Für Dialektik in Organisationsfragen
Bei einem Prozess am 12. Januar 2021 vor dem Münchner Arbeitsgericht wurde die Klage des MAN-Betriebsrates gegen die VW-Tochter-Firma MAN Bus & Truck verhandelt. Im September 2020 hat Bus & Truck (Herstellung „Nutzfahrzeuge“) den geltenden Standort- und Beschäftigungssicherungsvertrag fristlos gekündigt. Sie beruft sich dabei auf eine als „Schlechtwetter-Klausel“ bezeichnete Regelung, die bei Auftrags- und Geschäftsrückgang, die fristlose Vertragskündigung ermöglicht. Damit will sie den damit bis 2030 vereinbarten Ausschluss „betriebsbedingter Kündigungen“ aushebeln. Hierbei sollen insgesamt 9.500 Kolleginnen und Kollegen von 36.000 in den Standorten Österreich und München (3.000) auf die Straße gesetzt werden. Der Betriebsratsvorsitzende in München, Saki Stimoniaris, hat spontan Widerstand wegen Rechtsbruch angekündigt, der vom VW-Konzernbetriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh unterstützt wurde. Die Süddeutsche Zeitung SZ hat am 9. September 2020 seine Aussage dazu zitiert: „Es handelt sich hierbei um einen Angriff auf die gesamte Volkswagen-Familie. Eine solche Vorgehensweise wird nicht ansatzweise zum Erfolg führen. Daher werden wir im Laufe der Verhandlungen dafür sorgen, dass die umfangreiche Beschäftigungssicherung wieder in Kraft tritt.“
Von der Volkswagen-Familie – eine in der IGM hochorganisierte Belegschaft von rd. 120.000 – sind außer von Info-Veranstaltungen dazu bisher keine „machtvollen Demonstrationen“ wie Stillstand einiger Fließ-Bänder bekannt geworden. Natürlich mit Unterstützung der „Familie“ und der IGM hat der Betriebsrat von MAN in München die Aussage, „Rechtsfragen sind Machtfragen“, mit seiner Klage umgedreht und die Machtfrage zur Rechtsfrage gemacht. Für die o. g. „Schlechtwetter-“ oder auch „Gewitter-Klausel“ genannt, gilt hierbei, dass sie erst bei großen „Verschiebungen“ der „wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ vom Kapital fristlos gekündigt werden darf. Wie der Betriebsratsvorsitzende erklärt hat, unterliegt das Geschäft mit den Nutzfahrzeugen einer Schwankung von bis zu 40 Prozent. Erst wenn das Geschäft, der „Abschwung“ darüber, also weiter in Richtung 50 Prozent schwankt, hat das Kapital gemäß „Basisvertrag“ das Recht zur Vertragskündigung. Lt. BR-Vorsitzendem ist mit solchen „Abschwüngen“ alle 8 bis 12 Jahre zu rechnen. Dieser Zustand ist noch nicht erreicht. Was hierbei von IGM und Betriebsräten unterschrieben wird, müssen wir uns am Beispiel einer Ballonfahrt verdeutlichen: Erst, wenn der Ballon über 40 Prozent an Höhe verloren hat, darf Ballast, Sandsäcke abgeworfen, Teile der Belegschaften rausgeschmissen werden, damit es wieder „himmelwärts“ geht.
„Eine Veränderung reicht nicht, eine nicht ganz unerhebliche Hürde muss schon sein“ hat die Richterin bezogen auf die „wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ für den Rausschmiss der Kolleginnen und Kollegen festgestellt. Im Prozessverlauf hat sie erfahren, dass MAN in der BRD „im großen Stil Stellen abbauen und in Krakau mehr als 3.000 Arbeitsplätze aufbauen will“. Sie hat darauf mit der o. g. Aussage reagiert. Lt. SZ vom 14. Januar: „So nicht“, sagte sie. „Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb Deutschland bluten muss, damit man anderswo Stellen wiederaufbauen kann. Es geht nicht ohne Änderungen der Zielvorgaben. MAN hat 2018 und 2015 immerhin eine Standortsicherung abgegeben.“
Möglicherweise wollte oder will sie mit ihren Worten im Sinne von „Deutschland first“, die MAN-Vertreter an ihre „vaterländische Pflicht“ zur Sicherung des Industriestandorts Deutschland erinnern. Was sie hierbei bezogen auf die geplante Verlagerung angreift, ist jahrelang bekannte Praxis der Monopole. Wer dabei immer wieder bluten muss, sind die Belegschaften. Sie bezahlen, wie jetzt die MAN-Belegschaft, dafür mit Entlassung und Existenzverlust. Der Aderlass und „Ballastabwurf“ zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Auto-Monopolkapitalisten-VW und damit der Position des deutschen Imperialismus in Europa und der Welt. Dabei wartet die MAN-Bus&Truck-Belegschaft jetzt darauf, dass der angerufene „neutrale dritte Mann“, das Arbeitsgericht sagt, ihr dürft in der Bude bleiben und weiter MAN-Abzeichen tragen. Mit einem Urteil ist frühestens Mitte des Jahres zu rechnen. Wobei Richterin Rösch davon ausgeht, dass der Prozess zur endgültigen Entscheidung beim Bundesarbeitsgericht (BAG) landet. Zwischenzeitlich kann das VW-MAN-Kapital auf der Basis eines geltenden Sozialplans unter Ausschluss „betriebsbedingter Kündigungen“ weiter Leute entlassen. Das Verfahren dafür ist bekannt. Es läuft über Abfindungszahlungen, Aufhebungsverträge, vorzeitigem Ruhestand usw. ab – wenn es sein muss, mit dem notwendigen Druck von „oben“. Hierbei ist es möglich, dass je nach Urteil von LAG und BAG die Kapitalisten ihre Haltung zu Verträgen, mit dem Ausschluss „betriebsbedingter Kündigungen“, ändern.
Möglicherweise wird es nicht mehr zu einem Urteil im oben geschilderten Prozess kommen. „Unternehmensspitze und Gesamtbetriebsrat“ haben sich am 26. Januar 2021 auf ein „Eckpunktepapier“ geeinigt, mit dem „betriebsbedingte Kündigungen“ ausgeschlossen werden. MAN will/kann hierbei trotzdem 3.500 Arbeitsplätze in der BRD um „die Ecke bringen“. Die davon betroffenen Kolleginnen und Kollegen – 1.500 in München – werden „sozialverträglich“ über Altersteilzeit-Angebote, Abfindungen, Aufhebungsverträge usw. auf die Straße befördert. Um den Deal rechtlich abzusichern, werden die dafür notwendigen „Eckpunkte“ von den Tarifkommissionen zu einem Tarifvertrag „umgearbeitet“.
Informationen: Süddeutsche Zeitung SZ vom 27.01. 2021. Informationsabhängig weitere Infos in den nächsten Ausgaben der KAZ.
Ludwig Jost