Herrn
Egon Krenz
JVA Plötzensee
Friedrich-Olbricht-Damm 16
13627 Berlin

Lieber Genosse Egon Krenz!

Du warst Staatsoberhaupt eines Staates, der am 07.10.1949 auf einem Teil des ehemaligen Deutschen Reiches gegründet wurde. Die Ziele der damals noch jungen DDR waren erst mal demokratischer und antifaschistischer Natur. Dieser Staat war bereit die Wurzeln des Faschismus mit Stumpf und Stiel zu beseitigen. Die DDR und vorher die sowjetische Besatzungsmacht machten sich nach der Befreiung vom Faschismus schnell daran Nazi- und Kriegsverbrecher zu verurteilen und zu enteignen.

Ferner wurde auf dem Gebiet der späteren DDR eine demokratisch legitimierte Bodenreform durchgesetzt. Die Industrie wurde in Volkseigentum überführt, so dass die Banken und Konzerne keinen Zugriff mehr hatten, um ihre Profitgier zu befriedigen. Schlimmer noch, sie spielten zusammengedrängt auf Westdeutschland und Westberlin weltpolitisch nur die zweite Geige. Sie konnten nicht mehr mitreden, wenn es um die Neuaufteilung der Welt ging. Militärisch mussten sie sich, zumindest formal, der Losung „Nie mehr wieder darf ein Krieg von deutschem Boden ausgehen” beugen.

Im UNO-Sicherheitsrat hatten sie keinen ständigen Sitz und somit auch kein Vetorecht. Diese Aufzählung könnte man noch eine Weile fortsetzen.

Genau dafür war die Regierung der DDR ein großes Stück mitverantwortlich. Dadurch dass du ein hoher Repräsentant der DDR warst, wirst du mit Gefängnis bestraft, nach dem Motto, wer die Imperialisten im Drang nach Maximalprofit stört, dem schlägt die geballte Staatsmacht der Kapitalisten entgegen. Erschwerend hinzu kommt, dass du vor ihnen nicht zu Kreuze kriechst. Am 9. Nov. 1989 wurde die Staatsgrenze der DDR geöffnet. Den zehnten Jahrestag dieses Ereignisses feierte die deutsche Bourgeoisie, indem sie gegen dich als ehemaliges Staatsoberhaupt der DDR vom Bundesgerichtshof ein Urteil auf sechseinhalb Jahre Gefängnis bestätigen ließ .

Ein Urteil gegen einen souveränen Staat und gegen das Völkerrecht. Im Namen der Menschenrechte wirst du als ehemaliges Staatsoberhaupt auf Grund deiner Funktion zum Totschläger erklärt und im Namen derselben Menschenrechte war 78 Tage Jugoslawien bombardiert worden.

In den Prozessen gegen ehemalige Staatsorgane der DDR wurde auch sehr deutlich, dass sie sich um die von ihnen gemachten Gesetze nichts scheren. Zum Beispiel kann jemand nur ver­urteilt werden, wenn ein Gesetz schon vor der Tat Bestand hatte. Da die DDR aber ein völker­rechtlich anerkannter Staat war, die kein Ausschwitz und keinen Weltkrieg verursacht hat, im Gegenteil ein friedlicher Staat war, hat dieses Rückwirkungsverbot zu gelten, das in Westdeutschland entgegen dem Völkerrecht nur zur Schonung von Nazi- und Kriegsverbrechern angewendet wurde. Somit hättest du juristisch gesehen niemals verurteilt werden dürfen. In deinem Fall handelt es sich aber um Klassenjustiz, denn Gesetze und Verurteilungen sind immer ein Ausdruck von Macht zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie.

Gerade auch beim Überfall auf Jugoslawien wurde deutlich, wie einfach bürgerliches Recht gebrochen werden kann, hier wurde sogar Völkerrecht mit Füßen getreten, von Grundgesetz und Einigungsvertrag ganz zu schweigen. Ähnlich wie bei dir gilt, die Arbeiterklasse war zu schwach um den Krieg zu verhindern. Dank der SPD und Bündnis 90/Die Grünen war der Widerstand gegen den Krieg nur spärlich.

Lieber Genosse Egon Krenz!

Wir hoffen, dass du vor dem europäischen Gerichtshof mehr Erfolg hast als vor den deutschen Gerichten und bald wieder als „freier Mensch” gegen Regierung und Kapital kämpfen kannst. Vielleicht gelingt es dir zusammen mit deinen Anwälten die Widersprüche der europäischen imperialistischen Staaten, die sie untereinander zweifelsohne haben, für dich auszunutzen.

Als Zeichen unserer Solidarität haben wir dir ein kostenloses Abo unserer Kommunistischen Arbeiterzeitung zur Verfügung gestellt.

Mit solidarischen Grüßen

Redaktion der
Kommunistischen Arbeiterzeitung