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KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”

Continental – „Bewährt an allen Fronten“

so heißt es in einer Werbung des vielen als Reifenfabrik bekannten Hannoveraner Konzerns aus dem Jahr 1942. Der macht gerade – kurz vor dem 150jährigen Gründungsjubiläum – Schlagzeilen mit Massenentlassungen und Werkschließungen. Einer der weltgrößten Autozulieferer nutzt skrupellos die Zeiten der Pandemie, um die Kosten der Mobilitäts-„Transformation“ auf die Belegschaft abzuladen. Wird damit ein neues Kapitel aus der Kriminalgeschichte des Hannoveraner Unternehmens und seiner Eigentümer aufgeschlagen?

Einen faktenreichen Einblick in eben diese Geschichte gibt der Münchner Wirtschaftshistoriker Paul Erker mit dem seit kurzem vorliegenden umfangreichen Werk „Zulieferer für Hitlers Krieg. Der Continental-Konzern in der NS-Zeit[1]. Zugrunde liegt eine immense Quellenarbeit, die ohne die Unterstützung der Konzernleitung durch (die jahrzehntelang hartnäckig verweigerte) Öffnung von Archiven nicht möglich gewesen wäre. Viel aus Erkers Arbeiten ist allerdings bisher noch nicht in die Außendarstellung geflossen. Auf dem aktuellen Continental-Portal heißt es zur ganzen Geschichte während des Faschismus: „Von 1933 bis 1945 entwickelt sich Continental zu einem wichtigen Zulieferer der NS-Rüstungs- und Kriegswirtschaft. Die Unternehmenskultur verschiebt sich von einem liberalen Unternehmen zu einem NS-Musterbetrieb.“[2]

Dabei lässt sich bei Erker Material genug finden zum verbrecherischen Charakter des Systems, dessen integraler und nicht unbedeutender Teil die Continental AG war und ist.

Das kann man jetzt nachlesen

Es wird gut herausgearbeitet, welchen Stellenwert Conti nicht nur in der Reifenindustrie (sowohl Autos, LKW als auch Fahrräder und Flugzeuge) aber auch für sonstige Gummiwaren hatte (von Schuhen, Stiefeln bis Gasmasken).

Wie relativ rasch die Umstellung von ziviler auf Rüstungsproduktion vonstatten ging wird erkennbar; und wie das sogar unter den Bedingungen von Autarkie mit ihrer Ersatzwirtschaft vor sich ging, etwa beim Ersatz von Natur- durch „deutschen“ Kautschuk (Buna von den IG Farben).

Es wird angeführt, wie gnadenlos die (auch die sozusagen „hauseigenen“) KZ und Zwangs- und „Fremdarbeiter“lager für den Profit genutzt wurden. Nicht zuletzt durch die „Schuhprüfstrecke“ im KZ Sachsenhausen, wo die Häftlinge zum Testen von Schuhwerk aus Gummi täglich z.T. über 40 km durch das Gelände gehetzt wurden, bis sie tot oder entkräftet zusammenbrachen, um für Conti, Phoenix, Freudenberg Materialprüfung zu betreiben. „Nutzungsgebühr“ 6 Reichsmark pro Person und Tag, abzuführen an die SS. Für Testzwecke hatte man vorher Rentner eingesetzt, die aber dagegen viel zu teuer waren.

Alles „ausgewiesene Nazi-Gegner“

Ehrlich empört zeigt sich der Autor über die Weißwäscherei der Verantwortlichen nach dem Krieg; etwa wie sich der Herr Generaldirektor und seinerzeit „Wehrwirtschaftsführer“ Fritz Könecke vor dem Entnazifizierungsausschuss als „sozialer und anständiger Betriebsführer“ und „ausgewiesener Nazi-Gegner“ darzustellen versuchte. Es hatte ja auch so nett angefangen. Hatte es bei der britischen Besatzungsmacht nicht konkrete Pläne gegeben, mit den Hitler-Nachfolgern den Krieg gegen die Sowjetunion weiterzuführen? So trifft sich am 9. August 1945 der Continental-Aufsichtsrat, in dem wie selbstverständlich weiterhin die Herren Wilhelm und Georg von Opel sitzen, mit Könecke und einigen anderen Vorständen, um nichts weniger als den Jahresabschluss für 1944 zu besprechen! Krieg, „Arisierungen“, Holocaust, Zwangsarbeit, hauseigene KZ – war da was? Die Herren Kriegsgewinnler und ihr Hausmeier meinten, unbehelligt zum Tagesgeschäft übergehen zu können. Schließlich wird er 1949 nach heftigen Auseinandersetzungen auch in der Öffentlichkeit[3], da war Westdeutschland schon auf Marshallplan-Kurs, als „Entlastet“ (= Kategorie V) eingestuft.[4] Bei Conti war er aber wegen des Widerstands in der Belegschaft nicht mehr tragbar, also heuerte er 1949 bei der Konkurrenz an, bei Phoenix, bis er schließlich1952 in den Vorstand von Daimler-Benz kommt, um dort bereits 1953 zum Vorstandsvorsitzenden aufzusteigen. Da kehrt ja auch Friedrich Flick bereits als Großaktionär ein. Was Erker nicht erwähnt, ist u.a. dass er Hanns-Martin Schleyer[5] als seinen Assistenten ins Unternehmen holte. Schon 1953 wurde Könecke mit dem Großen Verdienstkreuz beehrt, sozusagen als Auszeichnung für ungestrafte Verantwortungslosigkeit.

Es wird erkennbar, wie der Mehrheitsaktionär, also die Familie von Opel/Rüsselsheim, gierig auf immer höhere Dividenden drängte und nur dann mit dem NS-Regime auf Konfliktkurs ging, wenn da Einschränkungen drohten.

Primat der Politik oder wer beherrscht den Staat?

Es wird erkennbar, wie in Krieg und Kriegsvorbereitung keineswegs die Konkurrenz aufgehoben wurde zwischen den Monopolen der Rüstungsindustrie, zu denen Continental zweifellos gehörte, wenn auch gegenüber den IG Farben oder den Ruhrmagnaten eher ein Leichtgewicht. Wie sie um Patente, Produktionswissen, Marktanteil und Beute, um Zuteilung von Aufträgen und Rohstoffen feilschen und mit allen Tricks kämpfen – nicht zuletzt im Kautschuk-/Reifenkartell, das eine Kontinuität von mindestens den 1920er Jahren bis heute aufweist. Wie sie in dieser Auseinandersetzung die verschiedenen Instanzen des Staates in der Rüstungswirtschaft zu instrumentalisieren und auszuspielen suchen, das wird allerdings bei Erker eher als mehr oder weniger erzwungene Unterordnung unter den NS-Staat verbucht, ohne zu sagen von welchen Interessen dieser Staat wirklich dominiert wurde angesichts der Machtstellung der Monopole und Großbanken. Das resultiert daher, dass die Rolle der Großbanken bei Conti (und im Machtgefüge insgesamt) nur eher beiläufig vermerkt wird. Vor allem aber wird die Rolle der IG Farben (in der BRD dann als u.a. BASF, Bayer, Hoechst wiedererstanden) als das in der Kriegsplanung und -vorbereitung führende Monopol (Vierjahrplan 1936) hinter den vielfältigen staatlichen Stellen und denen der NS-Partei geradezu verniedlicht.

Erkers Buch steht exemplarisch für den Trend in der (west-)deutschen Geschichtswissenschaft von der Apologie der Konzerne und der Verharmlosung ihrer Rolle im Faschismus hin zur „Entdämonisierung der Unternehmen“ wie es von Werner Plumpe formuliert wurde.[6] Gemeinsame Grundlage beider Herangehensweisen bleibt das Beharren auf dem „Primat der Politik“, d.h. die Kapitalisten waren nicht in erster Linie die Initiatoren, Förderer und Nutznießer des Faschismus, sondern selbst Getriebene, Bevormundete und in ihren Handlungsspielräumen Beschnittene. Bezeichnend dabei, so auch in Erkers Buch, dass der Begriff „Faschismus“ sorgsam vermieden wird. Der bürgerlichen Historiker-Zunft steckt eben die Dimitroff Definition und die darauf fußenden Arbeiten der großen DDR-Historiker wie J. Kuczynski, Gossweiler, Eichholtz, Pätzold, Czichon u.a. noch tief in den Knochen.[7]

Und heute?

Für die heutigen Kämpfe nicht nur bei Continental wird deutlich, dass die Herren damals, und in ihrer Nachfolge auch Damen wie die heutige Großaktionärin Maria-Elisabeth Schäffler-Thumann und ihre Erben, in den Spuren des deutschen Imperialismus vor nichts zurückschrecken. Für den Profit werden nicht nur schwerste Arbeitsbedingungen, verpestete Luft, Rohstoffraubbau, Druck auf die Löhne, Entlassungen in Kauf genommen. Um das durchzusetzen wird – wenn der sozialpartnerschaftliche Betrug nicht mehr ausreicht, auch der Faschismus gefördert. Und um das durchzusetzen – wenn die Konkurrenten aus dem Ausland sich nicht freiwillig fügen – zum Krieg. Solche Zusammenhänge allerdings sind in Erkers Buch nicht zu finden, obwohl er reichhaltiges Material dazu liefert.

Richard Corell
Unser Autor ist Mitglied in der WAPE (World Association for Political Economy).
Dieser Artikel erschien gekürzt in jungeWelt vom 6. Januar 2021

Continental zu neuen Fronten

1998 Erwerb des Bereichs Automotive Brake and Chassis eines weltweit tätigen amerikanischen Unternehmens. Kern ist die Alfred Teves GmbH, Frankfurt.

2004 Übernahme der Phoenix AG. Durch die Zusammenführung von ContiTech und Phoenix entsteht der weltgrößte Spezialist für Kautschuk- und Kunststofftechnologie.

2007 Continental erwirbt die Siemens VDO Automotive AG und rückt damit unter die Top-Fünf der Automobilzulieferindustrie vor.

2009 Nach Vollzug des im Sommer 2008 veröffentlichten Übernahmeangebots wird die Schaeffler KG Großaktionär der Continental AG.

2011 Start der Fertigung von Elektromotoren am niedersächsischen Standort Gifhorn.

Zum 31. Dezember 2019 beschäftigt Continental mehr als 240.000 Mitarbeiter in 59 Ländern und Märkten. In der Zeit des Faschismus waren es im Höchststand rd. 16.000.

1 Paul Erker, Zulieferer für Hitlers Krieg. Der Continental-Konzern in der NS-Zeit, München/Berlin 2020, 867 S., 49,95 Euro. – Der Autor ist ein Fachkenner, der sich schon in seiner Habilschrift mit der deutschen und amerikanischen Reifenindustrie auseinandergesetzt hat. Erwähnenswert sind auch seine Firmenbiographien zu KraussMaffei, Bosch, Dachser, Jägermeister.

2 www.continental.com/de/unternehmen/geschichte/meilensteine 7.12.20

3 Hier zitiert Erker wenigstens einmal die „Niedersächsische Volksstimme“ (später „Die Wahrheit“) der KPD, die von einer „Entnazifizierungkomödie um den reaktionären Rüstungsfachmann“ spricht.

4 Kategorie IV etwa war „Mitläufer“, III „Minderbelastet“.

5 Wütender Antisemit, SS-Offizier, späterer Arbeit“geber“präsident, 1977 von der RAF entführt und ermordet im Wahn von der Wirksamkeit des individuellen Terrors.

6 Werner Plumpe, Unternehmen im Nationalsozialismus, in: Werner Abelshauser, Jan-Ottmar Hesse, Werner Plumpe (Hg.), Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Festschrift für Dietmar Petzina zum 65. Geburtstag. Essen 2004, S. 243-266; ders., Die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte des Nationalsozialismus. Überlegungen aus systemtheoretischer Perspektive, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2004/2, Märkte im vorindustriellen Europa, S. 241-245.

7 Andererseits wird an anderen Stellen wie selbstverständlich die Nazi-Sprachregelung übernommen wie bei „Fremdarbeiter“, „Betriebsführer“ und „Gefolgschaft“ u.a.

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