Für Dialektik in Organisationsfragen
„Angehörige krimineller Clans sollen in Zukunft auch abgeschoben werden können, wenn sie noch nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sind. Einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung des Ausländergesetzes hatte das Bundesinnenministerium (BMI) in einem Diskussionspapier am vergangenen Donnerstag vorgelegt. Die Behörden könnten damit beispielsweise ein ausländisches, nicht straffällig gewordenes Mitglied der mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebrachten Berliner Familie Abou-Chaker aus Deutschland ausweisen.
Wenn sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mit ihrem Vorhaben durchsetzen sollte, könnte die Familienzugehörigkeit zumindest Anfangsverdacht für eine Ausweisung aus Deutschland sein.“[1]
Hoppla, was ist da passiert? In unserer Besichtigung der Grundrechte hatten wir immer kritisiert, dass bestimmte Grundrechte „nur für Deutsche“ gelten sollen. Der Artikel 6 wurde dabei nie genannt, der Schutz für Ehe und Familie gilt für alle, so dachten wir, gleichermaßen für alle Familien, unabhängig von ihrer Herkunft, Nationalität und Staatsangehörigkeit. Und, ganz nebenbei, einen Ausschluss aus bestimmten Grundrechten wie z. B. dem Schutz von Ehe und Familie für „Kriminelle“ gibt es nicht, so dachten wir bisher auch. So wie das bürgerliche Recht keine „Kriminellen“ als spezielle Bevölkerungsgruppe kennt. Im Hitlerfaschismus gab es diese Einteilung, die „kriminellen“ Häftlinge wurden in den KZs besonders gekennzeichnet. Im bürgerlichen Recht gibt es sie nicht, sondern es gibt Straftaten, die von Gerichten geahndet werden können. Wer im Knast saß und seine Strafe abgesessen hat, kann unter keinen Umständen als „Krimineller“ bezeichnet werden. Er ist Staatsbürger wie jeder andere auch. Was aber den „kriminellen Clan“ betrifft, so haben wir es hier auch noch mit der Aufforderung zur Rechtsbeugung in Form der Sippenhaftung zu tun. Nichts anderes bedeutet auch die Aussage des Innenministers von NRW, Reul, Vordenker von Nancy Faeser in dieser Sache: „... der Einstieg in den Clan ist in der Regel die Geburt“.[2]
Da tun sich Fragen über Fragen an Nancy Faeser auf, hochkarätig ausgebildete Juristin und angebliche Kämpferin gegen Rechts (die übrigens mit ihren reaktionären Ausfällen bei der Wahl in Hessen nicht punkten konnte, weil die Leute, die ihre jüngst verkündeten Ansichten teilen, dann doch eher CDU oder AfD wählen).
Lesen wir einfach mal nach, was tatsächlich im Grundgesetz dazu steht:
Das ist eine einfache und klare Aussage. Sie bezieht sich ausnahmslos auf alle Familien. Einschränkungen wegen Herkunft, Nationalität oder Staatsangehörigkeit gibt es nicht. Und auch nicht wegen „Kriminalität“.
Als dieses Grundgesetz in Kraft trat, war ein sehr deutsches, ein Biedermeier-deutsches Bild von Ehe und Familie bei den Parteien der Bourgeoisie vorherrschend. Ehe und Familie waren als Fessel, als Mittel der Unterdrückung der Frauen, der Maßregelung der Jugend, der Duckmäuserei und des Denunziantentums in Funktion (man denke nur z. B. an den Kuppelei-Paragraphen in Westdeutschland, der die Förderung vorehelichen Geschlechtsverkehrs verboten hat – ein HorrorParagraph für alle Untermieter und Untervermieter. Oder an die zahlreichen Möglichkeiten der Männer, ihren Ehefrauen Verbote aller Art aufzuerlegen).
In den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde dieses Bild von Ehe und Familie mehr und mehr in Frage gestellt. Das hatte zum einen mit der Entwicklung eines freieren Liebeslebens aufgrund der Anti-Baby-Pille zu tun, zum anderen mit dem demokratischen Widerstand der studierenden Jugend, der gesellschaftliche Veränderungen durchsetzte gegenüber einer verstaubten Elite im Staatsdienst und in der Wissenschaft. Diese Veränderungen waren auch für das deutsche Monopolkapital notwendig, das mit dem bisherigen Politik- und Wissenschaftsbetrieb die Chancen der „neuen Ostpolitik“ nicht ausreichend nutzen konnte.
Mit der Annexion der DDR traf noch mal ein empfindlich frischer Wind auf die westdeutsche Gesellschaft. Das waren die selbstbewussten, scheidungsfreudigen DDR-Frauen, für die die Arbeit im Betrieb eine Selbstverständlichkeit war, die Hausfrauenarbeit dagegen ein unverständlicher Anachronismus, und die bei einer Entscheidung für oder gegen Abtreibung niemanden um Erlaubnis fragen mussten. Wesentliche Teile dieser Errungenschaften wurden ihnen mit der Annexion genommen. Ehescheidung wurde teuer, für viele zu teuer. Arbeit im Betrieb? Wenn man überhaupt noch Arbeit hatte, dann fehlte plötzlich der Betreuungsplatz für die Kinder. Abtreibung wurde wieder ein Straftatbestand, der Strafe kann man sich nur durch eine Zwangsberatung entziehen. Der Ernüchterung über diese Verschlechterung ihrer Position wurden demokratische Miniaturreformen und Lockerungen im Familienrecht entgegengesetzt, die allerdings weniger an den Fesseln der bürgerlichen Familie ändern als vielleicht viele denken. Aber dazu kommen wir noch, wenn es um die Kindererziehung geht.
Auf Grundlage dieser wenigen Reformen – von der Respektierung der Ehe ohne Trauschein bis zur Homo-Ehe – hat sich eine imperialistische Arroganz breitgemacht. Dieselben Reaktionäre, die einst mit dafür gesorgt haben, dass homosexuelle Männer in den Knast gesperrt wurden, halten heute Menschen mit homophoben Ansichten für nicht würdig, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Die Gleichberechtigung der Frau wird gegenüber Muslimen verteidigt genau von den Kreisen, die einmal alles getan haben, dass jahrzehntelang Gesetze gegen Frauen, die eindeutig dem Grundgesetz widersprachen, gültig blieben. Die islamische Ehe wird in Deutschland nicht anerkannt. Für viele Familien, die nach Deutschland kommen, hat das verheerende Konsequenzen. Schutz von Ehe und Familie nach Grundgesetz? Fehlanzeige!
Wir werden bei der Besichtigung dieses Artikels noch auf weitere Ungeheuerlichkeiten dieser Art kommen. Zunächst wollen wir auf einen wichtigen Widerspruch aufmerksam machen: Während bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sich vor allem Reaktionäre auf den Artikel 6 des Grundgesetzes berufen haben und so getan haben, als sei ihre „intakte Familie“ in ihrer heuchlerischen Harmonie die einzig mögliche menschliche Daseinsform, so findet man jetzt die Berufung auf und Verteidigung des Artikels 6 GG vor allem bei demokratisch-antifaschistischen Organisationen, bei Flüchtlingshelfern, bei Pro Asyl usw. Die Verteidigung des Artikels 6, der Schutz von Ehe und Familie ist mittlerweile zu einer demokratischen Aufgabe geworden. Dass nun inzwischen mit der abenteuerlichen Konstruktion des „kriminellen Clans“ Familien direkt, weil sie Familien sind, bekämpft werden können, ist eine Steigerung dieser reaktionären Angriffe, ist eine Verhöhnung des bürgerlichen Rechts, der bürgerlichen Gleichheit. Umso mehr ist es heute eine demokratisch-antifaschistische Pflicht, den Schutz von Ehe und Familie einzufordern.
Wir sollten aber auch wissen, warum es den in allen bürgerlichen Verfassungen vorhandenen Schutz von Ehe und Familie gibt, was der Klasseninhalt dieser Bestimmung ist, und auf welcher Grundlage wir ihn jetzt fordern und verteidigen müssen.
Nicht nur seit 1949, sondern sogar seit 1848, dem Erscheinen des „Manifests der Kommunistischen Partei“ von Marx und Engels hat sich gegenüber dem heutigen scheinbar so bunten und diversen Liebesleben nichts Grundsätzliches an den Fragen von Ehe und Familie geändert. So heißt es im Kommunistischen Manifest:
„Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurück geführt.“[3]
Grundsätzlich ist genau in diesem Sinn der im Grundgesetz garantierte Schutz von Ehe und Familie zu verstehen:
„Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie? Auf dem Kapital, auf dem Privaterwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen Prostitution.“[4]
Erzwungene Familienlosigkeit der Proletarier: Das heißt nichts weiter, als dass die Familie für die Arbeiter keine ökonomische Funktion mehr hat, dass aber die Frage, wann wer welche Schicht im Betrieb hat, und wer (wenn überhaupt) wie viel Lohn nach Hause bringt, die eigentliche gesellschaftliche Bindung darstellt.
Vollständig entwickelt existiert die Familie nur für die Bourgeoisie – die Familie der Bourgeoisie sichert über das Erbrecht den Bestand der Kapitalistenklasse über viele Generationen.
Auch beim Proletariat vererbt sich der Bestand der Klasse über Generationen, wozu die Angehörigen des Proletariats aber keine Familien brauchen. Die Eigentumslosigkeit vererbt sich automatisch, das Nichts, das den Menschen in die Lohnarbeit zwingt, setzt sich von selbst durch.
Warum aber gab es dann jahrzehntelang so viel Geschrei, so viel Heuchelei, so viel aufgeblasenes Geschwurbel um die Familie, deren Gründung und Aufrechterhaltung in einem Arbeiterleben so gar nicht den Schicht- und Standortplänen des Kapitals, der täglichen Unsicherheit um Arbeitsplatz, Wohnung und Geldbeutel entspricht?
Darüber verrät uns ein weiterer Abschnitt dieses Grundgesetzartikels einiges:
Was ist „natürliches Recht“? Der Begriff „natürliches Recht“ oder „Naturrecht“ kommt aus der Rechtsphilosophie und gibt leider nicht die jeweilige gesellschaftliche Wirklichkeit wieder. „Die Menschen vergessen die Abstammung ihres Rechts aus ihren ökonomischen Lebensbedingungen, wie sie ihre eigne Abstammung aus dem Tierreich vergessen haben. Mit der Fortbildung der Gesetzgebung zu einem verwickelten, umfangreichen Ganzen tritt die Notwendigkeit einer neuen gesellschaftlichen Arbeitsteilung hervor; es bildet sich ein Stand berufsmäßiger Rechtsgelehrten, und mit diesen entsteht die Rechtswissenschaft. Diese vergleicht in ihrer weitern Entwicklung die Rechtssysteme verschiedner Völker und verschiedner Zeiten miteinander, nicht als Abdrücke der jedesmaligen ökonomischen Verhältnisse, sondern als Systeme, die ihre Begründung in sich selbst finden. Die Vergleichung setzt Gemeinsames voraus: dieses findet sich, indem die Juristen das mehr oder weniger Gemeinschaftliche aller dieser Rechtssysteme als Naturrecht zusammenstellen. Der Maßstab aber, an dem gemessen wird, was Naturrecht ist und nicht, ist eben der abstrakteste Ausdruck des Rechts selbst: die Gerechtigkeit. Von jetzt an ist also die Entwicklung des Rechts für die Juristen und die, die ihnen aufs Wort glauben, nur noch das Bestreben, die menschlichen Zustände, soweit sie juristisch ausgedrückt werden, dem Ideal der Gerechtigkeit, der ewigen Gerechtigkeit immer wieder näherzubringen. Und diese Gerechtigkeit ist immer nur der ideologisierte, verhimmelte Ausdruck der bestehnden ökonomischen Verhältnisse, bald nach ihrer konservativen, bald nach ihrer revolutionären Seite hin. Die Gerechtigkeit der Griechen und Römer fand die Sklaverei gerecht: die Gerechtigkeit der Bourgeois von 1789 forderte die Aufhebung des Feudalismus, weil er ungerecht sei. Für die preußischen Junker ist selbst die faule Kreisordnung eine Verletzung der ewigen Gerechtigkeit. Die Vorstellung von der ewigen Gerechtigkeit wechselt also nicht nur mit der Zeit und dem Ort, sondern selbst mit den Personen, und gehört zu den Dingen, worunter (...) jeder etwas anderes versteht“[5]
Das „natürliche Recht“ der Eltern ist also eine juristische Aussage, die gar keine ist, die eher ein von Illusionen und Willkür geprägtes „Recht“ darstellt als eine nachprüfbare Rechtsgarantie für Eltern und Kinder. Die Kinder als verfügbares Eigentum der Eltern – das ist der undemokratische Hintergrund dieses „natürlichen Rechts“. Es steht sogar im Widerspruch zum bürgerlichen Recht, das das Eigentum an Menschen (Sklaverei und Leibeigenschaft) verbietet. Dennoch ist widersinnigerweise dieses Recht normaler Bestandteil bürgerlicher Verfassungen. Aber anders ginge es auch gar nicht – die bürgerliche Familie, wie oben dargestellt, ist ohne dieses Recht nicht funktionsfähig und kann den Erhalt der Kapitalistenklasse nicht garantieren, wenn der Erblasser nicht über die Aufzucht und Erziehung der Erben verfügen kann.
Was nun die Arbeiterklasse angeht, so geht es bei diesem 2. Absatz im Artikel 6 vor allem um die Pflicht der Eltern, neue Arbeitskräfte heranzuziehen. Es ist also nicht die Pflicht der Kapitalisten, variables Kapital heranzuschaffen, sondern das ist die Pflicht der Arbeiter, und nicht nur das – es ist ihre Privatangelegenheit. Mussten sich die Sklavenhalter noch auf dem Markt umsehen, wo sie ihre Sklaven herbekamen, so liegt die ganze Verantwortung der Herstellung neuer Lohnsklaven heute bei der Arbeiterklasse!
Was das heißt, dürfte allgemein bekannt sein: Millionenfache Kinderarmut, die aber höchstens eine Nebenrolle bei den Schaukämpfen innerhalb der Ampel-Regierung spielen darf. Kinder als Armutsrisiko. Abwälzung der Bildungsmisere auf die Eltern. Bildung als Luxus. Recht auf Kita-Plätze? Spaß beiseite. Spezielle Förderung von Kindern, die eine solche Förderung brauchen? Vielleicht. Aber zuerst sorg einmal dafür, dass du für den Arbeitsmarkt passende Kinder bekommst. Die Krankenkasse zahlt den Test auf Down-Syndrom, und dann auch die Abtreibung.
Allerdings müsste es selbst im Kapitalismus so drastisch nicht kommen. Deutschland ist in besonderem Maß ein Land der unglücklichen Kinder. „In europaweiten Umfragen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen weist Deutschland deutlich gesunkene, sehr niedrige Werte (nur 6,6 von zehn Punkten) bei der Zufriedenheit und einen der höchsten Werte beim subjektiven Unsicherheitsgefühl auf.“[6]
Das Problem ist, dass der deutsche Staat sich in einem besonders hohen Maß von der gesellschaftlichen Verantwortung für die Kindererziehung verabschiedet hat. Man denke nur daran, dass viele Eltern das Recht auf einen Betreuungsplatz gar nicht wahrnehmen können, weil es eben an solchen Plätzen fehlt. Oder an die Belastung, die Eltern aus der Arbeiterklasse auferlegt wird, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen, obwohl das Aufgabe der Schulen wäre. Und so weiter ... Entsprechend wurde in Westdeutschland und Westberlin endlos das heuchlerische Lied von der Nestwärme und der Mutterliebe gesungen, und entsprechend die gesellschaftliche Verantwortung verteufelt. Schon im Kommunistischen Manifest wurde die Verlogenheit all dessen gegeißelt: „Aber, sagt ihr, wir heben die trautesten Verhältnisse auf, indem wir an die Stelle der häuslichen Erziehung die gesellschaftliche setzen.
Und ist nicht auch eure Erziehung durch die Gesellschaft bestimmt? Durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer ihr erzieht, durch die direktere oder indirektere Einmischung der Gesellschaft, vermittelst der Schule usw.? Die Kommunisten erfinden nicht die Einwirkung der Gesellschaft auf die Erziehung; sie verändern nur ihren Charakter, sie entreißen die Erziehung dem Einfluß der herrschenden Klasse.
Die bürgerlichen Redensarten über Familie und Erziehung, über das traute Verhältnis von Eltern und Kindern werden um so ekelhafter, je mehr infolge der großen Industrie alle Familienbande für die Proletarier zerrissen und die Kinder in einfache Handelsartikel und Arbeitsinstrumente verwandelt werden.“[7]
Die Erziehung dem Einfluss der herrschenden Klasse zu entziehen, wird unter kapitalistischen Verhältnisse noch nicht möglich sein. Aber es gehört unabdingbar zum demokratischen Kampf, der uns der sozialistischen Revolution näherbringt, dass bereits in diesem System für eine Ausdehnung der gesellschaftlichen Erziehung mit demokratisch-antifaschistischen Inhalten gekämpft wird.
Dass für einen Teil der Kindererziehung die Eltern die Verantwortung tragen, wird auch in der 1. Phase des Kommunismus, im Sozialismus noch nicht der Vergangenheit angehören. Bislang hat es jedenfalls noch kein sozialistisches Land gegeben, das mit dieser Tradition gebrochen hat. Mit administrativen Maßnahmen diese Tradition sprengen zu wollen, könnte nur das Gegenteil bewirken. Die Familie und deren Berechtigung zur Kindererziehung wird in der Entwicklung der klassenlosen Gesellschaft ganz von selbst schließlich mehr und mehr an Bedeutung verlieren. In der ersten Phase des Kommunismus ist vorerst das wichtigste Ziel zu erreichen, das im Kommunistischen Manifest genannt ist: die Erziehung dem Einfluss der Bourgeoisie zu entreißen.
Wir müssen uns bei all dem darüber im Klaren sein, dass wir in einer Übergangszeit leben. Die Menschwerdung des Affen haben wir noch nicht so ganz bewältigt. Zurzeit werden sehr heftig Familienformen und Geschlechterzugehörigkeiten diskutiert und ausprobiert, aber das gehört nicht zu den Aufgaben der Arbeiter- und demokratischen Bewegung. Künftige Generationen werden wohl kaum in unseren vergilbten Büchern, Zeitungen und Traktätchen nach unseren Ratschlägen suchen, wie sie leben und lieben sollen. Sie werden „sich den Teufel darum scheren, was man heute glaubt, daß sie tun sollen; sie werden sich ihre eigne Praxis und ihre danach abgemeßne öffentliche Meinung über die Praxis jedes einzelnen selbst machen – Punktum.“[8]
Unsere Aufgabe heißt, den demokratisch-antifaschistischen Kampf als Antwort auf die täglichen Angriffe der Bourgeoisie zu begreifen, die mehr und mehr darauf hinauslaufen, das bürgerliche Recht durch Willkür zu ersetzen und dabei sogar das frühere „Heiligtum“ von Ehe und Familie angreifen. Besonders unters Feuer genommen haben die reaktionären Sachwalter der Bourgeoisie den Absatz 3 des Artikels 6 GG:
Kinder werden von diesem Staat ständig und täglich auf Grund nicht eines Gesetzes, sondern der Gesetzlosigkeit, des Verstoßes gegen das Grundgesetz, von ihrer Familie getrennt. Das ist eine unendliche Serie von unfassbaren Tragödien, in denen so getan wird, als gelte der Artikel zum Schutz von Ehe und Familie nur für Deutsche. Diese Tragödien reichen vom ausreisepflichtigen Säugling bis zur Mutter mit Kindern, die Krieg und Hunger zu erleiden hat, aber jahrelang dem vorausgereisten Familienvater nicht nachfolgen darf. 33 Bundesorganisationen haben im September 2023 gemeinsam erklärt: „Geflüchtete Kinder und ihre Familien warten nun seit knapp zwei Jahren darauf, dass die aktuelle Bundesregierung ihrem Recht auf Familie und ihren damit verbundenen Kinderrechten endlich Priorität einräumt. Für Zehntausende von ihnen war die Ankündigung im Koalitionsvertrag, den Familiennachzug zu Schutzberechtigten zu erleichtern, der letzte Hoffnungsschimmer. Getan hat sich seitdem nichts.“[9]
Es gab Wichtigeres in den zwei Jahren. Die „Zeitenwende“ erfordert Aufrüstung, Kriegsvorbereitung, „Wirtschaftsförderung“ (sprich: den Kapitalisten noch mehr in den Rachen zu stopfen). Da müssen sich Schutzberechtigte aller Art eben hinten anstellen.
Nun zu weiteren schönen Versprechungen:
Das hat ja wirklich hervorragend geklappt. Seit 1949 steht dieser „Anspruch“ im Grundgesetz. Tatsache ist: „Von den insgesamt 1,524 Millionen Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren in Deutschland waren 1,3 Millionen und damit rund 88 Prozent Mütter. (...) Die alleinerziehenden Mütter sind überwiegend erwerbstätig, fast die Hälfte (46 Prozent) arbeitet in Vollzeit oder großer Teilzeit und damit in Quasi-Vollzeit. (...) Bei vielen Ein-Eltern-Familien reicht das Arbeitseinkommen nicht aus, um das eigene Existenzminimum und das der Kinder zu decken. Sie stocken ihr Einkommen auf, indem sie Sozialleistungen nach SGB II beantragen. 40 Prozent der alleinerziehenden Leistungsbeziehenden, vorwiegend Frauen, sind Aufstocker (...).“[10]
Diese großherzige Fürsorge „der Gemeinschaft“ liefert dem Kapital seit Jahrzehnten ein einschüchterbares, erpressbares Arbeitskräftereservoir.
Erst im Jahr 2009 wurde die Gesetzgebung der BRD entsprechend diesem – ebenfalls seit 1949 bestehenden – Absatz geändert. Vorher galten außerehelich geborene Kinder als nicht verwandt mit ihren Vätern und waren demzufolge auch nicht erbberechtigt. Ein angenehmer Zustand für „besserverdienende“ Männer, die damit unbeschwert alles schwängern konnten, was gerade zu haben war. Die betroffenen Frauen wurden faktisch entmündigt, für ihr Kind wurde ihnen ein Vormund vor die Nase gesetzt (das galt nur für ledige Frauen, nicht für geschiedene oder verwitwete!) Die Kinder wurden allerorten ausgeschlossen und geächtet.
Allerdings blieb bezüglich des Erbrechts die Ungleichheit für „Altfälle“, d.h. vor 1949 Geborene, zunächst bestehen. 2017 wurde dies vom Europäischen Gerichtshof bemängelt. „Altfälle“ mussten neu beurteilt werden, auch unter Berücksichtigung der Rechtssicherheit der bisherigen Erben. Diese Komplikationen wären sehr leicht zu vermeiden oder zumindest zu mildern gewesen. In der Verfassung der 1949 zunächst nicht als sozialistische, sondern bürgerlich-demokratische Republik gegründeten DDR war die Regelung ganz einfach. Da hieß es:
„Art. 33. Außereheliche Geburt darf weder dem Kinde noch seinen Eltern zum Nachteil gereichen. Entgegenstehende Gesetze und Bestimmungen sind aufgehoben.“[11]
Das ist dasselbe Vorgehen, das wir schon bei der Frage der Gleichberechtigung der Frauen in der Verfassung der DDR von 1949[12] sehen konnten: Mit einem Federstrich wurde verworfen, was verwerflich ist. Die Gründe dafür, dass das in der BRD nicht geschehen ist, haben wir in der Folge 9 zum Artikel 3 erläutert:
„Die Erklärung ist so banal wie empörend: Die Gründung der BRD und die Inkraftsetzung des Grundgesetzes war ein Akt des Anti-Antifaschismus, des wütendsten Antikommunismus – anders war die Restauration des deutschen Imperialismus, die aggressive Drohung gegen die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und gegen die Sowjetunion nicht möglich. Dazu brauchte man Zustimmung im Volk. Diese Zustimmung fand man im rechtesten Sumpf, der durch die im Westen misslungene Entnazifizierung kaum Schaden genommen hatte und auch Einlass in hohe Staatsämter gefunden hatte. Und in diesem Sumpf fand man auch – wie kann es anders sein – die aufgeblasensten Gockel und übelsten Peiniger alles Weiblichen. Das waren die Stützen der westdeutschen Gesellschaft.“[13] Für die Aufhebung dieser skandalösen Benachteiligung der außerehelich geborenen Kinder und ihrer Mütter hat man ganz besonders lange gebraucht – bis zum Jahr 2009. Der ziemlich zuverlässige und inzwischen auch preiswerte DNA-Vaterschaftstest war entwickelt und 2008 ein gesetzlicher Rahmen dafür beschlossen worden. Erst dann – mit der legal abgesicherten Möglichkeit des Beweises der Vaterschaft – sah man sich veranlasst, dem Grundgesetz Genüge zu tun und sich einer zivilisierten Gesetzgebung zu nähern. Was für eine moralische Bankrotterklärung!
Der im Grundgesetz verankerte Schutz von Ehe und Familie hat im bürgerlichen Recht hauptsächlich die Funktion, das Eigentum der Kapitalistenklasse über Generationen zu schützen und der Arbeiterklasse Aufzucht und Erziehung künftiger Lohnarbeiter aufzuhalsen.
Dennoch ist die heuchlerische Beschwörung der „intakten Familie“ inzwischen allenfalls „für Deutsche“ noch aktuell, soweit Teile des Volkes auf diese Demagogie ansprechbar sind. Mit der Verschärfung der zwischenimperialistischen Widersprüche und dem Wachsen der Weltkriegsgefahr sowie den daraus resultierenden wachsenden Flüchtlingsströmen und sonstigen Migrationsbewegungen sind den Sachwaltern der Monopolbourgeoisie sämtliche rechtlichen und moralischen Hemmungen abhandengekommen. Die Ehe und die „intakte Familie“ werden nicht mal zum Schein mehr beschworen. Die derzeitigen reaktionären Angriffe der Bourgeoisie auf das bürgerliche Recht richten sich auch gegen den grundgesetzlich garantierten Schutz der Familie. Mit diesen Angriffen wird gleichzeitig der bürgerliche Gleichheitsgrundsatz verletzt, indem:
– nicht-deutsche Familien (Flüchtlinge, Einwanderer etc.) diesen Schutz nicht genießen, sondern willkürlich auseinandergerissen werden können,
– statt alle Familien gleichermaßen zu schützen, bestimmte Familien („Clans“) als Familien angegriffen werden, mit dem Ziel, Rechtsbeugung in Form von Sippenhaftung zur Regel zu machen und damit das bürgerliche Rechtssystem weiter zu zermürben und für einen möglichen faschistischen Angriff zuzurichten.
Es gehört daher zu unseren derzeitigen demokratischen Pflichten, den Schutz der Familie als gleiches Recht für alle zu fordern und zu erkämpfen.
Diese derzeitige demokratische Pflicht ändert nichts an der Tatsache, dass die Familie auf Dauer keine Zukunft hat. Sie bleibt aber selbst in sozialistischen Ländern vorerst noch erhalten. Gegenüber der heranwachsenden Generation ist das erste Ziel im Sozialismus, der Bourgeoisie die Erziehung zu entreißen. Dieses Ziel sollte uns auch heute anspornen, das gleiche Recht für alle auf den Schutz von Ehe und Familie gegen die Angriffe der Bourgeoisie zu verteidigen.
Und so geht es weiter:
Im 13. und letzten Teil unserer Besichtigung geht es um Artikel 13, die „Unverletzlichkeit der Wohnung“.
E.W.-P.
Aus dem Vorwort:
Die Grundrechte – Antifaschisten, Demokraten waren es bisher, die für die Verteidigung der Grundrechte stritten und demonstrierten. Wie ist es möglich, dass nun eine Masse nörgelnder, unter „Maskendiktatur“ schmachtender und sich überhaupt betrogen fühlender Kleinbürger, angeführt von Reichskriegsflaggen und sonstigem hochkriminellen Nazigesocks sich die Forderung nach Einhaltung der Grundrechte zu eigen macht, ja sich aufführt, als wären sie die Erfinder der Verteidigung der Grundrechte.
Es wird höchste Zeit, hier um Klarheit zu kämpfen. Deshalb die Einladung zur Besichtigung der Grundrechte, wie sie im Grundgesetz in den ersten 22 Artikeln geschrieben stehen (Artikel 1 bis 19 und Artikel 12a, 16a und 17a), sowie die Artikel 20 Abs. 4 (Widerstandsrecht), 33 (Gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern), 38 (Wahlrecht), 101, 103 und 104 (Grundrechte gegenüber der Justiz). Diese Besichtigung ist eine Serie in der KAZ, wobei jeder Teil dieser Serie ein abgeschlossener Artikel ist.
Bisher erschienen:
Vorwort zur Serie: KAZ Nr. 373, S. 8, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte
Teil 1 – Artikel 14: Das Eigentum: KAZ Nr. 373, S. 9, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-1
Teil 2 – Artikel 2: Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person: KAZ Nr. 374, S. 23, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-2
Teil 3 – Artikel 9: Das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden und das Koalitionsrecht: KAZ Nr. 375, S. 12, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-3
Teil 4 – Artikel 38 (2): Das Wahlrecht: KAZ Nr. 376, S. 8, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-4
Teil 5 – Artikel 20 (4): Das Recht auf Widerstand: KAZ Nr. 377, S. 30, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-5
Teil 6 – Artikel 8: Das Versammlungsrecht: KAZ Nr. 378, S. 10, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-6
Teil 7 – Artikel 5: Die Meinungsfreiheit: KAZ Nr. 379, S. 24, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-7
Teil 8 – Artikel 16a: Das Asylrecht: KAZ Nr. 380, S. 34, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-8
Teil 9 – Artikel 3: Die Gleichheit vor dem Gesetz: KAZ Nr. 381, S. 7, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-9
Teil 10 – Artikel 1: Die Würde des Menschen: KAZ Nr. 382, S. 33, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-10
Teil 11 – Artikel 4 und 7(3): Religionsfreiheit: KAZ Nr. 383, S. 24, www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-11
Sippenhaftung nennt man die Art von Rechtsbeugung, durch die Familienmitglieder für andere Familienmitglieder haften müssen. Auch das beliebte Verbotsschild „Eltern haften für ihre Kinder“ geht von Sippenhaftung aus, allerdings wird kein Richter, der seinen Job behalten möchte, diesen Verbotsschildern folgen (Eltern haften allenfalls für ihre Aufsichtspflicht, die aber auch z. B. einer Lehrerin oder einem Kita-Erzieher obliegen kann). Sippenhaft ist eine von der Sippenhaftung abgeleitete Vorgehensweise, Familienmitglieder als für ihre Familie Haftende einzusperren. Es ist zweckmäßig, diesen Unterschied zu beachten. Eine ernsthafte Argumentation zu den heutigen Angriffen mit dem Begriff „Sippenhaft“ zu entwickeln, ist kaum möglich, da hierzulande (noch) nicht der Realität entsprechend, während über die tatsächliche Drohung mit der Rechtsbeugung namens Sippenhaftung sachgemäß aufgeklärt werden kann und muss.
1 www.sueddeutsche.de/politik/bundesinnenministerium-faeser-clans-abschiebung-kriminalitaet-kritik-reaktion-1.6105848
2 ebenda
3 Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW Bd. 4, S. 465
4 Marx/Engels: Manifest, MEW Bd. 4, S. 478
5 Friedrich Engels: Zur Wohnungsfrage, MEW Bd. 18, S. 276 f
6 www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/bericht-kinder-in-deutschland-2023/339164
7 Marx/Engels: Manifest, MEW Bd. 4, S. 478
8 Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW Bd. 21, S. 83
9 www.proasyl.de/pressemitteilung/33-bundesorganisationen-fordern-recht-auf-familiennachzug-jetzt-umsetzen/
10 www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schneller-schlau/alleinerziehende-frauen-kaempfen-um-ihre-existenz-armut-und-inflation-18159102.html
11 www.verfassungen.de/ddr/verf49.htm
12 Zur Vergleichbarkeit des Grundgesetzes mit der Verfassung der DDR von 1949 siehe Vorwort zu dieser Serie in der KAZ Nr. 373: „Die Verfassung von 1949 war vom Deutschen Volkskongress eigentlich vorgeschlagen als gesamtdeutsche Verfassung für eine Deutsche Demokratische Republik von der Oder bis zum Rhein. Sie fußte noch auf dem kapitalistischen Ausbeutersystem. Da aber gemäß dem Potsdamer Abkommen 1945 zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion die Monopole beseitigt, die Kriegsverbrecher enteignet waren, war es ein sehr geschwächter Kapitalismus mit einem großen staatlichen Sektor unter Kontrolle der Arbeiter und Antifaschisten – wobei die Durchführung des Potsdamer Abkommens eben nur im Osten durchgesetzt wurde. Dass es keine gesamtdeutsche DDR gab, dem kam die Gründung der BRD mit ihrer Vorbereitung durch den Parlamentarischen Rat zuvor.“
13 www.kaz-online.de/artikel/besichtigung-der-grundrechte-9
Mit dem Gesetz „Über den Mutter- und Kinderschutz“ vom 27. September 1950 legte die SED den Grundstein für ihre Frauen- und Familienpolitik: „Auf der Grundlage der Gleichberechtigung ist den Frauen in erhöhtem Maße die Arbeit in der Industrie, im Transportwesen, in der Kommunalwirtschaft, im Handelswesen, in den Maschinenausleih-Stationen, der Volksbildung, des Gesundheitswesens und anderen Institutionen der Deutschen Demokratischen Republik zu ermöglichen.“
In der ersten Phase des Kommunismus ist vorerst das wichtigste Ziel zu erreichen, das im Kommunistischen Manifest genannt ist: die Erziehung dem Einfluss der Bourgeoisie zu entreißen.
Herrschaftszeiten: Aufrüstung und Kriegsvorbereitung statt Familiennachzug. Zeitenwende mit Doppelwums
Nein, zugeflogen sind die Milliarden den beiden BMW-Erben tatsächlich nicht. Der im Grundgesetz verankerte Schutz von Ehe und Familie hat ihr Eigentum über Generationen geschützt. Noch aus der Nazizeit konnte die Familie ihren Reichtum „retten“ und von Generation zu Generation weiter vererben.