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Krise der Gewerkschaften – Oder Kapitula­tion der Gewerkschaftsführung vor Kapitaloffensive?

4 Mio. Mitlieder hat der DGB seit 1991 verloren, allein 350.000 im Jahr 2004 (SZ 21.2.05), und das nicht nur wegen der steigenden Arbeitslosigkeit.

Die Gewerkschaften wurden von Regierung und Kapital als Blockierer und Betonköpfe dargestellt, die es zu beseitigen gelte. Die Abschaffung der Mitbestimmung wie der Tarifautonomie wird propagiert, um sie zu schwächen. Offen gewerkschaftsfeindliche Propaganda ist an der Tagesordnung, eine „rechte APO“ wie z.B. der „Bürgerkonvent“ organisieren Demonstrationen von Unternehmern. BDI-Präsident Rogowski wünscht sich „ein großes Lagerfeuer, um das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge hineinzuwerfen“ (Stuttgarter Nachrichten 21.10.2003) – d.h. er wünscht sich eine neue Bücherverbrennung, letztlich die Beseitigung der Gewerkschaften!

Aber neuerdings hört man aus dieser Ecke auch andere Töne: die Gewerkschaften hätten sich in die richtige Richtung bewegt – wenn auch natürlich noch nicht genug – sie würden endlich einsehen, dass die Arbeitskraft zu teuer, die Lohnnebenkosten zu hoch und der ganze Sozialstaat eben nicht mehr zu halten sei.

„Anpassen oder untergehen“ scheint die neue Strategie des DGB zu sein. Wir wollen untersuchen, ob das nicht bedeutet: untergehen oder untergehen, nämlich die Gefährdung der Existenz der Gewerkschaften selbst.

Seit der Niederlage des Sozialismus und angesichts der Massenarbeitslosigkeit von nicht bloß 5,2 Mio. Erwerbslosen, wie es offiziell heißt, sondern 8 bis 9 Mio., und weiteren Mio. Menschen mit prekärer Beschäftigung, in Billigjobs und im Niedriglohn, wittert das Kapital Morgenluft. Kein Tag vergeht, wo es nicht neue Forderungen anmeldet. Die Umverteilung von der Arbeiterklasse zum Kapital hat eine neue Qualität erreicht.

Die entscheidende Frage ist: wie reagieren wir Gewerkschafter darauf, wie organisieren wir die Gegenwehr?

Das Kapital hat sich in den letzten Monaten gezielt auf die Kerntruppen des Proletariats eingeschossen, die industriellen Großbetriebe, die bisher immer die Tarifrunden bestimmten. Und überall hat es seine Forderungen durchgesetzt, trotz teilweise erhöhter Bereitschaft der Belegschaften zum Widerstand, trotz Demonstrationen und Streiks. Seine Hauptwaffe dabei ist die Drohung mit Verlagerung ins Ausland (die wirkt, egal wie real die Gefahr wirklich ist), d.h. mit der Spaltung der Arbeiterklasse.

Massenmeinung ist: angesichts der sog. Globalisierung können wir uns nicht wehren, müssen wir auf die Erpressung seitens des Kapitals eingehen. Das ist die einzige Möglichkeit, um unsere Arbeitsplätze zu sichern. Denn darum ging es angeblich immer: Aufgabe von Tarifrechten gegen Arbeitsplatzgarantie! Lässt sich sichern, was im Kapitalismus nicht zu sichern ist? Wir wollen einige Standortsicherungsabkommen daraufhin untersuchen, ob sie das leisten konnten.

1. Niederlagen der Gewerkschaften als Erfolg gefeiert

Siemens: Mit der Drohung, die Werke in Bocholt und Kamp-Lintfort nach Ungarn zu verlagern, setzte die Geschäftsleitung die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche und Lohnabbau um ca. 30% durch. Es gab keine Zusicherung, den Belegschaftsabbau zu stoppen (die Formulierung heißt: „die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, dass ... keine betriebsbedingten Kündigungen erfolgen werden“! – ein Witz!) Es gab keine Zusicherung, auf die Verlagerung gänzlich zu verzichten. Die Entscheidung sollte nur um 2 Jahre verschoben werden. Inzwischen hat Siemens die Handy-Produktion verkauft. Die Kollegen wurden an der Nase herumgeführt.

DaimlerChrysler: Das geforderte Sparpaket von 500 Mio. wurde vom Betriebsrat voll erfüllt. Das bedeutet im einzelnen Lohnsenkung für die Neueinstellungen und Verlängerung der Arbeitszeit für die „Dienstleister“ u.a. Teile der Belegschaft. (s. Broschüre Erpresswerk DaimlerChrysler). Und im Gegenzug Beschäftigungssicherung? Nein! Der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen gilt nicht für Neueingestellte. Änderungskündigungen sind weiter möglich. Personalabbau durch Ausscheiden von Kollegen wird nicht ausgeschlossen, die Vereinbarung zwingt Daimler nicht, sie zu ersetzen. Bei sog. „Personalüberhängen“ soll Personal „sozialverträglich“ abgebaut werden. Reicht das nicht mehr aus, dann werden wie immer nach dem BetrVG Verhandlungen über Interessenausgleich geführt. Es gilt letztlich also nur die reine gesetzliche Regelung!

Volkswagen: Auch hier erhob das Kapital die Forderung nach 500 Mio. Einsparvolumen, auch hier wurde sie vom BR erfüllt, erreicht mit Lohnverzicht und v.a. noch größerer Flexibilisierung. Dafür aber soll es Arbeitsplatzsicherung bzw. Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen geben. „Es ist gelungen, die Ziele der Arbeitsplatzsicherheit einerseits und das Interesse des Unternehmens nach Kostenentlastung zu einem fairen Ausgleich zu bringen,“ so die Stellungnahme der IG Metall nach Abschluss im November 2004. 30.000 Arbeitsplätze, die im Feuer standen, seien bis 2011 gerettet durch das Abkommen. Allerdings hat der Vertrag einen Haken, er enthält nämlich eine Revisionsklausel für den Fall außerordentlicher Krisen in Produktion und Absatz. Wenn eingewendet wird, dass die dann fällige Rückkehr zum alten Tarifvertrag unattraktiv für VW sei, dann sei auf andere Möglichkeiten des Unternehmens verwiesen, z.B. „Outsourcing“ in Tochterfirmen, die wesentlich geringere Standards haben (vgl. Stephan Krull in „Sozialismus“ 5/05).

Angeknüpft wurde hier an die Politik von 1993, wo die IGM mit dem VW-Vorstand einen Haustarifvertrag aushandelte, der eine Arbeitszeitverkürzung auf 28,8 Stunden ohne Lohnausgleich vorsah. Der Druck wurde von der Geschäftsleitung mit der Drohung erzeugt, dass sonst 30.000 Kolleginnen und Kollegen entlassen würden. Der jährliche Lohnverlust für jeden Beschäftigten betrug fast 10.000 Mark, und die jährliche Kostenersparnis von VW wurde mit zwischen 1,8 und 2,2 Milliarden Mark beziffert (Handelsblatt, 26.11.93). Kein Wunder, dass die VW-Aktie danach um 9,50 Mark stieg. Der VW-Vorstand lobte das Ergebnis als „Rezept für die Wirtschaft“, war also zufrieden mit dem Deal. Oder das Modell 5.000 mal 5.000 im Jahre 2002: 5.000 arbeitslose Kollegen wurden unter der Bedingung eingestellt, dass der Betriebsrat einer Abweichung vom Tariflohn und anderen Verschlechterungen zustimmte. Der nächste Angriff wird schon vorbereitet: die Dreitagewoche bei 10-Stunden-Schichten soll die Lohnkosten weiter massiv senken – die Kollegen verlieren die Zuschläge, von dem Angriff auf ihre Gesundheit ganz zu schweigen. Das VW-Kapital will so seine Ziele durch immer weitere Flexibilisierung und Intensivierung der Arbeit durchsetzen.

In allen Fällen handelt es sich um Umverteilung innerhalb der Klasse. Es wird zwar Solidarität geübt, aber ohne die Geschäftsleitung unter Druck zu bringen. Die drohende Erwerbslosigkeit wird auf alle Kolleginnen und Kollegen umverteilt. Die Frage wurde nie gestellt, ob durch Streik nicht mehr rauszuholen gewesen wäre. Die geübte Solidarität bleibt ohne Perspektive, solange wir nicht das Kapital angreifen.

Inzwischen ist auch die „Arbeitsplatzsicherung“ schon gefährdet. Sieben Milliarden Euro sollen bis 2008 eingespart werden! „Dabei wird immer klarer: Die Konzernspitze stellt die von uns im November letzten Jahres teuer bezahlte Beschäftigungssicherung bis 2011 in Frage.“ (Betriebszeitung „Roter Käfer“, zitiert nach uz vom 22.7.2005) Der Angriff auf den Betriebsratsvorsitzenden Volkert bietet den willkommenen Anlass, um eine noch härtere Gangart des Kapitals bei VW einzuleiten.

Opel: Nach monatelangen Verhandlungen wurde auch bei Opel ein „Zukunftssicherungsvertrag“ geschlossen, der erhebliche Lohneinbußen (allmähliche Absenkung um rund 20%!), Flexibilisier­ung der Arbeitszeit und den Abbau von fast 10.000 Arbeitsplätzen vorsieht. Danach seien die Arbeitsplätze bis 2010 aber sicher: der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen sei „rechtsverbindlich festgeschrieben“, so der Konzernbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz. Wie bei VW fehlt aber die „Katastrophenklausel“ nicht.

Für alle Abkommen gilt: Die Monopole haben ihre Konkurrenzsituation auf Kosten der Arbeiter gestärkt. Da es alle großen Konzerne so machen, funktioniert das Kalkül aber nicht. Es bleibt dabei das Geheimnis der Gewerkschaftsführungen, wie sie darauf kommen, dass sich unter kapitalistischen Bedingungen überhaupt Arbeitsplätze - und dann noch auf Jahre hinaus - durch Tarifverträge sichern lassen. Eine Garantie für Standort und Beschäftigung kann es im Kapitalismus nicht geben. Bei „wesentlichen Änderungen der Grundannahmen und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ (VW-Abkommen) werden sie nur ein Fetzen Papier sein. Und angesichts der Überkapazitäten im Automobilsektor und dem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb ist es nur eine Frage der Zeit, wann welches Werk und welche Firma wieder in Bedrängnis kommen. Die sog. „Niedriglohnländer“ existieren ja weiter, die Konkurrenz fordert auch Lohnsenkungen – und so führt die Verzichtsspirale weiter abwärts für uns alle.

Wir sollten deshalb die Worte des GM-Europa-Vertreters Forster ernst nehmen, der auf der Belegschaftsversammlung in Bochum sagte: „In unserer heutigen Welt kann man keine Garantien geben.“ (Financial Times Deutschland, 31.1.05). Auch die IGM hat schon bessere Einsichten verbreitet: „Standortsicherungsverträge mit kräftigen Abstrichen für die Beschäftigten haben nichts gebessert.“ (Metall, Okt. 04, S.9)

Dass Betriebsräte unter Druck stehen, und Belegschaften auf die Sicherung ihrer Arbeitsplätze drängen, ist verständlich und bekannt. Aber alle diese Abkommen konnten mit dem Segen der IG Metall abgeschlossen werden. Und nicht nur das. Die IGM hat mit dem sog. „Pforzheimer Kompromiss“ vom 16.2.2004 die Grundlage für all diese Verträge gelegt.

Darin heißt es: „Ist es unter Abwägung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen erforderlich, durch abweichende Tarifregelung eine nachhaltige Verbesserung der Beschäftigungsentwicklung zu sichern, so werden die Tarifvertragsparteien nach gemeinsamer Prüfung mit den Betriebsparteien ergänzende Tarifregelungen vereinbaren oder es wird einvernehmlich befristet von tariflichen Mindeststandards abgewichen (z.B. Kürzung von Sonderzahlungen, Stundung von Ansprüchen, Erhöhung oder Absenkung der Arbeitszeit mit oder ohne vollen Lohnausgleich)“.

Arbeitgeberpräsident Kannegießer von Gesamtmetall schätzt dies folgendermaßen ein: „... erstmals habe sich die IG Metall verpflichtet, zur Sicherung von Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit Abweichungen vom Flächentarif zuzustimmen. Sie habe auch mit dem Glaubenssatz gebrochen, Arbeitszeitverlängerungen seien kein Beitrag zur Beschäftigungssicherung.“ (Kölner Stadtanzeiger, 14.3.2004) Thomas Straubhaar, Chef des von Steuergeld abhängigen Hamburger Weltwirtschafts-Archivs frohlockt bereits, das Tarifkartell der Gewerkschaften sei de facto gesprengt worden (nach Reinhard Blomert, Berliner Zeitung vom 2.4.05)

Statt den gemeinsamen Abwehrkampf zu führen, statt die von Erpressung bedrohten Betriebe zusammenzuführen, lässt die IGM es zu, dass sie einzeln vom Kapital vorgeführt werden und zimmert noch die Rahmenbedingungen dafür. Die Unternehmer haben durch Öffnungsklauseln nur Vorteile. Der Tarifvertrag bleibt, und damit Planungssicherheit und Friedenspflicht, aber Arbeitszeit und Löhne etc sollen flexibel nach unten abweichen. Wichtige Teile des Tarifvertrags sind nicht für die ganze Laufzeit festgelegt und stehen ständig zur Disposition. Der Vorteil des Tarifvertrags für die Arbeiterklasse schwindet, für das Kapital steigt er.

Dass Verzicht keine Arbeitsplätze sichert, gilt plötzlich nicht mehr. Und der Gipfel ist, die Kapitulation wird noch als Erfolg gefeiert, als Rettung der Arbeitsplätze. Da ist es kein Wunder, dass die Kollegen glauben, gegen die Globalisierung sei kein Kraut gewachsen, aber mit Zugeständnissen könne man Verlagerungen verhindern.

Die Folgen sind: über 300 Betriebe haben im Jahr 2004 ähnliche Standortsicherungsabkommen abgeschlossen (nach Berthold Huber in FR, 11.11.04), ca. 2.000 wollen ebenfalls die Öffnungsklausel nutzen. Schon jetzt nützt fast jedes 10. Metallunternehmen die Möglichkeit für betriebliche Abweichungen (SZ 21.2.05).

Und in NRW glaubt die IGM, mit der Drohung betrieblicher Tarifpolitik könne sie den Flächentarifvertrag wieder stabilisieren – als ob es nicht offensichtlich ist, dass der Einzelbetrieb leichter erpressbar ist. Es ist doch das Kapital, das die Gewerkschaften aus den Betrieben raushalten und das deshalb die Verbetrieblichung der Tarifpolitik will. Die Unternehmer wollen auf betrieblicher Ebene ein „Bündnis für Arbeit“ im sozialpartnerschaftlichen Rahmen, d.h. durch bloße Verhandlungen mit den Betriebsräten. Diese sollen an die Stelle des branchenweiten Streiks treten, der die einzige Möglichkeit ist, den Flächentarifvertrag zu erhalten und zu stabilisieren.

Die andere „Geheimwaffe“, die jetzt propagiert wird, sind sog. Bonusregeln, wo Gewerkschafter besser gestellt werden als unorganisierte Kollegen. Damit gibt die Gewerkschaft ihren progressiven Anspruch auf, die Interessen aller Arbeiter zu vertreten, und begibt sich auf Versicherungsniveau. Der Bonus soll den Kampf ersetzen. Und indem die Spaltung zwischen organisierten und unorganisierten Kolleginnen und Kollegen vertieft wird, betreibt die Gewerkschaft die Politik für das Kapital. Die Gewerkschaftsführung sollte sich lieber den Kopf zerbrechen, warum die Kollegen austreten oder nicht für eine Mitgliedschaft gewonnen werden können.

Begonnen hat die aktuelle Serie der Niederlagen übrigens mit dem abgebrochenen Streik im Osten. Die IG Metall-Führung ließ unter dem Druck mächtiger Betriebsratsfürsten im Westen die Kollegen im Osten im Regen stehen. Allein die solidarische Unterstützung großer Belegschaften im Westen hätte den Streik zum Erfolg führen können. Dieses opportunistische, unsolidarische Verhalten war für das Kapital das Zeichen, sich bald darauf auch die Betriebe im Westen einzeln vorzuknöpfen.

Genauso kritisch ist der Abschluss beim Öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) einzuschätzen. Ver.di behauptet, sie habe mit diesem Abschluss den Flächentarifvertrag gerettet.

Die Logik ist ähnlich: die öffentlichen Arbeitgeber drohen teils mit Privatisierung, teils mit Ausstieg aus dem Tarif, wie es die Länderarbeitgeber schon getan haben. Die Einführung von Niedriglohngruppen, von Arbeitszeitverlängerung usw. würde diese Gefahr bannen. Wieso? Wenn die Bedingungen für die Beschäftigten verschlechtert werden, macht das die Situation für private Krankenhausbetreiber, für private Busunternehmer usw. nur noch interessanter, den Betrieb zu übernehmen. Und auch der Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag kann so nicht verhindert werden, da die Kommunen sehen, dass die Belegschaften alles mit sich lassen machen, dass sie kampflos ihre sozialen Rechte preisgeben. Das Argument der leeren Kassen, das die Politiker anführen, bleibt bestehen. Und so lange wir nicht den öffentlichen Dienst verteidigen, weil das Leistungen für uns alle sind – Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Verkehrsmittel – so lange wird der Druck auf die Beschäftigten dort bleiben.

Der Abschluss sieht im einzelnen vor: je 300 Euro Einmalzahlungen in den nächsten drei Jahren – so lange ist die Laufzeit. Das ist laut Arbeitgebern eine Erhöhung von 1%, was die Preiserhöhung von ca. 2% zur Zeit nicht ausgleicht und faktischen Lohnverzicht bedeutet. Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld wird in Zukunft zusammengelegt und ab 2007 gesenkt. Kinderzuschläge werden einfach gestrichen. Die Einführung einer Niedriglohngruppe von 1.286 Euro (nach 16 Jahren steigt sie auf die Schwindel erregende Höhe von 1.440 Euro!) bedeutet Lohndumping im öffentlichen Bereich, mit der Unterschrift der Gewerkschaft. Netto befinden sich diese Kolleginnen und Kollegen dann wohl an der Armutsgrenze. Entgegen Bsirskes Ankündigung, dass es mit ihm keine Arbeitszeitverlängerung geben werde, müssen die Bundesangestellten ohne Lohnausgleich eine halbe Stunde länger arbeiten. Für die andern wurde vereinbart, dass 45 Stunden gearbeitet werden können ohne Überstundenzuschlag. Für die Arbeiter und Angestellten in den Kommunen ist die Drohung nach Arbeitszeitverlängerung auch nicht vom Tisch, die Arbeitgeber können jederzeit nachverhandeln und bis zu 40 Stunden fordern.

Dazu kommt noch, dass auch die Kampfbedingungen in Zukunft verschlechtert wurden. Denn die Zauberformel, dass den bisher bereits Beschäftigten weitgehend die alten Bedingungen erhalten bleiben und für die Neueingestellten massive Verschlechterungen gelten, heißt nichts anderes als Spaltung und damit Schwächung der Kampfkraft. Neid und Konkurrenz wird erzeugt, indem die neuen Leistungszulagen an der bisherigen Lohnsumme eingespart werden sollen. Was dem einen gegeben wird, wird dem andern genommen. Schon gar nicht stärkt es uns, dass die bisher kampfstärksten Bereiche wie der Nahverkehr oder die Versorgungsbetriebe (Müllabfuhr z.B.!) mit Spartentarifverträgen aus der gemeinsamen Kampffront herausgebrochen wurden.

Um die Arbeitgeber von Bund und Kommunen für den Flächentarifvertrag bei der Stange zu halten, hat sich die Verdi-Führung kampflos zu den massivsten Verschlechterungen der letzten Jahrzehnte erpressen lassen. Das wird für die Unternehmer nur ein Zeichen sein, die Daumenschrauben noch härter anzuziehen. So können wir uns vor dem Angriff des Kapitals nicht retten!

Gewiss ist die Kampfkraft der öffentlichen Betriebe überwiegend gering. Aber selbst im Bereich der Länder hat sich gezeigt, dass einige Belegschaften zu ungeahnten Aktionen bereit waren. In Baden-Württemberg waren es z.B. die Beschäftigten der Uni-Krankenhäuser und hier in München die Kollegen der Staatsoper und des Residenztheaters. Sogar eine Vorstellung musste wegen des Warnstreiks der Bühnenarbeiter ausfallen. Wenn richtig aufgeklärt und mobilisiert worden wäre, wäre auch in andern Bereichen mehr drin gewesen. Aber ver.di wollte ja gar nicht mobilisieren, hat ausdrücklich darauf verzichtet, um das Jahrhundertwerk ruhig mit den Arbeitsgebern über die Bühne zu bringen! Dort wo Informationsveranstaltungen stattfanden, waren die Kollegen empört. Und aus diesen Bereichen kamen dann auch die Gegenstimmen in der Tarifkommission.

Dabei ist die Sache noch lange nicht ausgestanden. Die ver.di-Verhandlungsführer unterschrieben eine „Meistbegünstigungsklausel“: Schließt ver.di bei einem oder mehreren Ländern eine schlechtere Regelung zu Arbeitszeiten oder Löhnen ab, so kann diese sofort im Bund und in den Kommunen übernommen werden. Die Tarifrunde geht also weiter im Bereich der traditionell am schlechtesten organisierten Beschäftigten der Länder – ohne jegliche Kampfmöglichkeiten der kommunalen oder Bundesbeschäftigten aber mit voller Rückwirkung auf sie. Und die Beschäftigten der Länder müssen für einen Abschluss streiken, der ihnen massive Verschlechterungen bringt, um ein noch schlechteres Ergebnis zu verhindern! Eine perverse Situation, in die ver.di die Kolleginnen und Kollegen da gebracht hat! Die „Meistbegünstigung“ wird ins Gegenteil verkehrt.

Unsere Gewerkschaftsführungen sind nach wie vor dem sozialpartnerschaftlichen Denken verhaftet, obwohl ihnen der Sozialpartner längst abhanden gekommen ist. Sie sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Und sie verschlechtern für uns nicht nur unsere Lebens- und Arbeitsverhältnisse, sondern auch die Kampfbedingungen. Denn überall führen die Abkommen auch zu einer Spaltung der Belegschaft. Die langjährig Beschäftigten werden gerade noch abgesichert, aber die Neueingestellten und Azubis werden gnadenlos schlechter gestellt. Die Kollegen der Dienstleistungsbereiche, die sowieso schon weniger verdienen, werden noch mal schlechter gestellt und von den Facharbeitern preisgegeben. Damit wird das Prinzip der Solidarität, das unsere einzige Stärke, die Voraussetzung unseres gemeinsamen Kampfes ist, massiv verletzt.

Dazu kommt noch das Versagen der Gewerkschaftsführung beim Sozialkahlschlag und der politischen Entrechtung der Arbeiterklasse, was hier nicht weiter dargestellt werden soll. Nur so weit: Die erfolgreichen Demonstrationen der 500.000 im April vergangenen Jahres waren nur ein Dampfablassen. Die Mobilisierung zu betrieblichen Aktionen wurde bewusst unterlassen. DGB-Chef Sommers Ausführungen, der Trend, den „Sozialstaat“ auf eine Grundversorgung zu reduzieren, sei wegen der Globalisierung und der demografischen Entwicklung unumkehrbar, zeugen davon, dass die Gewerkschaftsführung sich inzwischen damit abgefunden hat.

2. Objektive Ursachen unserer Schwäche

Aber können wir uns angesichts der Massenarbeitslosigkeit und der Globalisierung überhaupt wehren? Ist die Angst der Kollegen um den Arbeitsplatz nicht berechtigt? Können wir der Konkurrenz der Arbeiter anderer Länder, die ihre Arbeitskraft für noch viel weniger Lohn verkaufen müssen, etwas entgegensetzen?

Was ist die Ursache der Schwäche der Arbeiterbewegung? Als Erklärung sind sowohl ökonomische wie politische Gründe heranzuziehen - falsch ist es auf jeden Fall, die Gründe in erster Linie bei der „Globalisierung“ zu suchen, wie es die Regierung und die Gewerkschaftsführung tut.

Die Sozialdemokratie behauptet, dem Druck der sog. Globalisierung könnte sich die Arbeiterklasse nicht entziehen. Richtig ist, die Gesetze des kapitalistischen Systems und den Drang des Kapitals nach Höchstprofiten können wir nicht außer Kraft setzen. Das Kapital hat immer die Tendenz, den Arbeitslohn zu reduzieren und die Arbeitszeit zu verlängern, wie Marx feststellte. Der ökonomische Kampf kann nicht gewonnen werden, solange der Kapitalismus besteht.

Der weltweite Handel gehört dabei zum Wesen des kapitalistischen Systems, wie Marx in den Grundrissen zur Kritik der politischen Ökonomie (MEW Bd. 42, S. 321) feststellte: „Die Tendenz, den Weltmarkt zu schaffen, ist unmittelbar im Begriff des Kapitals selbst gegeben.“ Und im dritten Band des Kapitals (MEW Bd. 25 S. 120) heißt es: „... der Weltmarkt (bildet) ... überhaupt die Basis und die Lebensatmosphäre der kapitalistischen Produktionsweise.

Seit Beginn des Imperialismus ist der Kapitalexport, die Gründung von Tochterfirmen im Ausland und inzwischen die Verlagerung ganzer Branchen ins Ausland ein Mittel, um die Profite zu steigern und die Arbeiter unter Druck zu setzen. In den 60er bis 80er Jahren des letzten Jahrhunderts war es z.B. die Textilindustrie, die halbiert wurde, und in den nächsten 20 Jahren danach noch einmal. Sie lässt seitdem überwiegend erst in Asien, jetzt auch in Osteuropa fertigen. Das Ledergewerbe wurde in den letzten 40 Jahren auf weniger als ein Achtel in der BRD reduziert. Der Bergbau schrumpfte in dieser Zeit auf fast ein Siebtel seiner Beschäftigten 1960. Die Stahlbranche verlagerte in der Krise der 60er und der 80er Jahre massiv nach Japan, Süd-Korea, Indien und Brasilien.

Die Folgen wurden damals in einer Phase kapitalistischen Wachstums allerdings gemildert durch neue Investitionen: z.B. wurde 1963 Opel Bochum gegründet. So stieg die Zahl der beschäftigten Kollegen im Maschinenbau leicht an, im Fahrzeugbau hat sie sich von 1960 bis heute annähernd verdoppelt, ist allerdings seit 1990 wieder leicht gesunken. Damit konnten diese Branchen einen Teil der Kollegen aus den verlagerten Bereichen aufnehmen. Und das ist der Unterschied zu heute! Ein Strukturwandel zu neuen boomende Branchen findet nicht mehr statt, sei es Gen-, Bio-, Informationstechnologie oder Mikroelektronik z.B. können die alten Branchen nicht ersetzen.

Und zweitens: Solange die Konjunktur brummte, wurde die Internationalisierung der Produktion nicht als Bedrohung erlebt. Aber heute hat die Krise alle Bereiche erfasst und sie dauert schon mehr als zwei Jahrzehnte.

Zur Zeit der Rekonstruktionsphase nach dem 2. Weltkrieg machte das Kapital soziale Zugeständnisse – allerdings auch nur, wenn die Arbeiterklasse dafür auf den Plan trat. Das Kapital konnte es sich leisten und v.a. war es politisch geboten:

Adenauer drückte die Funktion staatlicher Sozialpolitik 1962 so aus: „Es sind inzwischen Stimmen laut geworden (...) es seien auf sozialem Gebiet zu große Aufwendungen gemacht worden. Nun, ich bin der Auffassung, dass bei der Lage, in der das deutsche Volk sich damals befand, bei der drohenden Gefahr des Kommunismus, es besser war, zu viel als zu wenig zu tun.“ Und Norbert Blüm bestätigte dies 2003 in einem Interview für das „Neue Deutschland“, als er den „Sozialstaat“ „eine Legitimationsgrundlage unseres Systems“ nannte, „mit dem wir unsre Überlegenheit bewiesen haben.

Diese Phase endete 1966/67 mit der ersten ökonomischen Krise nach dem Krieg und schon gab es auch den ersten Lohnstopp, der von der Konzertierten Aktion, d.h. unter Beteiligung der Gewerkschaften verordnet wurde. Von der IG Bergbau und Energie wurde 1966 ein Tarifvertrag mit einer Laufzeit von 25 Monaten abgeschlossen.

Der normale kapitalistische Krisenzyklus begann wieder, 1973 folgte bereits die zweite Krise.

Das Wachstum wurde wie in allen imperialistischen Kernländern geringer, die Verwertungsbedingungen des Kapitals verschlechterten sich, die Profitrate sank, d.h. die organische Zusammensetzung des Kapitals verschob sich hin zum konstanten Kapital. Das Kapital reagierte wie immer mit der Erhöhung des Ausbeutungsgrads (Verlängerung des Arbeitstags, damals noch mit Überstunden, und Intensivierung der Arbeit).

Die Gewerkschaften konterten mit der Propagierung der 35-Stunden-Woche ab 1978 und brauchten bis 1985, bis ihnen der Durchbruch gelang. Damals hatte die Gewerkschaftsführung – bei aller Kompromisslerei und Sozialpartnerschaft – es noch nicht völlig aufgegeben, die Kolleginnen und Kollegen für die Verbesserung ihrer Arbeitsverhältnisse zu mobilisieren.

Inzwischen erfolgte der Angriff auch von politischer Seite, die Schmidt-Regierung bereitete 1982 Gesetze zum Sozialabbau vor, was dann unter Blüm weiterging.

In Großbritannien führte diese Entwicklung schon in den 80er Jahren zu einem heftigen und leider erfolgreichen Konfrontationskurs gegen die Gewerkschaften – damals redete noch niemand von Globalisierung!

Dass in der BRD dieser bisher schwerste Angriff erst in den 90er Jahren erfolgte, kommt daher, dass durch die Teilung der Nation die Abwehr gegen den Sozialismus eine größere Rolle als in den andern imperialistischen Ländern spielte.

Die Niederlage des Sozialismus hatte weltweite Auswirkungen: In den Ländern, die vorher sozialistisch waren, wurde die unumschränkte Herrschaft des Kapitals wiederhergestellt. Seitdem gibt es dort wieder freien Zugang zu den Märkten, Rohstoffquellen und Arbeitskräften dieser Länder. Auch in den Ländern, die im nationalen Befreiungskampf standen, wurde die Abhängigkeit von den Imperialisten wiederhergestellt. Auch sie mussten ihre Märkte wieder weitgehend öffnen. Die Folge war, dass der Kampf um die Neuaufteilung der ehemaligen Sowjetunion und der andern ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas sowie inzwischen auch v.a. Afrikas wieder begann. Das veränderte und verändert noch laufend das Kräfteverhältnis zwischen den Großmächten. (Durch die Einverleibung der DDR und der Nähe zu Ost- und Südeuropa hatte der deutsche Imperialismus hier eine besonders gute Ausgangsstellung und nützte sie entsprechend). Diesen ganzen Prozess kann man nun Globalisierung nennen, wenn man denn will, entlarvender ist es allerdings, wenn wir von einer Offensive des Kapitals sprechen, die 1990 einen enormen Schub bekommen hat. Das ist die einzige neue Qualität: dass es in Europa keine sozialistischen Länder mehr gibt und sich dadurch die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus in seinem imperialistischem Stadium wieder ungehindert entfalten können!

Die Kapitalisten sind wild entschlossen, ihre Chance zu nützen und das Rad der Geschichte – unter dem politischen Kampfbegriff der Globalisierung – weit zurückzudrehen. Es hat sich die Senkung aller tariflichen Standards, einen umfassenden Niedriglohnsektor und die völlige Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme vorgenommen. Um diesen Prozess abzusichern, wird die Entrechtung der Arbeiterklasse ständig vorangetrieben (Verschlechterung des Kündigungsschutzes, Angriff auf die Mitbestimmung, auf die Gewerkschaften insgesamt usw.). Und das gelingt dadurch, dass das Kapital – dank der Politik der Gewerkschaftsführung! – keinen ernsthaften Gegner mehr hat, der es aufhält. Seit der Niederlage des Sozialismus sind alle Barrieren gefallen. Die vollständige Konkurrenz unter den Arbeitern wurde wieder hergestellt. Die Schwäche des Gegners beruht aber genauso sehr auf einer ideologischen: Ein großer Teil der Arbeiterklasse hat seine Hoffnung auf eine gesellschaftliche Alternative verloren.

Die Entwicklung der Produktivkräfte im Transport- und Kommunikations- und Informationssektor (die die Umschlagsdauer des Kapitals stark verminderte) sowie die von den Imperialisten erzwungene Freihandelspolitik durch die WTO ab 1995 hat die Internationalisierung der Produktion ebenfalls erleichtert und sie vorangetrieben.

Allerdings ist das Ausmaß des globalen Handels nicht so groß wie die Zahlen glauben machen: über 60% werden innerhalb der imperialistischen Zentren getätigt, große Teile der Welt bleiben im Abseits. Die Hälfte des Exports der multinationalen Konzerne geht auf den sog. Intra-Handel, den Austausch zwischen ihnen und ihren Filialen, zurück. Auch die Verlagerungen finden vor allem zwischen den imperialistischen Ländern statt. Die sog. Globalisierung ist also Ausdruck einer ungeheuren Verstärkung der Konzentration und Zentralisierung des Kapitals, d.h. der Monopolisierung.

Und schließlich werden die Zahlen durch die Zerschlagung von Staaten aufgebläht, vor allem in Ost- und Südosteuropa und auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Der Handel zwischen der tschechischen und der slowakischen Republik, zwischen Kroatien und Serbien, zwischen Ukraine und Weißrussland usw. usw., all das geht seit 1990 in die Weltmarktstatistik ein. Das drückt nicht Fortschritt, sondern Rückschritt aus.

Die Verlagerungen werden weiter gehen und nicht zu verhindern sein, wenn wir auch noch so viele Zugeständnisse machen. Denn die Ursachen für Verlagerungen sind vielfältig und liegen nicht nur an der Lohnsumme, die die Kapitalisten einsparen wollen im Ausland. Sie gehen mit der Produktion dorthin, wo ihre Kunden, ihre Absatzmärkte sind und wo zugleich eine gut ausgebildete Arbeiterklasse zur Verfügung steht, und nicht z.B. nach Afrika, wo die Löhne am niedrigsten wären. Vermeidung von Wechselkursschwankungen zum Dollar oder Subventionen durch Steuerfreiheit können ein größerer Anreiz als der Lohnkostenvorteil sein.

Bei Marx lesen wir dazu: „... Gelänge es den Koalitionen (Gewerkschaften – R.M.), in einem Lande den Arbeitspreis so hoch zu halten, dass der Profit bedeutend fiele im Verhältnis zum Durchschnittsprofit in andern Ländern, oder dass das Kapital in seinem Wachstum aufgehalten würde, so wäre die Stockung und der Rückgang der Industrie die Folge, und die Arbeiter wären ruiniert mit ihren Herren. Denn das ist, wie wir gesehen haben, die Lage des Arbeiters: Seine Lage verschlimmert sich sprungweise, wenn das produktive Kapital wächst, und er ist von vornherein ruiniert, wenn es abnimmt oder stationär bleibt.“ Deshalb greift die Forderung nach Kapitalverkehrskontrollen, Besteuerung bei Verlagerung usw. zu kurz – wir müssen die Frage nach dem Eigentum an den Produktionsmitteln stellen.

Allerdings wird das Ausmaß der deutschen Auslandsinvestitionen stark übertrieben, wie die Zahlen der deutschen Bundesbank zeigen. Peter Bofinger schreibt in der „Metall“: „Schlichtweg falsch ist die Behauptung, Deutschland sei Weltmeister im Export von Arbeitsplätzen. Ein Blick in den World Investment Report 2004 von UNCTAD zeigt, dass die deutschen Auslandsinvestitionen im Jahr 2003 nur 0,6 Prozent der Inlandsinvestitionen betrugen. Im Jahr 2002 waren es 2,3 Prozent. In Frankreich lag diese Kennzahl im Jahr 2003 bei 17 Prozent, in Großbritannien bei 19 Prozent, im Durchschnitt der EU waren es 16,8 Prozent. Deutsche Unternehmen investieren also deutlich weniger im Ausland als ihre Konkurrenten in den „alten“ EU-Mitgliedsländern.“ (Metall 5/2005).

Die überzogene Darstellung nützt allein dem Kapital (ver.di versucht denn auch der Kampagne entgegenzutreten). Allein die Drohung mit Verlagerung hat schon die erwünschte Wirkung bei vielen Belegschaften. Die Forderung nach mehr Mitbestimmung, um Verlagerungen zu verhindern, stößt bei vielen Kollegen auf Beifall. Aber wie realistisch ist ihre Durchsetzung im Kapitalismus? Es wäre ein schwerwiegender Eingriff in das Eigentumsrecht der Kapitalisten. Wir wissen, dass selbst bei der Montanmitbestimmung das nicht erreicht wurde. Im Zweifelsfall hat der Aufsichtsratsvorsitzende ein doppeltes Stimmrecht. Alles was im Bereich der Montanindustrie erreicht wurde, war im Wesentlichen auf die Kampfkraft der Kollegen zurückzuführen und nicht auf die Mitbestimmung. Da können wir doch gleich die Forderung nach Enteignung stellen!

Denn es sind ja nicht nur Verlagerungen, die uns arbeitslos machen, Schließungen durch Insolvenzen wirken sich genauso verheerend aus. Allein im Jahr 2003 haben die Pleiten, die die kapitalistische Krise zu verantworten hat, 500.000 Arbeitsplätze vernichtet (Spiegel 14/04), ein Zehnfaches dessen, was durch Verlagerungen innerhalb von drei Jahren bedroht wurde (laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag).

Die größte Gefahr geht von dem ständigen Prozess der Rationalisierung aus. Auch dort, wo keine Verlagerungen stattfinden, werden durch die Anwendung neuer Techniken, durch die Entfaltung der Produktivkräfte, die Belegschaften reduziert. 82% aller befragten Manager deutscher Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern haben in den letzten 2 Jahren Reorganisationen durchgesetzt, in keinem andern europäischen Land wurde dieses Mittel häufiger eingesetzt. Zwei Drittel dieser Maßnahmen dienten der „Kostensenkung und Verschlankung“ in Form von Outsourcing, Fusionen, Übernahmen, was jeweils Entlassungen zum Ziel und zur Folge hatte.

Ausweitung der Produktion aber kommt in Zeiten der Krise nicht in Frage, weil der Absatz ist nicht gewährleistet ist. Die Gewinne werden nicht reinvestiert, sondern sollen in weitere Fusionen gehen oder werden als Dividende ausgeschüttet. Die Verlängerung des Arbeitstags verschärft die Situation noch. Es ist nicht nur der Kapitalismus, der geht, es ist vor allem der stinknormale Kapitalismus, der bleibt, der die Arbeiter auf die Straße wirft.

So ist es vor allem die Massenarbeitslosigkeit von acht bis neun Millionen Erwerbslosen, die den Kampf der Arbeiterklasse so enorm erschwert. „Wir haben oben in raschen Zügen den industriellen Krieg der Kapitalisten untereinander geschildert; dieser Krieg hat das eigentümliche, dass die Schlachten in ihm gewonnen werden weniger durch Anwerben als durch Abdanken der Arbeiterarmee. Die Feldherrn, die Kapitalisten wetteifern untereinander, wer am meisten Industrie-Soldaten entlassen kann.“ (MEW, Lohnarbeit und Kapital).

Wenn die Arbeiter der Konkurrenz untereinander freien Lauf lassen, können sie dem Kapital nichts entgegensetzen: „In demselben Maße, worin die Arbeit unbefriedigender, ekelhafter wird, in demselben Maße nimmt die Konkurrenz zu und der Arbeitslohn ab. Der Arbeiter sucht die Masse seines Arbeitslohns zu behaupten, indem er mehr arbeitet, sei es, dass er mehr Stunden arbeitet, sei es, dass er mehr in derselben Stunde liefert. Durch die Not getrieben, vermehrt er also noch, die unheilvollen Wirkungen der Teilung der Arbeit. Das Resultat ist: Je mehr er arbeitet, um so weniger Lohn erhält er, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil er in demselben Maß seinen Mitarbeitern Konkurrenz macht, die sich zu ebenso schlechten Bedingungen anbieten wie er selbst, weil er also in letzter Instanz sich selbst Konkurrenz macht, sich selbst als Mitglied der Arbeiterklasse.“ (MEW, Lohnarbeit und Kapital).

Die Konkurrenz führt zu sinkenden Löhnen, zu Erhöhung der Arbeitszeit, zum Anwachsen der Reservearmee, sei es in der BRD, Osteuropa oder Asien usw. Diesen Wettlauf können wir nicht gewinnen. Bereits jetzt ist die Verelendung nicht mehr nur relativ, sondern eine absolute, und bei Teilen der Arbeiterklasse ist die Reproduktion der Ware Arbeitskraft nicht mehr gewährleistet. Viele Kollegen brauchen einen zweiten Job, sie werden frühzeitig erwerbsunfähig aufgrund der Arbeitshetze und einer unzureichenden medizinischen Versorgung, und ihre Kinder erhalten nicht die nötige Ausbildung, die sie brauchen, um ihre Arbeitskraft verkaufen zu können usw.

Mit Löhnen in Osteuropa oder Asien können wir nicht konkurrieren. Wir verschlechtern nur unsere Arbeitsbedingungen und Entlohnung und setzen eine Spirale in Gang, die die Arbeiter in der ganzen Welt schlechter stellt und noch weiter schlechter stellen wird. Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung verschärfen die Krise auch noch auf andere Weise: die sinkende Kaufkraft der Beschäftigten führt zur Vernichtung weiterer Arbeitsplätze, wie es bei der Krise von Karstadt sichtbar wurde. Aber es trifft natürlich nicht nur das Handelskapital, sondern die Produktion von Gebrauchswaren aller Art, die die Arbeiterklasse konsumiert und eben immer weniger konsumieren kann. So wird der Lohnverzicht zum Bumerang.

Nicht der „Kostenfaktor Arbeit“ zerstört die Arbeitsplätze – wie uns die Kapitalisten weismachen wollen (und wie es die Gewerkschaftsspitzen beginnen zu akzeptieren), indem sie von angeblich zu hohen Lohnkosten, zu geringer Flexibilität, von zu kurzen Arbeitszeiten, zu viel Mitbestimmung, zu viel Schutz vor Kündigungen usw. faseln. Sondern es sind die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten, die Konkurrenz der Kapitalisten untereinander und die unvermeidlichen Krisen, in denen zigtausendfach Arbeitsplätze und Produktionsmittel vernichtet werden.

Weltweit gibt es Überkapazitäten, wie ich am Beispiel der Kfz-Industrie zeigen will: Zwar stieg die Autoproduktion in absoluten Zahlen auf 52 Mio., doch gleichzeitig gibt es Kapazitäten für eine Produktion von 62-65 Mio. Pkw. Rund 25% der Kapazitäten für die Kfz-Fertigung liegen derzeit brach. Die gesamte europäische Autoproduktion könnte man schlicht einstellen, die im Rest der Welt vorhandenen Kapazitäten könnten theoretisch hochgefahren und damit die Autonachfrage in Europa bedient werden (W. Wolf, Autoindustrie und Streik bei Opel Bochum 2004/2005, S. 5/6). Es ist die Anarchie der kapitalistischen Produktion, die Planlosigkeit, mit der Kapitalisten weltweit Waren produzieren und dann um Absatzmärkte konkurrieren müssen. Eine gewaltige Verschwendung bedeutet das, die zur Vernichtung zahlloser Güter führt, während andererseits Millionen Menschen hungern.

Die immensen Gewinne werden deshalb kaum mehr in neue Produktionen investiert, sondern gehen in die Finanzspekulation, in den Verbrauch von Luxusgütern und Investitionen, die nur den Aufkauf von Konkurrenten oder profitträchtigen Betrieben bedeuten.

Die Bundesregierung hat z.B. eine Bundesagentur zur Förderung ausländischer Investoren gegründet, damit ausländisches Kapital ins Land geholt werden soll: „Invest in Germany GmbH“ heißt sie. Die sog. Investoren erwarten eine Kapitalrendite von 15-40% und ihre Tätigkeit ist nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern das Ausweiden und Ausschlachten von erfolgreichen Mittelstandsfirmen. Sie kaufen sie möglichst unter Firmenwert und minimieren dann die Kosten mit den klassischen Mitteln: Entlassung, Lohnsenkung, längere Arbeitszeit bei gleichem Lohn, Einsatz von Leiharbeitern usw. Zum Schluss wird mit dickem Gewinn wieder verkauft, oder der Besitzer bringt das Unternehmen an die Börse. So wird nicht investiert, sondern abgezockt und die Arbeitslosigkeit gesteigert. Aus dem Bundeshaushalt fließen jährlich fünf Millionen Euro an die Agentur laut Bundesfinanzministerium (nach jw 22.2.05).

All diese Beispiele zeugen von der allgemeinen Krise des Kapitalismus, die er mit immer mehr Gewalttätigkeit, Unterdrückung und Kriegen kompensieren muss.

3. Subjektive Ursache unserer Schwäche – die Arbeiteraristokratie

Die entscheidende Frage für die Arbeiterbewegung ist: wie reagiert die Sozialdemokratie – die in den Gewerkschaften und in den Betrieben immer noch an den entscheidenden Hebeln sitzt – auf diese Situation?

Sicherlich gibt es Kollegen, die immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben haben, dass es bei besserer Konjunktur ein Zurück zum „Sozialstaat“ und zu einer keynesianistischen Wirtschaftspolitik geben könne. Das Handeln der Gewerkschaftsführung ist aber nicht allein durch Hilflosigkeit und fehlende Analyse geprägt, sondern wir haben es mit einer typisch sozialdemokratischen Krisenlösung zu tun: einer Mischung aus Kapitulation und Betrug. Kapitulation vor der Kapitaloffensive und damit Stärkung des Klassenfeinds – und zugleich Betrug, indem den Kollegen vorgegaukelt wird, dass durch die Standortsicherungsabkommen die Arbeitsplätze gesichert würden. Dass die Ursache der Erwerbslosigkeit im Kapitalismus selbst liegt, wird verschleiert, höchstens „Auswüchse“ des kapitalistischen Systems werden verurteilt.

Die opportunistischen Gewerkschaftsführungen haben das Ziel der Gewerkschaft in sein Gegenteil verkehrt: nicht mehr die Aufhebung der Konkurrenz unter den Beschäftigten wird angestrebt („Proletarier aller Länder vereinigt euch“), sondern die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Betriebe soll hergestellt werden. Das ist ein grundlegender Bruch in der Gewerkschaftspolitik und im Selbstverständnis der Gewerkschaften, der über das bisherige sozialdemokratische Verständnis hinausgeht.

Dass die Kapitulation im Klassenkampf mit der Ablehnung des politischen Streiks verbunden ist, ist folgerichtig, aber verheerend für uns. Damit steht die deutsche Sozialdemokratie europaweit isoliert da. Sie unterstützt so die Bourgeoisie, die der Arbeiterklasse ihr elementarstes Mittel zum Widerstand gegen Sozialabbau und Entrechtung und im politischen Kampf aus der Hand zu nehmen sucht. Vor allem, wenn die Bourgeoisie wieder auf eine andere Herrschaftsform setzt, wie es die faschistische Diktatur bedeutet hat, muss die Arbeiterklasse gegen diesen Angriff gewappnet sein. Da braucht sie das Mittel des politischen Streiks unbedingt. Das Streikrecht kann nur durch seinen Gebrauch verteidigt oder erworben werden.

Egal, ob die betreffenden Gewerkschaftsführer und Konzernbetriebsräte nur hilflose Erfüllungsgehilfen des Kapitals oder Arbeiterverräter sind – sie stehen auf der Seite der Bourgeoisie. Sie betreiben eine gegen unsere Klasseninteressen gerichtete Politik. Und sie sind fest entschlossen, jeden Widerstand gegen ihre Politik zu brechen, wie z.B. die Kollegen von Daimler in Untertürkheim erfahren müssen, die mit Ausschluss bedroht wurden und die die Betriebsratsmehrheit aus dem BR zu drängen sucht. Allerdings ist klar, dass sie nur so selbstbewusst agieren können, sich die Gewerkschaften so offensiv zu Eigen machen konnten, weil die Masse der Kolleginnen und Kollegen sie nicht daran hindert. Auch sie hängen mehrheitlich der Ideologie der Sozialpartnerschaft an. Es ist ihre Passivität und Uninformiertheit, ihr mangelndes Klassenbewusstsein und ihr Hoffen, dass es schon jemand für sie richten werde, den sie delegieren, sei es in der Gewerkschaft, sei es von einer Partei. Der Kampf gegen die Stellvertreterpolitik gehört deshalb zu unseren vordringlichsten Aufgaben, denn er verlangt auch ein eigenständiges Denken von den Belegschaften.

Inhaltlich ist der Dreh- und Angelpunkt die Standortlogik, die das Denken der Gewerkschaftsführung als auch der meisten Betriebsräte und Kolleginnen und Kollegen beherrscht. Der Ideologie von der Stärkung des einzelnen Unternehmens gegen die Konkurrenz entspricht die Ideologie, die den Standort Deutschland fit machen will gegen den Rest der Welt.

Die IG BCE vertritt eine besonderes üble Form des Sozialchauvinismus: auf den Demonstrationen am 3.4.05 ließ sie die Kollegen mit Schildern „Modell Deutschland“ aufmarschieren. So als ob die Kollegen andrer Länder etwas von uns zu lernen hätten! So wurden und werden die deutschen Gewerkschaften zu Instrumenten in der Hand des deutschen Monopolkapitals gemacht!

Historisch waren die negativen Höhepunkte dieser Haltung die Bewilligung der Kriegskredite 1914 durch die SPD und die Burgfriedenspolitik der Gewerkschaftsführer im ersten Weltkrieg sowie das kampflose Preisgeben der Gewerkschaften vor dem Faschismus durch die Führung des ADGB. Nach Kriegsende ließen sich dann die Gewerkschaftsführungen für die antikommunistische Hetze gegen FDGB, DDR und Sowjetunion einspannen und klatschten Beifall zur Annexion der DDR. Seit der Niederlage des Sozialismus wollen die Gewerkschaftsführungen die Kollegen ideologisch noch mehr entwaffnen, indem sie in der Bildungsarbeit den Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit aus den Schulungen zu verdrängen suchen.

Das Standortsicherungsdenken entwaffnet die Kollegen und führt sie zum Nachgeben gegenüber dem Kapital, aber es hat noch weitere schlimme Auswirkungen. Unüberhörbar ist der rassistische Unterton, wenn die Bild-Zeitung z.B. vor dem Billigarbeiter aus Polen warnt, der uns hier die Arbeitsplätze wegnähme und die Löhne kaputt mache. Wenn die Bolkestein-Richtlinie der EU durchgeführt werde, dann drohe uns ein ganzes Heer dieser ausländischen Billiganbieter zu überfallen. Und schuld seien natürlich diese ausländischen Arbeiter, nicht die Kapitalisten, die sie hierher holen und gegen uns einsetzen und ihnen bloß den Lohn ihres Heimatlandes zahlen wollen. In den Gewerkschaften kann zwar von einer rassistischen Politik bisher nicht geredet werden, eher im Gegenteil. Aber das Standortsicherungsdenken bietet eine offene Flanke für den Rassismus.

Der Hass auf die ausländischen Kollegen, wie er von den Faschisten geschürt wird, wird durch dieses Denken, das nur den eigenen nationalen Standort kennt, auf eine andere Stufe gehoben und muss als ideologische Kriegsvorbereitung betrachtet werden. Die verteidigungspolitischen Richtlinien gehen ja offen davon aus, dass die BRD fremde Völker bedrohen will, wenn diese dem deutschen Monopolkapital ihre Rohstoffe, ihr Öl, ihr Gas, ihre Kohle usw. nicht freiwillig ausliefern. Präventivkriege, wie sie die USA bereits führen, werden auch von der EU ins Auge gefasst. Jugoslawien war das erste Opfer des deutschen Imperialismus, der nach der Einverleibung der DDR endlich wieder als Großmacht auftreten kann. Da ist es günstig, wenn die Arbeiterklasse die Kolleginnen und Kollegen aus andern Ländern als Bedrohung erlebt und nicht als Verbündete im weltweiten Kampf gegen das Kapital. Die Gewerkschaftsführungen haben denn auch dem Überfall auf Jugoslawien nichts entgegengesetzt, und der Kampf gegen Aufrüstung und Krieg, wie er noch in den 80er Jahren sehr stark verankert war, wird immer weiter in den Hintergrund gerückt.

Die Arbeitsplätze, die in der BRD vernichtet werden, tauchen auch im Ausland nicht wieder auf. Auch dort vernichtet das deutsche Kapital die Arbeitsplätze, rationalisiert und verlagert die Produktion noch weiter, z.B. von Polen und Tschechien nach Rumänien, Ukraine, China usw. Die Kollegen, die das deutsche Kapital ausbeutet, kriegen auf der ganzen Welt ihren Tritt. Dort ist es nicht der Kapitalismus, der ausbleibt, es ist der Kapitalismus, der in diese (osteuropäischen) Länder kommt seit 1990, der die Arbeiter auf die Straße wirft! Verbünden wir uns mit diesen Kollegen, das ist das Gebot der Stunde, wie es z.B. ein Vertrauensmann bei DaimlerChrysler formuliert hat: „Meiner Meinung nach müssen wir einen ganz andern Kampf führen: Wettbewerbsfähigkeit ist nicht unser Ziel, denn das heißt Konkurrenz. Ich will aber nicht mit z.B. rumänischen Arbeitern konkurrieren. Aufgabe der Gewerkschaft ist es, Lohnkonkurrenz abzuschaffen.

Was nationale Standortsicherung heißt, haben wir mit dem Schlachtruf Wilhelms II. erlebt, der für Deutschland einen Platz an der Sonne forderte und das deutsche Volk in den ersten Weltkrieg führte. Der Hitlerfaschismus bereitete seinen Überfall auf fremde Völker in noch größerem Maß mit schärfstem Rassismus gegen die Juden und die osteuropäischen „Untermenschen“ vor.

Die Entwicklung der Produktivkräfte würde dagegen längst ein Leben ohne Ausbeutung, ohne Hunger, ohne Arbeitshetze für die Arbeiter weltweit ermöglichen. „An bestimmten Spitzenarbeitsplätzen in den Automobilfabriken“ schuftet der Arbeiter nur noch 4 Minuten pro Stunde für sich und 56 Minuten für das Kapital, wurde schon 1986 in einer Studie von Ulrich Briefs festgestellt (Mitteilungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB, WSI, Nr. 3, 1986). Dass die Arbeiter dies nicht erkennen, dass sie den Sozialismus nicht als Ausweg begreifen, auch dafür braucht es die rassistische Hetze.

Die Massenarbeitslosigkeit und die Diskreditierung der Gewerkschaften, verursacht durch ihr eigenes Handeln, haben zur Folge, dass der Einfluss der Sozialdemokratie zurückgeht. Aber der Trend geht nach rechts statt nach links: das sozialdemokratische Bewusstsein nimmt ab, ohne dass sichtbar wäre, dass sich die Arbeiter auf revolutionäre Weise von der Sozialdemokratie verabschieden. Die Folge ist auch, dass faschistische Demagogen Chancen innerhalb der Arbeiterklasse bekommen.

Ob wir das sozialdemokratische Denken in den Gewerkschaften zurückdrängen können, wird deshalb entscheidend für die Existenz der Gewerkschaften selbst sein. Die Gewerkschaften sind die Schlüsselfrage im Kampf gegen den Angriff des Kapitals und die Verhinderung einer weiteren Rechtsentwicklung bis hin zum Faschismus.

4. Perspektiven

Wie kommen wir wieder in die Offensive, ist eine Frage, die die fortgeschrittensten Arbeiterinnen und Arbeiter sich überall stellen angesichts des Siegeszugs des Kapitals seit 1990.

Die Grundlage muss die Erkenntnis sein, die von den Gewerkschaftsführungen bis vor kurzem noch verbreitet wurde, der sie aber ständig praktisch widersprechen:

Lohnverzicht rettet keine Arbeitsplätze! Sicherheit im Kapitalismus gibt es nicht!

Allein der Kampf der Arbeiter kann die Konkurrenz unter ihnen selbst aufheben.

Was aber diesen Assoziationen und den aus ihnen hervorgehenden Turnouts (Streiks – R.M.) die eigentliche Wichtigkeit gibt, ist das, dass sie der erste Versuch der Arbeiter sind, die Konkurrenz aufzuheben ... Sie setzen die Einsicht voraus, dass die Herrschaft der Bourgeoisie nur auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich beruht, d.h. auf der Zersplitterung des Proletariats, aus der Entgegensetzung der einzelnen Arbeiter gegeneinander. Und gerade, weil sie sich, wenn auch nur einseitig, nur auf beschränkte Weise gegen die Konkurrenz, gegen den Lebensnerv der jetzigen sozialen Ordnung richten, gerade deshalb sind sie dieser sozialen Ordnung so gefährlich. Der Arbeiter kann die Bourgeoisie und mit ihr die ganze bestehende Einrichtung der Gesellschaft an keinem wunderen Fleck angreifen als an diesem. Ist die Konkurrenz der Arbeiter unter sich gestört, sind alle Arbeiter entschlossen, sich nicht mehr durch die Bourgeoisie ausbeuten zu lassen, so ist das Reich des Besitzes am Ende.“ (Marx/Engels, Über die Gewerkschaften, Berlin 1971, S. 17/18)

Um zu dieser Einsicht zu kommen, ist in erster Linie Wissen nötig – Wissen, das wir den Kollegen vermitteln müssen. Und zugleich ist die Überwindung der Angst nötig, die mit der Einführung von Hartz IV von der Regierung mehr denn je bewusst geschürt wird.

Dass der Kampf der Arbeiter auf dieser Grundlage auch in Zeiten der Krise möglich ist, das zeigt die Tarifauseinandersetzung in der Druckindustrie, wo die 35-Stunden-Woche verteidigt werden konnte. Der Abschluss kann sicher nicht als voller Erfolg gewertet werden, er enthält auch unangenehme Kröten wie die Ausweitung der Flexibilisierung und eine nur geringe Lohnerhöhung. Aber er setzte ein Zeichen im Abwehrkampf gegen Arbeitszeitverlängerung und Öffnungsklauseln – auch weil die Belegschaften ihrer Verhandlungskommission immer wieder das Rückgrat stärkten!

Im größeren Ausmaß beweisen die Massenstreiks in Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland usw., wie eine Mobilisierung der Arbeiterklasse auch bei schlechten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen möglich ist. Nicht alle diese Kämpfe führten zum Erfolg, es kann immer nur Teilerfolge im ökonomischen Kampf geben bei Bestehen des Kapitalismus. Aber sie führen zu mehr Selbstbewusstsein der Kollegen und zu einem höheren Bewusstsein über die Bourgeoisie und den Kapitalismus. Und vor allem führen sie zur Stärkung der Einheit der Arbeiterklasse und damit zur Verbesserung der Kampfkraft.

Unsere Aufgaben heute sind vor allem: die Einheit der Klasse herstellen – gegen Standortdenken und Sozialpartnerschaft, für einen konsequenten Kampf für die Interessen der Arbeiterklasse statt Unterordnung unter die Interessen des Kapitals. Dabei sind vordringlich: Wiederherstellung des Flächentarifvertrags, Rücknahme der Öffnungsklauseln, weitere Arbeitszeitverkürzung.

Die Gewerkschaftsarbeit muss zu großen Teilen wieder neu aufgebaut werden, d.h. vor allem Wiederaufbau von Vertrauensleutekörpern und ihre Stärkung, wo es sie noch gibt, in allen Betrieben, wo wir arbeiten, nicht nur in denen der internationalen Konzerne. Dabei ist es entscheidend, der Stellvertreterpolitik entgegenzutreten. Die Belegschaften müssen selbst aktiv werden. Nur so lässt sich eine erfolgreiche Betriebs- und Gewerkschaftspolitik durchsetzen.

Den Belegschaften der großen Konzerne kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie im tariflichen Kampf eine Vorreiterrolle einnehmen, im positiven wie im negativen Sinne.

Genauso notwendig ist aber die Organisierung von Kollegen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, von Frauen, Angestellten und Auszubildenden – jeder Sektor der Arbeiterklasse bekommt nur noch, was er sich selbst erkämpft. Die Kollegen der großen Konzerne hängen nicht im luftleeren Raum, an denen vorbei geht, wie die Arbeitsverhältnisse der Klasse insgesamt sich entwickeln. Deshalb ist auch die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde wichtig, selbst wenn die Kampfkraft dafür noch nicht reicht.

Im politischen Kampf sind die wichtigsten Ziele: Gesetzliche Verankerung der 35-Stunden-Woche, gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro/Stunde (ein Lohn, der zum Leben reicht, muss erstritten werden), Stopp und Rückgängigmachung der Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme und des Bildungswesens, Maßnahmen gegen die faschistische Gefahr, Rassismus und Krieg.

Dazu brauchen wir eine Sammlung und Vernetzung aller antikapitalistischen Gewerkschafter, die sich dem verhängnisvollen Kurs der Gewerkschaftsführung entgegenstellen. Ein Ansatz kann hier die Gewerkschaftslinke sein. Wir müssen die Bildungs- und Aufklärungsarbeit übernehmen und kämpfende Belegschaften unterstützen.

Das Problem für uns besteht darin, dass es wesentlich weniger spontane Kämpfe gibt als noch in den 70er Jahren, d.h. die Möglichkeit ist schlechter geworden, das bewusste Element in die Klasse zu tragen. Umso mehr müssen dort, wo die Klasse kämpft, die Kommunisten vertreten sein. Das müssen wir organisieren.

Internationale Zusammenarbeit, internationale Solidarität ist mehr denn je das Gebot der Stunde. Aber die Voraussetzung dafür ist, dass auch die deutschen Belegschaften ihren Teil zum Klassenkampf beitragen. Dann wird Vernetzung etwas bringen. Hoffnung auf internationale Konferenzen – wo dann wieder die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer sitzen! – wird uns nicht vorwärts bringen. Unser eigener Beitrag im Klassenkampf ist unser bester Beitrag zur internationalen Solidarität.

Dass das möglich ist, dafür gibt es Beispiele. So der Kampf der europäischen Hafenarbeiter gegen die Deregulierungsvorstöße der EU. Kernpunkt des Angriffs ist ein altes Ziel der Transportlobby, dass die Besatzung der Schiffe selbst die Ware löschen darf und dies nicht nur die Hafenarbeiter tun dürfen. Die Hafenarbeiter von neun europäischen Ländern, organisiert in 15 Gewerkschaften führten den Kampf auf allen Ebenen: mit herkömmlicher Lobbyarbeit bei den Parlamentariern ihrer Staaten, mit Demonstrationen in Brüssel und Straßburg anläss­lich von Tagungen des Europa-Parlaments und mit zeitgleichen Streiks und Arbeitsniederlegungen in allen beteiligten Ländern. Es gab zahllose Schwierigkeiten zu überwinden, da große Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen und deshalb auch in den Kampfbedingungen der beteiligten Gewerkschaften bestehen. Aber es ist gelungen, diese Hindernisse zu überwinden.

Auch wir müssen versuchen, der Spaltung entgegenzutreten, zwischen den einzelnen Betrieben, zwischen den einzelnen Gewerkschaften. Nur so lässt sich die Angst um den Arbeitsplatz besiegen. Verzicht macht das Kapital noch gieriger, haben wir gesagt. Die Gewerkschaften müssen gestärkt werden, trotz der miserablen Politik ihrer Führungen. Wir haben keine andere Wahl. So wie die Daimler-Kollegen eine Broschüre erstellten, wo sie den Abschluss kritisieren, müssen auch die betroffenen Kollegen im Öffentlichen Dienst gegen den Tarifabschluss von ver.di den Mund aufmachen und Protest organisieren. Allein durch Kampf werden wir den bereits durchlöcherten Flächentarifvertrag erhalten und wieder ausweiten können. Sonst werden wir zu einer Horde „armer Teufel“, wie Marx es einmal formuliert hat. Unser schlimmster Feind heißt TINA, „there ist no alternative“. Wer sich dem Standortdenken ergibt, wird jedes Diktat der Kapitalisten mitmachen und wird doch seinen Arbeitsplatz nicht sichern können.

Viele der kämpferischsten Kolleginnen und Kollegen haben heute noch Illusionen über den Parlamentarismus und dass eine Rückkehr zum „Sozialstaat“ möglich sei. Dies drückt sich in ihrer Unterstützung der neuen Linkspartei aus. Wenn wir Kommunisten ihnen vermitteln wollen, dass Millionen auf die Straße gehen müssen, um reformistische Forderungen durchzusetzen, dann müssen wir den Weg mit diesen Kollegen gemeinsam gehen. Dann kann unser gemeinsamer Kampf ein Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis sein, dass die Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln die Schlüsselfrage ist. Dann kann der Kampf um Reformen ein Schritt hin zur Revolution werden.

Die Zielrichtung auf eine andere Gesellschaftsordnung ist nicht einfach ein politisches Anhängsel der Kommunisten, sondern eine zentrale Bedingung, dass die Arbeiterklasse wieder kämpft. Eine Gewerkschaft, die den Kapitalismus für ewiges Gesetz hält, wird auch den täglichen Verteidigungskampf nicht führen können. Kapitalismuskritik ist deshalb unabdingbar: eine Gesellschaftsordnung, die unsere Existenzgrundlagen dauernd in Frage stellt, ist nicht hinnehmbar. Das kann der Einstieg in eine Debatte sein, wie denn diese andere Gesellschaft aussehen soll.

Machen wir die Gewerkschaften wieder zu einer Kampforganisation der Arbeiterklasse, die den Kollegen den Blick für den Sozialismus erneut öffnet.

Renate Münder

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Opel 2004: Wer kämpft, kann verlieren – Wer nicht kämpft, hat schon verloren!

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Streik bei Infineon in München – Oktober 2005

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IG BCE Vorsitzender Schmoldt: Wunschgewerkschafter des Kapitals.

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Wir haben keine Wahl – mit massiven Warnstreiks haben die Kolleginnen und Kollegen von Druck + Papier die 35-Stunden-Woche verteidigt!

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Die Mettinger Kollegen von DaimlerChrysler auf der B10: Die Straße gehört uns! Basta! Für eine Zukunft ohne Ausbeutung und Kapital!

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