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Ernst Thälmann – Vor 75 Jahren ermordet. Kein Vergeben, kein vergessen!

Zum 75. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns fanden zahlreiche Ehrungen und Gedenkveranstaltungen statt. Zu den größeren zählten Berlin (am Thälmann-Denkmal), Hamburg (vor und in der Gedenkstätte Ernst Thälmann), Buchenwald (vor dem Krematorium des KZ Buchenwald) und Ziegenhals (vor dem Areal der zerstörten Ernst-Thälmann-Gedenkstätte).

Auf keinem dieser Veranstaltungen ließen sich offizielle Vertreter der Bundesregierung oder der Landesregierungen blicken, um Ernst Thälmann zu ehren, der auf direktem Befehl Hitlers am 18. August 1944 ermordet wurde und der zu einem tragenden Symbol des internationalen antifaschistischen Widerstandskampfes wurde. Das nahmen mehrere Hundert Antifaschisten, Kommunisten, Sozialisten und Linke in die Hand. Von diesem Gedenken an Ernst Thälmann dokumentieren wir aus Buchenwald die Reden von Ulla Jelpke (MdB, Die Linke), Dr. Ullrich Schneider (Generalsekretär der FIR), sowie das Grußwort von Günter Pappenheim (Mitglied des Ehrenpräsidiums der Internationalen Föderation des Widerstands (FIR) und Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora). Aus Ziegenhals dokumentieren wir die Rede von Ringo Ehlert (Unentdecktes Land e. V.) und Max Renkl (Vorsitzender des Freundeskreises „Ernst Thälmann“, Ziegenhals-Berlin) und aus Hamburg folgt ein Bericht zu den dortigen Feierlichkeiten.


Rede von Ulla Jelpke (MdB und innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke) anlässlich des 75. Jahrestages der Ermordung Ernst Thälmanns auf der Gedenkveranstaltung der VVN-BdA Thüringen vor dem Krematorium des Konzentrationslager Buchenwald am 18. August 2019

Wir haben uns heute hier vor dem Krematorium in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald versammelt, um des vor 75 Jahren von den Faschisten ermordeten Ernst Thälmann zu gedenken.

Auch elf Jahre in Einzelhaft konnten die Überzeugung des Kommunisten und Antifaschisten Thälmann nicht brechen.

Thälmanns Gradlinigkeit und sein Mut, sein Klartext gegenüber Ausbeutern, Kriegstreibern und Faschisten, sein Klasseninstinkt und seine Volksnähe können uns ein Vorbild sein! Wir leben heute wieder in einer Zeit, in der nationalistische, völkische und faschistische Positionen und Parteien weltweit auf dem Vormarsch sind.

Hetze gegen Geflüchtete, Migranten und Muslime kommt längst nicht mehr nur vom rechten Rand. Der braune Hass ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Insbesondere der Bundesinnenminister Seehofer befeuert diesen Hass mit flüchtlingsfeindlichen Kampagnen, die letztlich nur der AfD in die Hände spielen.

Wer hätte gedacht, dass in der liberalen Wochenzeitung ZEIT einmal pro und contra darüber debattiert wird, ob es richtig ist, Flüchtlinge aus Seenot zu retten oder – ich zitiere – „soll man es lassen“? Die Verrohung ist wahrlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen!

Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass es einmal als Straftat verfolgt wird, Menschen aus Seenot zu retten? Doch genau das geschieht heute in Italien. Die mutige Kapitänin Carola Rackete ist als Schleuserin angeklagt, weil sie Flüchtlinge in einen rettenden Hafen gebracht hat.

Flüchtlingshelfer werden nicht nur in Staaten wie Italien oder Ungarn mit ihren extrem rechten Regierungen verfolgt. Auch in Deutschland droht inzwischen Behördenmitarbeitern, die Abschiebetermine bekanntgeben, eine Haftstrafe.

Zudem häufen sich in Deutschland Morddrohungen gegen Flüchtlingshelfer, Journalisten und Politiker, die sich für eine humanitäre Flüchtlingspolitik einsetzen.

Der feige faschistische Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat gezeigt, dass es nicht bei Drohungen bleiben muss.

Erschreckend ist, dass „Antifa“ plötzlich bis in liberale Kreise hinein als Feindbild und Schimpfwort gilt.

US-Präsident Donald Trump will „die“ Antifa als „Terrororganisation“ verbieten.

Auch die AfD in Deutschland fordert das – ungeachtet der Tatsache, dass es „die Antifa“ als einheitliche Organisation gar nicht gibt.

Antifa ist vor allem ein Ausdruck für eine antifaschistische Gesinnung – und die sollte doch für jeden Demokraten und jede Demokratin eine Selbstverständlichkeit sein!

In solch bedrohlichen Zeiten ist es wichtig, sich an Persönlichkeiten wie Thälmann zu erinnern.

Denn Thälmann kann mit Fug und Recht als der eigentliche Begründer der Antifa bezeichnet werden!

Genauer gesagt natürlich der Antifaschistischen Aktion, die sich Anfang der 30er Jahre schon unter dem heute so bekannten Symbol mit den zwei Fahnen im Kreis sammelte.

Heute sind es oft eine rote und eine schwarze Fahne, die für das Bündnis von autonomen Antifaschisten mit sozialistischen und kommunistischen Antifaschisten stehen.

Anfang der 30er Jahre waren beide Fahnen noch rot, sie symbolisierten das Bündnis des kommunistischen und des sozialdemokratischen Flügels der Arbeiterbewegung, das die Faschisten stoppen sollte.

Zur Bildung der Antifaschistischen Aktion rief Thälmann am 25. Mai 1932 auf dem Maiplenum der KPD auf. Ziel war es, mit allen Mitteln die Bildung einer Nazi-Regierung zu verhindern. Thälmann forderte, die Antifaschistische Aktion müsse – Zitat – „dem Hitlerfaschismus den Weg zur Macht verlegen“, „der Faschisierung Deutschlands Einhalt gebieten“ und „durch den organisierten roten Massenselbstschutz in breitester Einheitsfront den Mordterror des Hitlerfaschismus brechen.“

An die Sozialdemokraten gewandt hieß es: „Schlagt in die Bruderhand ein, die die Kommunistische Partei euch bietet!“

Thälmann schlug vor, Einheitsausschüsse auf breitester Grundlage, Schutzformationen und andere Gremien zu bilden, die ein möglichst breites antifaschistisches Bündnis verwirklichen sollten.

Der Aufruf war ein Erfolg! Innerhalb von wenigen Wochen wurde die Antifaschistische Aktion zu einer deutschlandweiten organisierten Bewegung mit Massencharakter.

Neben Kommunisten und Parteilosen fanden sich zahlreiche Sozialdemokraten, Gewerkschafter und aktive Christen in ihren Reihen.

Arbeiter unterstützten die Antifaschistische Aktion ebenso wie Bauern, Intellektuelle und Mittelschichtsangehörige.

Der Erfolg der Antifaschistischen Aktion zeigte sich bei den Reichstagswahlen vom 6. November 1932. Die Nazipartei verlor fast 6 Millionen Stimmen und geriet in eine Krise. Die KPD dagegen erlangte ihren größten Einfluss. Sie errang fast 6 Millionen Stimmen. In Berlin etwa wählte jeder dritte Wähler kommunistisch.

Dass es der Arbeiterbewegung danach nicht gelang, ihrerseits in die Offensive zu kommen, die Nazis zu schlagen und dem Aufstieg des Faschismus ein Ende zu bereiten, hat verschiedene Gründe.

Sektiererische Fehler der Kommunisten müssen hier ebenso genannt werden wie die legalistischen Illusionen und die strikt antikommunistische Positionierung der sozialdemokratischen Führer, die den antifaschistischen Kampf behinderten.

Rückblickend können wir sagen: die Antifaschistische Aktion hat den Prozess der Faschisierung zumindest verlangsamt. Der 1932 von Thälmann mit der Antifaschistischen Aktion eingeschlagene Weg war grundsätzlich richtig. Und wir sollten daraus Lehren ziehen für den antifaschistischen Kampf heute!

So hatte Ernst Thälmann niemals die Illusion, dass der bürgerlich-kapitalistische Staat ernsthaft gegen die Faschisten vorgehen könnte. Denn er sah, dass die faschistischen Schläger ja als Hilfstruppen im Schoße dieses Staates genährt und geschützt wurden.

Auch in der Bundesrepublik gibt es kaum eine faschistische Gruppierung oder Terrorzelle, bei der nicht der Staat seine Hände im Spiel hat.

Schon das Oktoberfestattentat 1980 wies die Handschrift der NATO-Geheimtruppe Gladio auf.

Das erste NPD-Verbotsverfahren scheiterte 2003 an der Durchsetzung der rechtsextremen Partei mit Geheimdienst-V-Leuten. „Mangelnde Staatsferne“ nannten die Karlsruher Richter das zu Recht.

Und über dem NSU spannten die Verfassungsschutzämter nach allem, was wir wissen, ein engmaschiges Netz, ohne die Morde zu verhindern.

Es gäbe unzählige weitere Beispiele für diesen braunen Sumpf aus Nazis und Geheimdienst. Vergessen wir nicht: bis vor einem Jahr stand mit Hans-Georg Maaßen ein Mann an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes, der aus seiner Nähe zu AfD-Positionen keinen Hehl macht.

In Bundeswehr und Polizei werden mit schöner Regelmäßigkeit rechtsextreme Vorfälle entlarvt – und sofort wieder als vermeintliche „Einzelfälle“ verharmlost.

Prepper-Netzwerke, denen auch Elite-Soldaten, Polizisten und Verfassungsschützer angehören, horten gestohlene Munition für den Tag X. Und sie erstellen Feindes- und Todeslisten mit Namen von linken und demokratischen Politikern und Journalisten.

Auf eine solche Polizei und einen solchen Staat ist wahrlich kein Verlass im Kampf gegen Neonazismus und Faschismus! Da müssen wir schon selbst aktiv werden!

Eine Lehre der Antifaschistischen Aktion ist hier, dass der antifaschistische Kampf vor allem außerparlamentarisch geführt werden muss. Dort, wo die Nazis, AfD oder Pegida aufmarschieren, Infostände aufbauen, Veranstaltungen durchführen, müssen sie auf Protest und Gegenwehr stoßen. Wir müssen uns selbst organisieren und uns selbst schützen!

In den Parlamenten können und müssen wir dafür eintreten, die Bedingungen für außerparlamentarisches antifaschistisches Handeln möglichst günstig auszugestalten.

Doch Gesetzesverschärfungen und Grundrechteabbau unter dem Vorwand des Kampfes gegen rechten Terror müssen wir entschieden ablehnen. Denn alle diese Gesetzesverschärfungen werden erfahrungsgemäß auch – und nicht zuletzt! – gegen linke und antifaschistische Kräfte zur Anwendung kommen.

Es ist wichtig, die ganze breite antifaschistischer Selbstorganisationen anzuerkennen. Vom runden Tisch gegen Rassismus bei der Gemeinde unter Einschluss des Bürgermeisters und Pfarrers bis zur autonomen Antifa.

Alle Formen antifaschistischer Aktivität haben ihre Legitimität – Ausgrenzung darf es in keine Richtung geben! Das heißt vor allem: keine Distanzierung von der autonomen Antifa – Widerstand gegen die Wiedergänger der Faschismus ist auf allen Ebenen notwendig!

Antifaschistische Bündnisse müssen auf einer möglichst breiten Grundlage stehen. Das Bündnis „Unteilbar“ geht hier in die richtige Richtung. Dort sind eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen, Sozialverbände, linker und demokratischer Parteien, Gewerkschaften, kirchlicher Gruppen und Migrantenverbände vereint im Kampf gegen rechts, aber auch gegen soziale Ausgrenzung. Am kommenden Sonnabend ruft „Unteilbar“ zur nächsten bundesweiten Großdemonstration in Dresden auf. Im Aufruf heißt es:

„Gemeinsam stellen wir uns gegen Diskriminierung, Verarmung, Rassismus, Sexismus, Entrechtung und Nationalismus! Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden und ergreifen die Initiative“ – Dem kann ich mich nur anschließen!

Antikapitalismus oder das Bekenntnis zum Sozialismus darf keine Eintrittshürde für breite Bündnisse gegen rechts, gegen die AfD und die Neonazis sein. Aber die konsequent linken, antikapitalistischen und sozialistischen Kräfte in solchen Bündnissen dürfen sich auch nicht im Namen der Einheit den Mund verbieten und die Hände binden lassen.

Wir sollten nicht bei bloßen moralischen Appellen gegen Rassismus und Faschismus stehen zu bleiben. Wir müssen vielmehr aufzeigen, dass die Wurzeln dieser Übel im Kapitalismus selbst liegen.

Darum ende ich mit den berühmten Worten aus dem Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald von 1945:

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Grußwort von Günter Pappenheim (Mitglied des Ehrenpräsidiums der Internationalen Föderation des Widerstands (FIR) und Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora) an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gedenkveranstaltung der VVN-BdA Thüringen am 18. August 2019

Liebe Kameradinnen und Kameraden, liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Anwesende,

ich kann nicht hier auf dem Hof des Buchenwalder Krematoriums anwesend sein, aber meine Gedanken sind es.

Im August 1944, als Ernst Thälmann hier ermordet wurde, war ich der neunzehnjährige politische Häftling Nr. 22514 und gehörte dem Kommando Gerätekammer an. Zu meiner Aufgabenerfüllung war von der SS die Berechtigung erteilt worden, dass ich zur Arbeit das Häftlingslager verlassen durfte. Eines Tages wurde ich in die Baracke 15 befohlen, eine frühere Wohnbaracke der SS außerhalb des Häftlingslagers, von einer Mauer umgeben.

Prominente Gefangene waren dort untergebracht, unter ihnen der Reichstagsabgeordnete Rudolf Breitscheid. Bei ihm sollte ich das Schloss einer Schranktür reparieren. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nichts über Breitscheid. Nachdem ich meinen Auftrag erfüllt hatte, sprach mit meinem Kapo, dem Kommunisten Walter Wolf, darüber und er klärte mich über die Rolle Breitscheids in der deutschen revolutionären Arbeiterbewegung auf. Es gelang nicht, dass ich erneut zu ihm in Kontakt treten und wie geplant eine Verbindung für den illegalen Lagerwiderstand herstellen konnte. Beim Luftangriff der Alliierten am 24. August 1944 auf die Gustloff-Werke wurde auch die Baracke 15 getroffen und Rudolf Breitscheid konnte nur noch tot geborgen werden.

Im Zusammenhang mit dem Luftangriff erfuhren wir durch Veröffentlichung der Nazipresse am 15./16. September 1944 von der Ermordung Ernst Thälmanns, ohne zunächst Details zu kennen. In der Gerätekammer musste der jugoslawische Kamerad Šime Martinjak aus den Nazizeitungen Klosettpapier schneiden. Dadurch wurde die Nachricht bekannt und sie

verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Feige und wahrheitswidrig brachten die Nazis den Mord an ihm mit dem Luftangriff in Verbindung.

Ich bin der festen Überzeugung, dass auch der Mord an Ernst Thälmann, der sich tief in unser Gedächtnis einprägte, eine Begründung dafür war, in den Schwur der Überlebenden nach der Befreiung die Forderung aufzunehmen, den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten.

Die 21.000 Überlebenden auf dem Appellplatz am 19. April 1945 schworen mit ihren bitteren Erfahrungen aus zwölf Jahren deutschem Faschismus. Dass heute, angesichts überall zu erfahrender Erstarkung von rechten Kräften in der Bundesrepublik Deutschland der Buchenwaldschwur zum Anlass genommen wird, antifaschistische Bündnisse zu diskreditieren und repressiv handlungsunfähig zu machen, ist ein Skandal höchster Güte.

Ein Skandal, der aus dem indifferenten Umgang mit dem deutschen Faschismus im Westen Deutschlands resultiert. Hier blieben auch Ernst Thälmanns Mörder unbestraft.

Sich den Wurzeln des Faschismus zuzuwenden wird als verfassungsfeindlich kolportiert, während Rassismus, Völkisches, Faschistisches, selbst Morddrohungen durch die vielbeschworene Meinungsfreiheit geschützt werden.

Es ist zu erwarten, dass viele Menschen bei den kommenden Wahlen den Demagogen, egal ob blau oder braun, auf den Lein gehen werden. Das verpflichtet uns, beharrlich in breiten Bündnissen den Schwur von Buchenwald zu verteidigen.

Ja und endgültig Ja! Dem Faschismus sind die Wurzeln zu kappen, wenn es eine Welt des Frieden und der Freiheit geben soll. – Und dazu gibt es keine Alternative.

Es kommt also nicht darauf an, Recht zu behalten, sondern nur darauf, dass das Richtige geschieht.

In diesem Sinne grüße ich alle

Günter Pappenheim

Vorsitzender der

Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora

1. Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos zum 18. August 2019

Referat von Dr. Ulrich Schneider (Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer, FIR und Geschäftsführer der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora) auf der Gedenkveranstaltung der VVN-BdA Thüringen vor dem Krematorium des Konzentrationslager Buchenwald am 18. August 2019 anlässlich des 75. Jahrestages der Ermordung Ernst Thälmanns

Wir haben uns heute versammelt zum Gedenken des 75. Jahrestages der Ermordung von Ernst Thälmann, des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands, der seit 1933 von den Faschisten eingekerkert war und nach über 11 Jahren hier in Buchenwald in einer Nacht und Nebel-Aktion ermordet wurde.

Auch wenn die meisten von euch die Fakten kennen dürften, möchte ich dennoch an wenigen Aspekten die Bedeutung von Ernst Thälmann als Sinnbild des antifaschistischen Widerstandes nachzeichnen.

Schon in den 20er Jahren bis zum Verbot der Organisation 1929 kämpfte Thälmann als Vorsitzender des Roten Frontkämpferbundes (RFB) gegen Reaktion und militaristische Organisationen in und außerhalb der Reichswehr, der Brutstätte der Hitler-Partei NSDAP. Nach den zugespitzten gesellschaftlichen Auseinandersetzung in der Weltwirtschaftskrise, die bekanntermaßen mit einer fehlerhaften Strategie gegenüber der Sozialdemokratie und der Freien Gewerkschaften verbunden war, orientierte Ernst Thälmann im Mai 1932 wegen der zunehmenden faschistischen Gefahr das ZK der KPD auf die Gründung der „Antifaschistischen Aktion“. Diese müsse „dem Hitlerfaschismus den Weg zur Macht verlegen“, „der Faschisierung Deutschlands Einhalt ... gebieten“ und „durch den organisierten roten Massenselbstschutz in breitester Einheitsfront den Mordterror des Hitlerfaschismus brechen“. An die Sozialdemokraten appellierte die KPD, „schlagt in die Bruderhand ein, die die Kommunistische Partei euch bietet!“

Dass die Einheitsfront nicht zustande kam ist bekannt. Und so musste Ernst Thälmann am 7. Februar 1933 auf der konspirativen Funktionärsberatung in Ziegenhals – auch seiner letzten öffentlichen Rede – die neue Lage einschätzen. Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf der Zusammenführung aller notwendigen gesellschaftlichen Kräfte und der Aktionseinheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, was eine Fortsetzung der antifaschistischen Arbeit der KPD der vorangegangenen Jahre bedeutete.

Anfang März 1933 gelang es den Faschisten, Ernst Thälmann zu verhaften. Sie wollten ihn nicht einfach ermorden, sondern die NS-Justiz bekam die Order einen Hochverrats-Prozess vorzubereiten, der nicht nur gegen Thälmann gerichtet war, sondern die von der Nazi-Propaganda behauptete „Putsch­absicht“ der KPD beweisen sollte.

Eine Anklage des Oberreichsanwalts wurde erstellt, der Termin zur Hauptverhandlung auf den 14. und 15. Juli 1934 festgelegt. Jedoch kam es nie zu diesem Schauprozess.

Was hatte den Gesinnungswechsel hervorgerufen?

Es war der Reichstagsbrandprozess, der im Jahre 1933 als Schauprozess gegen Marinus van der Lubbe und insbesondere die kommunistischen Angeklagten Georgi Dimitroff, Wassili Tanew und Blagoi Popow sowie den deutschen Kommunisten Ernst Torgler, den Vorsitzenden der KPD-Fraktion im deutschen Reichstag, inszeniert wurde. Auch hier sollte eine „kommunistische Verschwörung“ nachgewiesen werden. Bekanntermaßen wurde dieser Prozess durch das mutige Auftreten von Georgi Dimitroff ein absolutes Desaster für die Nazipropaganda.

Wie viel mehr mussten die Nazis befürchten, dass bei einem öffentlichen Prozess gegen Ernst Thälmann dessen Auftreten ein propagandistischer „Super-Gau“ werden würde. Selbst die Anklageschrift gegen Thälmann wurde als „Geheime Reichssache“ behandelt, dennoch kam sie 1936 an die Öffentlichkeit. Aber im faschistischen Propagandakalkül war ein möglicher Schauprozess noch nicht vom Tisch.

Einen gewissen Schutz für Ernst Thälmann bildete die breite internationale Aufmerksamkeit. Auf allen Kontinenten entstanden Komitees „Freiheit für Ernst Thälmann und alle politischen Gefangenen in den faschistischen Haftstätten“. Die Internationale Rote Hilfe, aber auch bürgerliche Antifaschisten organisierten Solidaritätskampagnen, die faschistische Mordpläne gegen Thälmann damit unmöglich machten.

Der faschistische Krieg und die sich im Sommer 1944 ankündigende Niederlage veränderte das Interesse der Nazis. Die Gründe lagen auf der Hand:

Der Vormarsch der Roten Armee im Osten, die mit ihren Panzerspitzen Ende Juli bereits östliche Randbezirke von Warschau erreicht hatte,

die Landung der Westalliierten in der Normandie und deren Vormarsch in Frankreich sowie das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, bei dem deutlich wurde, dass selbst Vertreter der alten Eliten in Deutschland sich von der NS-Führung abwandten.

Damit war allen klar, dass sich der „Endsieg“ und damit ein Schauprozess gegen Thälmann ins Reich der Illusion verflüchtigt hatten.

Die Konsequenzen protokollierte Heinrich Himmler auf der Führerbesprechung am 14. August 1944 folgendermaßen: „Thälmann ist zu exekutieren“ – und er erledigte diesen Auftrag in der von ihm gewohnten verbrecherischen Art.

Ernst Thälmann wurde am 17. August 1944 durch zwei Gestapo-Beamte aus dem Zuchthaus Bautzen ins KZ Buchenwald gebracht, wo man ihn durch ein Nebentor direkt zum Krematorium schaffte. Dort wurde er in der Nacht vom 17. August zum 18. August von einem SS-Kommando, dem Wolfgang Otto angehörte, in Empfang genommen und erschossen. Seine Leiche wurde direkt im Krematorium verbrannt. Als die Häftlinge des Arbeitskommandos am kommenden Tag die Asche fanden, sei sie dunkel gewesen, heißt es in Zeugenaussagen, was auf eine Verbrennung mit Kleidung zurückzuführen war.

Da die Nazis selbst nicht sicher waren, ob dieses Verbrechen auf Dauer geheim zu halten war, versuchten die Mörder ihre Tat propagandistisch zu kaschieren. Im „Völkischen Beobachters“ konnte man Mitte September 1944 die Meldung finden, Thälmann sei zusammen mit Rudolf Breitscheid bei einem Bombenangriff auf die Umgebung von Weimar, bei dem auch das Konzentrationslager Buchenwald von zahlreichen Sprengbomben getroffen wurde, ums Leben gekommen. Das traf zwar für Rudolf Breitscheid zu, der im „Sonderlager Fichtenhain“ eingekerkert war, aber nicht für Ernst Thälmann.

Auch im KZ selber hatte sich der Mord schneller herumgesprochen, als es der SS lieb war. Als die Meldung im „Völkischen Beobachter“ erschien, hatten die Genossen traurige Gewissheit. Schon vorher hatte sich ein polnischer Tatzeuge deutschen Antifaschisten anvertraut und ihnen vom Mord an Ernst Thälmann berichtet.

In einer – wenn man die Regeln der Konspiration anwendet – unbedachten, aber auch heute vollkommen verständlichen Reaktion organisierten kommunistische Häftlinge am 18. September 1944 im Keller der Desinfektion-Blocks, wo heute die Kunstausstellung untergebracht ist, eine illegale Gedenkfeier für Ernst Thälmann.

Die Aktion war nicht mit der illegalen Leitung abgestimmt. Wahrscheinlich hätte sie aus Sicherheitsgründen ein solches Treffen abgelehnt, denn tatsächlich nahm auch ein Gestapospitzel an dieser Feier teil. Mehrere Teilnehmer wurden verraten, unter ihnen Bruno Apitz, der bei der Feier musizierte, Willi Bleicher, Kapo in der Effektenkammer, der spätere Bezirksleiter der IG-Metall von Baden-Württemberg, der von der Gestapo als Organisator der Gedenkfeier angesehen wurde, sowie der österreichische Kommunist Hans Sündermann, der Mitglied im internationalen Lagerkomitee war. Die letzten beiden wurden daraufhin in das Gestapogefängnis nach Weimar verschleppt.

Trotz des SS-Terrors gelang es den Häftlingen von Buchenwald am 11. April 1945, als die amerikanischen Truppen in der Nähe von Weimar und dem Ettersberg waren, sich mit Hilfe ihrer Internationalen Militärorganisation selber zu befreien. Sie versprachen am 19. April 1945 im Schwur von Buchenwald „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht“. Dies bezogen sie auch auf den Mord an Ernst Thälmann.

Tatsächlich wurde der Fall im Frühjahr 1947 im „Buchenwald-Prozess“ vor dem amerikanischen Gerichtshof in Dachau behandelt.

Im April 1947 gab im Internierungslager Dachau, wo das US-Militärgericht tagte, der ehemalige polnische Häftling Marian Zgoda, der im Krematorium des KZ beschäftigt war, zu Protokoll: Am 17. August 1944 war dem SS-Oberscharführer Warnstedt telefonisch die Anweisung übermittelt worden, die Verbrennungsöfen anheizen zu lassen.“ Trotz Verbots versteckte sich Zgoda hinter einem Schlackehaufen, um zu erfahren, was die ungewöhnlichen Vorbereitungen der SS bedeuteten. Gegen Mitternacht kamen acht SS-Leute ins Krematorium, die Zgoda alle namentlich nennt, darunter Stabsscharführer Wolfgang Otto, Angehöriger des „Kommando 99“ genannten ständigen Exekutionskommandos, und Oberscharführer Werner Berger. Etwa zehn Minuten später wurde ein breitschultriger Zivilist in einem Auto in den Vorhof des Krematoriums gefahren; Zgoda fiel besonders auf, dass dieser Mann keine Haare hatte. Im selben Augenblick, da der Gefangene die Türe passiert hatte, wurde er durch drei Schüsse von hinten niedergestreckt, anschließend wurde er durch einen vierten Schuss endgültig getötet.

Als die Mörder das Krematorium verließen, hörte Zgoda den Rapportführer Hofschulte zu Otto sagen: „Weißt du, wer das war?“ Darauf Otto: „Das war der Kommunistenführer Thälmann.“ Dieses Aussageprotokoll Zgodas wurde u.a. in der „Rhein- Neckar-Zeitung“ am 26. April 1947 veröffentlicht. Auch die „Frankfurter Rundschau“ titelte am 22.4.1947: „Ernst Thälmann wurde erschossen und verbrannt.

Der Tatbeteiligte Wolfgang Otto wurde im August 1947 wegen Mithilfe und Teilnahme an Gewaltverbrechen im KZ Buchenwald zu 20 Jahren Haft verurteilt – jedoch nicht wegen der Ermordung von Ernst Thälmann. Seine Haftzeit wurde später auf zehn Jahre Haft reduziert, wobei er nach weniger als 5 Jahren „wegen guter Führung“ vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Dass er anschließend als Lehrer an einem katholischen Gymnasium in NRW unterrichten konnte, ist mehr als zynisch.

Rosa Thälmann bemühte sich, den Mord an Ernst Thälmann auch juristisch verfolgen zu lassen. Doch die bundesdeutsche Justiz zeigte keinerlei Interesse mehr. Ab 1962 wurden in den folgenden 25 Jahren insgesamt sieben Ermittlungsverfahren gegen Wolfgang Otto angestrengt, jedoch mit fadenscheinigen Begründungen von der Justiz abgewiesen. Erst als die Tochter Thälmanns, Irma Gabel-Thälmann, über ihren Anwalt Heinrich Hannover am 24. Februar 1982 einen Klageerzwingungsantrag vor dem Oberlandesgericht Köln stellte, kam es in der Folge 1985 zu einem Hauptverfahren vor dem Landgericht Krefeld. Als kleine Sensation kann es bezeichnet werden, dass die DDR sogar einen Ortstermin in der Gedenkstätte Buchenwald ermöglichte, bei dem der Zeuge Zbigniew Fuchs, Häftling im Leichenträgerkommando wie Marian Zgoda, der aus Polen angereist war, in eindrucksvoller Weise über die Mordnacht berichtete.

Am 15. Mai 1986 verurteilte das Landgericht Krefeld Ottos zu vier Jahren Haft wegen „Beihilfe zum Mord“.

Damit waren eigentlich die Fakten geklärt. Doch wer heute auf die „Wikipedia“-Seite zu Ernst Thälmann schaut, wird mit der absurden Behauptung konfrontiert, „die genauen Umstände von Thälmanns Tod seien unklar und in der Forschung bis heute umstritten“.

In der seriösen Geschichtsforschung sind die Umstände nicht umstritten, aber alle, die dem Andenken von Ernst Thälmann schaden wollen und die dafür auch bereit sind, SS-Täter zu entlasten, nehmen einen bundesdeutschen Justizskandal als Rechtfertigungsgrund. Denn das Urteil gegen den Tatbeteiligten Wolfgang Otto wurde 1987 im Revisionsverfahren vom Bundesgerichtshof kassiert und an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Dieses sprach den Angeklagten ohne erneute Beweisaufnahme vom „Mordvorwurf“ frei. Für diesen Freispruch drehte das Gericht eine inhaltliche Pirouette, wie sie in der Justizgeschichte nur selten zu finden ist. Es beschäftigte sich mit der Frage, ob die Ermordung an Ernst Thälmann juristisch „Mord“ oder „Totschlag“ sei. Da Ottos Tätigkeit im Mord-„Kommando 99“ unstrittig war, er hatte dafür entsprechende Vergünstigungen, Urlaubstage, Schnaps und Zigarettenrationen erhalten, waren „niedere Beweggründe“ nicht in Frage zu stellen. Aber das Gericht fand dennoch einen Ausweg. Da Ernst Thälmann, als er in das KZ Buchenwald verbracht wurde, nicht arglos gewesen sein konnte, was mit ihm passieren solle – so das Gericht –, könne man nicht von „Heimtücke“ sprechen und damit nicht von Mord, sondern nur von Totschlag – und der sei bekanntermaßen verjährt.

Außerdem hatte der BGH 1987 dem Krefelder Gericht vorgehalten, dass es sein Urteil auf Aussagen ehemaliger Häftlinge oder SS-Leute in Buchenwald aus dem Jahre 1963 stütze. Diese Zeugen seien aber zum Zeitpunkt des Prozesses entweder tot oder wegen „seniler Demenz“ nicht mehr vernehmungsfähig gewesen. Wenn man diesen Vorwurf weiterdenkt, bedeutete es faktisch, man musste bei Prozessen gegen NS-Verbrechen nur so lange warten, bis es keine lebenden oder vernehmungsfähigen Zeugen mehr gibt, um die Täter, die das Glück hatten zu überleben, freisprechen zu können. Dieses hatte tatsächlich Auswirkungen bei den Prozessen, die in den vergangenen Jahren gegen Täter aus dem KZ Auschwitz stattgefunden haben.

Die Aufhebung des Urteils gegen Otto war also ein „Freispruch 3. Klasse“, aber ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich für eine juristische Aufarbeitung dieses Verbrechens eingesetzt hatten. Die DDR–Regierung machte angesichts eines solchen Urteilsspruchs, wie schon in den Jahren zuvor, als es um das Klageerzwingungsverfahren ging, der Bundesrepublik vollkommen zurecht den Vorwurf, im Westen seien die NS-Täter nicht nur in Amt und Würden gekommen wie verschiedene Bundesminister und Bundeskanzler Kiesinger, sondern selbst überführte Verbrecher würden geschont, wenn es nur gegen Kommunisten ging.

Und hier finden wir den tatsächlichen Grund, warum die Vorgänge um den Thälmann-Mord angeblich „umstritten“ seien. Es geht nicht nur um eine Leugnung der Täterschaft Ottos, sondern um eine Delegitimierung der DDR und ihres antifaschistischen Anspruchs.

Man war sich auch nicht zu schade dazu, als in den Tiefen der Aktenbestände der DDR eine Notiz auftauchte, dass die DDR den Aufenthaltsort eines weiteren Tatbeteiligten gekannt habe, der DDR vorzuwerfen, sie habe damit bewusst die Aufklärung des Mordes an Ernst Thälmann behindert. Was auch immer die Staatssicherheit veranlasst haben mag, diese Information nicht weiterzugeben, sei dahingestellt. Diese Person lebte aber in der BRD und bundesdeutsche Ermittlungsbehörden hätten alle Möglichkeiten gehabt, sie ebenfalls ausfindig zu machen.

Aber darum ging es den politisch Verantwortlichen ja überhaupt nicht. Es ging und geht um eine Abwicklung der Erinnerung und auch um eine Verdrängung der jahrzehntlang fehlenden Aufarbeitung in der BRD.

Dies versuchte die bundesdeutsche Politik Anfang der 90er Jahre mit dem Ende der DDR auch in den Gedenkstätten durchzusetzen. So wurde zuerst an diesem historischen Ort die Stele mit der Thälmann-Büste abmontiert. Auch die Gedenktafel sollte verschwinden. Als diese Pläne jedoch bei den ehemaligen Häftlingen auf Widerstand stießen, wurde die Tafel mehrfach mit „geschichtspolitischen Interpretationen“ versehen, die sich gegen das Thälmann-Gedenken in der DDR richtete. Dank des unermüdlichen Einsatzes der Tochter von Ernst Thälmann und des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos wurde vor einigen Jahren der jetzige Text gefunden, mit dem man zumindest leben kann.

Solche ideologischen Angriffe auf die Erinnerung, die Beseitigung von Gedenkorten und die Infragestellung von historischen Fakten stellen uns als Antifaschisten vor die Aufgabe der Bewahrung der antifaschistischen Erinnerung. Wir müssen immer wieder den nachgeborenen Generationen erklären, warum dieser Mord an Ernst Thälmann vor 75 Jahren nie verjähren kann.

Egal ob man Kommunist ist oder aus anderen Überzeugungen Antifaschist – die Erinnerung an Ernst Thälmann verbindet uns alle. Mit dem Mord an Thälmann ging es den Faschisten darum, den Führer der Partei zu vernichten, deren Mitglieder den größten Blutzoll im Kampf gegen die NS-Herrschaft gezahlt haben, die von Anfang an bis 1945 mit ihren – oftmals bescheidenen – Mitteln sich gegen Verfolgung und Kriegsvorbereitung eingesetzt haben. Kommunisten waren es, die in den verschiedenen Regionen auch die alltägliche Solidarität mit Verfolgten organisierten.

Diese Aussage bedeutet keine Idealisierung der KPD und Ernst Thälmanns oder eine Geringschätzung der politischen und ideologischen Fehler, die auch die Kommunisten in der Weimarer Zeit gemacht haben, die die Zusammenarbeit der unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte gegen den Vormarsch des Faschismus behinderten. Darüber gilt es – auch heute – immer wieder gemeinsam zu streiten. Aber nicht wegen gegenseitiger Schuldzuweisungen, sondern um ein möglichst breites gesellschaftliches Bündnis gegen jede Rechtsentwicklung und die Gefahren des Neofaschismus zu schaffen.

Als die überlebenden Häftlinge des KZ Buchenwald am 19. April 1945 – auch in Erinnerung an Ernst Thälmann, an Rudolf Breitscheid und alle anderen ermordeten Vertreter der Arbeiterbewegung und der demokratischen Kräfte – forderten „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“, da hatten sie eine klare Vorstellung. Sie wollten nicht nur die NSDAP und ihre verschiedenen Organisationen ausschalten, sondern auch den gesellschaftlichen Einfluss ihrer Unterstützer aus Militär, Banken und Schwerindustrie, alten Eliten und jungen Akademikern, die alle zur Machtübertragung an die NSDAP und zur Machtetablierung ihren Beitrag geleistet hatten.

Und wenn wir als Antifaschisten uns heute auf die Tradition des Schwurs von Buchenwald berufen, dann bedeutet es, nicht nur dem heutigen Vormarsch von offenen Neonazis oder extremen Rechten in der AfD entgegenzutreten, sondern für gesellschaftliche Verhältnisse zu streiten, die sozial gerecht und demokratisch sind, die allen Menschen in unserem Land eine gesicherte Existenz und Frieden ermöglichen. In diesem Sinne bekräftigen wir den Schwur von Buchenwald zur „Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit!“

Und wir lassen uns dabei auch nicht durch „Interpretationen“ eines Verfassungsschutzes irritieren, der die Überwachung von Antifaschisten, wie im Fall von Silvia Gingold, der Tochter des jüdischen Kommunisten Peter Gingold, meint damit rechtfertigen zu können, dass der „Schwur von Buchenwald“ ein eindeutiges Indiz für eine kommunistische Faschismus-Interpretation sei, die auf eine Überwindung der freiheitlich demokratischen Grundordnung ziele. Nein, derjenige, der nicht auf dem Boden der Verfassung steht, ist ein Verfassungsschutz, der solche Thesen von sich gibt.

Es waren die Überlebenden von Buchenwald und der anderen faschistischen Haftstätten, die aktiv am antifaschistisch-demokratischen Neubeginn mitgewirkt haben und ihr politisches Vermächtnis uns als nachgeborene Generationen weitergegeben haben.

Für deren Vermächtnis sollten wir gemeinsam eintreten – in Erinnerung an Ernst Thälmann und Rudolf Breitscheid, die vor 75 Jahren hier direkt durch die SS oder in Gefolge der faschistischen Kriegspolitik starben, an Pfarrer Paul Schneider, der vor 80 Jahren hier ermordet wurde, und alle anderen in Buchenwald ermordeten Gegner und Verfolgte des Naziregimes.

Dem Vermächtnis Ernst Thälmanns verpflichtet

Anlässlich des 75.Jahrestages der Ermordung Ernst Thälmanns und des 50. Jahrestages der Einweihung der Ernst Thälmann Gedenkstätte Hamburg lud der Freundeskreis Ernst Thälmann e.V., Ziegenhals – Berlin seine Mitglieder und Sympathisanten als auch Freunde und Interessierte zu einer Bildungsfahrt am 18. August 2019 nach Hamburg ein.

Ca. 200 Gäste kamen zu den Feierlichkeiten in und vor der Gedenkstätte, in der eine Spezialausstellung über deren Geschichte informierte. Die Agitpropgruppe „Roter Pfeffer“ aus Bremen eröffnete mit Fanfarenklang, es folgten im ersten Teil der Veranstaltung Reden u.a. von Patrick Köbele (Vorsitzender DKP), Udo Helmbold und Dr. Eva Ruppert (Freundeskreis Ernst Thälmann e.V., Ziegenhals – Berlin), Albrecht Geißler (Vorsitzender des RFB). Begleitet wurden sie vom Sänger Ernst Schwarz aus Frankfurt/Main.

Die über vierzig Gäste, die mit dem Busunternehmen Dr. Herrmann Touristik gekommen waren, verließen nach einiger Zeit die Veranstaltung um zu der organisierten Barkassenfahrt durch den Hamburger Hafen zu gelangen. Der Hamburger Reinhardt S. berichtete während dieser Fahrt über den Widerstand im Hamburger Hafen gegen Krieg und Faschismus, so z.B. über den Mut der Hamburger Arbeiter, wissend über die Konsequenzen ihres Widerstandes in den Folterhöllen der Nazis, über die gezeigte Ablehnung der Werft-Arbeiter der Blohm & Voss-Werft gegen Naziauftritte, über die illegale Zusammenarbeit deutscher Arbeiter, u.a. beim Blohm & Voss mit den ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen …

Stellvertretend für die über vierzig Teilnehmer dieser Bildungs-Fahrt hier Worte einiger Teilnehmer:

… wir möchten uns für den sehr gelungenen ,Kampftag’ in Hamburg … bedanken. Es war für uns eine große Bereicherung wieder unter Gleichgesinnten einen ereignisreichen Tag zu erleben. … Wir hatten sehr interessante Gespräche und Erlebnisse, die uns in unserem Tun und Handeln immer nur bestärken. Die abschließende Barkassenfahrt mit dem Gedenken an die ermordeten Hafenarbeiter war für uns ganz persönlich sehr emotional. … Wir verbleiben mit kämpferischem Gruß und den Worten von ,Teddy’ ROT FRONT Herzlichst Christine und Wolfgang aus Berlin“

… Es war ein sehr würdiges Gedenken für unseren unvergesslichen Ernst Thälmann und seine großen – leider vergeblichen – Bemühungen um die Schaffung einer Einheitsfront in der Arbeiterklasse. Aber auch für viele andere hervorragende Leistungen an der Spitze der KPD, wie es zum Beispiel beim Aufbau des RFB gelang und im Grußwort unserer russischen Genossen gewürdigt wird. Ihnen, ihrem Traditionsbewusstsein, dessen Pflege und den klaren Worten ihrer Grußbotschaft gilt ebenso herzlicher Dank! Teddy war in allerschwerster Zeit ein hervorragender Arbeiterführer und das wird er für immer neben vielen anderen in unseren Herzen bleiben! Richtet bitte herzliche Grüße und ebenfalls Dank an das Kollektiv der Gedenkstätte aus. Rot Front, Aribert …

… Wir haben schöne Erinnerungen von Hamburg mitgenommen, vieles worüber es sich lohnt weiter nachzudenken und danke für die übermittelten Grußworte von Aleksander Koschewnikow aus dem Ural. So etwas kann einen aufbauen. Wenn es sich anbietet, übermittle ihm auch herzliche Grüße von uns aus Zeuthen. … . Heide und Günter

Cilly Keller und Reinhardt Silbermann

Vorstand des Freundeskreises Ernst Thälmann e.V., Ziegenhals- Berlin

Wir danken dem Verein der Bundestagsfraktion DIE LINKE e.V. für die großzügige finanzielle Unterstützung.

Die „Gedenkstätte Ernst Thälmann“ in Hamburg wurde am 18. Aug. 1969 mit einer Kundgebung durch Hein Fink, den ehemaligen Vorsitzenden der KPD Hamburg, eröffnet.

1982, am 19. November, eröffnet Herbert Mies, Kuratoriumsmitglied und DKP-Vorsitzender, in der Tarpenbekstr. 64 die Ernst-Thälmann-Bibliothek und das Archiv. Mehr als 10.000 Bücher und Dokumente der deutschen politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung können hier eingesehen werden.

Rede von Max Renkl (Vorsitzender des Freundeskreises „Ernst Thälmann“ e. V., Berlin-Ziegenhals) am 25. August 2019 in Ziegenhals vor dem Areal der zerstörten Ernst Thälmann-Gedenkstätte auf der Kundgebung des Freundeskreises anlässlich des 75. Jahrestages der Ermordung Ernst Thälmanns

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

hier vor dem Areal der zertrümmerten Ernst-Thälmann-Gedenkstätte, wo am 7.2.1933 die illegale ZK-Tagung der KPD in Ziegenhals stattfand, die Gedenkstätte, die 2010 zerstört wurde und für die immerhin 2013 ein Gedenkstein eingerichtet wurde. Hier möchte ich Euch ganz herzlich anlässlich des 75. Jahrestages der Ermordung von Ernst Thälmann begrüßen. 

(...)

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

Wir, wir erinnern an den 75. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns!

Wo war der Hamburger Senat als in Teddys Geburtsstadt ihm gedacht und das 50-jährige Bestehen der Gedenkstätte Ernst Thälmann gefeiert wurde?

Wo waren die Vertreter der Bundesregierung im Krematorium in Buchenwald auf der zentralen Gedenkveranstaltung zu seinen Ehren?

Wo sind die Vertreter der Brandenburgischen Landesregierung, um einen der berühmtesten Antifaschisten Deutschlands hier in Ziegenhals zu ehren? Kein Staatsakt an dem Ort, wo nachweislich der organisierte Widerstand gegen das Naziregime begann, wo Ernst Thälmann 1933 das letzte Mal vor seinen ZK-Genossen sprechen konnte? Das wäre doch mal ein Signal gewesen – gerade vor der Landtagswahl! 

Aber wir machen uns keine Illusionen über diesen Staat und konkret über diese Landesregierung, die ja vor 9 Jahren durch aktive Passivität glänzte, als hier eines der wichtigsten Zeugnisse der deutschen Geschichte und des antifaschistischen Widerstandskampfes abgerissen wurde. Keine Illusionen über diese Landesregierung, die duldet, dass die Potsdamer Garnisonskirche wieder so aussehen soll, wie damals, als Hindenburg – Vertreter des reaktionären preußischen Militarismus – Hitler die Hand reichte. 

Wenn wir jetzt uns ansehen, wie sich die Nazis hier in diesem Bundesland in den vergangenen Jahren breit gemacht haben, wie viele Stimmen die AfD kommende Woche erwarten kann, wie wenig Aufklärung im Brandenburger Landtag zu den NSU-Morden stattgefunden hat – immerhin soll ja die zentrale Tatwaffe aus Brandenburg kommen – und wie schnell hier das neue Polizeiaufgabengesetz – nach dem Vorbild des schwarz-braunen Bayern – eingeführt wurde – da weiß man, was wir zu erwarten haben im Kampf gegen Rechts.

Deshalb stehen ja wir hier und erinnern an die Entschlossenheit Ernst Thälmanns und seiner Kampfgenossen. Deshalb erinnern wir an die unzähligen Opfer, die die deutsche Arbeiterklasse im Kampf gegen den Faschismus erbrachte. Daher erinnern wir an Ziegenhals als Beginn des Kampfes und an die Kraft von Ziegenhals, die, so wurde es uns von Leo Kuntz, Günter Pappenheim u.a. bestätigt, sich auch im Schwur von Buchenwald widerspiegelt.

Und jede Kundgebung, die wir hier durchführen oder in Berlin oder Hamburg oder sonst wo, macht die Schande des deutschen Bürgertums deutlich und ihr Unvermögen, dem Faschismus ernsthaft etwas entgegen zu setzen. Und alle, die dem Bürgertum nachrennen, werden mit ihm in die nächsten Katastrophen laufen – die in diesem System immer noch Krise und Krieg heißen. 

Jede Kundgebung, die wir hier für Ernst Thälmann und seine Genossen durchführen, erinnert auch daran, für wen Thälmann gelebt und gekämpft hat und wem die Zukunft gehört, nämlich den arbeitenden Menschen, der Arbeiterklasse. Sie hat nicht nur die potentielle Macht den Faschismus hinwegzufegen, sie kann Kriege verhindern und eine neue Welt errichten. 

Und gerade Thälmann und seine KPD haben uns gezeigt, was es heißt die Kraft dieser Klasse zu bündeln, die Unwissenheit durch Schulung zu bekämpfen, die Zersplittertheit der Klasse zu überwinden und damit ihre spontane Wut hinüberzuführen in einen langanhaltenden Kampfgeist.

Thälmann hat aus der KPD eine starke Kampfpartei gemacht. Und diese Kampfpartei wurde zu einem Zentrum, um das sich alle fortschrittlichen und vor allem auch antifaschistischen Kräfte sammeln konnten – siehe um nur einige zu nennen Rote Hilfe, siehe Antifaschistische Aktion, siehe RFB, der übrigens im Juli sein 95 jähriges Bestehen feierte.

Wir wollen gerne mehr sein und dafür müssen wir alle Anstrengungen unternehmen. Aber wir dürfen auch nicht verzagen, denn solange diese Kundgebungen ein Stachel bleiben – spielt es keine entscheidende Rolle, wie viele hier für Teddy stehen. Das wichtige ist aber, dass wir ein Stachel bleiben, dass wir an dem Gedenken hier in Ziegenhals festhalten und zwar weiterhin in einer Art und Weise, dass wir das ehrende Gedenken mit den aktuellen Fragen und Auseinandersetzung verbinden.

In diesem Sinne, viel mehr noch im ehrenden Gedenken an unser Vorbild Ernst Thälmann, der vor 75 Jahren im Krematorium des KZ Buchenwald hinterrücks ermordet wurde und dessen Mörder in der BRD nie zur Rechenschaft gezogen wurden, bitte ich Euch nun, Eure Kränze und Blumen niederzulegen. Ich möchte aus dem Schwur von Buchenwald zitieren: 

Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. 

Ich danke Euch. (...)


Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?

Rede von Ringo Ehlert, „Unentdecktes Land“ e.V. auf der Kundgebung in Ziegenhals zum 75. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns

Mein Name ist Ringo Ehlert, ich spreche hier und heute als Vertreter des Vereins „Unentdecktes Land“ e.V. Manche kennen diesen Verein, manche kennen mich, wir sind die Leute mit der DDR-Ausstellung und den großen Transparenten auf dem Alexanderplatz. Vielleicht kennen mich aber auch ein paar von lang zurück liegenden Treffen hier in Ziegenhals, bei dieser Gedenkstätte, die ja gleichzeitig eine Gedenkstätte für eine zerstörte Gedenkstätte ist.

Früher war ich öfter in Ziegenhals aber seit Jahren kommt immer etwas dazwischen. Zwischen diesem Sonntag im August, hier an diesem See bei diesen Bäumen und mir. Daran muss ich wohl arbeiten, denn es lohnt sich hierher zu kommen, immer.
So lohnt es sich auch heute und ist schön wieder hier zu sein. Hier an diesem so geschichtsträchtigen, ehrwürdigen, schrecklichen Ort, fast wie früher.

Und wenn man von früher redet, kommt einem schnell der Ausspruch über die Lippen: „Früher war alles besser“. Aber es stimmt nicht immer, nicht mal oft. Als mein „früher“ hier begann, da waren schon diejenigen an der Macht in diesem Land, die rüberkamen, um den Erdboden hier gleich zu machen, was 16 Millionen DDR-Bürger zwischen Oder und Elbe in 40 Jahren geschaffen hatten. Kein Stein durfte auf dem anderen bleiben. Auch das Rückgrat und ganz besonders das Rückgrat dieser anderen deutschen Republik, dieser Deutschen Demokratischen Republik – ihre antifaschistische Gedenkkultur musste zermalmt werden. Wie lange hatte man drüben im Winterquartier des deutschen Faschismus darauf gewartet, sich für diese linke Frechheit zu rächen, die diesem roten „vaterlandslosen Gesellen“ Thälmann, seiner Kommunisten-Bande und am Ende noch seinen Idealen, denen seiner Partei, einem Staat, der sich deutsch nennt, die Ehre erweist. Dies hatte man im Westen erfolgreich zu verhindern gewusst. Ein zweites Mal im KZ Buchenwald umbringen, konnten man ihn nun freilich nicht mehr, aber verschwinden sollte er wenigstens und mit ihm die gesamte Geschichtsschreibung der DDR. Und vor allem verhetzt sollte er sein, wo und wie es nur geht, so wie eben diese DDR.

Denn einen positiven Bezug auf einen Kommunisten und Widerstandskämpfer Thälmann und eine sozialistische DDR, die sich aufmachte alles anders zu machen als Westdeutschland, konnte sich dieser Westen, konnte sich diese imperialistischer BRD, dieser bekennender Nachfolgestaat des Deutschen Reiches nicht leisten. Nicht dass es sich am Ende noch jemand anders überlegt mit der sogenannten „Wiedervereinigung“.

Die Vorkriegsgeneration im Osten

Als ich von diesen Dingen erfuhr, waren die Kombinate und Betriebe, die Arbeitsplätze meiner Eltern, all die Kollektive und Familienbünde zerstört oder in Auflösung. Auch meine Familie zerstreute sich in alle Winde auf der Suche nach Zukunft und Arbeit. Die zahllosen antifaschistischen Gedenksteine, Plaketten an den Häusern und die Büsten der Antifaschisten in den Parks waren schon größtenteils aus dem Stadtbild entfernt, meine Eltern erzählten mir davon.

So habe ich diese DDR in den magischen Jahren des Teenager-Dasein, die einen so prägen, spielend in ihren Ruinen erstmals bewusst erfahren. Das ist typisch für meine Generation im Osten, die eine Vorkriegsgeneration ist. Es ist lange her, der Umzug nach Berlin, der Kontakt zu Linken, die Antifa-Demos jedes Wochenende, und die FDJ, so stolz wie zu DDR-Zeiten aber um so viel schwächer.

Dass ich dann hier mit zitternden Stimmchen in der großen legendären Halle der Gedenkstätte reden durfte, ist auch so lange her, 20 Jahre. Kurz drauf tauschten sie dann die Schlösser der Gedenkstättenräume und warfen die Genossen raus, es sollte nie wieder in dieser Gedenkstätte an Thälmann, seine Zeit, seine Leute, ihren Kampf, ihren Tod und ihr Leben erinnert werden. Die Lehren die daraus zwingend zu ziehen sind, passen den neuen Herrschenden nicht in den Kram. Im Rückblick wird klar, dass man mit der Schließung dieser Gedenkstätte, die ja weitaus mehr war und ist als ein Museum an irgendeinem Ort, ein Kapitel deutsche Geschichte beendet wurde, indem man seine Spuren und Zeugnisse fast vollständig aus der Realität tilgte.

So erinnere ich mich eigentlich, wenn ich mich an diese Gedenkstätte erinnere, nur an Kampf, Protest und das erzwungene Hinnehmen des Unausweichlichen.

Und wenn ich über den leeren Platz da drüben sehe und auf Fotos von jenem Haus und jener Büste, dem Saal, dann sagt mein Bauch: hat alles nichts genützt. So sind meine Erinnerungen an diesen Ort hier oft.

Doch Erinnerungen unterscheiden sich so wie die Menschen, auch die Erinnerungen an diesen Ort. Wenn die Älteren an diese Gedenkstätte denken, wissen sie da auch von einer anderen Zeit. Eine Zeit, die meistens sogar den größten Teil ihres Lebens ausmachte und in der so viel vollkommen normal war, dass es nicht vorstellbar ist heute. Dass es z.B. normal war, dass die Linken ihre Gedenkstätten haben, nicht gegen sondern durch einen Staat, der sich das „Nie wieder Faschismus“ auf die Fahne schrieb. Dass es normal war, und doch nur logisch, dass man gerade hier in deutschen Landen doch aufschaute zum Antifaschistischen Widerstand und ihn ehrte und damit die Lehren aus all dem Schrecken zweier Weltkriege zog.

Warum Ziegenhals?

So entschied man sich es auch hier zu tun, an diesem Ort in Ziegenhals, weil hier im Februar 1933 unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nazis, wichtige Vertreter dieses antifaschistischen Widerstandes, schon gejagt durch die Gestapo, den organisierten Widerstand gegen die Nazis planten. Was hier auf dieser Sitzung heimlich und unter höchster Gefahr von Vertretern der KPD unter anderem auch Thälmann besprochen wurde, war der Widerstand der Freiheit gegen die Tyrannei des deutschen Faschismus. Welcher Ort könnte wichtiger und besser geeignet sein als dieser doch so unscheinbare Sitzungsraum, für ein Museum, einen Gedenkort und somit eine Schule für die Jüngeren? Gedacht, gesagt, getan: am 7. Februar 1953, genau 20 Jahre später, öffnete die antifaschistische Gedenkstätte „Sporthaus Ziegenhals“ ihre Türen der Öffentlichkeit. Eingeweiht wurde sie von keinem Geringeren als dem Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik Wilhelm Pieck. Sowas war hier einst so normal wie die Sonne am Himmel, unvorstellbar heute, so wie ein Traum von Morgen.

Man stelle sich vor, dass 1953 der erste Mann des deutschen Staates DDR, Wilhelm Pieck, ein Kommunist und antifaschistischer Widerstandskämpfer eine staatliche Gedenkstätte einweihte, die den Kampf gegen den Hitlerfaschismus ehrte, also jenen Faschismus der nach dem ersten Mann eines anderen deutschen Staat benannt wurde, einem faschistischer Massenmörder im Dienste des deutschen Kapitals. Welche gewaltigen Niederlagen und Siege des Lebens über den Terror müssen in diesen 20 Jahren von 1933 bis 1953 vollzogen worden sein. 20 Jahre, in denen sich der größte und schrecklichste aller bis heute bekannten Kriege abspielte. Welche Millionen Opfer dieser forderte, wissen wir alle. 20 Jahre an deren Ende sich zwei Deutschländer herausbildeten die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Diese Gedenkstätte und ihre Geschichte hier war somit auch ein Zeugnis dieses Bruches zwischen der Kontinuität des deutschen Imperialismus auf der einen Seite und der antifaschistischen demokratischen Umwälzung auf der anderen Seite eines nun geteilten Deutschlands. Dass in dem einen Teil die Mörder Thälmanns staatlichen Schutz erfuhren und im anderen Teil Thälmann Gedenkstätten gebaut wurden, zeigt auf, dass der Kontrast nicht hätte größer sein können.

Und wenn die Älteren sich an diese Gedenkstätte erinnern, dann erinnern sie sich auch an eine Zeit, in der es normal war, dass Faschisten, die es auch in der DDR gab, in Angst vor einer antifaschistischen Staatsmacht, unbedeutend klein und unorganisiert dahin vegetierten und nicht wagten auch nur das Wort zu erheben, geschweige denn wie heute ihr Haupt. Wie heute, wo sie mit Millionen Euros staatlicher Unterstützung und Wählerstimmen ausgestattet in einem Bundestag hocken.

Die FDJ auf dem Dach des Sporthauses

Wir hätten uns nicht träumen lassen, dass alles noch so viel mehr den Bach runtergeht. Auch nicht wir, die wir uns vor 14 Jahren eines Nachts vor so einer Kundgebung wie heute in die geschlossene Gedenkstätte schlichen, um dann im Schutze der Dunkelheit sportlich das Dach des Sporthauses Ziegenhals zu entern. Am nächsten Morgen erklärten wir dann mit selbst gebastelten Transparenten und einem kleinen Megafon vom Dach hinab der Öffentlichkeit und vor Allem der ratlosen Polizei, dass die geschlossene Gedenkstätte nun besetzt sei. Und wir erklärten auch dass wir das Eigentum an dieser, also den neuen Eigentümer der Gedenkstätte, Gröger nicht anerkennen. Und dabei fühlten wir uns sehr kämpferisch und sehr im recht, sogar als man uns dann über eine eilig herbei geholte Leiter vom Dach holte.

Damals ging es uns Dachbesetzer um die Öffnung des geschlossenen Hauses. Dass diese Gedenkstätte einmal nicht mehr sein würde, darauf wären wir nie gekommen.

Doch es geschah, und zwar so schnell, dass es wohl alle überraschte, jung wie alt. Der Abrissbagger rollte und keine Besetzung oder Kundgebung hielt ihn auf.

Es ist seitdem nicht ruhig geworden, das verdanken wir der unermüdlichen Arbeit des Freundeskreises, aber es ist doch ruhiger geworden hier an diesem See, unter diesen Bäumen. Einige schmissen das Handtuch, Illusionen hatten wir uns alle gemacht, die zerplatzten wir Seifenblasen. Im Kapitalismus und vor Allem im Kapitalismus deutscher Prägung sind es nicht wir Linken, die auf der Gewinner Bank sitzen, das hatten wir vergessen, einen Augenblick. Wieder sagt der Bauch, dass alles wenig Sinn hat und durch die Finger rinnt was gut und stark schien.

Aufgeben können wir uns nicht leisten…

Doch der Bauch ist kein guter Berater in diesen Dingen, war er nie. Der berät nur übers Hunger haben oder satt sein. Ein kühler Kopf ist der bessere Ansprechpartner zur Einschätzung der Lage, aber er ist auch sehr anstrengend, wenn er nicht aufgibt. Aber Aufgeben, das können wir uns auch gar nicht leisten, schon weil unsere Kinder, unsere Enkel uns zuschauen, die Bekannten, Genossen und Freunde. Auch die Zweifler und Neinsager schauen uns zu und die, die mit Bauchschmerzen in der Ecke hocken und uns die Kapitulation empfehlen. Sie alle schauen uns zu bei dem was wir tun, bei dem, wo gegen wir streiten und wo wir die rote Linie ziehen!

So wie wir Jungkommunisten und welche die es werden wollten, wir FDJler euch Alten zugesehen haben und Kraft daraus zogen und ziehen, dass euch der Wind biegt aber nicht bricht.

Es besteht ein unübersehbarer Zusammenhang zwischen diesem Thälmann und dieser Zeit zwischen 1949 und 1989, zwischen Thälmann und dieser Deutschen Demokratischen Republik, beide sind gleich gut gehasst vom Staatsbetrieb der BRD. Das ist schon darin begründet, dass diese DDR von den Kampfgefährten Thälmanns errichtet wurde, währenddessen seine Mörder zeitlebens auf die Fürsorge ihrer Bundesrepublik Deutschland bauen konnten. Das ist schon darin begründet, dass diese DDR das umsetzte, was die KPD unter Thälmann forderte, um endlich mit dem deutschen Sonderweg von Weltkrieg zu Weltkrieg zu brechen, ein sozialistisches neues Deutschland. Die Vertreter der alten Ordnung, die dies fürchteten und verhinderten mit jedem Verbrechen, das zu haben war, fanden hingegen ihr Winterquartier in der BRD.

Klarer konnten die Frontlinien nicht verlaufen. Da sind wir, das sind sie, wir haben einander nichts zu verschenken. Dieser Ort hier in Ziegenhals wurde mit der Annexion der DDR zum Frontabschnitt mit einem übermächtigen Gegner.

Nichts ist vergeben, nichts vergessen, nicht der Mord an Thälmann und nicht die Annexion der DDR im Großen, nicht der Abriss der antifaschistischen Gedenkstätten hier und anderswo im Kleinen. Daran werden und haben wir uns nicht zu gewöhnen, hier gehört eine antifaschistische Gedenkstätte hin, in der Größe der Gedenkstätte „Sporthaus Ziegenhals“, in der antifaschistischen Ausrichtung der Gedenkstätte „Sporthaus Ziegenhals“. Alles andere was stattdessen hier steht, steht hier falsch und muss weichen.

Ich habe hier einen alten Text, die Erklärung zu unserer damaligen Besetzung der Gedenkstätte im Jahr 2005. Den werde ich jetzt verlesen, als er getippt wurde, waren wir alle 14 Jahre jünger und mein Sohn noch nicht geboren und einige gab es unter uns, die es jetzt nicht mehr gibt und die uns dolle fehlen, schon wegen ihnen sei gesagt: Nicht ein Komma ist an dieser Erklärung heute zu ändern!

Erklärung zu unserer Besetzung der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals

„Am 21.08.2005 besetzten wir, vier Mitglieder der FDJ Berlin, die Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals. Wir waren uns der Konsequenzen dieser Aktion voll und ganz bewusst. So wie wir diese Besetzung bis zum Abbruch durch das Eingreifen der Staatsorgane der BRD durchführten, hatten wir sie geplant. Mehrmals gaben wir von unserer Position aus den Staatsorganen bekannt, dass wir das Privateigentum an der Gedenkstätte Ziegenhals, die allen Demokraten und Kommunisten gehört, genauso wenig anerkennen wie die Annexion der DDR durch die BRD und deswegen auch den Weisungen der Polizei, die Gedenkstätte zu verlassen, nicht nachkommen werden. Wir verlasen mehrmals unsere Positionierung zum rechtswidrigen Umgang mit der Gedenkstätte. Die anwesenden Staatsorgane vertraten daraufhin unüberraschender Weise die Interessen des Immobilienspekulanten Gerd Gröger und gingen gegen uns vor. Dies alles geschah nach der Kundgebung des Freundeskreises, mit dem wir uns solidarisch erklären.

Seit der Enteignung der Bevölkerung der DDR, im Zuge ihrer Annexion durch die BRD, wird die antifaschistische Gedenkstätte in Ziegenhals geschleift. Schon nach dem ‚Zwei plus Vier – Vertrag‘ stellt dieser Umgang mit dieser Gedenkstätte für die Opfer des deutschen Faschismus ein Vertragsbruch dar. Die Menge der bürgerlichen Demokraten, die diesen nicht hinnehmbaren Bruch geltenden bürgerlichen Rechts mit Protest und Widerstand beantworten müssten, sieht tatenlos zu, also übernehmen wir ungern auch noch diese Aufgabe. Wir fordern somit als Demokraten und Kommunisten: Hände weg von Thälmann! Hände weg von den antifaschistischen Gedenkstätten und Mahnmälern!

Der Umgang mit diesen Mahnmälern und Gedenkstätten gerade auf dem Gebiet der annektierten DDR ist politisch motiviert und wird von denen angetrieben, für die der Sieg der Antihitlernkoalition über das faschistische Deutschland ihre Niederlage darstellt, wird von denen unterstützt und organisiert, die ihre Existenz 40 Jahre durch den Staat DDR gefährdet sahen.

Solche Subjekte stehen im Visier unserer Aktion. Wer Hand anlegt an Thälmann und die Geschichte der Arbeiterbewegung, deren Höhepunkt die Errichtung der Deutschen Demokratischen Republik darstellt, legt sich mit uns an. Es wird weiterhin von unserer Seite keinen Funken Toleranz für die bundesdeutschen Revanchisten und Geschichtsverdreher geben. Wir sind nicht viele und unsere Entscheidung hat wenig Gewicht im Gesamtzusammenhang, doch wenn uns unsere Geschichte eins lehrte, so ist es, dass Masse Bewusstsein nicht ersetzt.

Wir geben mit dieser Erklärung Ausblick auf weitere Aktionen der FDJ-Berlin, gegen die annektierende BRD und ihre treudoofdeutschen Fans, egal wo diese auch hocken.

An der Besetzung der Gedenkstätte Ziegenhals beteiligte FDJler“

In diesem Sinne komme ich zum Ende und habe viel erzählt, was viele Gedanken erforderte, als ich diese Rede schrieb und die kamen mir, als ich an diesen Ort hier dachte und was wir alle gemeinsam hier schon erlebt haben. Es ist ein Brennpunkt von so vielem, ein Epizentrum mit viel Licht und viel Schatten, und das hier hat eine Größe, dass schon die Ahnung von den Dingen, die hier waren und zerstört wurden aber auch entstanden und in die Zukunft wiesen, überwältigt. Es ist an uns, dies hier aus dieser verschlafenen Siedlung immer wieder mitzunehmen, und zu uns und anderen zu tragen. Diese Dinge gehören an das Ohr und an das Auge der Menschen, deswegen diese Kundgebung hier und zwar jedes Jahr. Der Verein „Unentdecktes Land“ wird es ihr gleichtun und es dahin tragen, wo die Leute sind. Mit der großen DDR-Ausstellung „Unentdecktes Land“ fangen wir damit an und stellen die Gegenposition DDR zur Diskussion vom 31. August bis zum 8. September auf dem guten alten ewig wirbelnden Alexanderplatz in Berlin. Und wenn wir von der DDR reden, ist da auch immer Teddy am Start, irgendwie und irgendwo.

Ach so: Und wenn der Bauch mal wieder knurrt, dies hier ist auch ein Ort, an dem Menschen sich eine Zukunft ohne Krieg und Faschismus vorstellen konnten, und das unter der Knute der gewaltigsten Vernichtungsmaschinerie, die die Welt bis heute kennt, und das mit der Stirn an den Gewehrläufen des deutschen Faschismus. Sie sahen, dass alles anders werden kann, durch all das Dunkel hindurch. Was könnte mehr Kraft geben?

Mir wurde seinerzeit ein wenig Wortradikalismus nachgesagt, als ich hier am Mikro einst meinte, dass der, der seine Lage erkannt hat, nicht aufzuhalten ist, was sich freilich Bertolt Brecht ausgedacht hat und nicht ich. Ich bleibe dabei, und lade alle ein, diese Wette anzunehmen.

Im Namen des „Unentdecktes Land“ e.V. grüße ich euch und bedanke mich herzlich für die Einladung. Wir sehen uns vom 30. August bis 8. September auf dem Alexanderplatz zur großen DDR-Ausstellung „Unentdecktes Land“ und im nächsten Jahr ganz sicher wieder hier.

Überschrift und Zwischenüberschriften von Gruppe KAZ

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