das Betriebsrätegesetz ist ein Kind der Konterrevolution. Es ist ihre Antwort auf die revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte und die Forderung nach einer Räterepublik. Die Arbeiterklasse wird damit per Gesetz verpflichtet, in den Betrieben mit den Kapitalisten zur Erreichung des Betriebszwecks und/oder zum Wohle des Betriebs zusammen zu arbeiten. Eine konterrevolutionäre Bestimmung, die auch heute im Betriebsverfassungsgesetz verankert ist.

Doch hören wir zunächst eine Aussage der KPD zur Bedeutung der Räte aus „Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik“, beschlossen auf dem 2. Parteitag in Heidelberg am 21. Oktober 1919. Unter Punkt 4 heißt es dort: „Schon vor der Eroberung der Macht ist auf den Ausbau bestehender und die Schaffung neuer Räteorganisationen das größte Gewicht zu legen. Dabei ist freilich im Auge zu behalten, dass Räte und Räteorganisationen nicht durch Statuten, Wahlreglements usw. geschaffen werden können und, dass sie nicht durch Statuten, Wahlreglements usw. gehalten werden können. Sie verdanken ihre Existenz vielmehr allein dem revolutionären Willen und der revolutionären Aktion der Massen und sind der ideologische und organisatorische Ausdruck des Willens zur Macht für das Proletariat geradeso, wie das Parlament dieser Ausdruck für die Bourgeoisie ist.

Aus diesem Grunde sind die Arbeiterräte auch die gegebenen Träger der revolutionären Aktionen des Proletariats. Innerhalb dieser Arbeiterräte haben sich die Mitglieder der KPD fraktionsmäßig zusammenzuschließen und zu versuchen durch geeignete Parolen die Arbeiterräte auf die Höhe ihrer revolutionären Aufgabe zu erheben und die Führung der Arbeiterräte und der Arbeitermassen zu gewinnen.“ (Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, S. 576 ff., Dietz Verlag Berlin 1966)

Aufgrund der Bestrebungen der Bourgeoisie, die Rätebewegung mit Hilfe der rechten Führer der Mehrheits-SPD und des reaktionären Betriebsrätegesetzes zu erledigen, kam es zu einem Aufruf, aus dem ich auszugsweise zitiere.

Gemeinsamer Aufruf der Zentrale der Betriebsräte Deutschlands, der USPD und der KPD vom 12. Januar 1920:

„An das revolutionäre Proletariat Deutschlands

Das Betriebsrätegesetz soll alle Gedanken an eine soziale Revolution endgültig zerstören. Der Gesetzentwurf über die Betriebsräte wird deshalb von den revolutionären Kopf- und Handarbeitern als ein frecher Betrug zurückgewiesen.

Das Gesetz zerreißt das Proletariat! Es trennt die Angestellten wieder von den Arbeitern. Es macht das Bestimmungsrecht (heute Mitbestimmung, d. Verf.) über ihre Einstellung und Entlassung zu leerem Schein, indem es nur ein nachträgliches, unmaßgebliches Beschwerderecht gewährt.

Der Gesetzentwurf schaltet die Arbeiter und Angestellten aus der Kontrolle der Geschäftsführung und Betriebsleitung völlig aus. Er macht die Betriebsräte zu bloßen Antreibern im Dienste des kapitalistischen Unternehmertums.

Wir fordern daher das volle Kontrollrecht über die Betriebsführung. Die schaffenden Menschen, die Arbeiter und Angestellten, müssen durch ihre Beauftragten darüber bestimmen, ob Betriebe stillgelegt werden dürfen oder nicht, was und wieviel von jedem Produkt hergestellt wird, welche Preise gefordert werden, wie Kohle, Roh- und Hilfsstoffe verteilt werden, was ein- und ausgeführt wird.

Es gilt, den Kampf um revolutionäre Betriebsräte in allen Betrieben voranzutreiben oder erneut aufzunehmen. Die Köpfe aller Arbeiter und Angestellten müssen für diese Forderung begeistert werden.

Nur im Kampfe wird das Proletariat sein Recht erringen können. Die nächsten Tage werden mit der parlamentarischen Entscheidung über das Betriebsrätegesetz einen Höhepunkt dieses Kampfes bringen. Die parlamentarische Aktion der Gegenrevolution muß nicht nur im Parlament allen erdenkbaren Widerstand finden, sie muß auch im Lande Massenaktionen in immer gesteigertem Maßstabe auslösen.

In Massenversammlungen und Umzügen wird das Proletariat demonstrieren gegen die heuchlerische gesetzliche Verdrehung des Rätegedankens, den sich das revolutionäre Proletariat nicht entweihen lassen will.

Proletarier in Stadt und Land, Angestellte und Arbeiter! Folgt dem Beispiel eurer Mitkämpfer! Heraus zum Protest! Heraus zum Kampf gegen das Betriebsrätegesetz, für das revolutionäre Rätesystem!

Erkämpft euch revolutionäre Betriebsräte mit vollem Kontroll- und Mitbestimmungsrecht in den Betrieben! (Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, S. 578/579)

Wie das Gesetz für den „Vaterländischen Hilfsdienst“ ist auch das Betriebsrätegesetz von 1920 mit dem Blut von Arbeitern geschrieben. Bei einer Großdemonstration von zigtausenden Arbeitern – die Schätzungen liegen zwischen 50 Tausend und Hunderttausend – vor dem Berliner Reichstag wurden am 13. Januar 1920 anlässlich der 2. Lesung des Betriebsrätegesetzes 42 Arbeiter ermordet und 105 schwer verletzt und/oder zu Krüppeln geschossen.

Der Sozialdemokratische Innenminister Heine hat dem damaligen Reichswehrminister bzw. Kriegsminister Noske (von ihm stammt – ebenfalls im Zusammenhang mit der Ermordung von Arbeitern – der Ausspruch: „Einer muss der Bluthund sein“) für die vor dem Reichstag aufmarschierte Abordnung der Reichswehr und Freikorps Schießbefehl erteilt, um die Arbeiterdemonstration aufzulösen. Wir müssen uns das mal richtig vor Augen führen, um zu begreifen, was da passiert ist. Da demonstrieren zigtausende Arbeiterinnen und Arbeiter dagegen dass sie per Gesetz gezwungen werden sollen, mit den Kriegstreibern und Kriegsverursachern (denjenigen, die bereits die Rätebewegung in ihrem Blut ertränkt haben) in den Betrieben friedlich, ohne Streikrecht, mit den Ausbeutern ihrer Arbeitskraft „in der Erfüllung des Betriebszwecks“ zusammenzuarbeiten. Und dann sagt die mit Reichspräsident, Innen-, Arbeits- und Kriegsminister in der Regierung vertretene SPD, was sie bereits gegenüber der revolutionären Rätebewegung geübt und gesagt hat: Einsatz der Reichswehr, der verbrecherischen Mörderbanden Noskes, der Freikorps im Innern: Alle, egal ob Frau oder Mann, unbewaffnet, was soll‘s, alle niederschießen, die mit unserem Gesetzentwurf, mit dem Betriebsrätegesetz nicht einverstanden sind. Dabei werden die Ermordeten dann im Nachhinein auch noch für ihren Tod, Verwundung und/oder Verkrüppelung verantwortlich gemacht.

Das ist durchaus ein Beispiel dafür, warum Kapital und Regierung so scharf darauf sind, die Bundeswehr im Innern einzusetzen und, was uns dabei blühen kann. Dann wird der mögliche Mord an Arbeitern bzw. an friedlich demonstrierenden und unbewaffneten Menschen zu einem ganz normalen, demokratischen, parlamentarischen Akt gemacht. Damit sind die möglichen Mörder bereits vorher freigesprochen und können sich ein Vergnügen daraus machen, in die Menge unbewaffneter Menschen zu schießen, ganz so, als ob sie auf Hasenjagd wären.

Das Betriebsrätegesetz wurde beschlossen. Nachstehend ein kurzer Auszug aus dem Reichs-Gesetzblatt Jahrgang 1920 Nr. 26 mit §1 und § 66.

„(Nr. 7287) Betriebsrätegesetz. Vom 4. Februar 1920

Die verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrates hiermit verkündet wird.

I. Allgemeine Bestimmungen

§ 1

Zur Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber und zur Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke sind in allen Betrieben, die in der Regel mindestens zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen, Betriebsräte zu errichten.“

„§ 66

Der Betriebsrat hat die Aufgabe:

in Betrieben mit wirtschaftlichen Zwecken die Betriebsleitung durch Rat zu unterstützen, um dadurch mit ihr für einen möglichst hohen Stand und für möglichste Wirtschaftlichkeit der Betriebsleistungen zu sorgen;

in Betrieben mit wirtschaftlichen Zwecken an der Einführung neuer Arbeitsmethoden fördernd mitzuarbeiten;

den Betrieb vor Erschütterungen zu bewahren ...“

Zu diesen Paragrafen und dem Betriebsrätegesetz, noch eine Feststellung aus der Arbeits- und Sozialordnung, die bei den IGM-Seminaren immer ausgegeben wurde. Darin heißt es z.B. zum Betriebsrätegesetz: „Angesichts des Kräfteverhältnisses ist ein Betriebsrätegesetz zustande gekommen, das, gemessen an der vorangegangenen Umwälzung nur noch eine traurige Karikatur der hochfliegenden Ideen darstellte. Nicht nur, dass das neue Gesetz den Betriebsräten kaum echte Mitbestimmungsrechte einräumte, es verpflichtete sie auch – unter Leugnung der vorhandenen Interessengegensätze – ausdrücklich ‚zur Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke’. Durch die Teilung des Betriebsrates in einen Arbeiterrat und einen Angestelltenrat verfestigte es die Spaltung der Arbeiterschaft.“ (Info Arbeits- und Sozialordnung, 33. Auflage 2008, S. 448, Michael Kittner)

Diese Aussage in der IGM-Info Arbeits- und Sozialordnung ermöglichte bzw. erleichterte uns in den Seminaren, die Diskussion über die Rolle der SPD und über den unversöhnlichen Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit.

Die Nazis haben das Betriebsrätegesetz am 20. Januar 1934 mit dem aus 73 Paragrafen bestehenden „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ kassiert und damit die völlige Entrechtung der Arbeiterklasse durchgezogen. Maßgeblich ausgearbeitet wurde es von Albert Pietzsch, einem Chemie-Industriellen, der seit Oktober 1933 offizieller wirtschaftspolitischer Berater des „Stellvertreter des Führers“ war. Nachfolgend Auszüge aus den Paragraphen 1, 2 und 5 des Gesetzes. Im Sinne der Volksgemeinschaftsideologie hieß es in § 1: „Im Betriebe arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinen Nutzen von Volk und Staat.“

Die Formulierung im Paragraphen 2 Abs. 1 lautete: „Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten (...).“ und in Abs. 2 folgte: „Er hat für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen. Diese hat ihm die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten.“

§ 5 legte fest: „Dem Führer des Betriebes (...) treten aus der Gefolgschaft Vertrauensmänner beratend zur Seite. Sie bilden mit ihm und unter seiner Leitung den Vertrauensrat des Betriebes.“

Die Vertrauensmänner waren die nationalsozialistischen Betriebsobleute. Sie waren Mitglieder und Vertreter der faschistischen NSBO, der nationalsozialistischen Betriebsorganisation und liefen häufig in den Betrieben auch in der braunen Uniform, also in der SA-Uniform rum.

Dazu gibt es noch viel zu sagen. Aber ich will mit dem Hinweis zu Ende kommen, dass das erste Betriebsverfassungsgesetz nach Kriegsende 1945 das 1952er war. Es wurde gegen den Widerstand der Gewerkschaften durchgesetzt. Hierbei hat die SPD dem Kapital auch wieder bewiesen, dass es sich auf sie verlassen kann. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit im Bundesrat und hätte das Gesetz stoppen können und es wäre in den sogenannten Vermittlungsausschuss gegangen. Dass es dazu nicht kam, lag an zwei SPD-regierten Ländern, die mit der Reaktion die Annahme des Gesetzes beschlossen haben. Dabei galt im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 wie heute im seit 1972 geltenden nach wie vor, was die Konterrevolution mit Hilfe der rechten Sozialdemokratie bereits 1920 ins Betriebsrätegesetz geschrieben hat: Die gesetzliche Verpflichtung für die Betriebsräte, mit den Kapitalisten zur Erfüllung des Betriebszwecks zusammen zu arbeiten und das Streikverbot. In § 2 des heutigen Gesetzes heißt das: „Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.“

Und § 74 regelt das Streikverbot in Abs. 2: „Maßnahmen des Arbeitskampfs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig ... Arbeitgeber und Betriebsrat haben Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden. Sie haben jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen ...“

Bei IG-Metall-Seminaren hat man zumindest früher erfahren: Der Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital ist unversöhnlich. Das, was im Betriebsverfassungsgesetz steht, geht nicht. Da hilft dem Kapital auf die Dauer auch kein Gesetz.

Ludwig Jost

Spenden unterstützen die Herausgabe der Kommunistischen Arbeiterzeitung
Email Facebook Telegram Twitter Whatsapp Line LinkedIn Odnoklassniki Pinterest Reddit Skype SMS VKontakte Weibo
Skript zu einem Referat gehalten auf dem KAZ-Sommercamp Anton Makarenko im August 2019.

Skript zu einem Referat gehalten auf dem KAZ-Sommercamp Anton Makarenko im August 2019.

Gemälde „Der Streik“ von Robert Koehler, 1886

Gemälde „Der Streik“ von Robert Koehler, 1886

Idyllisches Landleben? Die 1854 erlassene Gesindeordnung verbot jeden gewerkschaftlichen Zusammenschluss. (Foto um 1910)

Idyllisches Landleben? Die 1854 erlassene Gesindeordnung verbot jeden gewerkschaftlichen Zusammenschluss. (Foto um 1910)

Durch Kampf zum Sieg: Kieler Matrosenaufstand November 1918.

Durch Kampf zum Sieg: Kieler Matrosenaufstand November 1918.

Es geht um die Erhaltung der Errungenschaften der Novemberrevolution: Plakat des Arbeiter- und Soldatenrats von Hamburg, Altona und Umgebung .

Es geht um die Erhaltung der Errungenschaften der Novemberrevolution: Plakat des Arbeiter- und Soldatenrats von Hamburg, Altona und Umgebung .

Am besten immer bereit, denn der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist unversöhnlich.

Am besten immer bereit, denn der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist unversöhnlich.