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Zur Gemeinsamkeit der Imperialisten

Ein Parallele aus scheinbar längst vergangenen Zeiten – Zur deutschen China-Politik um 1900[1]

Gemeinsames militärisches Handeln aller imperialistischen Länder unter der Führung der USA ist seit dem Golfkrieg 1991 die beherrschende Seite der internationalen Entwicklung. Sie wird als etwas völlig Neues dargestellt („Neue Weltordnung”). Das untersuchte Beispiel zeigt, dass die imperialistischen Länder bereits in den „Jugendjahren” des Imperialismus zu solchen Einsätzen zur Niederwerfung von nationalen und Befreiungsbewegungen oder, in ihrer Sprache, zur Bekämpfung des „Terrorismus” fähig waren. Das historische Beispiel zeigt auch, dass gerade in der Gemeinsamkeit der Imperialisten ihre Widersprüche aufbrechen. Das sollten wir in die Analyse der gegenwärtigen Entwicklung mit einbeziehen.

China um 1900

Anlass für das deutsche Vorgehen gegen das kaiserliche China im Jahr 1900 war die Tötung des deutschen Botschafters v. Ketteler durch aufständische chinesische Patrioten, die sich der immer deutlicher werdenden kolonialistischen Aufteilung Chinas widersetzten. Drei Jahre zuvor war die Ermordung von zwei christlichen Missionaren[2] der Anlass gewesen, der kaiserlichen chinesischen Regierung einen „Pachtvertrag” über Kiautschau und Tsingtao (6. März 1898) abzuzwingen. Mit diesem Pachtvertrag setzt sich das imperialistische Deutschland in ein internationales Kraftfeld, das vor allem durch Frankreich (Indochina, Südchina), England (Indien, Burma und Hongkong, das 1842 von China abgetreten werden musste), Russland (Mandschurei) und seit dem chinesisch-japanischen Krieg von 1894 (Frieden von Shimonoseki 1895, der u.a. die „Unabhängigkeit” Koreas festschrieb und damit dem Einfluss Japans unterwarf[3] ) zunehmend von Japan gebildet wird. Die Aufteilung Chinas in Interessenssphären der imperialistischen Großmächte führt zu weiteren Verwicklungen und Spannungen zwischen den Mächten in Europa und zur weiteren Stärkung der imperialistischen Kräfte in Deutschland. Nicht zufällig wird im Zusammenhang mit dem Erwerb von Kiautschau von der deutschen Regierung die Flottenvorlage in den Reichstag eingebracht: Ausbau der Flotte und damit die Verschärfung des Gegensatzes zu England.[4] Die fortlaufende Demütigung Chinas vor allem in den Jahren seit 1894 führt zum Zusammenschluss und im Jahr 1900 zum Aufstand patriotischer Kräfte, die sich u.a. im Geheimbund der Ihotwan („Fäuste der Gerechtigkeit”, in Europa „Boxer” genannt) organisiert hatten. Die chinesische Regierung bezeichnete die Boxer als Patrioten und befand sich damit faktisch im Krieg mit den ausländischen Großmächten, die die Auflösung der Geheimbünde verlangt hatten. Zum „Schutz der Ausländer” landeten europäische und amerikanische Truppen[5] am 14.6. in Tientsin. Sie konnten aber auf Grund der chinesischen Übermacht nicht auf Peking vorrücken. Am 20. Juni wurde der deutsche Gesandte getötet.

Wilhelm II.: „Peking muss regelrecht angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht werden ... Ich werde eventuell den Obergeneral gern stellen. ... Der deutsche Gesandte wird durch meine Truppen gerächt. Peking muss rasiert werden” (J.R. von Salis, Weltgeschichte der neuesten Zeit, Bd.1, Zürich 1961, S. 650)

Am 27. Juli hält er vor den deutschen Expeditionstruppen die berüchtigte „Hunnenrede”: „Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie auch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.” (a.a.O.) Die anderen Großmächte stimmten zu, den deutschen Grafen Waldersee zum Oberbefehlshaber der internationalen Streitmacht zu ernennen.[6] Mit dem von Wilhelm überreichten Feldmarschallstab schifft er sich am 22. August in Neapel ein. Als er im Oktober in China eintrifft, sind allerdings die militärischen Operationen bereits weitgehend beendet.[7] Die vereinigten russischen, japanischen, amerikanischen, englischen, französischen, italienischen, österreichisch-ungarischen und deutschen Truppenkontingente (etwa 20.000 Mann) hatten im August nach grauenhaftem Gemetzel die Hauptstadt Peking besetzt.

Der bürgerliche schweizer Historiker v. Salis führt dazu aus: „Nichts war dringender als eine gemeinsame Politik und ein kollektives Vorgehen der Mächte in Ostasien. Es wirft ein bedenkliches Licht auf die Außenpolitik der Regierungen, dass von allem Anfang an gegenseitiges Misstrauen und allgemeiner Argwohn ihre gemeinsame Aktion lähmten. Jeder traute dem anderen das Schlimmste, das heißt eine Ausnützung der verworrenen Lage zu seinem eigenen Vorteil, zu.” (a.a.O. S. 649, Hervorhebung Corell)

Am 7. September 1901 wird in einem Friedensvertrag, dem sog. Protokoll von Peking (das von elf kapitalistischen Staaten und China unterzeichnet ist), die kaiserliche chinesische Regierung verpflichtet, die „Schuldigen” zu bestrafen und 1,7 Milliarden Goldfranken als Entschädigung zu bezahlen, zahlbar in 39 Jahren. Dazu verpfändet der chinesische Staat die Einnahmen aus den Zöllen und der Salzsteuer.[8] Und schließlich werden die Handelsprivilegien für ausländische Kaufleute erweitert. Ausländische Truppen werden in und um Peking stationiert.

Eine neue weltpolitische Ära (Rosa Luxemburg)

Revolutionäre in der damaligen SPD erkannten die Bedeutung der chinesischen Ereignisse wohl. Franz Mehring schrieb im Parteiorgan „Neue Zeit“ zu den Schlächtereien des deutschen Expeditionskorps in China gegen den Ihotwan- („Boxer“)-Aufstand: Solche Raubkriege, wie sie der deutsche Imperialismus gegenwärtig (im Jahre 1900 – Corell) in China führe, „züchten vor allen Dingen den einheimischen Despotismus[9] , und jeder Arbeiter, der an dem Joche schmieden hülfe, das den Chinesen auf den Nacken gelegt werden soll, würde nur seine eigenen Ketten fester schmieden.“ (F. Mehring, Gesammelte Schriften, Bd. 14, S. 344). Auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Paris im Jahr 1900, erklärte Paul Singer: „... der Weltpolitik des Militarismus, des Chauvinismus, des Kapitalismus setzen wir entgegen die Weltpolitik der Interessengemeinschaft des Proletariats aller Länder, die Weltpolitik des internationalen Frie­dens; der Raub- und Eroberungspolitik der herrschenden Klassen stellen wir entgegen die internationale Solidarität; der Interessengemein­schaft der Ausbeuter die Interessengemeinschaft der Ausgebeuteten.” (Protokolle, S. 4). Rosa Luxemburg versuchte in ihrer Rede auf dem Parteitag der damals noch revolutionären deutschen Sozialdemokratie im September 1900 in Mainz den Überfall einzuordnen: „Der chinesische Krieg ist das erste Ereignis der weltpolitischen Ära, in das alle Kulturstaaten verwickelt sind, und dieser erste Vorstoß der internationalen Reaktion, der Heiligen Allianz, hätte sofort durch einen Protest der vereinigten Arbeiterparteien Europas beantwortet werden müssen.” (R. Luxemburg, Gesammelte Werke)

Hier ist ein historisches Beispiel für gemeinsames militärisches Handeln aller imperialistischen Mächte zum „Schutz” ihrer imperialistischen Interessen. Parallelen zum „Golfkrieg”, zu Jugoslawien (und zum Krieg in Afghanistan heute) sind nicht zu übersehen. Es brauchte damals 14 Jahre, bis die Imperialisten sich im 1. Weltkrieg gegenseitig an die Gurgel gingen im Kampf um die Beute.

Imperialismus: Einheit der Widersprüche

Der von den USA scheinbar geduldete Überfall des Iraks auf Kuweit und die gefälschte Brutkasten-Story (s. getötete Missionare und getöteter Gesandter) bilden den Anlass für gemeinsames Eingreifen.[10] Die Ursachen liegen im Kampf um die Neuaufteilung der Region nicht zuletzt zur Beherrschung der Ölquellen (s. Aufteilung Chinas in Interessenssphären und die Beherrschung des Handels und der Rohstoffquellen). Die ganze Aktion ist von gegenseitigem Misstrauen und Argwohn begleitet, dass die jeweils andere Macht die verworrene Situation zu ihrem Vorteil ausnutzen könnte. Die Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten auch in Europa erhalten eine neue Dimension, wie sie dann im Jugoslawien-Konflikt zum Vorschein kommen, wo Deutschland gegen England und Frankreich in der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens vorprescht. Die gemeinsame Aktion der Imperialisten am Golf führt zur Stärkung der Kriegspartei in Deutschland und der Neuausrichtung der Bundeswehr auf internationale Sicherung der Märkte und Rohstoffquellen und dem folgenden militärischen Eingreifen in „humanitären” und sonstigen „Friedens”missionen.[11]

Mangel an dialektischem Verständnis erschwert, den Imperialismus als Einheit der Widersprüche zu begreifen. Seit Marx und Engels ist immerhin belegt, dass das Privateigentum die Einrichtung ist, die Privateigentümer gegen Privateigentümer stellt. Auch dass sich Privateigentümer zusammenschließen können, nicht zur Abschaffung des Privateigentums, sondern zur Verteidigung ihrer Interessen gegen andere Privateigentümer (und gegen Nicht-Privateigentümer, die ihre Interessen, ihre Beute, ihre Herrschaft schmälern könnten) ist damit notwendig gegeben. Das Privateigentum bewegt sich als Einheit von Widersprüchen, wobei die Einheit der Privateigentümer relativ, der Widerspruch absolut ist. Entsprechend bewegt sich der Imperialismus auf der Grundlage der Monopole (die ja selbst nichts anderes sind als ein Zusammenschluss von Privateigentümern) als Einheit von Widersprüchen. Die Einheit der Imperialisten ist relativ, ihr Widerspruch absolut. [12]

Und was damals von Rosa Luxemburg mit Recht als Beginn einer neuen weltpolitischen Ära erkannt wurde, markierte den Abschluss einer relativ langen Periode von Frieden und bürgerlicher Demokratie in Europa. Wir sind heute am Ende (das sich möglicherweise noch länger und fürchterlich hinziehen kann) dieser weltpolitischen Ära angelangt. Die 50 Jahre des durch den Sozialismus geschenkten relativen Friedens in Europa sind vorbei. Wir stehen eher davor, dass uns die Vergangenheit einholt, statt dass uns eine transnationale Zukunft überrollt. Nur manche Linke haben das noch nicht gemerkt.

Corell/AG Zwischenimperialistische
Widersprüche

1 Wir hatten gehofft, dass dieses Manuskript, das Anfang 1999 in wesentlichen Teilen fertig war, in der Schublade bleiben könnte. Manfred Sohn war uns zuvor gekommen und hatte damals in „junge welt”, die China-Expedition der imperialistischen Länder dargestellt („Pardon wird nicht gegeben” – Peking 1900, Kosovo 1999 – der Imperialismus ist der alte geblieben”) und war zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie wir gelangt. Heute wo angesichts des gemeinsamen Vorgehens der imperialistischen Staaten in Afghanistan die zwischenimperialistischen Widersprüche wieder verniedlicht werden, kann das historische Beispiel vielleicht doch zu genauerem Hinsehen auf die jetzige Entwicklung beritragen. Aktuelle Bezüge setzen wir in die Fußnoten.

2 „Terrorismus” als Kriegsgrund – auch da fällt den imperialistischen Strategen nicht viel Neues ein. Und christliche „Missionare” (schon damals gerne als Agenten benutzt) waren auch in Afghanistan als Mitarbeiter eines „Hilfswerks” zu sehen, als sie eingesperrt wurden und ihnen der Prozess gemacht werden sollte.

3 Japan gehört heute zur Koalition gegen den „Terrorismus” und die Demokratische Volksrepublik Korea wird zur „Achse des Bösen” gezählt.

4 Zuständig für die Flottenrüstung war der Staatssekretär im Reichsmarineamt, Admiral v. Tirpitz. Die deutschen Flottenverbände, die heute zu ihrem Einsatz Richtung Persischer Golf geschickt werden, laufen aus dem Kieler „Tirpitz-Hafen” aus.

5 Damals wie heute natürlich „Schutztruppen”

6 „lead nation” heißt diese Funktion heute in Afghanistan, eine Rolle, die die BRD in Mazedonien bereits inne hat und um die sie in Afghanistan noch pokert.

7 Da gibt es doch tatsächlich heute etwas Neues: Das deutsche Vorauskommando mit dem „Oberbefehlshaber” v. But(t)ler (noch ohne Feldmarschallstab) war schon in Kabul und wartete auf die bei Schnee und Kälte in der Türkei festsitzenden deutschen Truppen.

8 Das macht man heute über den IWF etwas eleganter mit verordneten „Privatisierungen” und Sozialraub „Stabilisierungsprogramm” genannt, aber der Kern ist der gleiche geblieben: Sicherung der Zahlungen eines Landes an die ausländischen Gläubiger.

9 Heute heißt das Verabschiedung von „Anti-Terror-Gesetzen”

10 Heute kann man hinzufügen: Der anscheinend von den geduldete Anschlag auf das WorldTra­de­Center.

11 Über dieses Stadium sind wir ja mittlerweile schon hinweg.

12 Daran werden auch Theorien vom „kollektiven Imperialismus” und „transnationalen Wertschöpfungsketten” nichts ändern. Der Begriff von der Wertschöpfungskette ist im Übrigen aus der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre übernommen, der davon ablenken soll, dass das Wichtigste an der „Kette” nicht die „Schöpfung” von „Wert”, sondern das „Abpressen” von „Mehrwert” ist.

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