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Für Dialektik in Organisationsfragen

IGM-Tarifrunde

Das Kapital ist zufrieden.

Organisieren wir unsere Unzufriedenheit!

Über die Tarifrunde der IGM haben wir bereits in den KAZ-Ausgaben 374 Februar und 375 April 2021 berichtet. Die nachstehenden Aussagen sind zum Teil als Nachtrag zu verstehen. Sie beziehen sich auf Berichte in den metallzeitungen Mai – worin der Pilotabschluss in NRW zum „Solidarischen Ergebnis“ erklärt wird – und der Juni Ausgabe, die den „Durchbruch“ im Ost-Tarifgebiet Berlin-Brandenburg-Sachsen meldet.

„Ein solidarisches Ergebnis“ ...

... heißt es auf Seite 7 in der Maiausgabe der metallzeitung zum Pilot-Abschluss in NRW, den IGM-Vorsitzender Hofmann mit der Feststellung lobt: „Das ist ein solidarisches Ergebnis, was einer Krise angemessen ist und das nur dank der über eine Million Beschäftigten in den Warnstreiks möglich war.“ Zu diesem Zeitpunkt ging es wie üblich noch um die Übertragung vom NRW-„Pilotabschluss“ auf die in der Reihe noch fehlenden IGM-Tarifgebiete. Möglicherweise hat das Lob des Vorsitzenden – „solidarisch und der Krise angemessen“ – mit dazu beigetragen, dass dieser Akt in den Tarifkommissionen aber auch in den Betrieben weitgehend kritiklos über die Bühne gegangen ist. Sehen wir ab von der Kritik an den Kapitalisten, dann wird die Kritiklosigkeit in den Mai und Juni Ausgaben der metallzeitung fortgesetzt. Ein kritisches Wort zum eigenen Verhalten in der Auseinandersetzung mit dem Kapital, zu durch Urabstimmung und Streikverzicht nicht verhinderte Durchsetzung von Kapitalforderungen sucht man vergeblich. Das gilt gleichermaßen für die Einschätzung, was die Zugeständnisse für zukünftige Forderungen und vor allem für die gewerkschaftliche Kampfkraft bedeuten. Die notwendige Kritik wird ersetzt durch Ergebnis-Schönfärberei. Dem widmet sich die Maiausgabe der metallzeitung einschließlich Großfotos auf der Titelseite auf 11 Seiten. Auf dieser Jubelbasis will sich die IGM-Führung das der großen Mehrheit aller Mitglieder als vollendete Tatsache übergestülpte „solidarische Tarifergebnis“ bestätigen und gegen Kritik absichern lassen. Auf Seite 2 in der Juni metallzeitung werden sie aufgefordert:

„Mach mit – dein Betrieb – deine Meinung

Nach dem Metall-Tarifabschluss 2021 wird die IG Metall ein Meinungsbild bei ihren Mitgliedern einholen. Darum schreiben die IG Metall-Geschäftsstellen Mitglieder aus ausgewählten Betrieben an und fragen sie, wie sie das Tarifergebnis mit Blick auf ihren Betrieb einschätzen. Wer also Post erhält, ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Nutze die Gelegenheit und bringe Dich ein. Die Teilnahme ist anonym und dauert nur wenige Minuten. Alles Weitere erfährst Du in dem Brief, der dir Anfang Juni zugeht.“

Hierbei tun nicht nur die von den IGM-Geschäftsstellen „Auserwählten“, sondern die „Million Warnstreiker“ und die Metallerinnen und Metaller insgesamt gut daran, sich etwas mehr als nur „wenige Minuten einzubringen“. Das heißt, trotz vieler Vertrags- und Erklärungsseiten laut und nicht anonym die Meinung zu den Tarifvertragsinhalten sagen, die der IGM-Vorsitzende ihnen als „solidarisch“ und der „Krise angemessen“, in der Mai-metallzeitung unterjubelt. So z. B. zu der Tatsache, dass seit 2018, „Not- und Solidartarifvertrag 2020“ eingeschlossen, viereinhalb Jahre – bis zum 30. September 2022 – keine tabellenwirksame Lohnerhöhung vereinbart wurde. 2020 erklärte der IGM-Vorsitzende zum TV-Ergebnis (350 € aus dem „Solidartopf“): „Dieser Abschluss ist ein Beitrag zur Abfederung der Coronakrise und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ Was bei dieser von der IGM-Führung betriebenen „Abfederung“ auch in diesem Jahr insbesondere gestärkt und zusammengehalten wird, sind die Milliardenprofite in den Tresoren des Kapitals, die der „Gesellschaft“ an allen Ecken und Kanten fehlen. Was für die Kapitalisten dabei rausgesprungen ist, hat Präsident Wolf vom Kapitalistenverband Gesamtmetall mit den Worten festgestellt: „Es gibt keine zusätzlichen Belastungen der Unternehmen in diesem Jahr, es gibt keinen Einstieg in eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung in unserer Branche und wir haben mit der automatischen Differenzierung ein neues Prinzip eingeführt.“ (siehe Das „neue Prinzip“)

Wen das wie trifft, haben wir unter dem Titel „Die faire Umverteilung der Krisenlasten auf die Metaller“ ab Seite 4 in der KAZ 375 ausgeführt. Zu dem Zeitpunkt lagen uns noch keine Informationen über die genaue Ausfertigung des Tarifvertrags vor. Das war ebenso für die Auseinandersetzung im Osten der Fall. In der Juni Ausgabe der metallzeitung stellt der IGM-Vorstand dazu auf Seite 3 fest:

„Angleichung Ost: Durchbruch geschafft!“

Wie aus den Medien bekannt, hat es am 12. Mai 2021 eine Einigung zwischen IGM und dem sächsischen Kapitalverband VSME gegeben. Dabei wurde der Pilotabschluss aus NRW zunächst auf den IGM-Bezirk Sachsen und am 19. Mai auf Berlin und Brandenburg – Kapitalverband VME – übertragen. Dazu stellt der VSME in einer Presseerklärung fest: „Darüber hinaus haben sich die Tarifvertragsparteien verständigt, im Juni Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, eine Tarifregelung zu schaffen, die freiwillige Betriebsvereinbarungen zur Angleichung ermöglicht und dazu Kompensationsleistungen regelt.“ (siehe Kasten Die „Freiwillige Betriebsvereinbarung“)

Von „freiwilligen Betriebsvereinbarungen“ (BV) und zu „regelnden Kompensationsleistungen“ steht nichts in der metallzeitung. Dort redet IGM-Vorsitzender Hofmann nur von einem „tariflichen Rahmen für betriebliche Lösungen zur Angleichung Ost ...“ aber nicht über die dazu gehörende Vorgeschichte. Dabei hat das Kapital die IGM-Verhandler ausgekontert. Alle in den Ost-Kapitalverbänden VSME und VME organisierten Einzelkapitalisten haben es mit Hinweis auf den Flächentarifvertrag abgelehnt, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden über Haustarifverträge zu regeln. Es handelt sich hierbei ganz offensichtlich um eine von Gesamtmetall angeleitete Aktion, bei der die Kapitalisten die Arbeitszeitverkürzung über den Flächentarifvertrag ebenso konstant verweigern. Dort steht weiterhin die seit 1996 – und damit seit 25 Jahren – in der M+E-Industrie Ost geltende 38-Stunden-Woche. Das „Verkürzungs-Angebot“, das der Flächentarif gemäß Kapitalforderung zukünftig dazu macht, sind wie oben genannt: „Freiwillige Betriebsvereinbarungen“, für die die Zustimmung zu „regelnder Kompensationsleistungen“ als Voraussetzung gilt.

Am 25. Juni 2021 hat die IGM-Führung mit den Kapitalverbänden Ost darüber eine entsprechende tarifvertragliche Vereinbarung abgeschlossen, die am 1. Juli 2021 in Kraft tritt und mit Dreimonatsfrist erstmals zum 31. Januar 2024 gekündigt werden kann. Der Verhandlungsführer vom Kapitalverband VME für Berlin-Brandenburg, Stefan Moschko, hat in einer Presseerklärung dazu am 28.06.2021 festgestellt: „Mit der IG Metall ist uns nach intensiven Gesprächen, die wir zusammen mit unserem sächsischen Schwesterverband VSME geführt haben, ein echter Durchbruch gelungen, mit dem die jahrelange Auseinandersetzung um die Angleichung der Arbeitsbedingungen befriedet wird.“

Auf welche Weise hierbei und womit „befriedet“ wird, erklärt der Schwester-Kapitalistenverband VSME: „Die Tarifvereinbarung regelt die Festsetzung der Arbeitszeit, die damit verbundene Kostenkompensation wie auch verschiedene Maßnahmen für eine höhere Flexibilität, erstmals nicht direkt und unmittelbar, sondern über freiwillige Betriebsvereinbarungen. Dabei sind sehr vielfältige betriebliche Lösungen möglich, die ab 01.01.2022 starten können. Es gibt einen Rahmen für die betriebliche Vereinbarung, aber keine starren Vorgaben. Diese Tarifvereinbarung war möglich, weil der großen Differenziertheit in der sächsischen Metall- und Elektroindustrie Rechnung getragen wird. Nur mit der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sind die Arbeitsplätze sicher und gute Einkommen möglich. Beide Seiten haben wesentliche Zugeständnisse gemacht und so diese Einigung ermöglicht.“ Mit dem Zugeständnis der IGM-Führung, ist es den Kapitalisten entsprechend ihrer jahrelangen Forderung gelungen, aus der mit gewerkschaftlichem Streikrecht verbundenen Tarifbindung und unmittelbar und zwingend geltenden Tarifnormen herauszukommen. (s. Kasten Tarifbindung). Sie können sich jetzt auf der Basis ihrer „unternehmerischen Entscheidungsfreiheit“ aussuchen, was je nach ökonomischer Wetterlage ins Profit-Konzept passt. Ob sich z. B. eine „Freiwillige“ mit saftigen Kompensationsleistungen für das Runter von 38 auf 35 Stunden in der Woche – über Jahre hinausausgezögert – lohnt oder nicht. Dabei steht fest, was der IGM-Vorstand in der Juni metallzeitung als „Durchbruch“ feiert, hat mehr den Charakter eines von ihm genehmigten „Raubüberfalls“. Die „Durchbrüche“ wurden hierbei lt. Juni metallzeitung in der VW-Sachsen GmbH mit den Werken in Zwickau, Chemnitz und Dresden sowie bei ZF-Getriebe Brandenburg und SAS Automotive Systems erzielt. Mit ihnen wurde vereinbart, dass die wöchentliche Arbeitszeit ab Januar 2022 von 38 auf 37 Stunden reduziert wird und ab Januar 2027 wie im Westen die 35-Stunden-Woche gilt. Bei der VW-Sachsen GmbH gilt die Regelung mit 2 Jahresschritten für rd. 10.000 Beschäftigte. Wie die VW-Konzernleitung in der Presse bekannt gemacht hat (12. Mai 2021), wird die Sachsen GmbH bis 2027 schrittweise in die Volkswagen AG und damit in den mit der 35-Stunden-Woche geltenden Haustarifvertrag eingegliedert. Dazu wird erklärt, dass „unter anderem Effizienz- und Produktivitätssteigerungen, eine Flexibilisierung beim Mitarbeitereinsatz, eine Neuausrichtung der Fertigungsorganisation sowie konsequente Kostensenkungen durch Synergien mit den Strukturen und Prozessen der Volkswagen AG“ rauskommen sollen.

Für die Sachsenwerk-VW’ler geht es hierbei aktuell um die Aufbringung der vom Kapital geforderten Kompensationsleistungen für die vereinbarte Arbeitszeitverkürzung. Das VW-Kapital kann dabei ganz offensichtlich auf die Unterstützung der Betriebsräte zählen. Seit 30 Jahren arbeiten sie für weniger Geld etliche Stunden länger als im Westen. Jetzt machen sie sich Sorgen, dass die bis 2027 schrittweise angesagte Arbeitszeitverkürzung auf die 35, die Wettbewerbsfähigkeit des VW-Kapitals gefährden könnte. Jens Rothe, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der VW-Sachsen GmbH hat dazu erklärt: Dabei ist uns bewusst, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte nicht gefährden wollen. Wir haben deshalb ein umfangreiches Kompensationspaket vereinbart.“ Vorstandsvorsitzender Ralf Brandstätter von Volkswagen PKW, hat noch etwas deutlicher gemacht, was damit angesagt ist: „Wir haben uns darauf verständigt, die Mehrkosten der Arbeitszeitverkürzung durch standortbezogene Kompensationsmaßnahmen auszugleichen. Auf dieser Basis werden wir die Produktivität in unseren Werken schrittweise um bis zu 30 Prozent steigern.“ (siehe Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze)

Worum es bei den „Kompensationsmaßnahmen“ bei VW und den anderen Firmen im einzeln geht, wird nicht genannt. Aber dabei steht fest, dass es sich um ein gegen die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung gerichtetes Kampfprogramm des Kapitals handelt. Wer Arbeitszeitverkürzung will, muss zahlen! Die Belegschaften, die 10.000 Leute bei VW, die 100.000 Warnstreiker sollen fürs „Ausgleichen“ und „Kompensieren“ ihre Knochen herhalten müssen. Die angekündigte Produktivitätssteigerung heißt hierbei in aller Regel, Intensivierung der Arbeit, die Leistungsschraube wird angezogen und die Ausbeutung der Arbeitskraft verschärft. Damit versucht das Kapital ständig seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Die Forderung: Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohn- und Personalausgleich wird dabei mit der Vorbereitung der nächsten Entlassungswelle in ihr Gegenteil verkehrt. Wie in der Juni metallzeitung erklärt wird, verhandelt die IGM mit „weiteren Unternehmen“. Dazu erklärt der IGM-Vorsitzende: „Unsere Erwartung ist, dass sich in den nächsten Wochen und Monaten weitere Unternehmen zu ihrer Verantwortung zur sozialen Einheit Deutschlands bekennen und vergleichbare Regelungen mit der IG Metall treffen.“ Gemessen an den Regelungsinhalten und der kapitalistischen Realität heißt das: die Ausbeuter sollen sich zur von ihnen bekämpften „sozialen Einheit“ bekennen, in dem sie den ausgebeuteten Lohnabhängigen am Tarifvertrag vorbei Kompensationspakete verpassen. Das ist allerdings seit 30 Jahren das Geschäft des Kapitals, seitdem sich der deutsche Imperialismus die DDR wieder unter die Nägel gerissen hat. Kompensationspakete mit unterschiedlichen Rechten, mit Entrechtung und Entwürdigung, mit Strafrenten, niedrigeren Löhnen, mit der 38-Std.-Woche usw. Die Liste der Entrechtungen, der Racheakte, für die Enteignung des Kapitals durch 40 Jahre DDR, füllt ganze Bücherregale. Sie geben Auskunft darüber, auf welche Art und Weise sich das Monopolkapital zur „sozialen Einheit Deutschlands“ bekennt. Die heißt: Aufrechterhaltung der Spaltung zwischen Ost und West als Erpressungsinstrument. In dieses Konzept passt der aktuelle Kampf um die 35 im Osten, wie die Faust aufs Auge.

Wie die IGM Bezirksleiterin Birgit Dietze vom Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen in einem Video-Podcast den Belegschaften am 28. Juni 2021 erklärt, haben die Tarifvertragsparteien den Weg für betriebliche Lösungen zur Angleichung Ost frei gemacht. In einer IGM-Info vom gleichen Tage heißt es dazu: „Mit der tariflichen Vereinbarung wird eine Öffnungsklausel geschaffen. Obwohl der Manteltarifvertrag geschlossen bleibt, in dem die Arbeitszeit geregelt ist, können die Belegschaften innerhalb des neuen tariflichen Rahmens mit der Geschäftsführung eine Betriebsvereinbarung verhandeln, die den Weg zur 35-Stunden-Woche ab 1. Januar 2022 freimacht. Dabei kann zunächst um eine Stunde abgesenkt oder aber auch der ganze Weg zur 35-Stunden-Woche festgelegt werden.“ Bei der Absenkung der Arbeitszeit entstehen den Unternehmen Kosten. Aber die IGM-Führung hat lt. Kollegin Dietze dafür Lösungen, wie z. B. eine Teilkompensation, bei der „die Arbeitnehmer davon etwas mitfinanzieren. Maßgeblich ist jedoch, dass am Ende des Prozesses immer eine echte Angleichung – also eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich steht. Jetzt geht es betrieblich weiter, auf einem anderen als dem typischen Weg“. (IGM-Podcast u. Info) Dabei heißt es dann statt Haustarifvertrag, jedem Betrieb seine „freiwillige Betriebsvereinbarung“.

Wenn es dazu kommt, können sich die betroffenen Belegschaften – ob an Warnstreiks beteiligt oder nicht – am Beispiel VW verdeutlichen, was ihnen für den Deal „betriebliche Regelung für die Angleichung Ost“ in Rechnung gestellt wird. So wie es aussieht, interessiert die IGM-Führung hierbei offensichtlich nur, dass sie „Einstiege in die 35-Stunden-Woche“ melden kann. Bei diesem „Kompensations- und Bezahl-Modell“ bekommen möglicherweise auch Kapitalisten im Westen Appetit auf „freiwillige Betriebsvereinbarungen“ und „Kompensationspakete“, um damit ihre Belegschaften unter Druck zu setzen und zu erpressen. Die damit entstandene Situation, bei der die Ost-Kolleginnen und Kollegen, trotz vieler Solidaritätsresolutionen alleine stehen, geht auf das Konto der IGM-Führung. Sie ist ihrer Weigerung, in Ost und West ernsthafte und gemeinsame Kampfmaßnahmen zu organisieren geschuldet. Das geht nicht auf der Basis von Warn- und Streiks nach dem Tarifvertragsgesetz, sondern nur über das ernsthaft in Erwägung Ziehen und Organisieren von größeren Aktionen und Massenstreik, von politischem Streik. Für ihr Zustandekommen muss in den Belegschaften für die zukünftigen Auseinandersetzungen mit dem Kapital mobilisiert und gekämpft werden, um damit auch die Vorbehalte in den Gewerkschaften zu beseitigen und dabei vor allen Dingen den Widerstand opportunistischer Gewerkschaftsführer zu brechen.

Ludwig Jost

Das „neue Prinzip“ – die Differenzierung

In einer Erklärung zum Tarifvertrag (Pilotabschluss) rechtfertigt die IGM-Bezirksleitung von NRW das „neue Prinzip“ mit der Feststellung: „Viele Unternehmen haben noch mit den Folgen der Pandemie und der Konjunkturkrise zu kämpfen. Die Tarifvertragsparteien haben aufgrund der besonderen Lage einmalig für 2021 eine Differenzierungsmöglichkeit geschaffen. Das T-Zug (B) in Höhe von 12,3 Prozent des jeweils gültigen Grundentgelts der EG 8 kann schon nach der bisher bestehenden Regelung bei einer schwierigen wirtschaftlichen Situation ganz oder teilweise nicht zur Auszahlung gebracht oder zeitlich um bis zu 5 Monate verschoben werden. Diese Regelung wurde – ausschließlich für das Jahr 2021 – geändert: Die Auszahlung des T-Zug (B) wird grundsätzlich von Juli auf Oktober 2021 verschoben. Außerdem kann der Arbeitgeber bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Auszahlung um weitere 6 Monate verschieben. Mit dem Betriebsrat muss er die wirtschaftliche Situation erläutern. Liegt die Nettoumsatzrendite unter 2,3 % kann er den Anspruch entfallen lassen. Dieser besteht aber nur einmalig für 2021 und nur bezüglich des Anspruchs auf T-Zug (B), der auch bisher schon differenziert werden konnte.“

Erklärung zu T-Zug (B): gleich „Tarifliches Zusatzgeld“ im Unterschied zum „Transformationsgeld“ ab Februar 2022 und ab 2023 jedes Jahr mit ähnlichen Regelungen wie o.g.

T-Zug (B) wird ab 2020 jährlich mit der Juli-Abrechnung gezahlt, wenn es nicht nach den obigen Regeln zur angeblichen Arbeitsplatzsicherung eingesetzt wird.

Die „Freiwillige Betriebsvereinbarung“

Sie ist ein Instrument aus dem Betriebsverfassungsgesetz BetrVG und dort im Paragrafen 88 geregelt. Bei ihrem Abschluss hat der Betriebsrat eine Reihe – wie z. B. den Vorrang und die Rechte aus Tarifverträgen – zu beachten. Insbesondere darf er dabei wegen seiner „sozialen Schutzfunktion die materiellen Arbeitsbedingungen nicht verschlechtern“ (BAG-Urteil, Basiskommentar zum BetrVG 14. Auflage 2007, Klebe/Ratayczak/Heilmann/Spoo).

In einer der von Präsident Rainer Dulger an die kommende Regierung gerichteten Forderungs-Adresse der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände BDA heißt es:

„Tarifbindung: Attraktive Tarifverträge und mehr Luft zum Atmen sind die Zukunft:

Mehr Allgemeinverbindlichkeitserklärungen und gesetzliche Tariftreueregeln sind das Gegenteil dessen, was die Tarifautonomie ausmacht – nämlich Freiwilligkeit. Dazu ist es wichtig, dass die Tarifvertragsparteien ihre Tarifverträge stärker und dauerhaft mit Öffnungsklauseln versehen und den Betriebspartnern eigene Handlungsspielräume geben.“

Mit den „eigenen Handlungsspielräumen“ soll mehr Luft zum Unterlaufen der Tarifverträge mit „freiwilligen Betriebsvereinbarungen“ geschaffen werden. Damit wird dann der Weg frei geschaufelt, um in der Zukunft die Tarifbindung als lästige Behinderung der „unternehmerischen Entscheidungsfreiheit“ besser ausatmen zu können.

Die Wahl-Esel

Die Freiheit hat man satt am End,

Und die Republik der Tiere

Begehrte, daß ein einzger Regent

Sie absolut regiere.

Jedwede Tiergattung versammelte sich,

Wahlzettel wurden geschrieben;

Parteisucht wütete fürchterlich,

Intrigen wurden getrieben.

Das Komitee der Esel ward

Von Alt-Langohren regieret;

Sie hatten die Köpfe mit einer Kokard,

Die schwarz-rot-gold, verzieret.

Es gab eine kleine Pferdepartei,

Doch wagte sie nicht zu stimmen;

Sie hatte Angst vor dem Geschrei

Der Alt-Langohren, der grimmen.

Als einer jedocn die Kandidatur

Des Rosses empfahl, mit Zeter

Ein Alt-Langohr in die Rede ihm fuhr,

Und schrie: Du bist ein Verräter!

Du bist ein Verräter, es fließt in dir

Kein Tropfen vom Eselsblute;

Du bist kein Esel, ich glaube schier,

Dich warf eine welsche Stute.

Du stammst vom Zebra vielleicht, die Haut

Sie ist gestreift zebräisch;

Auch deiner Stimme näselnder Laut

Klingt ziemlich ägyptisch-hebräisch.

Und wärst du kein Fremdling, so bist du doch nur

Verstandesesel, ein kalter;

Du kennst nicht die Tiefen der Eselsnatur,

Dir klingt nicht ihr mystischer Psalter.

Ich aber versenkte die Seele ganz

In jenes süße Gedösel;

Ich bin ein Esel, in meinem Schwanz

Ist jedes Haar ein Esel.

Ich bin kein Römling, ich bin kein Slav;

Ein deutscher Esel bin ich,

Gleich meinen Vätern. Sie waren so brav,

So pflanzenwüchsig, so sinnig.

Sie spielten nicht mit Galanterei

Frivole Lasterspiele;

Sie trabten täglich, frisch-fromm-fröhlich-frei,

Mit ihren Säcken zur Mühle.

Die Väter sind nicht tot! Im Grab

Nur ihre Häute liegen,

Die sterblichen Hüllen. Vom Himmel herab

Schaun sie auf uns mit Vergnügen.

Verklärte Esel im Gloria-Licht!

Wir wollen Euch immer gleichen

Und niemals von dem Pfad der Pflicht

Nur einen Fingerbreit weichen.

O welche Wonne, ein Esel zu sein!

Ein Enkel von solchen Langohren!

Ich möcht es von allen Dächern schrein:

Ich bin als ein Esel geboren.

Der große Esel, der mich erzeugt,

Er war von deutschem Stamme;

Mit deutscher Eselsmilch gesäugt

Hat mich die Mutter, die Mamme.

Ich bin ein Esel, und will getreu,

Wie meine Väter, die Alten,

An der alten, lieben Eselei,

Am Eseltume halten.

Und weil ich ein Esel, so rat ich Euch,

Den Esel zum König zu wählen;

Wir stiften das große Eselreich,

Wo nur die Esel befehlen.

Wir alle sind Esel! I-A! I-A!

Wir sind keine Pferdeknechte.

Fort mit den Rossen! Es lebe, hurra!

Der König vom Eselsgeschlechte!

So sprach der Patriot. Im Saal

Die Esel Beifall rufen.

Sie waren alle national,

Und stampften mit den Hufen.

Sie haben des Redners Haupt geschmückt

Mit einem Eichenkranze.

Er dankte stumm, und hochbeglückt

Wedelt’ er mit dem Schwanze.

Heinrich Heine

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