KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”
Am 23. Januar 2019 wendet sich Xi Jinping, Generalsekretär der Kommunistische Partei Chinas (KPC) und Staatspräsident, mit dieser Rede an die Parteimitglieder und fordert sie auf, „Meister“ in der Kenntnis und der Anwendung des dialektischen Materialismus zu werden, um die anstehenden Probleme in der gegenwärtig äußerst komplexen nationalen und internationalen Lage zu lösen. Der dialektische Materialismus wird hier als die philosophische und methodologische Grundlage für die KPC bestätigt. In dieser Anleitung stellt Xi vier Aspekte heraus, die besonders beachtet werden sollen.
1.) Die Materie bildet die Grundlage der Welt, von ihr ist auszugehen, auf sie ist zurückzukommen. „Die Wahrheit in den Tatsachen suchen“, lautet eine der Maximen der KPC. Es müssen unbedingt und ständig dialektisch-materialistische Analysen der sich fortwährend verändernden Realität vorgenommen werden.
2.) Widersprüche stecken in allen Dingen der Welt: sie verbinden sie und treiben sie an. Die einer Lösung harrenden Probleme müssen mit dem Konzept der Widersprüche analysiert werden, die Widersprüche müssen richtig und rechtzeitig erkannt werden, die Haupt- und Nebenfragen, ja sogar die Haupt- und Nebenaspekte dieser Fragen isoliert und gemäß der Zielsetzung gelöst werden.
3.) Dies erfordert von den Mitgliedern viel Mühe: sie müssen ihre dialektische Denkfähigkeit weiterentwickeln. Der metaphysischen Denkweise in Form von Dogmatismus u.a. muss entgegengetreten werden.
4.) Die Veränderung der gesellschaftlichen Realität durch die Praxis steht im Focus. Aber die Praxis benötigt die Theorie, damit sie nicht in die Irre geht. (So wie der Pfeil sein Ziel treffen soll und dabei doch die erfahrene Hand des Bogenschützen benötigt.) Man hat bereits viele Erkenntnisse aus der praktischen Arbeit zusammengetragen. Darauf soll man sich verlassen, und solche Erkenntnisse müssen in Wechselwirkung mit der Praxis weiter gewonnen werden. Der Marxismus chinesischer Prägung muss stetig weiter entwickelt werden.
Aus den Ausführungen Xis ist Folgendes zu erkennen:
Sie zeigen, dass die KPC eine marxistische Partei ist, die den dialektischen Materialismus kennt, studiert und propagiert. Was aber tausendmal wichtiger und wirklich erstaunlich ist: sie zeigen, dass der dialektische Materialismus nicht als heilig gesprochenes Theoriegebäude in einen Schrein eingeschlossen wird, sondern dass er angewandt wird und zwar als die problemlösende Methode überhaupt, tagtäglich und durchgängig, dass er zur staatseigenen Methode der Erkenntnisgewinnung geworden ist. Die Mitglieder der KPC werden von ihrem Vorsitzenden angeleitet, mit dem dialektischen Materialismus die Gegenwartsfragen ständig neu zu untersuchen. (Haben Marx und Lenin zu ihrer Zeit nicht genau das gleiche getan – Untersuchungen angestellt und Lehren daraus gezogen?) Die KPC unterscheidet sich damit von Dogmatikern, die nur ständig die Lehren der Klassiker hochhalten, ohne selbst auf der Höhe der Zeit zu sein.
Aus den Ausführungen wird zudem deutlich, wie ungeheuer komplex (auch aufgrund der Globalisierung) die Widersprüche geworden sind und welche höchsten Anforderungen sie an die Regierungskunst stellen. (Nicht umsonst heißt der Titel der Werke von Xi „China regieren“.) Die heutigen Politiker, insbesondere der großen Länder, wandern auf einem schmalen Grat: Hier einen Widerspruch zu übersehen oder falsch zu bestimmen, kann gravierende Folgen haben. Der Artikel macht zuversichtlich, dass die chinesischen Kommunisten die Widersprüche der Zeit besser lösen werden als andere Staaten, eben weil sie systematisch den dialektischen Materialismus, welcher die bessere, fortschrittlichere Ideologie und Methode ist, anwenden mit dem Ziel, das Wohl des Volkes zu mehren.
Sie zeigen nicht zuletzt, dass überall da, wo kommunistische Praxis betrieben wird, auch die marxistische Theorie sich weiterentwickelt, entwickeln muss – alles andere wäre undialektisch.
Dieser Aufsatz macht uns nicht nur vertrauter damit, wie die KPC in ihrem Innern funktioniert und in welcher Tradition sie steht, er könnte auch gut Konsequenzen haben für die Praxis der deutschen Kommunisten. Das sollte diskutiert werden – und gäbe zugleich ein gutes Beispiel für die Wechselwirkung von Theorie und Praxis.
S. Alt
Aus der englischen Ausgabe des Qiushi Journal, Januar-März 2019; Vol. 11, Nr. 1, Ausgabe Nr. 38
Der dialektische Materialismus ist die Weltanschauung und die Methode der chinesischen Kommunisten. Mao Zedong sagte einst, dass der Marxismus aus mehreren Wissensgebieten bestünde, die Grundlage aber bilde die Marxistische Philosophie. In seinen Schriften, die er in den Jahren der revolutionären Bürgerkriege verfasste, wie Gegen die Buchgläubigkeit, Über die Praxis und Über den Widerspruch, und in jenen aus der Periode des sozialistischen Aufbaus einschließlich Über die zehn großen Beziehungen und Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk wandte Mao klug die Weltanschauung und die Methode des dialektischen Materialismus an, fügte der marxistischen Philosophie besondere chinesische Merkmale hinzu und gab unserer Partei ein leuchtendes Beispiel, wie der dialektische Materialismus zu verstehen und anzuwenden ist.
Deng Xiaoping war äußerst geschickt im Lösen praktischer Probleme durch die Anwendung des dialektischen Materialismus. Er betonte nachdrücklich, dass wir für die grundsätzlichen Probleme im ersten Stadium des Sozialismus Verständnis entwickeln und als unsere zentrale Aufgabe die wirtschaftliche Entwicklung stets hochhalten müssen; dass wir unsere Arbeit mittels beständiger Versuche verfeinern und uns an die „Drei Nützlichkeiten“ halten müssen (nämlich zu entscheiden, ob das, was wir tun, dem Wachstum der Produktivkräfte in einer sozialistischen Gesellschaft, der Zunahme der Gesamtstärke des sozialistischen Staates und der Hebung des Lebensstandards des Volkes nützt); dass wir gleichen Wert auf den materiellen wie den kulturellen und moralischen Fortschritt legen müssen, „den Fluss zu überqueren durch das Tasten nach den Steinen“[1] und die Beziehung zwischen wirtschaftlicher Planung und Markt zum Ausgleich bringen müssen und derweil einigen Leuten erlauben, zuerst reich zu werden, aber sicher stellen, dass jedermann Wohlstand erreicht. Jiang Zemin führte aus, dass „man ohne die Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus keine korrekte Haltung oder keinen vernünftigen Standpunkt einnehmen kann, um komplexe objektive Dinge zu verstehen oder die Gesetze, die deren Entwicklung bestimmen, zu erfassen“. Dem hinzufügend hat Hu Jintao geäußert, dass „die Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus das fundamentalste theoretische Element des Marxismus bildet“. Wir müssen unbedingt die marxistische Philosophie studieren und verstehen, so dass wir unsere Fähigkeit, die fundamentalen Probleme im neuen Zeitalter zu lösen, verbessern können.
Um das Volk bei der Verwirklichung der zwei Jahrhundertziele[2] und des chinesischen Traums von der nationalen Wiedergeburt zu vereinen und zu führen, muss sich unsere Partei weiterhin die Weisheit der marxistischen Philosophie zu eigen machen und bewusster die Weltanschauung und die Methodik des dialektischen Materialismus wahren und anwenden. Zur gleichen Zeit, während unserer praktischen Arbeit, müssen wir das Verhältnis zwischen Erscheinung und Wesen besser ausbalancieren, zwischen Form und Inhalt, Ursache und Wirkung, Zufall und Notwendigkeit, Möglichkeit und Wirklichkeit, innerer und äußerer Ursache sowie Allgemeinem und Besonderen. Wenn wir das tun, werden wir fähig sein, unser Vermögen, dialektisch und strategisch zu denken, voran zu bringen und in allen Sphären unserer Arbeit noch mehr Erfolge zu erzielen.
Im Lichte von Chinas Gegebenheiten und den Umständen der gegenwärtigen Ära sollten wir uns in unserem Studium und in der Anwendung der Weltanschauung und der Methodik des dialektischen Materialismus auf die folgenden Probleme konzentrieren.
Erstens müssen wir das Prinzip studieren und begreifen, dass die Welt auf der Basis von Materie eine Einheit bildet und dass die Materie das Bewusstsein bestimmt, und wir müssen fortfahren, in Übereinstimmung mit der objektiven Realität Richtlinien zu formulieren und Initiativen voran zu treiben.
Das Prinzip der materiellen Einheit der Welt stellt den grundlegendsten und innersten Gesichtspunkt des dialektischen Materialismus dar und ist der Eckstein der marxistischen Philosophie. Friedrich Engels führte aus: „Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen nicht durch ein paar Taschenspielerphrasen, sondern durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft“.[3] Um diesen Sichtweise zu wahren, ist es am wichtigsten, dass wir immer von der objektiven Realität ausgehen anstatt von subjektiven Wunschvorstellungen.
Was ist die wichtigste objektive Realität des heutigen China? Es ist die folgende: Unser Land befindet sich noch im ersten Stadium des Sozialismus und wird noch für lange Zeit darin weilen. Dies bildet die objektive Grundlage zum Verständnis der Gegenwart, zur Planung der Zukunft, für die Formulierung unserer Richtlinien und um unsere Unternehmungen voran zu bringen. Wir dürfen dieses Fundament nicht verlassen, sonst werden wir Fehler machen, vielleicht sogar verheerende. Die meisten unserer Parteimitglieder sind sich dieser Tatsache bewusst, jedoch werden einige konfus, wenn sie vor bestimmten Problemen stehen, dabei ziehen sie sich in subjektives Denken zurück und werden manchmal sogar hitzköpfig und lassen sich von ihren Einbildungen mitziehen. Einige neigen dazu, in ihrer Entscheidungsfindung und Meinungsbildung impulsiv zu werden, erweitern Industrien und starten Projekte blindlings oder setzen sich unrealistisch hohe Ziele. Das kann nur zu einer Vergeudung von Ressourcen und Aufwand führen und verursacht uns mehr Verluste als Gewinne. Warum kommt es zu solchen Problemen, und warum sogar wiederholt? Wenn man sich diese unter dem Aspekt der Denkweise ansieht, dann lautet die Antwort, dass versäumt wird, von der Realität als Basis auszugehen.
Selbstverständlich ist die objektive Realität nichts Festes, vielmehr entwickelt und verändert sie sich die ganze Zeit. Veränderung ist ja die natürlichste Sache in der Welt. Um von der Realität als Basis auszugehen, müssen wir uns nicht nur der Tatsache bewusst sein, dass der grundlegendste nationale Umstand Chinas unverändert bleibt, nämlich ein Land zu sein, dass sich noch im ersten Stadium des Sozialismus befindet, sondern wir müssen uns auch klar darüber sein, welche neuen Eigenheiten in jeder Phase der ökonomischen und sozialen Entwicklung Chinas aufkommen. So wie Chinas Produktivkräfte, nationale Stärke und der Lebensstandard seines Volkes historische Schritte vorwärts gemacht haben und so wie sich das Wesentliche in den grundlegenden nationalen Bedingungen Chinas beständig verlagert, so kommt es auch zu wichtigen Veränderungen in Bezug auf inländische und internationale Risiken und auf die komplexen Probleme, denen wir gegenüber stehen. Einige Probleme, die uns in der Vergangenheit verfolgten, gibt es nicht mehr, aber ständig tauchen neue auf, vielen davon war man vorher noch nicht begegnet oder hatte sich nicht damit beschäftigt. Wenn wir uns an der Auffassung über Chinas Realitäten, wie sie in der Vergangenheit bestand, ohne Korrektur festklammern, werden wir es schwer haben voran zu kommen. Wir müssen genau die Veränderungen im inländischen und internationalen Umfeld verstehen, dialektische Analysen der Besonderheiten der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas entsprechend seiner Entwicklungsstufe vornehmen, korrekt die neuen Veränderungen und neuen Eigenheiten in den verschiedenen Etappen der Entwicklung Chinas bestimmen, unsere subjektive Welt mit der objektiven Realität in Einklang und unsere Arbeitsprinzipien auf eine Linie mit der Realität bringen – dies sind die Arbeitsmethoden, die wir unbeirrt im Sinn haben müssen.
Obgleich der dialektische Materialismus betont, dass die Einheit der Welt in ihrer Materialität besteht, so sei auch darauf hingewiesen, dass man die Wirkung des Bewusstseins auf die materiellen Dinge nicht leugnen soll. Es wird sogar angenommen, dass diese Wirkung manchmal ganz immens sein kann. Unsere Partei legt Wert darauf, dass die Ideale und Überzeugungen unserer Mitglieder das Wesentliche ihrer Gesinnung ausmachen und dass „unsere revolutionären Ideale sich über die Wolken erheben“, was die Dialektik der gegenseitigen Umwandlung zwischen dem Geistigen und Materiellen zeigt. Wenn unsere Parteimitglieder und Funktionäre fest zu ihren Idealen und Überzeugungen stehen und eine hohe Moral in ihren Aktivitäten und Initiativen beibehalten und wenn unser Volk gehobener Stimmung und entschlossen ist, dann werden wir sicher viele Wunder vollbringen. Umgekehrt, wenn unsere Parteimitglieder und Funktionäre in ihren Idealen und Absichten schwankten oder schwach würden und unser Volk kleingeistig wäre mit bloßem Streben nach Bequemlichkeit und Komfort, dann würden wir darin versagen, auch nur eine einzige unserer Aufgaben zu erfüllen. Deswegen müssen wir weiterhin Ideale und Überzeugungen lehren, Sittlichkeit und Rücksicht entwickeln, ideologische Arbeit leisten und bestrebt sein, die innersten zentralen sozialistischen Werte zu pflegen und zu fördern, um den chinesischen Geist, bereichert um Wesentliches der Epoche, zu nutzen, um Chinas Stärke zu festigen.
Zweitens müssen wir das grundlegende Prinzip von der Bewegung der Gegensätze in allen Dingen studieren und verstehen, beharrlich unser Problembewusstsein schärfen und uns auf unserem Weg voran aktiv den Widersprüchen stellen und diese lösen.
Das chinesische Volk ist schon seit langem mit dem Konzept der Widersprüche vertraut, wie sich in der Feststellung ausdrückt, dass „Yin und Yang das Tao ausmachen“. Widersprüche existieren überall; sie machen die innere Substanz der Beziehungen zwischen allen Dingen und die fundamentale Triebkraft hinter der Entwicklung aller Dinge aus. Auf einer grundlegenden Ebene sind die theoretischen und praktischen Aktivitäten der Menschen Prozesse andauernden Bemühens, Widersprüche zu verstehen und zu lösen.
Probleme sind ein Ausdruck der Widersprüche zwischen Dingen. Dadurch dass wir die Stärkung des Problembewusstseins und die Wahrung eines problemorientierten Ansatzes betonen, erkennen wir die Universalität und Objektivität der Widersprüche an, und wir müssen Meister werden im Verständnis und der Lösung von Widersprüchen, um Durchbrüche in unserer Arbeit zu erzielen. Gegenwärtig ist China in eine kritische Entwicklungsstufe eingetreten, in ein herausforderndes Stadium der Reform und in eine Periode, in der die Probleme zunehmend markanter werden. Die Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, sind komplexer als je zuvor; nicht nur, dass wir es mit einer lang andauernden Anhäufung von Problemen zu tun haben, wir müssen uns auch neuen Problemen zuwenden, die entstanden sind, als wir die alten lösten. Die meisten Probleme jedoch treten zum ersten Mal zusammen mit den Veränderungen auf, die sich insgesamt für die Verhältnisse in China und seiner Umwelt ergeben haben. In der gegenwärtigen Entwicklungsstufe ist das Auftauchen vieler dieser Probleme unvermeidlich, sie können nicht vermieden oder umgangen werden.
Die Bemühungen unserer Partei, das Volk bei der Durchführung der Revolution, der ökonomischen Entwicklung und der Reforminitiativen zu leiten, zielten immer darauf, Chinas praktische Probleme zu lösen. Wenn wir vor den Herausforderungen die Augen schließen oder sogar ihnen ausweichen oder sie verschleiern; wenn wir Angst haben, angesichts der Herausforderungen Fortschritte zu machen und dasitzen und den Übelständen bei ihrer Entfaltung zuschauen, dann werden sie außer Kontrolle geraten und irreparablen Schaden anrichten. Wie das Sprichwort sagt: „Eine Ameisenkolonie kann einen 1.000 Zhang[4] langen Damm brechen, ein Riss im Kamin kann den Brand eines 100 Chi[5] hohen Hauses verursachen“. Plötzliche qualitative Wechsel finden statt, wenn die Probleme bis zu einem gewissen Ausmaß anwachsen. Die korrekte Haltung ihnen gegenüber ist, sie direkt anzugehen, ihre sich gegenseitig stützende Natur auszunutzen und während des Lösungsprozesses die Entwicklung der Dinge voranzutreiben.
Während des 18. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 2012 betonten wir, dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nicht länger als das einzige Kriterium bei der Auswertung der ökonomischen Leistung angesehen werden soll. Stattdessen riefen wir zu Anstrengungen auf, die Transformation der Art und Weise des ökonomischen Wachstums Chinas und die Rekonstruktion der Wirtschaft zu beschleunigen, Überkapazitäten zu vermeiden, verständnisvoll die Reform zu vertiefen, eine auf Gesetzen beruhende Regierungsführung voranzubringen, die Entwicklung einer ökologischen Zivilisation zu fördern und so weiter. Diese Bemühungen haben alle zum Ziel, die tief verwurzelten Probleme, die einen weitverbreiteten Einfluss haben und eng miteinander zusammenhängen, zu lösen. Wenn wir uns den Herausforderungen nicht stellen und unsere Initiativen nicht den Umständen anpassen, wenn wir uns keinen Weg vorwärts bahnen und die Hindernisse vor uns nicht überwinden, dann werden die Probleme sich fortwährend anhäufen und sich möglicherweise in eine weniger günstige Richtung bewegen, eventuell werden sie zu einem destabilisierenden Faktor oder sogar zu einer Zeitbombe.
Um aktiv Probleme anzugehen und zu lösen, ist es notwendig, dass wir die Beziehungen zwischen Haupt- und Nebenfragen und zwischen den Haupt- und Nebengesichtspunkten der Fragen abwägen. Wie das Sprichwort sagt: „Wenn wir die allgemeinen Prinzipien begreifen, dann passt alles zusammen; wenn wir das Problem bei der Wurzel packen, dann klären sich die kleineren Details von selbst.“ Angesichts der komplexen Zustände und mühseligen Aufgaben ist das erste, was zu tun ist, eine Bestandsaufnahme des Gesamtbildes durchzuführen und ein klares Verständnis der verschiedenen Widersprüche zu erlangen. Zur gleichen Zeit sollten wir der Lösung der hauptsächlichen Herausforderungen und deren hauptsächlichen Aspekten Priorität einräumen in dem Bestreben, die Lösung anderer Probleme zu erleichtern. Seit dem 18. Parteitag der KPC haben wir uns zu umfassenden Maßnahmen verpflichtet, eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand in jeder Beziehung zu erreichen, die Reform zu fördern, Rechtsstaatlichkeit voranzubringen und die Parteidisziplin zu stärken. Diese „Vier Umfassenden Handlungen“ gehen die Hauptprobleme an, die zur Zeit auf Partei und Land einwirken. Bei der Implementierung dieser Strategie sollten wir uns um zweierlei kümmern, um die allgemeine Planung und die speziellen, heiklen Probleme. Zum Beispiel haben wir einen Gesamtplan formuliert, um eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand in jeder Beziehung zu erreichen, während wir gleichzeitig hervorheben, dass das Maß für bescheidenen Wohlstand in den ländlichen Gebieten liegt; wir haben einen Plan auf höchster Stufe für die Förderung der Reform entworfen, während wir gleichzeitig gezielte Reformen in Schlüsselbereichen und deren Verknüpfungen vorantreiben; wir haben systematische Pläne entworfen, um die Rechtsstaatlichkeit voran zu bringen, während wir gleichzeitig auf ein sozialistisches rechtsstaatliches System chinesischer Prägung Wert legen; wir haben uns verpflichtet, die Parteidisziplin zu stärken, während wir gleichzeitig das Parteiverhalten verbessern, um integer zu bleiben und uns zu bemühen, die „Vier Formen der Dekadenz“ zu eliminieren, die so stark von der Öffentlichkeit abgelehnt werden, nämlich Formalismus, ausufernde Bürokratie, Hedonismus[6] und Extravaganz, um sicherzustellen, dass die Kader es nicht wagen, nicht fähig sind und nicht wünschen, korrupt zu sein. In jedem Aspekt unserer Arbeit sollten wir die großen wie die kleinen Probleme angehen und die großen wie die kleinen Aspekte eines Problems, während wir die großen Probleme und die großen Aspekte ins Zentrum stellen. Unterschiedliche Probleme können nicht durch undifferenzierte Maßnahmen gelöst werden.
Drittens müssen wir die fundamentale Methode des dialektischen Materialismus studieren und verstehen, laufend unsere Fähigkeit erweitern, die dialektische Denkweise anzuwenden, und unsere Fähigkeit verbessern, mit komplexen Situationen und Problemen umzugehen.
„Die korrekte Methode ist die Grundvoraussetzung für Erfolg in allen Unternehmungen“, und umso weiter sich unsere Vorhaben entwickeln, umso mehr müssen wir unsere dialektische Denkfähigkeit steigern. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Interessen in der chinesischen Gesellschaft sind gegenwärtig enorm kompliziert. Sie erfordern von uns, sorgfältig die lokalen mit den Gesamterfordernissen, die kurz- mit den langfristigen Erwägungen, die Schlüssel- mit den allgemeinen Angelegenheiten abzustimmen im Bestreben, die beste strategische Wahl zu treffen unter Abwägung der Für und Wider. Während wir umfassend die Reform vertiefen, sollten unsere Bemühungen systematisch, ganzheitlich und koordiniert statt planlos sein. Beim Vorwärtstreiben der Reform sollten wir zugleich die Interessen und Erfordernisse der verschiedenen Regionen, Industrien und Gruppen vollständig in unsere Überlegungen miteinbeziehen und sorgfältig die Annäherungs- und Übereinstimmungspunkte der verschieden Interessen festlegen, so dass die Früchte der Reform allen Menschen umfassender und gerechter zugute kommen.
Beim Studieren und Anwenden der materialistischen Dialektik sollten wir der metaphysischen Denkweise entgegentreten. Unsere Vorfahren, die dies vor langer Zeit schon verstanden haben, erfanden viele Parabeln, um das Metaphysische zu kritisieren und zu verspotten. Beispiele dafür sind der blinde Mann, der versucht, die Größe eines Elefanten zu bestimmen und einen einzelnen Teil für das Ganze hält; der Mann vom Staate Zheng, der beim Kauf von Schuhen der Maßangabe mehr traute als seinen eigenen Füßen[7]; das begrenzte Blickfeld eines Frosches bei der Beobachtung des Himmels vom Grund eines Brunnens aus; der Mann, der seine Ohren zuhielt, als er eine Glocke stahl[8]; zu versuchen, den Setzlingen beim Wachsen nachzuhelfen, indem man sie in die Höhe zieht; jemandem die Füße zu kürzen, um die Schuhe passend zu machen; oder eine Schlange zu zeichnen und unnötigerweise Füße hinzuzufügen. Von allen Dingen in der Welt erfordert Metaphysik am wenigsten Anstrengung; Menschen können so viel Unsinn reden wie sie möchten, da sich ihr Gerede weder auf die objektive Realität stützt noch sich ihrer Überprüfung unterzieht. Sich an die materialistische Dialektik zu halten – das erfordert im Gegensatz dazu ein hohes Maß ernsthafter Anstrengung. Einerseits sollten wir unsere Untersuchungen und Forschungen verstärken, um genau die objektive Realität zu verstehen und wahrheitsgemäß die objektiven Gesetze zu erfassen. Andererseits sollten wir fortfahren, die Dinge dynamisch, nicht statisch, als Ganzes, nicht eindimensional, systematisch, nicht bruchstückhaft; und in Beziehungen stehend, nicht getrennt zu betrachten mit der Absicht, mehrere große Beziehungen angemessen zu behandeln. Alle subjektivistischen, formalistischen, mechanistischen, dogmatischen und empiristischen Auffassungen sind metaphysische Denkweisen und können keine positiven Resultate in der Praxis hervorbringen.
Viertens müssen wir das Prinzip der dialektischen Beziehung zwischen Erkenntnis und Praxis studieren und verstehen, die Praxis an erste Stelle setzen und fortfahren, theoretische Erneuerungen auf der Basis der Praxis voran zu treiben.
Der Focus auf die Praxis ist der Kern der marxistischen Philosophie; die Praxis bestimmt die Erkenntnis und ist sowohl Quelle wie Triebkraft und auch Ziel und letzter Zweck der Erkenntnis. Die Erkenntnis erzeugt eine Wirkung auf die Praxis – korrekte Erkenntnis fördert korrekte Praxis, während irrige Erkenntnis zu irriger Praxis führt. Die Integration von Erkenntnis und Praxis war auch ein wichtiges Thema für die alten chinesischen Philosophen. Xunzi[9] sagte zum Beispiel: „Nicht davon gehört zu haben ist nicht so gut wie davon gehört zu haben. Davon gehört zu haben ist nicht so gut wie es gesehen zu haben. Es gesehen zu haben ist nicht so gut wie es zu kennen. Es zu kennen ist nicht so gut wie es anzuwenden.“ Liu Xiang[10] zur Zeit der Westlichen Han-Dynastie bemerkte: „Mit Ohren zu hören ist nicht so gut wie mit Augen zu sehen. Mit Augen zu sehen ist nicht so gut wie mit Füßen zu betreten. Mit Füßen zu betreten ist nicht so gut wie mit Händen zu berühren.“ Lu You[11] in der Zeit der Song Dynastie legte dar, dass „Wissen aus Büchern zu erwerben bei weitem nicht genügt; nur durch die Praxis gelingt es uns, ein tieferes Verständnis zu gewinnen“. Wang Fuzhi[12] in der Zeit der Ming Dynastie äußerte die Bemerkung, dass „Wissen und Praxis sich gegenseitig verstärken, damit sie einen positiven Effekt ausüben“. Der grundsätzliche Weg, um unsere Unternehmungen voranzubringen, ist, dass wir uns auf die Erkenntnisse verlassen, die wir aus der Praxis gewonnen haben.
Unsere Partei misst der theoretischen Arbeit immer Bedeutung bei und betont, dass die Theorie mit der Praxis übereinstimmen muss. Sobald sich die Theorie von der Praxis getrennt hat, wird sie sich in ein starres Dogma wandeln, welches keinen Schwung und keine Vitalität mehr besitzt. Praxis ohne die Führung durch eine korrekte Theorie ist wie „ein blinder Mann auf einem blinden Pferd, die sich einem tiefen See um Mitternacht nähern“. Je tiefer die Theorie die objektiven Gesetze enthüllt, umso bedeutsamer wird ihre führende Rolle bei der Anleitung der sozialen Entwicklung und Reform. Bei der Wahrung und Weiterentwicklung des chinesischen Sozialismus müssen wir der Rolle der Theorie große Wichtigkeit beimessen, das Vertrauen in unsere Theorien stärken und unsere strategische Entschlossenheit festigen. Was die korrekten Theorien betrifft, die auf der Grundlage von wiederholter Praxis und wiederholten Vergleichs gewonnen wurden: wir müssen sie fest hochhalten ohne Wankelmut oder Zögern.
Ebenso wie die Praxis keine Grenzen kennt, so gibt es keine Beschränkungen für die theoretischen Erneuerungen. Wenn die Unternehmungen der Partei und des Volkes ohne Unterbrechung weitergehen sollen, dann müssen wir zuerst die Theorie weiter entwickeln. Im Einklang mit dem Wandel unserer Zeit und der praktischen Entwicklung müssen wir laufend unser Verständnis vertiefen, auf unsere Erfahrungen in der Vergangenheit zurück greifen und theoretische Neuerungen erreichen. Wir müssen die dialektische Einheit zwischen theoretischer Führung und praktischer Untersuchung hochhalten und eine positive Wechselwirkung zwischen theoretischer und praktischer Erneuerung ermöglichen, im Bemühen, den Marxismus chinesischer Prägung im 21. Jahrhundert auf der Basis dieser Einheit und Wechselwirkung zu entwickeln.
Dies ist eine Rede auf der 20. Studiengruppensitzung des Politbüros des 18. ZK der KPC am 23. Januar 2015.
(Ursprünglich erschienen in Qiushi Journal, chinesische Ausgabe, Nr. 1, 2019)
Fußnoten vom Übersetzer
1 „Muo zhe shitou, guo he.” Wenn du den Fluss überqueren willst, taste Schritt für Schritt die Steine.
2 „So soll bis 2021, dem ersten Jubiläumsjahr, der Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand realisiert werden – ein langfristiges Ziel, das bereits auf dem 16. Parteitag der KP Chinas erörtert worden war. Die Verwirklichung des ersten „Hundert-Jahre-Ziels“ bildet die Voraussetzung und Grundlage für das zweite Jahrhundertziel, die Volksrepublik China bis zu ihrem 100. Gründungsjubiläum im Jahr 2049 zu einem modernen sozialistischen Land zu entwickeln – wohlhabend, stark, demokratisch, kultiviert und harmonisch.“ (german.china.org.cn/china/archive/lianghui2016/2016-03/09/content_37979717_2.htm – Einfügung Corell)
3 Anti-Dühring, MEW 20, S. 41
4 1 zhang = ~ 3,33 m
5 1 chi= 33,3 cm
6 Maß- und Zügellosigkeit
7 „Der Schuhkauf“, von Han Feizi, ca. 280 – 233 v.u.Z.
8 „Der Glockendieb“, Lü Buwei, ? – 235 v.u.Z
9 Xunzi, 4. oder 3. Jh v.u.Z.
10 Liu Xiang, 77-6 v.u.Z
11 Lu You, 1125-1210
12 Wang Fuzhi, 1619-1692
Am 9. Mai 2018 wurde ein ausländisches Publikum von der Buchwand von mehr als 500 „Kommunistischen Manifesten“ angezogen, die von verschiedenen Ländern in Pekings „Die Macht der Wahrheit – Die Themenausstellung zum Gedenken an den 200. Jahrestag von Marx` Geburt“ veröffentlicht wurden. (Foto der chinesischen Nachrichtenagentur Jia Tianyong)
Auf dem 19. Parteitag im Oktober 2017 vertraten 2830 Delegierte rd. 89 Millionen Parteimitglieder (zur Erinnerung: Die BRD hatte 2019 rd. 83 Millionen Einwohner). Hier ein Bild aus der „Halle des Volkes“ in Beijing.
Im Band 2 der Ausgewählten Werke von Mao Tse-tung befinden sich die zentralen Schriften „Über den Widerspruch“ und „Über die Praxis“, die ein wichtiger Beitrag gegen die Dogmatisierung des dialektischen Materialismus sind. Sie haben die KP Chinas befähigt, in Widersprüchen zu denken, mit Widersprüchen zu leben und sie beim Handeln zu bedenken. Die deutsche Erstausgabe der Ausgewählten Werke besorgte im Übrigen die DDR; sie erschien 1956 im Dietz Verlag.
China kann Feste feiern! Hier eine Formation der Frauenmiliz auf der Parade zum 70. Geburtstag der Volksrepublik auf dem Tian`anmen-Platz in Beijing. Zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei wird die Überwindung der Pandemie gefeiert werden, die Überwindung der Armut und der Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand. Dann wird ins Visier genommen: der „Aufbau eines modernen sozialistischen Landes“