Für Dialektik in Organisationsfragen
Die letztes Jahr auf dem Hintergrund einer äußerst krisenhaften Entwicklung so rasch ansteigenden Preise, wie in diesem Land seit Jahrzehnten nicht mehr, weckten die Erinnerung an das Jahr 1923. Die unmittelbaren Auslöser für die Inflation damals waren andere als heute, so wie insgesamt die Situation nicht unmittelbar vergleichbar ist. Doch nicht anders als heute waren die Bemühungen der Herrschenden, die Krisenlasten auf dem Rücken der Arbeiterklasse abzuwälzen. Von daher lohnt es sich, diesen Zeitraum vor 100 Jahren in Erinnerung zu rufen. Nicht in erster Linie wegen Krisenerscheinungen wie der Inflation, sondern wegen der Kämpfe der Arbeiterklasse gegen die Angriffe von Regierung und Kapital, gegen den aufkommenden Faschismus als Notnagel für die Monopolbourgeoisie zur Rettung ihrer Macht und Herrschaft. Wegen der Erkenntnisse, die die Kommunisten aus diesen Kämpfen zogen, dem Ringen um die Einheitsfront, um eine richtige Einschätzung von Arbeiterregierungen als Schritt hin zur Revolution, um die Notwendigkeit des schnellen Umstellens auf sich rasch zuspitzende Klassenkampfsituationen.
In der letzten Ausgabe der Kommunistischen Arbeiterzeitung 384 haben wir die Installation der Regierung Stresemann nach dem Sturz der Regierung Cuno Mitte 1923 und deren Folgen betrachtet. Weiterhin haben wir uns mit der Bildung der Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen und deren Schwächen und Fehlern beschäftigt.
Im Folgenden werden wir gestützt auf die Schrift „Der bewaffnete Aufstand“, siehe dazu auch den nebenstehenden Kasten, dieses Ereignis betrachten. Fakten und Formulierungen haben wir dieser Schrift entnommen.[1]
In den vorangegangen 2 Akten wurde diese bereits ausführlich beschrieben. Zusammengefasst kann gesagt werden: „Die katastrophale Lage der deutschen Wirtschaft wurde gekennzeichnet durch drei Momente des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens: das Erliegen der Industrie und die Zunahme der Erwerbslosigkeit, den Zusammenbruch der Staatsfinanzen und die Geldentwertung.“[2]
Der Deckungssatz der Staatsausgaben durch Einnahmen betrug im August 1923 lediglich 1,8%, die Staatsschulden betrugen am Ende diesen Monats 1.666.677 Milliarden Mark. Der Staat war bankrott.
Dies führte zu einer absoluten Verarmung nicht nur der Arbeiterklasse, sondern auch des Mittelstandes. Die Revolutionierung der Arbeiterklasse war eine Folge davon. Der Einfluss der Sozialdemokratie ging immer weiter zurück.
Nach dem dreitägigen Streik in Berlin im August 1923 schlug die KPD den Kurs auf die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes ein. „Im Oktober waren nahezu 250 000 Menschen in den proletarischen Hundertschaften organisiert, die zum Teil bewaffnet waren.“[3]
Wie bereits in der letzten Ausgabe der KAZ beschrieben, sollte auf dem Betriebsrätekongress am 21. Oktober der Generalstreik proklamiert werden, was aber nicht erfolgte.
„Nach der Überzeugung der Hamburger Parteiorganisation ließ die Situation in Mitteldeutschland erwarten, daß von dort aus in den allernächsten Tagen ... das Signal zum Aufstand gegeben und daß dieser ganz Deutschland erfassen wird. Diese Meinung wurde noch verstärkt durch den Umstand, daß unmittelbar vor dem Hamburger Aufstand aus Nordwestdeutschland Reichswehrtruppen zur Niederschlagung der revolutionären Bewegung nach Mitteldeutschland gesandt worden waren. Diese Truppentransporte haben die Kampfstimmung des Hamburger Proletariats außerordentlich gehoben.
Die Voraussetzungen für eine revolutionäre Massenaktion waren in Hamburg unzweifelhaft gegeben. Noch eine Woche vor dem Chemnitzer Kongreß waren in Hamburg die Werft- und Transportarbeiter sowie eine Reihe anderer Betriebe und Fabriken in den Streik getreten.[4]“
Es kam nicht zum Generalstreik, weil man auf den Aufruf zum Generalstreik aus Chemnitz wartete. Die Konferenz der Arbeiter der Seeschiffswerften sandte deshalb am 21. Oktober eine Delegation nach Chemnitz, um sich Direktiven zu holen, um in den Generalstreik zu treten.
„Zur Zeit des 20. Oktober war die Stimmung unter den Arbeitermassen Hamburgs revolutionärer als irgendwo in anderen Gebieten Deutschlands. Mit Rücksicht hierauf, so wie auf den Umstand, daß im Hamburger Bezirk keine Truppen standen, gab das ZK der KPD, das mit einem günstigen Ausgang des Chemnitzer Kongresses rechnete, der Hamburger Parteiorganisation die Weisung, den Aufstand in Hamburg zu beginnen. Der Aufstand in Hamburg sollte das Signal werden für den Generalaufstand.“[5]
Hamburg war zu dieser Zeit eine Stadt mit ca. 1,2 Millionen Einwohnern, davon ca. 600.000 Arbeitern.
Reichswehrtruppen waren nicht in der Stadt, die Schutzpolizei hatte eine Stärke von 5.000 Mann, bewaffnet mit Revolvern und Maschinenpistolen, außerdem einige Maschinengewehre, Karabiner und sechs Panzerautos.
Der Einfluss der Sozialdemokratie war gering, trotz 40.000 Mitgliedern in der SPD.
Die Kommunistische Partei hatte ungefähr 18.000 Mitglieder. Die Kampforganisation, der Ordnungsdienst OD der Partei hatte nur 1.300 Mitglieder, die nach dem Wohngebietsprinzip in 5er und 10er Gruppen organisiert waren.
„Der OD war anfänglich als Parteiversammlungs- und Demonstrationsschutz gedacht. Zu seinen Funktionen gehörte auch der Nachtdienst in den Stadtteilleitungen der Partei, in den kommunistischen Druckereien, sowie das Kleben von Aufrufen und Plakaten. Der OD besaß in ganz Hamburg ungefähr 80 Einheiten von Schußwaffen verschiedenen Kalibers, in der Hauptsache Revolver.
Als im August auf Direktive des ZK der KPD hin die Bildung proletarischer Hundertschaften begann, stellte der OD aus seinen Reihen die Kader dafür auf. Im Augenblick der Oktoberaktion bestanden in Hamburg 15 militärisch organisierte proletarische Hundertschaften, die jedoch keine Waffen hatten. Jede Hundertschaft zählte 40-60 Mann in ihren Reihen. Die proletarischen Hundertschaften sollten eine proletarische Massenkampforganisation – die Rote Garde darstellen, die, nachdem sie sich zu bewaffnen hatte, in Zukunft die Aufgabe besaß, den bewaffneten Kampf mit den bewaffneten Streitkräften der Konterrevolution im Augenblick des Generalaufstandes aufzunehmen.“[6]
Auf einer Sitzung der Leitungsfunktionäre der Hamburger Parteiorganisation, am Sonntag dem 21. Oktober, wurde beschlossen loszuschlagen. Entschieden wurde, mit der Erklärung des Eisenbahnerstreiks zu beginnen. Dadurch sollten die Truppentransporte nach Sachsen verhindert werden.
Am Montagabend, den 22. Oktober, kam man wieder zusammen, um den folgenden Aufstandsplan zu beraten und zu bestätigen:
– Beginn durch plötzliches Losschlagen der bewaffneten Abteilungen in den Arbeitervierteln
– Entwaffnung der Polizei und Faschisten
– Zusammenziehen der bewaffneten Abteilungen, welche durch Massendemonstrationen in Richtung der Innenstadt zu decken sind
– Besetzung wichtiger Einrichtungen: Post- und Telegraphenamt, Bahnhöfe, Flugplatz etc.
– Heranziehung von Verstärkungen des Umlandes
– Der Zeitpunkt für das Losschlagen wurde am 23. Oktober auf 5 Uhr festgelegt.
„Das Fehlen von Unterlagen gestattet uns nicht, auf die vorbereitenden Maßnahmen des Aufstandes nach der Annahme des Beschlusses über das Losschlagen in allen Stadtteilen ausführlicher einzugehen. Da wir über den ziemlich umfassenden Bericht des militärischen Leiters von Barmbek verfügen, dem in der bezeichneten Sitzung vom Montag um 8 Uhr abends die militärischen Leiter von Uhlenhorst und Winterhude unterstellt wurden, werden wir uns im weiteren in der Hauptsache mit der Darlegung der Vorbereitung und des Verlaufes des Aufstandes namentlich in den nordöstlichen Arbeitervierteln Hamburgs befassen. Hier spielten sich eigentlich auch alle wichtigsten Ereignisse des Hamburger Aufstandes ab.“[7]
„Die Barmbeker Kampforganisation der Partei verfügte zusammen mit den Organisationen von Uhlenhorst und Winterhude über ungefähr 19 Gewehre und 27 Revolver; der Gegner aber hatte in diesen Stadtteilen 20 Polizeiwachen, darunter 8 mit verstärkter Belegschaft. Außerdem befanden sich in den Kasernen von Wandsbek 600 Mann Schutzpolizei und 6 mit je 2 schweren Maschinengewehren bestückte Panzerautos. Der Gegner hatte somit auf seiner Seite eine erdrückende Übermacht der Kräfte.“[8]
Jede Polizeiwache sollte von 1 bis 2 Gruppen der Stoßtruppen gestürmt werden. Jede Gruppe hatte 2 Pistolen oder 1 Gewehr und 1 Pistole. Die Schutzpolizisten sollten entwaffnet werden und die Waffen aus den Wachen gesammelt und den unbewaffneten Stoßtrupplern und den zum Kampf bereiten Arbeitern übergeben werden. Jede Gruppe musste um 4 Uhr 55 seine Ausgangsstellung eingenommen haben, um gemeinsam loszuschlagen.
Nach einer halben Stunde hatten die Aufständischen bereits 17 Polizeiwachen in ihre Hand bekommen und die Polizisten entwaffnet.
Gegen 6 Uhr fanden sich 130 Stoßtruppler mit den erbeuteten Gewehren und Revolvern ein. 3 leichte Maschinengewehre waren ebenfalls in die Hände der Revolutionäre gefallen.
„Der außerordentliche Erfolg, den die Stoßtruppler bei der Überwältigung der Polizeiwache hatten, erklärt sich durch zwei Ursachen.
Erstens ist lange vor dem Aufstand von den Leitern der Kampfgruppen eine sorgfältige Rekognoszierung[9] der Zugangsstraßen zu den Wachen sowie ihrer Innenorganisation vorgenommen worden. Die Organisierung des Angriffs auf sie war restlos durchdacht worden und es waren alle möglichen Einzelheiten bis ins kleinste vorgesehen. Beim Angriff haben die Stoßtruppler eine außerordentliche Kühnheit und Ausdauer an den Tag gelegt.
Zweitens war die wegen der ,Unruhe in der Stadt’ im Laufe der letzten Tage und bis zum 22. Oktober abends in dritte Kampfbereitschaftsstufe versetzte Polizei am 22. Oktober in Kampfbereitschaftsstufe 1 versetzt worden. Das geschah deshalb, weil die Polizei in den letzten Tagen vor dem Aufstand außerordentlich mitgenommen war.“[10]
Von der Aufstandsleitung wurden gleichzeitig mit dem Losschlagen Genossen zu den Stadtbahnhöfen, vor die Betriebe und Fabriken sowie zu den Punkten, an denen sich die Arbeiter trafen, geschickt, um den Generalstreik zu proklamieren und die Arbeiter für den Kampf zu gewinnen. „Das gelang ihnen restlos.“[11]
Da nicht alle Polizeiwachen entwaffnet werden konnten, kam der Polizei alsbald Verstärkung zu Hilfe, auch mit Panzerautos.
„Es begannen die Partisanenkämpfe mit der Polizei. Es bildeten sich kleine Gruppen bewaffneter Arbeiter. Die Leitung der Gefechtshandlungen erfuhr eine erhebliche Schwächung. Die Aufständischen gingen, im Grunde genommen, zur Verteidigung über. Gegen 7 Uhr morgens erteilte die Leitung den Befehl zum Bau von Barrikaden.
Ungeachtet dessen, daß die breiten Massen nichts davon wußten, daß am 23. Oktober der bewaffnete Aufstand erfolgen sollte, haben sich die Massen, als sie am 23. Oktober morgens erfuhren, daß gekämpft wird, in der einen oder andern Form am Aufstand beteiligt. Unter den Massen war allgemein der Schrei zu hören: „Gebt uns Waffen!“ Aber Waffen waren immer noch in außerordentlich ungenügender Menge vorhanden. Gleich nachdem die Losung über den Bau von Barrikaden ausgegeben worden war, wuchsen diese in der kürzesten Frist in allen Stadtteilen aus dem Boden hervor. Das war nur möglich dank der Teilnahme der breiten Arbeitermassen, u. a. auch der Frauen und Arbeiterinnen am Bau der Barrikaden und am Aufstand überhaupt.“[12]
Die Leitung des Aufstandes in Barmbek war schlecht bis gar nicht darüber informiert, wie und ob in anderen Stadtteilen der Aufstand verläuft. Mit der Hamburger Leitung hatte sie keine Verbindung seit dem Beginn des Losschlagens. Der Aufstand blieb isoliert.
„Zu Aufstandsversuchen kam es am Morgen des 23. Oktober auch in anderen Stadtteilen (St, Georg u. a.); infolge der schlechten militärischen und politischen Leitung aber und auch infolge des Fehlens von Waffen, hatten diese Versuche keinen Erfolg. Eine Ausnahme bildet Schiffbek, wo die Aufständischen die Polizei rasch entwaffneten und die Macht zwei Tage lang behaupteten.
Bis 17 Uhr des 23. Oktober wurde in Eilbek, Barmbek, Hamm und anderen Stadtteilen ein heftiger bewaffneter Kampf zwischen den Polizisten und den Aufständischen geführt. Die Polizei, die bedeutende Streitkräfte im südlichen Teil von Barmbek konzentriert hatte, ging zweimal energisch zum Angriff auf die Barrikaden der Aufständischen vor. Diese beiden Attacken wurden von den Aufständischen zurückgeschlagen. Die Polizei erlitt erhebliche Verluste. Die Aufständischen, die sich auf Hausdächern, hinter Fenstern, hinter Balkongeländern und hinter den Barrikaden verschanzt hatten, hatten vollkommen freies Gesichts- und Schußfeld und eröffneten jedesmal, wenn die Polizei sich den Barrikaden näherte, ein Schnellfeuer gegen sie. Die Verluste seitens der Aufständischen waren unbedeutend.“[13]
Die Aufständischen haben sich nicht nur verteidigt, sondern sind immer wieder zum Angriff übergegangen, haben mit kurzen Gegenstößen Kräfte des Feindes aufgerieben und diese demoralisiert.
„Bevor wir nun zur weiteren Darlegung des Verlaufes des Aufstandes übergehen, muß auf die Frage eingegangen werden, warum der Kampf in den nordöstlichen Stadtvierteln Hamburgs isoliert geblieben ist und warum der Aufstandsplan, soweit er die Mobilisierung der Massen in ganz Hamburg zum konzentrischen Angriff auf die Innenstadt betraf, nicht verwirklicht wurde, warum in einer Reihe von Stadtvierteln, in denen vom Morgen des 23. Oktober ab gegen die Polizei gekämpft wurde, dieser Kampf in der Folge eingestellt wurde.
Die Dinge lagen so, daß das Hamburger Proletariat gerade am 23. Oktober, d. h. in dem Moment, als es mehr denn je einer festen Führung bedurfte, keine solche Führung besaß. Aus einigen Stadtvierteln kamen Meldungen, daß sie Befehl haben, den Kampf einzustellen, daß der Aufstand in Hamburg verschoben sei und daß die Arbeiter, in Ausführung dieses Befehls, die Waffen verstecken und weitere Weisungen von der Parteileitung abwarten.“[14]
Gegen 10 Uhr wurde die Direktive zur Einstellung des Aufstandes gegeben. Der Sekretär der Parteileitung, Urbahns, war erst jetzt von der Chemnitzer Konferenz zurückgekehrt.
„Da somit die Konferenz endigte, ohne daß der Generalstreik ausgerufen wurde, beschloß die Kommunistische Partei, vorerst auf den bewaffneten Aufstand zu verzichten.
Die Chemnitzer Konferenz hat am 21. Oktober stattgefunden. Warum im Laufe des 22. Oktober nichts über den Ausgang dieser Konferenz und die daraus sich ergebenden weiteren Beschlüsse des ZK der Kommunistischen Partei nach Hamburg mitgeteilt wurde, ist uns unverständlich.
An die von der Polizei umzingelte Aufstandsleitung in Barmbek gelangte diese Direktive, den Aufstand nicht zu machen, wie bereits ausgeführt, erst um 17 Uhr des 23. Oktober. Obgleich die Partei das Signal zur Einstellung des Kampfes gegeben hatte, organisierten die Massen des Hamburger Proletariats aus eigener Initiative eine Reihe“[15] von Aktionen, wie Demonstrationen und Streiks.
Im südlichen Teil von Barmbek wurde bis zum Einbruch der Dunkelheit weitergekämpft. Auch die Polizei gab um 18 Uhr 30 den Befehl, den Kampf vorerst einzustellen. Die Nacht verlief ruhig. Die Bevölkerung von Barmbek unterstützte die Kämpfenden mit Verpflegung, Zigaretten usw. Die Gegner wurden auch durch falsche Nachrichten in die Irre geführt. Gerade die Frauen beteiligten sich aktiv am Aufstand.
„Erst nachdem in der Nacht vom 23. zum 24. Oktober in Barmbek eines der verantwortlichen Mitglieder der Hamburger Parteileitung eingetroffen war und den Stoßtrupplern den Befehl zur Einstellung des Kampfes erteilt hatte, begannen die Aufständischen sich zu zerstreuen und ihre Wohnungen aufzusuchen.
Bei Anbruch des zweiten Tages des Aufstandes trafen aus Kiel der Kreuzer ‚Hamburg‘ mit zwei Torpedobooten und einer Abteilung Schutzpolizei aus Lübeck in Stärke von 500 Mann im Hamburger Hafen ein. Die Kräfte der Konterrevolution hatten auch noch dadurch Verstärkung erfahren, daß die in Hamburg bestehenden faschistischen Organisationen aus geheimen Waffenlagern Waffen erhalten hatten und in Kampfbereitschaft gebracht worden waren.“[16]
„Am 24. Oktober, vormittags 11 Uhr, erstattete Oberst Danner seiner Vorgesetzten Behörde Meldung, daß Barmbek ,gefallen’ ist.
...
Am 25., und sogar noch am 26. Oktober wurden in Barmbek von einzelnen Gruppen der Stoßtruppler Angriffe auf kleine Schupoabteilungen, die Haussuchungen vornahmen und die Teilnehmer des Aufstandes ausfindig zu machen suchten, unternommen.
Die Polizei hatte während des Aufstandes ungefähr 60 Mann an Toten und eine bedeutende Anzahl Verwundeter verloren. Auf Seiten der Stoßtruppler gab es 4-6 Tote (die Zahl der Verwundeten ist nicht festgestellt worden). Sehr groß war die Zahl der Toten und Verwundeten unter jenen Teilen der Bevölkerung, die am Aufstand nicht mit bewaffneter Hand teilgenommen hatten und auf die die Polizei sehr häufig das Feuer eröffnet hatte. Unter den Verwundeten und Toten waren auch zwei Kinder.
Die geringen Verluste der Stoßtruppler erklären sich namentlich durch ihre kunstvolle Barrikadentaktik, die Abgabe des Feuers von den Dächern, den Balkons und überhaupt von gutverschanzten Stellungen aus.“[17]
1. Obwohl der Aufstand nur 2 Tage dauerte, ist er nicht durch die Konterrevolution niedergeschlagen worden. Die bewaffneten Kräfte stellten die Kämpfe freiwillig ein und zogen sich zurück.
2. Der Aufstand war ein politischer Massenaufstand, auch wenn verhältnismäßig Wenige bewaffnet waren (etwa 250-300 Mann). Wichtig ist, dass der Aufstand von breiten Teilen der Arbeiter unterstützt wurde, u. a. durch die rasche Errichtung von Barrikaden.
3. „Die politische Vorbereitung des Hamburger Aufstandes war außerordentlich schwach. Einzelne politische Sekretäre der Stadtteile erfuhren von dem bevorstehenden Aufstand erst im letzten Augenblick, einige erfuhren durch Zufall davon, weshalb sie die erforderliche vorbereitende politische und organisatorische Arbeit nicht zu leisten imstande waren. (...)“[18]
4. „Nichtsdestoweniger haben es die Aufständischen, trotz der schlechten Vorbereitung des Aufstandes und ungeachtet dessen, daß die Kampforganisation der Partei äußerst schwach war und keine Waffen hatte, dennoch verstanden, dank ihrer hingebungsvollen Treue gegenüber der Sache der Revolution, ihrem Mut, ihrem energischen und geschickten Vorgehen, dank ihrer Unterstützung durch die Arbeitermassen, einen erfolgreichen Kampf gegen die zahlenmäßig überlegenen und bis an die Zähne bewaffneten Kräfte der Schutzpolizei zu führen. Das zeugt davon, daß der Funktionärkern des Hamburger Proletariats, in der Hauptsache jener Barmbeks, Mut besaß, und daß bei einer richtigen militärischen und politischen Führung die Kampfabteilungen, auch wenn sie nur über geringe Mengen von Waffen verfügen, gegenüber den Kräften der Konterrevolution auf Erfolg rechnen können. ...“[19]
5. „Selbstverständlich darf man nicht glauben, daß, wenn der Hamburger Aufstand siegreich gewesen, d.h. wenn es dort gelungen wäre, die Macht zu erobern, daß es dann auch möglich gewesen wäre, diese Macht zu behaupten, auch dann, wenn das rote Hamburg isoliert geblieben und der Hamburger Aufstand nicht in den ausschlaggebenden Zentren Deutschlands unterstützt worden wäre. Die Notwendigkeit des Aufstandes in den anderen Städten, mindestens in den Städten der Wasserkante, war die Hauptvoraussetzung für einen Sieg des revolutionären Kampfes in Hamburg. Wir sind der Meinung, daß Hamburg unter den damaligen Verhältnissen in Deutschland zum Signal für den Aufstand in einer Reihe von Zentren und Bezirken Deutschlands werden konnte. ...“[20]
Am 23. Oktober marschierte die Reichswehr in Sachsen ein. Die Reichswehr ging dabei brutal gegen die Werktätigen vor. In Freiberg ermordeten sie 34 Arbeiter und verletzten über 50 schwer.
In mehreren Städten kam es zu Solidaritätsaktionen und zu mehrtägigen Streiks, z. B. in Bremen, Frankfurt (Main), Rostock.
„Während der Terror gegen die sächsische Arbeiterschaft tobte, richtete am 27. Oktober 1923 Reichskanzler Gustav Stresemann ein Ultimatum an den sächsischen Ministerpräsidenten Erich Zeigner, in dem der Reichskanzler den Rücktritt der Landesregierung innerhalb von 24 Stunden forderte. Als dies von der Regierung Zeigner abgelehnt wurde, unterschrieb am 29. Oktober der sozialdemokratische Reichspräsident Friedeich Ebert eine auf den Artikel 48 der Weimarer Verfassung gestützte Verordnung, nach der die verfassungsmäßig gebildete und von einem Sozialdemokraten geleitete sächsische Regierung aufgelöst und das reaktionäre Reichstagsmitglied Rudolf Heinze von der Deutschen Volkspartei zum Reichskommissar in Sachsen ernannt wurde. Mitte November traten auch die kommunistischen Minister der thüringischen Arbeiterregierung zurück.“21
Der KPD gelang es nicht, Verteidigungskämpfe auszulösen, man hatte es nach dem Generalstreik gegen die Cuno-Regierung vernachlässigt, weiter Teilaktionen anzuführen, und man hatte es versäumt, die militärischen und organisatorischen Voraussetzungen für einen bewaffneten Aufstand zu schaffen.
Kommunisten und Revolutionäre wurden überall verfolgt. Die kommunistische Presse wurde verboten. Am 23. November erfolgte das Verbot der KPD und die Tätigkeiten der kommunistischen Massenorganisationen und der Kommunistischen Jugend wurden untersagt.
Doch die Erfahrungen aus dem Hamburger Aufstand, die Bourgeoisie „am Rande des Abgrundes“ zu sehen, konnte auch das Wüten der Konterrevolution den Arbeitern nicht nehmen.
Walfried
Im Frühjahr 1928 wurde bei der Komintern der Entschluss gefasst, diese Handlungsanleitung zu erstellen. Erschienen ist diese Abhandlung nur auf Deutsch. Es wurde beschlossen, dass das Buch einen „Verfasser“ haben muss „A. Neuberg“ und einen Verlag im Impressum nennen muss: „1928 – Druck und Verlag Otto Meyer, Zürich“. Außerdem hatte die Ausgabe noch den Untertitel: „Versuch einer theoretischen Darstellung“. Diese Angaben dienten dazu, den Genossen, Sicherheit zu geben: Man habe das Buch bei einer Kundgebung oder Veranstaltung bei einem unbekannten Händler erworben.
Das Buch gliedert sich in folgende Punkte:
– Die II. Internationale und der Aufstand
– Der Bolschewismus und der Aufstand
– Der Aufstand in Reval
– Der Aufstand in Hamburg
– Der Aufstand in Kanton
– Der Aufstand in Schanghai
– Die Arbeit unter den Streitkräften der Bourgeoisie
– Die Organisierung der Kräfte des Proletariats
– Über die militärische Vorbereitung
– Die Kampfhandlungen von Aufständischen zu Beginn eines Aufstandes
– Die Kampfhandlungen von Aufständischen während eines Aufstandes
– Die Arbeit unter der Bauernschaft
Walfried
Auszug aus: Die Rote Fahne, Nr. 245 vom 23. Oktober 1925
1. Eine zahlenmäßig geringe Schar von Proletariern, die mit größtem Heldenmut unter dem Banner der Diktatur [des Proletariats] gekämpft haben, konnte sich mit Erfolg gegen die zwanzigfache Übermacht der glänzend organisierten und bewaffneten Truppen der Bourgeoisie militärisch halten.
2. Der unvergängliche Ruhm der Hamburger Oktoberkämpfer besteht darin, daß sie in einer revolutionären Situation zu den Waffen griffen, obwohl sie den Sieg nicht zu 99 Prozent in der Tasche hatten. Der Leninismus lehrt, daß man den Kampf aufnehmen muß, wenn ernste Chancen für den Sieg vorliegen. Eine Garantie für den Sieg gibt es niemals im voraus. Die Niederlage in einem solchen Kampf ist tausendmal fruchtbarer und wertvoller für die Zukunft des Klassenkampfes als ein Rückzug ohne Schwertstreich.
3. Der Aufstand führte zur Niederlage, weil er isoliert blieb, weil er nicht in Sachsen und im ganzen Reiche sofort unterstützt wurde. Mögen die Arbeiter in einem einzelnen Ort mit dem größten Heldenmut, getragen von der stärksten Massenbewegung, den Kampf aufnehmen: Sie werden geschlagen, wenn nicht das Proletariat im ganzen Lande mit ihnen geht. Gerade darin, in der Organisierung und Zusammenfassung der gesamten Arbeiterklasse in allen Industriezentren und Großstädten im ganzen Lande, besteht DIE ROLLE DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI als Vortrupp des Proletariats. Gerade darum brauchen wir eine eiserne, völlig geschlossene, restlos verschmolzene, unbedingt disziplinierte Partei.
4. Es ist nicht wahr, daß der Hamburger Aufstand ein Putsch war, sondern er wurde von der Sympathie der breitesten Massen getragen. Sogar der Polizeisenator Hense mußte wütend zugeben, daß die sozialdemokratischen Arbeiter in Hamburg, dieser rechtesten Organisation der SPD, und mit ihnen „die weitesten Kreise der Bevölkerung zu den Kommunisten hielten“. Unsere Schwäche bestand nur darin, daß wir nicht verstanden, diese Massen fest um uns zu scharen, sie rechtzeitig in allen Teilkämpfen zu uns herüberzuziehen, mit ihnen die Einheitsfront gegen die sozialdemokratischen Führer zu schließen.
5. Um bei der unvermeidlich kommenden Wiederkehr des Hamburger Kampfes in viel größerem Maßstabe siegen zu können, müssen wir wie ein Keil in die Massen eindringen, sie durch tausend Klammern mit uns vereinigen, eine wirkliche proletarische Einheitsfront mit Millionen Arbeitern bilden. In den Gewerkschaften, in allen parteilosen Organisationen der Arbeiterklasse muß ein großer revolutionärer Flügel heranwachsen, der gemeinsam mit den Kommunisten zum Träger der kommenden Kämpfe wird.
6. Als besonderer Mangel wurde in den Hamburger Oktobertagen das Fehlen einer starken Rätebewegung empfunden. Diese Tatsache ist noch nicht genügend in der Partei verstanden worden. Die Räte sind die Organe, die in einer revolutionären Situation die Millionenmassen des Proletariats zusammenfassen, die das Rückgrat des Kampfes bilden. Diese Lehre dürfen wir auch in der jetzigen Periode zwischen zwei Revolutionen nicht vergessen.
7. Die Machtergreifung des Proletariats ist kein einmaliger Akt. Sie besteht nicht nur in dem militärischen Kampf gegen die Truppen der Bourgeoisie, sondern sie muß durch jahrelange, ausdauernde Arbeit der Kommunistischen Partei und des ganzen Proletariats vorbereitet werden. Die kommenden Sieger über die Bourgeoisie müssen durch unzählige Teilkämpfe erzogen, vorbereitet, organisiert werden. Dies ist UNSERE HAUPTAUFGABE in der jetzigen Periode.
8. Es ist falsch, daß durch die Oktoberniederlage von 1923 eine einzigartige revolutionäre Situation ein für allemal „verpaßt“ wurde. Die Niederlage von 1923 war keine dauernde, ebensowenig wie die Niederlage des Spartakusbundes in den Nosketagen von 1919 eine dauernde war. Die Stabilisierung des bürgerlichen Deutschlands hat keinen langen Atem: trotz Dawesplan und Garantiepakt. Besser: wegen Dawesplan und Garantiepakt. Die kapitalistische Stabilisierung in Deutschland erlebt jetzt ihre erste „Atemnot“. Das große Resultat des Hamburger Aufstandes ist, daß die Arbeiter den scheinbar unbesieglichen Klassenfeind dreimal vierundzwanzig Stunden lang in seiner ganzen Schwäche gesehen haben. Zu den Hamburger Tagen haben die Arbeiter die Bourgeoisie am Rande des Abgrundes gesehen. Und sie werden diesen Augenblick niemals vergessen! Wir gehen nicht einer Versumpfung, sondern neuen Kämpfen, wir gehen mit eherner Notwendigkeit in Deutschland der zweiten Revolution entgegen. Darum gehört der Hamburger Aufstand nicht „der Geschichte“ an, sondern er ist eine Probe für die Zukunft.
9. Der Aufstand war ein Musterbeispiel für die glänzende, reibungslos arbeitende Organisation des revolutionären Kampfes. Aber er offenbarte zugleich den größten organisatorischen Fehler unserer Partei. Die Hamburger Kämpfer besaßen die volle Sympathie der Arbeiter in den Betrieben, aber sie hatten organisatorisch keine Verbindung mit ihnen. Es zeigte sich die ganze Unbrauchbarkeit, die verhängnisvolle Rückständigkeit unserer alten sozialdemokratischen Wohnorganisation. Die Wahlmaschine taugt nicht für die Barrikaden! Die schwerste Lücke in der Hamburger Kampffront war das Fehlen kommunistischer BETRIEBSZELLEN. Eine Kämpferschar wie die Hamburger, die sich auf fest verwurzelte Zellen in allen Betrieben und auf die Vereinigung der breitesten Arbeitermassen stützt, wird künftig in einer ähnlichen Situation unbesiegbar sein.
10. Die größte, wertvollste Lehre des Hamburger Aufstandes ist die großartige Erfüllung der ROLLE DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI IN DER PROLETARISCHEN REVOLUTION. Die Kommunisten waren nicht in Worten, sondern in der Tat der Vortrupp, die Führung, der Wegweiser der Arbeiterklasse. Sie gaben der Bewegung ein klar umrissenes Ziel, ein genau formuliertes Programm: die Diktatur des Proletariats. In dieser Beziehung steht der Hamburger Kampf auf einer weit höheren Stufe als alle früheren Bewegungen. Die Märzaktion von 1921 z. B. hält keinen Vergleich mit dem Hamburger Aufstand aus. Nur weil die Partei die Führung des Kampfes fest in den Händen hatte, wurde von den Hamburger Revolutionären zum ersten Male in Westeuropa die Marx-Engelssche Lehre begriffen und verwirklicht, daß „der Aufstand eine Kunst und daß die größte Hauptregel dieser Kunst die mit verwegener Kühnheit und größter Entschlossenheit geführte OFFENSIVE ist.“
Das sind die wichtigsten Lehren des Hamburger Aufstandes. Das grausame Lehrgeld, das wir für sie zahlten, waren der Tod und die Einkerkerung unserer Besten. Und dennoch: Diese Opfer werden sich hundertfach lohnen. Sie wurden nicht nur für den Aufbau einer Partei von Bolschewisten in Deutschland, sondern für die Zukunft der ganzen Arbeiterklasse gebracht.
Aus: Ernst Thälmann, Die Lehren des Hamburger Aufstandes, in: Reden und Aufsätze I, Berlin 1955, S. 254-264. Außerdem: www.mlwerke.de/th/1925/th1_069.htm
1 Interessant ist auch die 1955 in der DDR entstandene Dissertation von Heinz Habedank „Zur Geschichte des Hamburger Aufstandes 1923“ (Dietz-Verlag, Berkin/DDR, 1958). Hier ein Link zu diesem Buch: www.hamburgeraufstand.noblogs.org/zur-geschichte-des-hamburger-aufstandes-1923-vorwort-erstes-kapitel-zweites-kapitel/
2 Der bewaffnete Aufstand, S. 67
3 Ebenda S. 69
4 Ebenda S. 71
5 Ebenda S. 73
6 Ebenda S. 75 f.
7 Ebenda S. 78
8 Ebenda S. 79
9 Erkundung
10 Ebenda S. 82 f.
11 Ebenda S. 83
12 Ebenda S. 84
13 Ebenda S. 86
14 Ebenda S. 87
15 Ebenda S. 88
16 Ebenda S. 89
17 Ebenda S. 90
18 Ebenda S. 82
19 Ebenda S. 93
20 Ebenda S. 93
21 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Bd. 3, S. 433
Die Aufstandsbezirke in Hamburg.
Ausbildung am Maschinengewehr.
Barrikaden in Barmbek.
Schutzpolizei mit montiertem Maschinengewehr.