Für Dialektik in Organisationsfragen
Schon auf dem Gewerkschaftstag im Oktober 2023 hatte die IGM-Führung unter dem Leitbild „FairWandel“ mit ihrem Grundsatzantrag (siehe KAZ 386) die Weichen für einen verschärften Kriegskurs gestellt. Im Zusammenhang mit Aussagen zu „Frieden und Sicherheit“ wird darin u. a. erklärt: „Eine Neuaufstellung und Revitalisierung der Friedensbewegung ist gleichwohl unerlässlich. Wir werden im DGB und mit weiteren gesellschaftlichen Bündnispartner*innen eine Debatte um Frieden und Sicherheit im 21. Jahrhundert führen, die Perspektive über den derzeit alles dominierenden Krieg gegen die Ukraine weiten, andere kriegerische und schwelende Konflikte nicht vergessend.“ (Antrag G.001_EAO1)
Nachdem der Gewerkschaftstag bereits die Beschlusslage – keine Waffen in Spannungsgebiete und an kriegführende Nationen – aus dem Weg geräumt hat, hat der IGM-Vorstand beim „Weiten der Perspektiven“ mit einem Positionspapier nachgelegt. Es ist offenbar mit dazu gedacht, die friedenspolitischen Grundsätze der Gewerkschaften beim als „unerlässlich“ erklärten „Neuaufstellen und Revitalisieren“ in von den Kriegstreibern bezeichneten „Selbstverteidigungsfällen“ mit Waffenlieferungen kompatibel zu machen. Die „weiteren gesellschaftlichen Bündnispartner“ sind dabei zunächst nicht die anderen DGB-Gewerkschaften, sondern das SPD-Wirtschaftsforum und das Rüstungskapital. Namentlich: Der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, abgekürzt BDSV. Das ist mit dem zurzeit Rüstungs-Profit-Spitzenreiter Rheinmetall die nicht nur klassenmäßig, sondern ebenso arbeitsrechtlich ausgedrückt, gegnerische Antistreik-Organisation von über 220 Waffen- und Sprengstoff-Dealern und Exporteuren. Der Hinweis auf Sicherheit und Verteidigung soll dabei offensichtlich ihr todbringendes Mords-Geschäft bei der Militarisierung der Gesellschaft verharmlosen.
In einer gemeinsamen Presseerklärung stellt das Dreier-Bündnis unter der Überschrift „Verteidigungsindustrie zukunftsfähig machen“, am 8. Februar 2024 fest, was nach seiner Meinung im Sinne der von Kriegsminister Pistorius geforderten „Kriegsertüchtigung“ für die BRD und Herstellung der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr zu tun ist. Jürgen Kerner, der 2. Vorsitzende der IGM hat hierbei erklärt: „2024 ist das Jahr der Entscheidung für die wehrtechnische Industrie in Deutschland. (...) Wir brauchen endlich eine wehrtechnische Industriepolitik ...“ (www.igmetall.de/presse/pressemitteilungen/verteidigungsindustrie-zukunftsfaehig-machen)
Was dafür im Einzelnen zu entscheiden ist, wird in einem an Kanzleramt, Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium sowie zuständige Ausschüsse gerichteten elfseitigen Leitlinien-Dokument aufgelistet. Zum Ukraine-Krieg erklärt der IGM-Vorstand darin mit seinen Leitlinien-Partnern: „Das stellt Europa, die Nato und Deutschland mit seiner Bundeswehr vor neue Aufgaben. Das angestrebte Ziel ist dabei Abschreckung durch verstärkte Maßnahmen zur Erhöhung der Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit zu erreichen. Die Bundesregierung hat hierbei als ersten Schritt das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen Bundeswehr aufgelegt und erklärt, dass auch mittelfristig das 2% Nato-Ziel für die Finanzierung der verteidigungspolitischen Aufgaben sicherzustellen und die Erhaltung einer leistungsstarken Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) ein wichtiges Ziel sei.
Mit dem 100-Milliarden-Euro-Programm ist es möglich, notwendige Beschaffungen für die Entwicklung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit durchzuführen; zu erheblichen Teilen erfolgen diese aus den USA und Israel. Weder aus Sicht des Bundeswehr-Bedarfs noch aus Sicht der SVI reicht dies aus. Deutschland und Europa brauchen ein industriepolitisches Konzept zur Stärkung der SVI und zum Aufbau und zur Entwicklung eigener leistungsfähiger Verteidigungssysteme in den Dimensionen Land, Luft und See ... “ (/www.igmetall.de/download/20240130_Positionspapier_Sicherheits_und_Verteidigungsindustrie.pdf) Die IGM-Führung hat hierbei ihren bisher fürs 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen und 2-Prozent -Nato-Ziel gedachten Lendenschurz mit Augenbinde – „wir sehen das kritisch“ (IGM/DGB) – abgelegt. Als Mitverfasserin dieses Land-, Luft- und See-Abschreckungs-Dimensionen-Papiers und ihren Vorschlägen dazu, schwenkt sie vom „Kritisch Sehen“, wie z. B. im Fall der Dimension See (Siehe Kasten „Leitsektor Domäne See“), voll auf das Waffenlieferungs-, Aufrüstungs- und Kriegskurs-Geschrei von Ampel-Regierung, Parlament und Kapital ein.
Federführend und sozusagen verantwortlicher „Projektleiter“ für den Vorstand ist der oben genannte zweite Vorsitzende J. Kerner. Er tritt seit Jahren mehr oder weniger als zuständiger Lobbyist zur Auftragsbeschaffung für das Rüstungskapital innerhalb der IGM auf. So wie es ihr Mitmachen vermuten lässt, hat die IGM-Führung („wir sind eine Mitmachgewerkschaft“) es in dem Sinne übernommen, sich als Schrittmacher für die Akzeptanz der „Leitlinien“ im Gewerkschaftslager zu betätigen. Um nicht mehr drüber reden zu müssen, vermittelt sie ja nicht erst ab heute mit „gemeinsamen Projekten“ den Eindruck: Der unversöhnliche Klassenwiderspruch zwischen den ausgebeuteten Lohnabhängigen und den Ausbeutern, den Kapitalisten und ihrem geschäftsführenden Ausschuss, der Regierung, ist aufgehoben bzw. nicht mehr existent. Was dann insbesondere – wie jetzt bei der Hochrüstung für die Vaterlandsverteidigung – für den von Kriegs-Prophezeier Pistorius in fünf oder acht Jahren angekündigten Überfall „des Russen“ auf die BRD gilt. Wie von uns in der KAZ wird seit 2022 in den linken Zeitungen über die hierbei festgestellten historischen Bezüge zum 1. Weltkrieg, vor allem zu dem bewusst geschürten Russenhass und dem von den opportunistischen sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern mit der Reichsregierung vereinbarten Burgfrieden berichtet. Aus diesem Teil der Geschichte der Arbeiterbewegung erfahren wir u. a., dass der damalige Vorsitzende der Generalkommission der Gewerkschaften, Carl Legien am 2. August 1914 erklärte: „Wie die Dinge heute liegen, hört die Demokratie in den Gewerkschaften auf ...“ Das hieß, wer in der Partei- und Gewerkschaftspresse nicht auf Regierungskurs war, dem wurde ein Maulkorb verpasst. Im Rahmen des Burgfriedens haben die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer dabei gefordert: „... zwischen Unternehmerorganisationen und Gewerkschaften vertraglich fixierte Arbeitsgemeinschaften herzustellen. Am 13. Oktober 1914 unterzeichneten der Bauarbeiterverband und der Reichsbund der Arbeitgeber im Baugewerbe auf Initiative der sozialchauvinistischen Gewerkschaftsführer eine entsprechende zentrale Vereinbarung. Andere Gewerkschaftsverbände folgten nach.
Die Generalkommission der Gewerkschaften richtete am 25. November 1914 ein Schreiben an die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, in dem sie zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmerorganisationen und Gewerkschaften im Interesse der ‚wirtschaftlichen Rüstung’ des deutschen Imperialismus aufforderte ...“ (Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung von 1914 bis 1917, Kapitel V, S. 23/24: Dietz Verlag Berlin 1967)
Die aktuelle Zusammenarbeits-Situation mit dem deutschen Imperialismus drückt sich hierbei in der Regel in den von IGM oder DGB veranlassten Solidaritätserklärungen mit den Kapitalverbänden zum Ukraine-Krieg aus. Dabei „liegen die Dinge“ beim Verteilen bzw. Androhen juristischer Maulkörbe bei der „freien Meinungsäußerung“ gegenüber den Waffenlieferungs- und Aufrüstungszielen der von SPD-Kanzler Scholz geführten Regierung nicht viel anders als beim Burgfrieden. Der IGM-Vorstand hat sich in dem Zusammenhang eine vorherige Leitlinien-Diskussion in der IGM und in der „metall Dein Magazin“ gleich ganz gespart. In den Ausgaben für die Monate Januar bis einschließlich April erfahren Mitglieder und Funktionäre daraus nichts über neue Aufgaben und Ziele der IGM zur Stärkung der SVI und der Bündnisfähigkeit der Bundeswehr und damit des deutschen Imperialismus. Soweit hierbei überhaupt von Information die Rede sein kann, hat der IGM-Vorstand die laufend beschworene innergewerkschaftliche Demokratie der „Mitmachgewerkschaft“ nach dem Prinzip praktiziert: Erst Fakten schaffen, sie den Mitgliedern unterjubeln und dann – soweit noch nötig – darüber diskutieren und beim nächsten Gewerkschaftstag als längst gesetzte und praktizierte Politik beschließen lassen.
Ob über die kapitalorientierte und opportunistische Politik der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer diskutiert wird, müssen die Metallerinnen und Metaller, IGM-Vertrauensleute und Belegschaften und generell die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter entscheiden. Dabei steht fest: Wir brauchen weder das Jahr 2024 noch andere „entscheidende Jahre“ für die Rüstungskapitalisten und genau so wenig eine „wehrtechnische Politik“ – übersetzt Rüstungs-Politik, wie Kerner, der zweite IGM-Vorsitzende, das fordert.
Was wir brauchen, ist eine Politik, die unmissverständlich klar macht: Es gehört nicht zu den gewerkschaftlichen Aufgaben und Zielen, dem deutschen Imperialismus, den Rüstungs- und sonstigen Monopol- und Finanzkapitalisten die Kohlen aus dem Feuer zu holen, die Profite zu steigern und ihre möglichen Überfallpläne, z. B. die weltweite Jagd nach Bodenschätzen, nach Rohstoffen, je nach Situation mit der Anwendung von Gewalt, mit Krieg zu unterstützen. Was wir in den Gewerkschaften und Betrieben brauchen, ist die Organisierung und Mobilisierung gewerkschaftlichen Kampfs. Den Kampf, die Demonstrationen und den Streik für mehr Lohn, für Arbeitszeitverkürzung und gegen die Angriffe von Kapital und Regierung auf unsere Renten und Sozialversicherungssysteme und insbesondere gegen Aufrüstung und gegen Faschismus und Krieg.
Hierbei ist der bevorstehende 1. Mai 2024 als Kampftag der Arbeiterklasse nicht nur dafür da, diese Ziele deutlich zu machen und dafür zu demonstrieren. Es geht dabei auch darum, in Betrieben und Gewerkschaften an historische Ereignisse zu erinnern. Wie oben bereits angesprochen, ist dabei insbesondere die Zustimmung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer zum ersten Weltkrieg und der dafür von ihnen im August 1914 mit den Kriegstreibern vereinbarte Burgfrieden zu nennen. Dazu zählt ebenso ihr Aufruf an die Gewerkschaftsmitglieder am 1. Mai 1933, mit den Hitlerfaschisten gemeinsam zu demonstrieren. Die danach am 2. Mai 1933 erfolgte Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nazis ist bekannt (Bericht KAZ 385, S. 19). Sie gehört mit zu dem Kapitel der Geschichte der Arbeiterbewegung, aus dem in und von den Gewerkschaften Lehren und Konsequenzen aus der Geschichte zweier Weltkriege gezogen werden sollten. Abgesehen von allem, was bereits vorher gelaufen ist, zeigen die offizielle Politik des DGB seit seinem Bundeskongress im Mai 2022, die Gewerkschaftstage von ver.di und IGM im September/Oktober 2023 (KAZ 385/386) und das IGM-Leitlinien-Papier zur Rüstungs- bzw. Aufrüstungspolitk: Die Lehre der opportunistischen sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer aus der Geschichte heißt – der deutsche Imperialismus kann wieder fest auf sie zählen. Sorgen wir dafür, dass daraus nichts wird!
Ludwig Jost
„Die Deutsche Marine hat ihren Modernisierungsprozess gestartet. Die Beschaffung des Mehrzweckkampfschiffes ist grundsätzlich ein wichtiger Schritt wie auch der Bau neuer Korvetten K130. Im Unterwasserschiffbau ist die Beschaffung der U212CD hervorzuheben; der Bau des weltweit modernsten konventionellen U-Boots erfolgt in Partnerschaft mit Norwegen. Die Marine erhält zudem neue Betriebsstoffversorger, Flottendienstboote und weitere schwimmende Plattformen. Ferner wird eine technologische Modernisierung der Fregatten 123 und 124 sowie der Minenjagdboote 332 erfolgen. Alle diese Entscheidungen sind richtig und wichtig.
Es darf jedoch dabei nicht bleiben: Es braucht auch die Entwicklung und den Bau völlig neuer Systeme (z. B. Fregatte 127, unbemannte Systeme). Viele dieser Projekte sind jedoch nach wie vor nicht finanziell ausgeplant und abgesichert. Die Politik steht hier in der Verantwortung, zeitnah und weitsichtige Haushaltsentscheidungen herbeizuführen.“
Burgfriedenspfeife 2024: Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IGM, hält Waffenlieferungen in Kriegsgebiete mitunter für gerechtfertigt.
Burgfriedenspfeife 1914: Carl Legien hielt, wenn es um die Unterstützung im Krieg ging, ein Ende der Demokratie in den Gewerkschaften für gerechtfertigt.