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KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”

Digitale Souveränität: Kipp-Element der Allgemeinen Krise des Kapitalismus?

Im vorläufig abschließenden Teil unserer Artikelfolge zur gegenwärtigen Produktivkraftentwicklung unter dem Stichwort ‚Digitale Souveränität‘ verschaffen wir uns einen Überblick über unseren Diskussionsstand, den wir zunächst an Hand unserer Artikel in der KAZ verfolgen um dann zum Stand der Untersuchung der aufgeworfenen Fragen zu kommen:

Wir eröffneten die Diskussion in KAZ 352 mit der Argumentation, der Begriff der ‚Allgemeinen Krise’ sei zu Unrecht beiseitegelegt worden. Er sollte, wenn auch kritisch, wieder genutzt werden. Es geht dabei um die konkrete Bestimmung der gegenwärtigen Entwicklung im staatsmonopolistischen Kapitalismus, um das Verhältnis der Entwicklung der Produktivkräfte zu den Produktionsverhältnissen und damit zum Stand des Klassenkampfs.

In der KAZ 356 fragten wir, ob die gegenwärtige schubweise Entwicklung der Produktivkräfte – die Digitalisierung – nur eine Erweiterung bestehender Technik ist oder ein neuer Abschnitt des Kapitalismus auf Grundlage der industriellen Revolution, wie sie Marx im ‚Kapital‘ bis hin zur großen Maschinerie und dem Maschinensystem analysiert.

Mit der Digitalisierung als Entwicklung der Destruktivkraft setzten wir uns in der KAZ 371 auseinander mit Blick auf die deutsch-französischen Rüstungspläne mit der staatsmonopolistischen EU-Cloud-Partnership im Hintergrund.

Mit diesem Diskussionsstand stiegen wir mit KAZ 375 ein in die Frage nach der ‚digitalen Souveränität‘ des deutschen Imperialismus, die nach ihrem Klasseninhalt nur eines sein kann: Souveränität zum dritten Anlauf zur Neuaufteilung der Welt.

Den Klasseninhalt der ‚Digitalisierung‘ versuchten wir in KAZ 376 greifbar zu machen als ‚Denkzeugmaschine‘ analog der Werkzeugmaschine, auf die Marx die industrielle Revolution zurückführt. Damit wird die Frage nach der Industrialisierung der Kopfarbeit gestellt. Die einfache Skalierbarkeit digitaler Prozesse beschleunigt die Kapitalkonzentration, die Lenin als ökonomisches Wesen des Imperialismus aufgezeigte.

In KAZ 378 betrachteten wir das technische Kernstück der ‚Denkzeugmaschine‘, den Mikroprozessor oder ‚Microchip‘. Chips können in Rechnerkombinationen zusammen mit dem Internet über eine ‚Cloud‘ ein System digitaler Infrastruktur bilden. Damit kann die Auswertung von Datenmassen als ‚Künstliche Intelligenz‘ automatisiert und industrialisiert werden. Quantencomputer können möglicherweise die bisherigen Grenzen der Rechenleistung überwinden.

Die KAZ 382 ging auf die Kapitalmassen ein, die nötig sind, um diese Systeme digitaler Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die analog Marx als ‚Maschinensystem‘ der Kopfarbeit charakterisiert werden können. Diese Kapitalmassen und die Technik dazu konzentrieren sich bei wenigen chinesischen Unternehmen und den ‚Big 5‘ der USA.

In KAZ 383 zeigten wir, dass dieses digitale ‚Maschinensystem‘ abhängig ist vom Internet, das weltweit über Kabel oder Satelliten funktioniert. Es wird kontrolliert von einer überschaubaren Anzahl von Monopolen, die weltweit agieren, aber keinesfalls außerhalb des nationalen und internationalen Rechts. Die ‚digitale Souveränität‘ stellt sich also als Frage des Verhältnisses zwischen den Monopolen und den Nationalstaaten im gegenwärtigen Stand des Imperialismus.

Wo stehen wir in der Digitalisierung?

Was ist nun der Diskussionsstand zu den aufgeworfenen Fragen?

Wir meinen, die ‚Digitalisierung‘ kann als neue Stufe der Industriellen Revolution[1] gekennzeichnet werden. Zur Charakterisierung der Entwicklung kann ein Begriff aus der Naturwissenschaft nützlich sein: Kippelement: Damit werden Elemente bezeichnet, deren qualitativer Umschlag durch quantitative Entwicklung einzelner Elemente Rückkopplungen in Gang setzt, die Änderungen in anderen – hier gesellschaftlichen – Subsystemen hervorrufen und so Kaskadeneffekte auslösen. Die immer noch exponentielle Entwicklung der Rechenleistung der Computer durch leistungsfähigere Mikroprozessoren und eventuell durch Quantentechnik, sowie des Mobilfunks der neuen 5. und 6. Generationen zusammen mit der Entwicklung des Internets und Massendatennutzung über Clouds erlauben umfangreichere Einsätze im Bereich der KI, der automatisierten Kopfarbeit. Das wird absehbar zu einer Industrialisierung der Kopfarbeit führen.

Diese Entwicklungen sind dabei, zu Maschinensystemen der Kopfarbeit zusammenzuwachsen und damit Änderungen in der gesamten Reproduktion des materiellen Lebens auszulösen. Damit geraten auch die Eigentumsverhältnisse und damit die Klassenverhältnisse in Bewegung.

Auf der Seite des Kapitals zeigt sich bereits eine neue Dimension der Kapitalkonzentration. Das erforderliche Mindestkapital zur Entwicklung der ‚Clouds‘ als Basisinfrastruktur weiterer Entwicklungen scheint in der Größenordnung von einer Billion -1.000 Milliarden – US-Dollar zu liegen. Die Zentren der Netzwerke zur Mobilisierung dieser Kapitalmassen liegen nicht mehr bei den Großbanken des vergangenen Jahrhunderts, sondern haben sich in den USA mit den ‚Big 5‘ entwickelt, in der VR China mit den entsprechenden Unternehmen unter Kontrolle des Staates. Hier stehen sich eine neue Finanzoligarchie und ein Land, das um den Sozialismus kämpft gegenüber.

Die Produktivkraftentwicklung ist zu einem entscheidenden Feld des Klassenkampfs im Weltmaßstab geworden zwischen den Kräften, die um den Aufbau des Sozialismus kämpfen und denen, die dagegen kämpfen, d.h. um den Erhalt von Kapitalismus bzw. Imperialismus.

Auf der Seite der Arbeit wird die Kopfarbeit weiter proletarisiert. Tätigkeiten der Kopfarbeit werden bereits jetzt manufakturartig zerlegt und dann vom System der ‚Denkzeugmaschinen‘ übernommen. Die Virtuosität der Kopfarbeiter, zum Beispiel von Journalisten, Grafikern, Buchhaltern, Programmierern, auch von Ingenieuren und Managern geht auf die Maschine über. Auch der Kopfarbeiter wird Anhängsel der Maschine.

Digitalisierung: neue Stufe der Vergesellschaftung der Arbeit

Die ‚Digitalisierung‘ hat, von den USA ausgehend, nach den Gesetzen des imperialistischen Weltmarkts auch die Vergesellschaftung der Arbeit auf eine neue Stufe gehoben. Schon bei der komplexen, fehleranfälligen und enorm kapitalintensiven Herstellung der Mikroprozessoren werden die technischen Stufen der Produktion weltweit getrennt. Entwicklung, Design, Konstruktion, Herstellung und Prüfung, sowie die ‚Packung‘ genannte Kombination zu größeren Einheiten und die Montage der Chips finden weltweit verteilt statt. Die Arbeitsteilung organisierte sich zunächst im Wesentlichen nach den Gesetzmäßigkeiten der maximalen Rendite, wie wir ausführlicher in der KAZ 378 ausgeführt haben. Zunehmend spielen dabei aber geopolitische Gesichtspunkte aus Sicht der jeweiligen ‚digitalen Souveränitäten‘ mit, wie es sich z. B. an den Diskussionen um Standorte neuer Chipfabriken zeigt.

Die Stufe der Vergesellschaftung, die die Produktion mit der ‚Digitalisierung‘ erreicht hat, ist gut zu sehen an Hand der weltweit allgegenwärtigen Mobiltelefone: Wenn z. B. Apple ein neues i-phone plant, werden dafür neue Funktionen mit neuer Software entwickelt, die neue Chips erfordern. Die muss Apple nicht selbst entwickeln, sondern kann sie in England bei einem japanisch finanzierten Designer bestellen[2]. Hergestellt werden die Chips dann in Auftragsfertigung von sogenannten Foundries. Über 50% der Weltproduktion kommt aus Taiwan, im Bereich der neuesten, kleinstmöglichen Chips, wie sie Apple in den i-phones verwendet, sogar 90%. (FAZ 3.8.2022). Produziert wird auf Maschinen aus den Niederlanden, die entscheidende Komponenten aus Deutschland enthalten. Die fertigen Chips werden dann in Billiglohnländern z. B. in Osteuropa geprüft und zu größeren Einheiten zusammengepackt, um dann z. B. in einer von Foxconn gebauten Fabrik für Apple zu einem i-phone zusammengebaut zu werden. Foxconn produziert in der VR China vielleicht mit russischem Gas, chilenischem Lithium und afrikanischem Kobalt für die US-Firma Apple und ist eine Tochtergesellschaft von Hon Hai Precision aus Taiwan. Wenn das i-phone im Seetransport in einem koreanischen Schiff mit philippinischer Besatzung in, sagen wir, Island angekommen ist, nutzt der Käufer ein Produkt von dem man fast sagen kann, es vereinigte zu seiner Herstellung Proletarier aller Länder. Das Internet verbindet die weltweiten Elemente zur virtuellen Fabrik, in welcher Hardware und Software mit Hilfe der ‚Cloud‘ zum „neuen Maschinensystem des High-Tech-Kapitalismus“ (Ziegler in Analogie zu Marx, s. KAZ 382, S.16) zur Produktion zusammengefügt werden mit ungeheuren Massen von konstantem und variablem Kapital. Die dabei entstehenden Mehrwertmassen müssen verwertet werden unter den Konkurrenzbedingungen des staatsmonopolistischen Kapitalismus.

Digitalisierung verändert das internationale Kräfteverhältnis

Mit der Vergesellschaftung verstärkt sich der Grundwiderspruch, den Friedrich Engels formulierte als den Widerspruch, dass die Produktion zunehmend vergesellschaftet wird, aber das Produkt weiter von den privaten Eigentümern der Produktionsmittel angeeignet wird: „Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung tritt an den Tag als Gegensatz von Proletariat und Bourgeoisie.“ (MEW 19, S. 214). Der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie entwickelt sich im Stadium des Imperialismus unter dem Zwang der imperialistischen Großmächte zur Neuaufteilung der vollständig verteilten Welt. Hier zeigt sich, dass die Zusammenarbeit zur Produktion im vom Kapitalismus erzeugten Weltmarkt mit der Digitalisierung in zunehmend schwierig aufzulösende Widersprüche gerät. Anhand des oben angeführten Beispiels bei der Produktion der Chips lassen sich die Probleme verfolgen, die daraus entstehen, dass die Aneignung des weltweit in einem Produkt erzeugten Mehrwerts von Nationalstaaten garantiert werden soll. Auch und gerade im Stadium des Imperialismus zeigt sich, dass die Kapitalisten zur Durchsetzung der Aneignung des Mehrwerts auf ihre jeweiligen Nationalstaaten angewiesen sind.

Der Einfluss der ‚Digitalisierung‘ auf das internationale Kräfteverhältnis wird sichtbar in den Aktionen der USA, um die Entwicklung der Produktion modernster Chips in China zu behindern und innerhalb der imperialistischen Welt zu dominieren. Der Hersteller der Produktionsmaschinen für die fortgeschrittensten Chips, die niederländische ASML, wurde von der US-Regierung mit ruinösen Sanktionen bedroht, wenn sie eine Bestellung aus China ausführen würde. Im vergangenen März schaltete sich die niederländische Regierung ein, um die Lieferung zu unterbinden. Gleichzeitig bot die US-Regierung Milliardensubventionen an für den Bau von Chip-Produktionsanlagen in den USA unter der Bedingung, nicht in China zu investieren. Für den Export von Hochleistungschips verlangt die US-Regierung eine Exportlizenz, d.h. sie kann die Lieferung verbieten. Die VR China verlangt nun ihrerseits Exportlizenzen für zwei Rohstoffe, die notwendig sind zur Produktion von Hochleistungschips und die derzeit fast nur China liefern kann. Das wird als Warnschuss interpretiert, um die USA aufmerksam zu machen auf die umfangreichen Möglichkeiten Chinas, die Lieferketten der Chipproduktion zu unterbrechen. Aufmerksam auf die möglichen Folgen der US-Sanktionen sollte wohl auch die EU werden, nachdem für den ‚Warnschuss‘ aus Dutzenden der vorwiegend aus der VR China exportierten Rohstoffe ausgerechnet zwei ausgewählt wurden mit den zu den EU-Hegemonialmächten sprechenden Namen ‚Germanium‘ und ‚Gallium‘.

Nach 1945 monopolisierte das US-Militär die Entwicklung der Mikroelektronik und ihrer Anwendung (s. IMI ‚Ausdruck‘ 113 vom Juni 2023, S.25ff) und behinderte nach Kräften die Entwicklung in den anderen Ländern. Als Weltpolizist gelang es den USA zunächst, die imperialistischen Mächte im Kampf um die Aufrechterhaltung des imperialistischen Weltsystems gegen Sozialismus und Antikolonialismus zusammenzuhalten. Technikembargos trugen zur Verstärkung der inneren Widersprüche der Sowjetunion und zu ihrem Zusammenbruch bei. Nach 1990, als der Druck des Kalten Kriegs wegfiel, entfalteten sich die zwischenimperialistischen Widersprüche, so dass die Dominanz der USA zunehmend in Frage gestellt wurde: Die Neuaufteilung der Welt unter die imperialistischen Großmächte stand nun im Vordergrund als Kampf um die Beute nach dem Kollaps der SU.

Durch die Politik der ‚Reform und Öffnung‘ ist es der VR China unter der Leitung der KP Chinas gelungen, die politische Unabhängigkeit zu verteidigen und den Anschluss an die Produktivkraftentwicklung zu beschleunigen als materielle Grundlage für die Perspektive Sozialismus-Kommunismus. Mit umfangreichen, langfristig angelegten inneren Entwicklungsmaßnahmen und planmäßiger internationaler Zusammenarbeit konnte die VR China zielstrebig auf die technologische Führung in immer mehr Feldern zusteuern. Die VR China ist dadurch zum Hauptgegner des US-Imperialismus geworden, der nun versucht die Entwicklung zu stören, die VR China zu isolieren und sie militärisch bedroht. Die VR China nutzt ihrerseits die steigende Produktivität ihrer Wirtschaft zur Förderung des internationalen Austauschs zum gegenseitigen Nutzen. Die Aggressivität des US-Imperialismus gegen China entfaltet ihre Dialektik, indem sie dritte Länder, aber auch US-Monopole vor die Wahl stellt zwischen dem Nutzen der Zusammenarbeit mit China und der Bedrohung von Sanktionen der USA-Regierung.

Aktuell zeigt sich das internationale Kräfteverhältnis im Krieg in der Ukraine, mit dem der US-Imperialismus versucht, seine Verbündeten gegen ihre unmittelbaren Interessen einzubinden, um die Russische Föderation zu ruinieren und damit der VR China das Hinterland zu nehmen. Die imperialistische Einheit ist dabei nicht stark genug, um ausreichend Druck auf die ehemals kolonial abhängigen Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas auszuüben, damit sie Russland und China isolieren.

Reaktion des deutschen Imperialismus auf die Änderung im Kräfteverhältnis

In diesem Kräfteverhältnis nimmt der deutsche Imperialismus historisch bedingt eine besondere Stellung ein. Auf dem Weltmarkt zu kurz und zu spät gekommen versuchte er in zwei Weltkriegen eine Neuaufteilung zu erzwingen und wurde militärisch vernichtend geschlagen. Für seinen Wiederaufstieg nutzte er die Strategie der USA, die alten Imperialismen zu dominieren unter dem gemeinsamen Interesse des Kampfes gegen den aufsteigenden Sozialismus unter Führung der SU. So erreichte der deutsche Imperialismus die Wiederaufrüstung in der NATO. Die Zusammenarbeit der alten europäischen Imperialisten, die zur EU wurde, wurde einerseits von den USA als ‚Bollwerk gegen den Osten‘ gefördert, bot aber dem deutschen Imperialismus die Möglichkeit einer gewissen Unabhängigkeit von den USA zusammen mit Frankreich. Nach 1990 stellte sich die Frage der Souveränität gegenüber den USA verstärkt, als es um den Kampf um die Verteilung der Beute der Konterrevolution ging.

Mit der Entwicklung der Produktivkraft auf Grundlage der Mikroelektronik in allen Wirtschaftszweigen stellte sich dabei verstärkt die Frage nach der unabhängigen Entwicklung der Technologie. Weder deutschen noch französischen Monopolen war es gelungen, im Bereich der Elektronik mit den US-Monopolen wirksam zu konkurrieren. In den 2000er Jahren zeigte sich, dass die Gefahr bestand, in Kernbereichen der deutschen Industrie wie dem Auto- und Maschinenbau von den schnell wachsenden US-Konzernen abhängig zu werden.

Die Reaktion des deutschen Imperialismus lässt sich verfolgen an Hand der Reaktionen von führenden Monopolen in diesen Bereichen.

Siemens gab die Produktion für die Telekommunikation und sogar die Produktion von Chips – Infineon – ab und konzentrierte sich auf den Bereich der elektronischen Maschinensteuerung, um dort die Weltmarktführung zu verteidigen. Mit ‚MindSphere‘ kündigte Siemens die Weltplattform für den Maschinenbau an. Siemens förderte auch die IBM-Ausgründung SAP, die führend in Auswertung von Daten zur Betriebssteuerung wurde und heute, vor Siemens, der nach Marktkapitalisierung größte deutsche Konzerne ist. Der Co-Chef von SAP, Jim Hagemann-Snabe, wechselte 2014 in den Aufsichtsrat von SAP und wurde 2018 Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens. 2012 wurde er mit Thierry Breton, dem Reorganisator der französischen Elektronikmonopole, in den Lenkungsausschuss der EU-Cloud-Partnerschaft berufen, die 2020 mit dem Projekt ‚GAIA-X‘ für eine europäische Datenverbund-Infrastruktur konkretisiert wurde. Breton, jetzt EU-Wirtschafts- und Rüstungskommissar, hatte 2011 als Chef der französischen IT-Firma Atos die IT-Beratungssparte von Siemens fusioniert, womit Siemens Großaktionär von Atos wurde.

BMW, Mercedes und VW kauften 2015 von Nokia die Navigationssoftware ‚Here‘, um nicht von Google abhängig zu werden bei der Entwicklung des autonomen Fahrens. Man befürchtete, wie Foxconn in China für Apple, Hersteller der Hülle für Hard- und Software zu werden, die in den USA entwickelt wurde. VW präsentierte sich als Hauptkonkurrent für Tesla (s. Diess ab 2018) und definierte sich als von Software getriebene Firma mit der eigenen Software-Entwicklungsgesellschaft Cariad. Mercedes entwickelt ein eigenes Software-Betriebssystem MB-OS. Auch BMW und auch die weltweit führenden Zulieferer Bosch, ZF und Conti/Schaeffler investierten Milliardensummen in Softwareentwicklung.

Im Jahr 2017 starteten die Regierungen Deutschlands und Frankreichs eine Ankündigungsoffensive zur „strategischen Souveränität“ der EU: Im Juli kündigte der deutsch-französische Mininisterrat eine umfassende gemeinsame Rüstungsplanung an, im September führte Macron in seiner programmatischen Rede in der Sorbonne aus, es gelte innerhalb von zwei Jahren die Strukturen zu schaffen, die ein von den USA unabhängiges Militär auf Grundlage einer von USA-Technologie unabhängigen Rüstung sicherstellt, ohne die die EU keine Weltmachtrolle, d.h. „strategische Souveränität“ entwickeln kann. Prominent wurden die Rüstungsprojekte im Bereich Luft (FCAS) und Panzer (MGCS).

Resultat 10 Jahre deutscher An­lauf zur „Digitalen Souveränität“

Seit die Funktionäre der deutschen und französischen Monopole mit der EU-Cloud-Partnerschaft in Aktion getreten sind und Siemens ihre IT-Spezialisten mit Atos fusioniert hat, sind zehn Jahre vergangen. Vor fünf Jahren wurde von den Regierungen der deutschen und französischen Monopole das Ziel der „strategischen Souveränität“ ausgerufen.

Die technologische Entwicklung und die Kapitalgrößenordnungen haben sich seitdem aber zugunsten der US-Konzerne verschoben. Die sind durch die ständige Weiterentwicklung ihrer digitalen Hauptprodukte, mit denen sie groß geworden sind, in der Lage, die Infrastruktur für die Maschinensysteme der Kopfarbeit als ‚Cloud Service‘ anzubieten. Die drei größten Cloud-Service-Firmen beherrschen zwei Drittel des Weltmarkts. (Stand Q1 2023). Den 4. Platz auf dem Weltmarkt für Cloud Service nimmt übrigens der chinesische Alibaba Konzern ein. Ein Sonderfall ist Apple mit einer besonders bemerkenswerten Infrastruktur, oft als Ökosystem bezeichnet, etwa mit halbabhängigen Konzernen wie Hon Hai/Foxconn in China. Ganz außenstehenden, d.h. nicht in das Apple-Ökosystem eingebundenen Firmen bietet Apple seine Infrastruktur nicht als Service an. Apple hat inzwischen eine Marktkapitalisierung von rund 3 Billionen d.h. 3.000 Milliarden US Dollar. Microsoft, außer der monopolträchtigen Softwareproduktion mit 23% Weltmarktanteil am Cloudservice, hat eine Marktkapitalisierung von rund 2.500 Milliarden USD, Alphabet/Google hat außer der Datenkrake Suchmaschinenmonopol mit 10% Weltmarktanteil am Cloudservice eine Marktkapitalisierung von 1.510 Milliarden USD, Amazon mit 32% Anteil am Cloudmarkt und dem Handelsplattformmonopol hat einen Marktkapitalisierung von rund 1.300 Milliarden.

Zum Vergleich ebenfalls in USD: Die größte deutsche Marktkapitalisierung hat SAP mit 176 Milliarden. Die erwähnten Leitkonzerne des deutschen Imperialismus sind wie folgt kapitalisiert: Siemens mit 135, Mercedes-Benz mit 87, VW mit 77 und BMW mit 72 Milliarden. Um auch noch einen Blick auf die größten deutschen Finanzkonzerne zu werfen: Die Allianz hat 96 und die Deutsche Bank 22 Milliarden Marktkapitalisierung in USD.

Die Marktkapitalisierung, d.h. der gesamte Aktienwert einer Aktiengesellschaft, errechnet sich aus den geschätzten Gewinnen der Zukunft, ist also spekulativ. Als reale Grundlage hat er aber die aktuellen Gewinne. 2022 bilanzierten Apple, Microsoft und Alphabet einen Nettogewinn von zusammen gut 210 Milliarden Euro. Das ist gut das Doppelte von allen 40 Dax-Konzernen. (HB 1.8.23, S.7)

Stand 2023 aus Sicht des deutschen Monopolkapitals

Wie sieht nun die Lage 2023 der digitalen Souveränität aus Sicht des deutschen Monopolkapitals aus? Schauen wir uns dazu einige Monopole an, die eine zentrale Stellung im deutschen Monopolkapitalismus haben:

Siemens Chef Roland Busch äußerte sich im Handelsblatt Interview (14.7. S.20), befragt zum Stichwort KI (Large Language Models):

Wenn Sie Large Language Models trainieren wollen, kostet das dreistellige Millionenbeträge. Die Rechenleistung wird immer besser. Das erklärt auch die momentane Beschleunigung, mit der diese Technologien zum Einsatz kommen. Hier müssen wir mehr investieren .... Das Verhältnis von Mensch und Maschine wird sich verändern, jeder kann die Technik bedienen, und sie wird viel leichter zugänglich.“

Frage HB: Aber die Sprachmodelle basieren auf einer Technologie, die mal wieder nicht in Europa entwickelt wurde. Da entstehen doch ganz neue Abhängigkeiten.

Siemens-Busch: Ja, das zeigt, wie wichtig es ist, bei den Schlüsseltechnologien eigene Spieler zu haben. Es wäre toll, wenn wir zum Beispiel in Europa eine führende Firma im Quantencomputing hätten. Oder wenn es Sprachmodelle gäbe, die in Europa entwickelt wurden. Es gibt keine politische Souveränität ohne technologische Souveränität. (Hervorhebung d. Verf.)

Frage: Und welche Rolle spielt Siemens in fünf bis zehn Jahren?

Siemens-Busch: Wir arbeiten daran, dass Siemens einer der großen Player ist, der eine digitale B2B-Plattform mit einem offenen Ökosystem in Europa betreibt. Das ist das Ziel, und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir auch in zehn Jahren technologisch weiterhin führend sind.“

Anzumerken ist, dass „wir arbeiten daran ...“ im Klartext heißt, dass das Projekt „MindSphere“ kein Erfolg war, man aber weiter hofft (..sind zuversichtlich), die Weltmarktführerschaft im Bereich Maschinensteuerung verteidigen zu können. In der Entwicklung arbeitet man aber nun mit dem kapitalmäßig mehr als fünfmal so großen Chipgiganten Ndivia zusammen.

Auch die Mercedes-Benz-Gruppe will sich nicht geschlagen geben. Mercedes-Chef Olla Källonius: „Wir erhöhen den Einsatz.“ Die geplanten Investitionen von 40 Milliarden sollen schneller kommen und aufgestockt werden. Aber: In der Navigation kooperiert man inzwischen mit Google: „Wir glauben, dass wir gemeinsam sehr gute Anwendungen entwickeln können, etwa indem wir Karten, Navigation und Fahrerassistenzsysteme clever miteinander verschmelzen. Das ist sehr komplex und bedarf daher noch einiger Jahre an Arbeit.“ Man will aber das eigene Betriebssystem MB-OS selbst weiterentwickeln. (HB Interview 25.7.23, S4)

Frage HB: Softwareentwicklung lebt von Skaleneffekten. Mercedes verkauft jährlich nur zwei Millionen Pkw. Wie wollen Sie gegen weit größere Wettbewerber und Digitalriesen bestehen?

Källenius: So klein sind wir wahrlich nicht. Zudem sind wir der festen Überzeugung, dass ein Autohersteller sein Hirn und zentrales Nervensystem selbst beherrschen muss.“

Der Volkswagen-Konzern hat den zum Zweck der beschleunigten Digitalisierung von BMW abgeworbenen Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess entlassen. Der hatte die Softwareproduktion in einer Einheit namens Cariad zentralisiert. Die Leitung von Cariad wurde nun vom neuen Oberchef Blume auch fast vollzählig entlassen, Cariad wird umgebaut. Blume (Interview HB 23.01.23): „Wir haben uns beim Aufsetzen der Cariad zu viel vorgenommen, das haben uns auch andere erfahrene Softwareentwickler bestätigt.“ Und „Es ist normal, immer wieder zu justieren. Ich bekenne mich zu 100 Prozent zur Cariad als Teil des Volkswagen-Konzerns.“ Am 3. August meldete das Handelsblatt dann, dass VW die Plattformen, auf denen die Elektromodelle für China gebaut werden, dort mit Kooperationspartnern entwickeln will. Kommentar Handelsblatt (HB 03.08.2023, S. 23): „Plattformen sind das Herzstück eines jeden Autos und seit jeher eine Kernkompetenz des Autoriesen VW. Die vielen Partnerschaften dürfen deshalb durchaus als Entzug des Vertrauens in die Fähigkeiten der selbst entwickelten Elektroplattform MEB verstanden werden.“

Der Kartendienst ‚Here‘, als elektronisches Kernstück des autonomen Fahrens 2015 für 2,6 Milliarden Euro von Nokia gekauft, hat mehr Entwicklungsinvestitionen erfordert, als von den drei Autokonzernen erwartet worden war. Bosch und Continental wurden als Zusatzfinanzierer dazu genommen. Am 4. August meldete das Handelsblatt, dass weitere Hunderte Millionen erforderlich sind, mit denen, so das HB, Audi, BMW und Mercedes ihr Vertrauen in die Produkte und Wachstumschancen von Here „unterstrichen“. Bosch und Conti wollten nicht mehr weitermachen, dafür durfte der US-Chipgigant Intel, der 10 Milliarden deutsche Subventionen für seine deutsche Chipfabrik bekommen soll, mit bescheidenen 9 Millionen Euro einsteigen

Auch um das Cloud-Projekt Gaia-X, mit Pomp von der deutschen und französischen Regierung angekündigt, ist es ruhig geworden. Amazon, Google, Microsoft und die CIA-nahe Palantir wurden Mitglieder des Netzwerks und blockieren nach Aussagen von Teilnehmern die unabhängige Entwicklung. 2021 hatte dann die deutsche Telekom angekündigt, das Projekt mit einer ‚Souveränen Cloud‘ (telekom website 10.09.21) zum Laufen zu bringen – in Kooperation mit Google: Heraus kam das (T-Systems website vom 31.07.23): „Mit der T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud implementieren die Partner Souveränität als Teil einer bestehenden Hyperscaler-Plattform.“ Gleichzeitig bietet die Telekom die ‚Telekom Open Cloud‘ an, die einmal Teil eines zukünftigen GAIA-X Systems sein könnte: „GAIA-X arbeitet auf eine föderierte und sichere Dateninfrastruktur hin – und will damit auch digitale Souveränität erzeugen ... Auf dieser Basis entsteht die europäische Daten-Ökonomie der Zukunft.“

Der gute Wille ist billig. Im Anblick der mageren Erfolgschancen der eigenen Cloud hatte die Telekom jahrelang versucht, ihre IT-Tochter T-Systems zu verkaufen, die Gebote waren aber den Erfolgschancen entsprechend niedrig, so dass jetzt entschieden wurde, den Verkauf zu stoppen und einen neuen staatsmonopolistischen Anlauf zu unternehmen. Nun soll EU-Marktabschottung und staatlicher Protektionismus den US-Digitalmonopolen das Wasser abgraben.

Dazu dient ein Joint Venture namens Utiq mit der britischen Vodafone, der spanischen Telefónica und Orange (bis 2013 France Télécom). Utiq soll den Hyperscalern, also den Big 5, mit den Skalierungsmöglichkeiten der zusammengelegten europäischen Kundenbasis etwas auf dem Werbemarkt entgegensetzen. Der Werbemarkt ist die ökonomische Basis vor Allem von Amazon, Facebook und Google, die durch EU-Regulierung aus dem EU-Markt gedrängt werden sollen.

Das Problem dabei ist, dass die US-‚Hyperscaler‘ Dank jahrelanger Hochskalierung mit entsprechend sinkenden Stückkosten nicht nur exponentiell Kapital akkumulierten, sondern dabei auch „die technischen Mittel jener gewaltigen industriellen Entwicklungen“ (Marx, MEW 23, 655) geschaffen haben, von denen Marx spricht im Blick auf die Zentralisation des Kapitals. Durch das Zusammenlegen der Kundenbasis haben die EU-Telekom-Firmen zwar die Möglichkeit der Skalierung. Es fehlt aber das ‚Maschinensystem‘, mit dem die ‚Hyperscaler‘ Daten absaugen, aufbereiten und zu Milliarden US-Dollar machen. Gleichzeitig nehmen die ‚Hyperscaler‘ mit Whatsapp, Facebook, Instagram etc. den EU-Telekom-Riesen das Basisgeschäft der Telekommunikation Zug um Zug ab. Die Frage ist, ob die EU-Telekoms im verbleibenden Telekomgeschäft genügend Kapital akkumulieren, um beim Aufbau des nötigen ‚Maschinensystems‘ den Kapitalbedarf – Maschinen, Material und Arbeitskraft zuschießen zu können. Die bisherigen Versuche der Deutschen Telekom, die Erfolge der ‚Hyperscaler‘ zu kopieren floppten jedenfalls, nicht nur der vernetzte Lautsprecher, der auf „Hallo Magenta“ hörte. (HB 31.07.2023, S.16/17)

Neuaufstellung oder unterordnen?

Die Telekom, Mercedes und Siemens stehen im deutschen Imperialismus nicht allein mit ihrer „Zuversicht“. Hinter dem Pfeifen im Wald steht, dass alle deutschen Großunternehmen, die den Kern des deutschen Imperialismus bilden, nicht darauf verzichten können, ihre Stellung auf dem Weltmarkt zu verteidigen und, den Gesetzen der Kapitalakkumulation folgend, auszubauen. Sie können sich deshalb dem US-Imperialismus, der den gleichen Gesetzen folgen muss, auf Dauer nicht unterordnen. Zum Aufstieg auf Augenhöhe zu den USA bei der Neuverteilung der Welt gibt es für die deutsche Finanzoligarchie keine Alternative, deshalb auch keine Alternative zur unabhängigen Rüstung und keine Alternative zur ‚digitalen Souveränität‘.

Der Propaganda der ‚Digitalen Souveränität‘ wird aber in Politik und Medien auch reichlich Skeptizismus entgegengestellt.

Wo ist die ökonomische Basis der Skeptiker und Gegner der ‚strategischen Autonomie‘? Die ist zu suchen in den schwächeren Teilen des Kapitals, die ohne Expansion auf dem Weltmarkt kapitalmäßig überleben können und denen der Preis für die Herausforderung des US-Imperialismus und gleichzeitig für die Einbindung des französischen Imperialismus zu hoch ist. Nun ist der Einfluss der nicht-weltmarktabhängigen Industrie und des ihr nahestehenden Kleinbürgertums nicht zu unterschätzen, doch reicht ihr Einfluss sicher nicht aus, den starken transatlantischen Einfluss in der deutschen Politik und öffentlichen bzw. veröffentlichten Meinung zu erklären.

Zur Erklärung des starken transatlantischen Einflusses in der BRD ist daran zu erinnern, dass das Netz des US-Einflusses historisch gewachsen ist im Wiederaufstieg des deutschen Imperialismus nach 1945.

Die zum zweiten Mal geschlagene deutsche Finanzoligarchie formierte sich neu im Windschatten der US-Strategie des Kalten Kriegs. Ihre Loyalität zum US-Imperialismus hat ihre Grenze am Nutzen für den Wiederaufstieg des deutschen Imperialismus. Ausgehend von der Einordnung von Teilen der faschistischen Wehrmacht 1945 in die US-Army – aus denen z. B. als „Organisation Gehlen“ der BND wurde – und der damit verbundenen Vorbereitung der Remilitarisierung entstand ein deutsch-amerikanisches Netzwerk der Abhängigkeiten und Beziehungen mit doppelten Loyalitäten, die sich den Umständen entsprechend von Generation zu Generation weiterentwickelten. Unter Aufsicht von Adenauers grauer – oder besser brauner – Eminenz Globke schufen sich die US-Dienste im Staatsapparat, in Bundeswehr, BND, VS und Polizei, jederzeit erpressbare Nazi-Netzwerke, an die sich ebensolche in den Medien anschlossen. Ein Beispiel von vielen ist die Karriere des SS-Obersturmbannführers Paul Carell bei ‚Zeit‘, ‚Spiegel‘ und schließlich Axel Springer, bei dem er offiziell zum ‚Sicherheitschef‘ aufstieg. Lautstarke pro-US- und damit gleichgesetzte pro-Israel-Tendenz übertönte auch in diesem Fall Fragen nach der keineswegs geheimen NS-Vergangenheit. Der staatseigene ‚Deutschlandfunk‘ musste nach ‚neuen Aktenfunden‘ am 14.04.2022 melden, dass zur Zeit Gehlens als BND-Chef 220 Journalisten auf den Gehaltslisten des BND standen. Auch nach Gehlen und Globke ist eine starke tendenzielle Übereinstimmung der deutschen Medienlandschaft mit der US-Außenpolitik und dem Kanzleramt sowie den diesem unterstellten Nachrichtendiensten festzustellen. Wir können deshalb davon ausgehen, dass die nach 1945 geknüpften transatlantischen Netzwerke weiter bestehen und weiter gepflegt und gefüttert werden. Das weiter bestehende NATO-Netzwerk in den Medien wurde in den letzten Jahren auch oft dargestellt durch die Häufung der Mitgliedschaften führender Medienmanager in transatlantischen Netzwerken wie ‚Atlantik-Brücke‘.

Der gefährliche Optimismus der deutschen Finanzoligarchie

Der Optimismus des deutschen Imperialismus, auch die Aufrüstung der EU zur Weltmacht den USA als loyale Unterstützung des europäischen Standbeins der NATO verkaufen zu können, ist mit ihrer langen Erfahrung von Konkurrenz und Kooperation mit dem US-Imperialismus begründet. Schon der Gruppe um Gehlen gelang es 1945 in die US-Army aufgenommen zu werden, indem sie loyale Unterstützung gegen die SU und den „Weltkommunismus“ versprachen.

In den 50er Jahren brachte der Korea-Krieg die offene Unterstützung der USA für die Remilitarisierung entgegen dem Potsdamer Vertrag, der ja auch in Erfahrung des militärischen deutschen Wiederaufstiegs nach 1918 beschlossen war. Das Angebot der deutschen Finanzoligarchie und ihrer Regierung war, die BRD zur Speerspitze und Angriffsbasis gegen die SU aufzurüsten. Das hatte auch schon 1935 gereicht, um in London und Washington Toleranz für die offene Aufrüstung durchzusetzen. In den 60ern und 70ern waren die USA im Vietnamkrieg und tolerierten die Entwicklung der deutschen konventionellen Rüstungsindustrie und auch der EU und des Euro als mögliche Konkurrenzwährung zum US-Dollar, solange das umgesetzt wurde von dem zuverlässigen Antikommunisten Helmut Schmidt als Bundeskanzler und dem bewährten antikommunistischen Gewerkschaftsführer Georg Leber als ‚Ver­tei­digungs‘­minister.

Der unter linker Flagge segelnde und in der Frontstadt Berlin als Sturmbock gegen den Kommunismus bewährte Willy Brandt konnte die ‚amerikanischen Freunde‘ überzeugen, dass mit den für das deutsche Monopolkapital hochprofitablen Ostgeschäften die ‚Burg‘ SU von Innen sturmreif geschossen werden konnte. Kennedy war 1961 Präsident geworden und hatte mit seiner Zustimmung zur DDR-Grenzschließung deutlich gemacht, dass er die Mauer einem Weltkrieg vorzog. Als Alternative formulierte Brandt seine neue Ostpolitik, von den USA ermutigt, zum ersten Mal öffentlich 1962 in der ‚Transformationsrede‘ in der US-Universität Harvard: Der ‚Westen‘ könne durch seine wirtschaftlichen Kontakte Einfluss nehmen und dann den ‚Osten‘ schrittweise ‚friedlich transformieren‘. (P. Merseburger, Aufbruch ins Ungewisse, Erinnerungen, München 2021, und: www.ndr.de/geschichte/koepfe/Willy-Bandt-Berlins-Krisen-Manager,willy-brandt263.html)

Im Juli 1963 präsentierten Brandt und Bahr die Formel ‚Wandel durch Annäherung‘, womit man eine ‚Konvergenz‘ der Gesellschaftssysteme anstreben könne. Während die DDR-Führung zurecht ‚Aggression auf Filzlatschen‘ witterte, öffnete sich die SU-Führung dem ‚Wandel durch Annäherung‘ mit dem bekannten Ergebnis.

So konnte nach 1990 der deutsche Imperialismus die Einverleibung der DDR bei den USA entgegen den britischen und französischen Warnungen durchsetzen.

Damit begann eine neue Etappe im Verhältnis des deutschen Imperialismus zum US-Imperialismus, die aber auf demselben gefährlichen Optimismus aufbaut. Die DDR-bedingten Kompromisse im Sozialsystem der BRD konnten geschliffen werden. Die Profitraten der deutschen Industrie wurden durch den Abbau des Sozialsystems mit der Agendapolitik in den 2000er Jahren auf eine neue Höhe gebracht. Mit Blick auf die nun wachsende Abhängigkeit von der neuen, digitalen US-Technologie wurden die Weichen in Richtung „Digitale Souveränität“ gestellt, aus heutiger Sicht in einer Überschätzung der wirtschaftlichen, technischen und politischen Möglichkeiten.

Die aktuelle Aufstellung im Klassenkampf in Deutschland

Für den Klassenkampf in Deutschland ergibt sich etwa folgende Aufstellung der Hauptklassen[3].

Die Finanzoligarchie auf Grundlage ihrer Besitztitel an den Monopolunternehmen und ihres historisch gewachsenen Netzwerks hat die Aufgabe zu lösen, ausreichend Technologie und die entsprechende Kapitalbasis für die von den USA unabhängige Rüstung zu schaffen, um mit den USA gleichberechtigt um die Beute zu streiten, die sich aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion ergab. Mangels eigener Masse muss sie dazu mit der französischen Finanzoligarchie kooperieren. Sie muss, damit die USA den Technologie- und Rüstungsaufbau tolerieren, den USA ausreichend Unterstützung in der Aggression gegen Russland bzw. China geben.

Dabei hat die Finanzoligarchie hauptsächlich folgende Widersprüche politisch zu lösen:

Interessenkonflikt zwischen deutschen und US-Konzernen z. B. in der Frage der Gasversorgung

Interessenkonflikt zwischen deutschen und französischen Konzernen z. B. in der Frage der Rüstungsaufträge.

Konkurrenz unter den deutschen Finanzoligarchen – deutsch, d.h. den Oligarchen, deren Mehrwertaneignung vom gemeinsamen deutschen Nationalstaat garantiert wird. Abweichende Interessenlagen können entstehen z. B. in der Frage, wieweit den USA zu folgen ist bei Sanktionen, die den einzelnen Konzerninteressen, vor Allem in China, schaden.

Konflikt mit der nicht-monopolistischen Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum, denen die Kosten der ‚strategischen Autonomie‘ zu hoch sind.

Konflikt mit der Arbeiterklasse.

Die Arbeiterklasse, mangels Eigentums an Produktionsmitteln auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen, muss in ihrer Entwicklung mit der Entstehung des ‚neuen Maschinensystems‘ ihre erkämpften Organisationen zur Verteidigung der unmittelbaren Interessen der Entwicklung anpassen und gegen die Bourgeoisie verteidigen. Um damit nicht im Kleinkrieg stecken zu bleiben und perspektivisch zu verlieren, muss sie den Weg zum Sozialismus einschlagen.

Dem steht entgegen:

Die politische Triebkraft der aktuellen Entwicklung, die deutsche Finanzoligarchie, geht das Risiko ein, die deutsche Bevölkerung in der ‚doppelten Loyalität‘ zu den USA in einen Weltkrieg zu verwickeln.

Die Hauptkraft der Arbeiterklasse zu ihrer Verteidigung, die Gewerkschaften mit der Möglichkeit die Mehrwertproduktion durch Streik zu stoppen, ist gelähmt von der Hegemonie des Sozialdemokratismus, der Ideologie der Klassenzusammenarbeit. Dadurch hat die Finanzoligarchie vor Allem über die SPD und die SPD-verbundenen Großbetriebsräte Einflussmöglichkeiten.

In dieser Gemengelage können sich allerdings Überschneidungen von Interessenlagen ergeben aus den Diskussionen innerhalb der Bourgeoisie, siehe oben, wie weit den USA gegen die eigenen unmittelbaren (Konzern)-Interessen zu folgen ist und den Interessen der Großbetriebsräte.

AG Digitale Souveränität

Richard Corell, Flo, Stephan Müller O’Nest

Ein Beispiel für das transatlantische Netzwerk in den deutschen Medien:

Susan „Zanny“ Minton Beddoes, Chefredakteurin des britischen ‚Economist, wurde in den 2017 gebildeten Herausgeberrat des deutschen Leitmediums ‚Die Zeit‘ berufen, dem auch Helmut Schmidt angehörte. Der ‚Economist‘ist ein Leitmedium des ‚Washington Consensus‘, der Gleichsetzung von Freiheit mit Kapitalismus unter Führung der USA. Minton Beddoes gehört zu den einflussreichsten Wirtschaftsjournalisten: Nach Studium in Oxford und Harvard wurde sie vom U.S.-Topökonomen Jeffrey Sachs in das Team berufen, das die Republik Polen Anfang der 90er Jahre bei der ‚Transformation‘ zur ‚Marktwirtschaft‘ beriet. Sie ist u. a. auch Mitglied der Leitung des Carnegie Endowment for International Peace, einem der einflussreichsten US-Thinktanks.

Der ‚Economist‘ gilt trotz seinem durchaus kämpferisch vorgetragenen Einsatz für ‚freedom and democracy‘ als seriöses Informationsmedium. Der oft in Umfragen festgestellte große Einfluss des Blattes bei den Wirtschaftseliten mag erklären, dass bei einer Neuaufstellung der Besitzverhältnisse 2015 die Familie Agnelli (FIAT etc.) zugriff, um sich mit 43% zu beteiligen, höher als die bisherigen britischen Großaktionäre der Finanzgruppen Schroder und Rothschild.

Die Analysen des ‚Economist‘ zur EU und der BRD können auch als Beispiel dienen, dass man sich jenseits von Kanal und Atlantik keine Illusionen über die Art der Loyalität und der Strategien der kontinentaleuropäischen Konkurrenten macht.

1 Industrielle Revolution: Industriell mit Großbuchstaben I s. „Geschichte der Produktivkräfte in Deutschland, Band 1, Akademie-Verlag Berlin, DDR, 1990, Einführung von Thomas Kuczynski

2 HB 30.08.2023, S.18: In mehr als 99 Prozent aller Smartphones steckt Technologie der britischen Chipdesignerfirma Arm, die zur japanischen Softbankgruppe gehört.

3 Wir folgen hier einer Darstellungsweise, die sich bewährt hat bei Jürgen Kuczynski in seinem Buch „Klassen und Klassenkämpfe im imperialistischen Deutschland und in der BRD“, Verlag Marxistische Blätter 1972. J.K. im Vorwort: „Klassen ... wandeln sich vielfach mit dem Charakter der Produktivkräfte“.

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