So kennt man sie gar nicht, die Österreicher. Nicht auf den Skiern, auf den Beinen waren sie jeden Tag zu Tausenden, um gegen die neuen Verhältnisse zu demonstrieren. Vor allem gegen den einen, der auch eher untypisch ist: sprunghaft, chauvinistisch, frech, smart – und immer fesch.
Letzteres ist schon wieder einschlägig. Feschsein drückt nicht nur Modebewusstsein aus, sondern auch Gesinnung. „Geh‘, sei fesch“ sagen die Österreicher, wenn sie Entgegenkommen heischen. Feschsein also als Synonym für: Es jedem recht machen. Passen also die Attribute, die Haider angehängt werden: Rechtspopulist, Sozialdema-goge, Volkstribun...?
Wir werden sehen, das alles trifft den Kern nicht. Um Haider zu entzaubern, ist die österreichische Bourgeoisie einer Betrachtung zu unterziehen. Ihre politischen Strömungen sind zu untersuchen. Und die haben überraschend viel mit dem deutschen Imperialismus zu tun.
1918. Österreichs Fabriken waren nach dem Weltkrieg veraltet, Absatzmärkte und Rohstoffquellen waren verloren. Der Rumpfstaat wurde ein Tummelplatz der europäischen imperialistischen Politik. Deutsche, französische, englische, italienische Interessen kreuzten sich in dem kleinen Land. Das fand seine Widerspiegelung in der Haltung der schwächlichen Bourgeoisie. Ein Teil meinte, sich dem ausländischen Kapital an die Brust werfen zu müssen. Damit verbunden war die Ablehnung der Eigenständigkeit der österreichischen Nation. Der Sieg des Faschismus im deutschen Reich vertiefte die Spaltung zusätzlich.
Bereits vor der Weltwirtschaftskrise wurden etwa 60% der Industrie von Kartellen kontrolliert. Maßgeblichen Anteil hatten dabei die deutschen Monopolherren. 1926 wurden die Betriebe der „Alpine Montan“ den Vereinigten Stahlwerken von Flick und Thyssen einverleibt. Hauptaktionär dieses grössten deutschen Stahlkonzerns war die Deutsche Reichsbank. Die österreichische Elektroindustrie war vollständig unter der Fuchtel der beiden Mammutkonzerne Siemens und AEG. Das Papierkartell, das den Holzreichtum nutzte, war ebenfalls eine Hochburg des deutschen Großkapitals. 1930 konnte ein Sprecher des deutschen Imperialismus triumphierend verkünden, „dass die österreichische Schwerindustrie, die Elektroindustrie und die Papierindustrie bereits angeschlossen sind.“[2]
Etwa ein Drittel der österreichischen Bourgeoisie war so auf den Listen der deutschen Monopole und damit von deutschnationaler Gesinnung, also für den Anschluss. Ihre politische Organisation war vor allem die NSAPÖ, eine Gauorganisation der NSDAP. In ihr fanden sich Staatsbeamte, arbeitslose Intellektuelle, deklassierte Elemente. Das „Bonbon“[3] trugen sie, weil verboten, unter dem Revers. In die Arbeiterklasse konnten die deutschen Nazis nicht eindringen. Nazis, die wegen des Verbots der NSAPÖ flüchten mussten, erhielten in Bayern in der „österreichischen Legion“ eine militärische Ausbildung.
Gegen den Anschluss war das österreichische Bankkapital und die verarbeitende Industrie. Sie sahen ihren Markt in den alten k.u.k.-Ländern, also entlang der Donau und auf dem Balkan. Das Ziel war die Bildung einer Donauföderation, und wehmütig träumte man von der Restaurierung der Habsburger Monarchie. Die Großgrundbesitzer und Großbauern fürchteten die deutsche Konkurrenz auf dem Binnenmarkt.
Sie alle stützten die christlich-soziale Regierung. Als ihre eigentliche politische Organisation förderten sie die bewaffneten „Heimwehr“- Verbände als Sammelbecken aller antimarxistischen, arbeiterfeindlichen Kräfte.
Sie wurden anfangs von Mussolini ausgerüstet und standen in engem Kontakt mit den bayerischen Freikorps.
Der „grüne“ Faschismus[4] des christlich-sozialen Kanzlers Dollfuss, eigentlich konkurrierend mit dem Hitlerfaschismus, hatte auf dem Weg zum Anschluss eine wichtige Aufgabe zu erledigen. Nach andauernden Provokationen durch die Heimwehrbanditen kam es im Februar 1934 zum so genannten Schutzbund – Aufstand, jenem bewaffneten Widerstandskampf der österreichischen Arbeiter.[5] Sie waren die Ersten, die sich in Europa gegen den Faschismus erhoben. Sie wurden blutig niedergeschlagen, Kanonen feuerten auf Arbeiterwohnungen, die „Galgenchristen“ – ein Arbeiterwort – wüteten. Die Organisationen der Arbeiterklasse wurden verboten. Das alles brauchte Hitler vier Jahre später nicht mehr zu tun. Die Dollfuß-Kanonen hatten den Weg für Hitler frei geschossen. Dollfuß selbst wird Opfer eines Putschversuches der österreichischen Nazis. Er wird im Juli 1934 ermordet.
Der 12. Februar 1934 ist für Österreich ein ähnlich sensibles Datum wie für Deutschland der 30. Januar 1933 als Machtantritt des deutschen Faschismus. Die Erfahrungen aller Klassen aus diesem Bürgerkrieg in den wichtigsten Städten und Industriezentren wird die politische Entwicklung Österreichs nach 1945 entscheidend prägen.
1936, im so genannten Juliabkommen, hieß es bereits: „Österreich ist ein deutscher Staat.“ Das bedeutete die Eingliederung in die Einflusssphäre des deutschen Faschismus. Für die Anforderungen der deutschen Rüstungswirtschaft erwiesen sich diese Abmachungen bald als zu eng. Es lockten die ungenutzten Rohstoffe, vor allem das in Deutschland so rare Eisenerz, reichlich Wasserkraft und ein Heer von Erwerbslosen.
Am 12. Februar (!) 1938 diktierte Hitler in Berchtesgaden dem österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg den Anschluss ans Reich, der vier Wochen später militärisch vollzogen wurde.
1945. Drei Momente bestimmten die ökonomische Nachkriegsentwicklung:
Da war zuerst die Schwäche der Bourgeoisie, die eine Rückkehr zu normalen kapitalistischen Verhältnissen ausschloss. Sie musste einer für die kapitalistische Welt einmaligen, weitgehenden Verstaatlichung der größten Konzerne und Banken zustimmen. Erleichtert wurde dies dadurch, dass die wichtigsten Betriebe dem am Boden liegenden deutschen Finanzkapital gehörten. Eine andere Lösung hätten auch die Arbeiter in den Fabriken nicht zugelassen.
Ein Teil der Betriebe war dem Einfluss des deutschen Kapitals dadurch entzogen, dass sie unter der Verwaltung der sowjetischen Besatzungsmacht standen – die USIA-Betriebe.
Die stärkste imperialistische Macht, die USA, wendete pro Kopf gerechnet einen größeren Teil ERP-Mittel („Marshall-Plan“) auf als in irgendeinem anderen Land.[6]
Unter solchen Verhältnissen gab es nur zwei Möglichkeiten: Staatsmonopolistischer Kapitalismus[7] oder – Sozialismus. Welche Kraft konnte die Weichen stellen für die Stabilisierung des Kapitalismus in Österreich?
Die bürgerliche Lehre aus dem Schutzbund-Aufstand war der Proporz. Der Bourgeoisie und ihrer Partei, der ÖVP (österreichische Volkspartei, VP) steckte der Schreck des „Vierunddreiß‘ger Jahr’s“ nach wie vor in den Gliedern. Dass sie in der Tradition der Christsozialen steht, beweist die VP übrigens heute noch mit der Verehrung des Arbeitermörders Dollfuß. Sein Bild hängt in den VP-Clubräumen im Wiener Parlament.
Nie wieder Barrikaden in Österreich, Nie wieder bewaffneter Kampf Österreicher gegen Österreicher, lasst uns die Gräben zuschütten – Das sind die Phrasen, mit denen der Proporz begründet wurde. In der Praxis sah das so aus, dass jedem SPÖ-Funktionsträger ein VPler als Vize an die Seite gestellt wurde und umgekehrt. In den Kommunen und in den Ländern wurde nicht mehr regiert, sondern verwaltet, oder: „gepackelt“. Das war ein Pfeiler der institutionalisierten Sozialpartnerschaft.
Die österreichische Sozialdemokratie ging die 2. Republik vehement an. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte nannte sie sich „sozialistisch“. Eine lang andauernde Konjunkturperiode nach den harten Aufbaujahren ließ die Arbeiter auf die Seife steigen, die die SPÖ- und Gewerkschaftsführung ausgelegt hatte. (Diese sind hier äußerst eng verknüpft!) Es war ja verfänglich für die Arbeiter, die vielfach nur den Faschismus kennen gelernt hatten, das Erreichte nicht durch Streik zu gefährden. Der andere Pfeiler der Sozialpartnerschaft waren die Spitzenmanager in der verstaatlichten Industrie, die jahrzehntelang von der SPÖ gestellt wurden. Sie waren in die Oligarchie eingebunden und regierten ihre Domänen wie Fürsten. Der österreichische Sozialismus war perfekt, wenn am 1. Mai dieselben als „Genossen“ auf der Tribüne vor dem Rathaus des roten Wien standen. Die vorbeiziehenden Arbeiter durften sie fähnchenschwenkend und „Freundschaft“ rufend begrüßen und die eine oder andere Hand drücken.
In den fünfziger Jahren ging aus einem unbedeutenden „Verband der Unabhängigen“ eine neue Partei hervor. Sie nahm alte und neue Nazis, Deutschnationale und einige wenige Wirtschaftsliberale auf. Ihr Selbstverständnis war das „Dritte Lager“[8], das auf keinerlei liberale Tradition zurückblicken konnte, umso mehr auf Schönerers Alldeutsche in der Monarchie[9], auf eine „Großdeutsche Volkspartei“ oder eben auf die NSAPÖ. Diese „Freiheitlichen“ (FPÖ) waren also von Anfang an eine deutschnationale Partei, in der zum Teil sogar schwer belastete Nazis führende Positionen einnahmen. Der langjährige Obmann Friedrich Peter war Offizier der berüchtigten 1. SS-Infanteriebrigade.
Der SPÖ-Vorsitzende Kreisky verhalf dieser Partei aus taktischen Gründen aus ihrer Bedeutungslosigkeit. Er konnte Peter zum Tolerieren eines Minderheitskabinetts überreden, mit dem 1970 die 13-jährige Alleinregierung der SPÖ begann. Das Zuckerl war eine Wahlrechtsreform zu Gunsten der FPÖ. Eine weitere Überlegung Kreiskys war, mit der Stärkung des Dritten Lagers die Schwarzen zu schwächen...
Dem politischen Zögling Peters, Haider, gelang 1986 der entscheidende Putsch in der FPÖ. Die inzwischen erstarkten und ministrablen Liberalen wurden hinausgeworfen und hinterdrein gleich Peter. Weg also mit der braunen Vergangenheit! Von da an kann die – nunmehr blaue! – Haider-Partei einen stetigen Stimmenzuwachs bei allen Wahlen verzeichnen, auf Kosten der Proporzparteien.
Die Buberlpartie marschiert: eine Riege von Yuppies und Karrieristen, eine Ansammlung charakterloser Jasager – wer aus der Reihe tanzt, den feuert der Chef persönlich. Profil ist erlaubt, wenn in Interviews der Massenmord an den Juden relativiert wird. Die Buberlpartie ist gefährlich, weil sie sich jung und proper gibt. Ihr Programm ist dagegen 70 Jahre alt: rassistisch, antidemokratisch, völkisch, antiintellektuell. Einschlägige Versatzstücke, die aus den Programmen von Reps und DVU nur zu bekannt sind.
Warum schweigt Schily zu Haider?
Die Einschränkung der Zusammenarbeit der EU-Staaten mit der neuen Regierung wurde durch die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, am 7. Februar kommentiert:
Angesichts dieser Debatte stellen sich folgende Fragen an die Bundesregierung:
Bundesinnenminister Schily sollte rasch Farbe bekennen, wie er sich auf diesen wichtigen Gebieten verhalten will. Zumal Schily und das Bundesinnenministerium auch für die Abwehr von Rechtsextremismus und Antisemitismus in diesem Land zuständig ist und bisher buchstäblich nichts auf diesem Gebiet geleistet hat. Schilys beredtes Schweigen in den vergangenen Tagen verheißt nichts Gutes.
aus PDS Pressedienst, Nr.6/2000, S.2
Die österreichische Arbeiterklasse war eingebettet in eine Parteibuchwirtschaft, die günstige Sozialwohnungen (allerdings nicht für Arbeiter anderer Nationalität!), relativ gute Löhne, ein niedriges Rentenalter (55/60!), eine geringe Arbeitslosigkeit bescherte. Noch „unter Kreisky“ sprach man von der „Insel der Seligen“.
Doch die allgemeine kapitalistische Krise ging an dieser Idylle nicht vorüber. Ein Banker war mittlerweile SPÖ-Kanzler geworden. 1987 wurde die Verwaltung der Verstaatlichten umstrukturiert. Aus der ÖIAG wurde die AI (Austrian Industries), in der trotz des klingenden Namens Deutsch! geredet wird. Ein Sechstel der Industriearbeiter war hier beschäftigt, vor allem in den Branchen Stahl und Erdöl sowie in 160 anderen Firmen. Unter dem Vorwand der Sanierung wurde geschrumpft, zerstückelt, privatisiert und ausverkauft – bei näherer Betrachtung vor allem an die bundesdeutschen Stahlgiganten. Deutsche Manager wurden auf die Chefsessel gehievt, dann folgten die Massenentlassungen. Hier begann der Niedergang der SPÖ als Regierungspartei und ihr schwindender Einfluss in der Arbeiterklasse.
Die Automobilindustrie ist fest in deutscher Hand: Geländefahrzeuge und Vans für DaimlerChrysler, Allradtechnik für VW und Audi, Lkw für MAN, Motoren für BMW. Eine Menge Aufträge, aber eben auf verlängerten Werkbänken von Stuttgart, Wolfsburg, München und Ingolstadt. Der Reifenkonzern Semperit wurde von Continental geschluckt. Im ersten Halbjahr 1999 stammte von den 46 ausländischen Neugründungen ein Drittel aus Deutschland – wie in den vergangenen Jahren auch.[10]
Ein Abstecher in die Medienbranche bringt ebenfalls Erkenntnisse: Die „Kronenzeitung“ mit ihrer Auflage von 1.3 Millionen erreicht ein Drittel der Bevölkerung. Damit gehört sie zu den weltweit einflussreichsten Massenblättern. Seit 1987 ist der WAZ-Konzern (Westdeutsche Allg. Zeitung) mit 45% beteiligt.[11] Und ebenso lange schreibt die „Krone“ für Haider. Sie verbreitet Law-And-Order-Parolen, bagatellisiert Auschwitz und unterstützte 1992 das so genannte Ausländervolksbegehren Haiders logistisch. Das erste Volksbegehren, das sich gegen Menschen richtete! Hier war Haider schneller als die CSU.
Das Bild soll abgerundet werden durch den Siemens-Konzern. Seine Betriebe wurde 1946 verstaatlicht. Doch mit den verschiedensten Transaktionen, Umgehung von Staatsvertrag und einschlägigen Gesetzen konnte 1971 die Siemens AG Österreich mit 56% deutscher Beteiligung gegründet werden. So wurde eine eigenständige Elektroindustrie verhindert. Heute hat Siemens seiner österreichischen Tochter die gesamte Regionalverwaltung für die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bosnien und vor einigen Monaten auch für Jugoslawien und den Kosovo übertragen.[12]
Ist Österreich wieder ein deutscher Alpengau? Erinnern wir uns. Der Anschluss wurde vorbereitet durch die wirtschaftliche Unterwanderung mit deutschem Kapital. Haider kokettierte bereits 1988 öffentlich damit, indem er die „österreichische Nation (als) eine ideologische Missgeburt“ bezeichnete. Und von seiner Wahlheimat Kärnten sagte er 1985, „dieses Land wird nur frei sein, wenn es ein deutsches Land wird.“[13]
Der wirtschaftliche Anschluss ist also vollzogen. Die Industriellenvereinigung[14] zeigte schon früh den Weg: „Österreich muss sich zum Westen bekennen“. Und der ist im Zweifelsfall immer die BRD. Von dort erhielt auch der Industriellenboss Krejci das Große Bundesverdienstkreuz.
1994 wurde der EU-Beitritt nach großem Bangen der Herrschenden vor der Volksabstimmung endlich vollzogen. Lange war das Volk geknetet worden. Denn die Österreicher fürchten nach wie vor um die Preisgabe der Neutralität ihres Landes.
Die Neutralität ist ein Gebot des Staatsvertrages und der Verfassung. Der Staatsvertrag von 1955 brachte ein Ende der Besatzung und Schelte vom großen Nachbarn. Adenauer befürchtete schwindenden deutschen Einfluss, weil das Anschlussverbot festgeschrieben wurde. Bei den Staatsvertragsverhandlungen mit der Sowjetunion hatte Molotow von der österreichischen Delegation das Versprechen auf die Hand verlangt, einen Status ähnlich dem der Schweiz einzunehmen. Im Staatsvertragsgesetz wurde „die immer währende Neutralität“ nach dem Vorbild der Schweiz verankert. Die Neutralität war das späte Ergebnis des ersten Anschlusses ans Reich. Und sie sollte nach der Intention der sozialistischen Sowjetunion ein Riegel gegen den deutschen Imperialismus sein. Doch der Hauptgarant der Neutralität Österreichs existiert nicht mehr.
Folgerichtig erklärte der deutschnationale Wachhund Haider 1990 bei einem Besuch in München diese Neutralität für obsolet, um sich bei der EU anzuschmieren. Im selben Jahr forderte er – verfassungswidrig – die Beseitigung des Anschlussverbots im Staatsvertrag, weil dieses die „Souveränität“ Österreichs einschränke.
Die Deutschtums-Bekenner liegen in Österreich allerdings nur bei 5 %.[15] In jüngster Zeit hört man daher von Haider eher „Österreich zuerst“. Kein Patriotismus, ein Etikettenschwindel ist das und gegen die Arbeiter mit einem anderen Pass gerichtet! Jüngere, ohne weiteres österreichisch Gesinnte sollen nicht abgestoßen werden. Denn noch ist die Neutralität so im Volk verankert, dass die SPÖ bei der EU-Wahl 1998 mit diesem Thema als einzige Stimmen gewinnen konnte.[16]
Die bürgerliche Demokratie desavouiert sich gerade an dieser Frage. Der viel beschworene Wählerwille wurde durch die Aufteilung des Wahlvolkes in drei annähernd gleiche Teile ausgeschaltet. Aber nur so konnte die Proporzlandschaft verändert, die Institution Sozialpartnerschaft zerschlagen werden. Diese günstige Situation wurde auch von Stoiber richtig erkannt, als er schon im Oktober die Konstellation Schwarz-Blau vorschlug.
Durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ ist nun ein Tor aufgestoßen, um die Neutralität durch eine „Beistandsverpflichtung“ zu ersetzen, also Österreich in die NATO einzubinden. Das alles wird zynisch als „Sicherheitspolitik“ bezeichnet, eines der beiden Hauptanliegen der Schüsselregierung. (Deren anderes ist übrigens die „Sanierung des Haushalts“: Rentenalter rauf, Einschränkung der Gewerkschaftsrechte, Erhöhung der Massensteuern...)
Nimmt man die Einschätzung ernst, dass Deutschland heute Ordnungsmacht auf dem Balkan ist, dann eröffnet diese neue, deutschhörige Regierung an der südlichen Grenze neue imperialistische Perspektiven.
Der Weg nach Ljubljana und Zagreb, nach Bratislava, Budapest und Bukarest führt über österreichischen Luftraum und über österreichische Autobahnen. So gesehen, macht Bayerns Stoiber eine kluge Politik der Umarmung.
Wen wundert es, wenn die Regierung Frankreichs gereizt reagiert auf das Gekläff Haiders. Und wenn die anderen EU-Staaten über Maßnahmen nachdenken, die aber bisher über das Zuspätkommen bei einem Fototermin nicht hinausgingen. Eine Stärkung des schon so mächtigen deutschen Rivalen durch den Aufstieg des deutschnationalen Flügels in Österreich wird diesseits und jenseits des Atlantiks besorgt zur Kenntnis genommen.
Als Hitler am 15. März 1938 triumphierend in Wien das Burgtor durchfuhr, um Österreich heim ins Reich zu holen, war der Heldenplatz „schwarz“ von jubelnden Menschen. Dieses Bild wurde den Linken und Antifaschisten immer vorgehalten, die Österreich als Opfer des deutschen Faschismus sahen. Der Makel des Heldenplatzes ist seit dem 19. Februar 2000 getilgt. 250.000 Menschen demonstrierten gegen Faschismus, gegen Rassismus, gegen die schwarzbraune Regierung.
Peter Willmitzer
Am 18.2.2000 – einen Tag vor der grossen antifaschistischen Demonstration auf dem Wiener Heldenplatz – sagte der Polizeipräsident von Wien in der Sendung des österreichischen Fernsehens „Zeit im Bild 2“, der bundesdeutsche Verfassungsschutz habe die Wiener Behörden vor der Einreise „gewaltbereiter Demonstranten“ aus der BRD gewarnt.
1 spöttische Umschreibung der FPÖ-Führung
Buberl: österr. für kleiner Junge
Partie: (frz.) österr. für Gruppe von Arbeitern, die für eine bestimmte Aufgabe zusammengestellt sind.
2 G. Höper: „Österreichs Weg zum Anschluss“
3 Hakenkreuz-Abzeichen
4 Gebräuchlich zur Abgrenzung vom braunen Faschismus, den es ja in Österreich auch gab. (Die Grünen gab es damals natürlich noch nicht.)
5 Der Republikanische Schutzbund war die bewaffnete Formation der SDAPÖ, hervorgegangen aus den Roten Garden der Revolution 1918/19: 100.000 Mann, gut bewaffnet, hohe Disziplin. Die österreichische Sozialdemokratie war die größte und am meisten linke Partei in der 2. Internationale. Sie organisierte 90% der Arbeiterklasse. Ihre Führer, wie Otto Bauer, trugen stets die Revolution auf den Lippen und konnten so die Arbeiter im Zaume halten – bis zum 12. Februar 1934.
6 „Zum staatsmonopolistischen Kapitalismus in Österreich“, Hrsg. KPÖ 1972.
7 Die verstaatlichten Betriebe sind keine Elemente des Sozialismus, sondern Kern des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Aber sie sind ein ökonomischer Fortschritt gegenüber dem Privatkapital (vgl. F. Engels). Deshalb war es richtig, dass die KPÖ die Verschacherung an ausländisches Kapital und Reprivatisierung immer bekämpfte!
8 Wenn der Leser beim Dritten Lager den „3. Weg“ assoziiert, liegt er nicht falsch. Auch Schröders und Blairs „3. Weg“ ist ja nicht ein Ding zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Es ist die Methode zur Überwindung des Sozialstaates, in der BRD vor allem das „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“. Die „Faire Marktwirtschaft“ Haiders ist die österreichische Spielart eines „3. Weges“. Eine schier unüberwindbare Sozialpartnerschaftsideologie ist zu zerschlagen als tief verwurzeltes Hemmnis für das Kapital das die Volksgemeinschaftsideologie für seine Ziele braucht.
9 Wenn Hitler einem österreichischen Politiker Bewunderung zollte in seiner Wiener Zeit, dann war es der Ober-Antisemit Schönerer. Hitler hasste die k. u. k.- Monarchie und sog alles Reaktionäre auf, was sich gegen diese richtete.
10 SZ 3.11.99
11 Die WAZ zahlte für Kohls Fechttour 800.000 DM! SZ 10.3.00
12 SZ 3.11.99
13 Zitate aus SZ-Magazin 17.12.99
14 Die Industriellenvereinigung ist eine spezifische Organisationsform der österreichischen Bourgeoisie. Durch die Bildung von Kartellen können die Mitglieder trotz relativ geringer Kapitalbasis ihre Interessen durchsetzen, vor allem gegenüber dem Staat. Das geschieht zum Teil wirksamer als in anderen Ländern mit mächtigerem Monopolkapital.
15 Nichtsdestoweniger sind österreichische Bundesheersoldaten im Rahmen der „Partnerschaft für den Frieden“ unter Nato-Kommando in Bosnien stationiert, ebenso marschierten sie nach Albanien.
16 „Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus“, Hrsg. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, Wien 1993. Das DÖW wird von der FPÖ seit Jahren attackiert, mehr als von anderen rechten Haufen.
Er mußte noch draußen bleiben beim Wieder Opernball 2000. Dieser deutsche Gruß war ein Protest des österreichischen Kabarettisten Hubsi Kramer.
Eine viertel Million Menschen demonstrieren am 19. Februar 2000 auf dem Wiener Heldenplatz