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KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”

Die anhaltende Protestbewegung der „Gilets Jaunes“, der „Gelben Westen“ in Frankreich hat in Deutschland zu ebenso anhaltenden, oft kontroversen Diskussionen aus marxistischer Sicht geführt. Wir drucken deshalb im Folgenden eine Korrespondenz aus Frankreich ab, die einen guten Überblick über Entstehung und Zusammensetzung der Protestbewegung und die Reaktion des Staates darauf gibt. Die Verfasserin hatte sie ursprünglich für die Zeitschrift „Theorie und Praxis“ geschrieben, wo sie in der Ausgabe Nr. 47 erschien. Dankens­werter­weise hat sie für die KAZ die im Wesentlichen unveränderte Berichterstattung mit einer Aktualisierung und Einschätzung versehen. Es geht um das Ringen der Sozialisten und Kommunisten in Frankreich, einer spontanen Bewegung Orientierung zu geben, die sich an den aufbrechenden Widersprüchen des staatsmonopolistischen Kapitalismus entzündet: In dem Bestreben, gegen die deutsche Finanzoligarchie „wettbewerbsfähig“ zu werden setzen die französischen Oligarchen in Folge der deutschen Agenda 2010-„Reformen“ die Hebel ihres Machtapparats in Bewegung, um die Lasten ihrer „Reformen“ auf die nichtmonopolistischen Volksschichten in Frankreich abzuladen. Klarheit und Einheit in der französischen Arbeiterbewegung sind noch nicht stark genug, um den Widerstand in eine revolutionäre Offensive zu verwandeln. Das soll uns nicht hindern, wo und wie immer möglich, die französischen Genossen in ihrem Kampf zu unterstützen, vor Allem indem wir hier Klarheit und Einheit im Kampf gegen unsere Oligarchen vorwärts bringen.

Gelbe Westen

Korrespondenz aus Frankreich

Mit der Affäre um Macrons prügelnden Leibwächter Benalla im Juli 2018 geriet die Macron-Philippe-Regierung in ernste Schwierigkeiten und musste eine Parlamentskommission zur Untersuchung einsetzen. Sie verlief im Sande, ebenso wie die Fragen von Abgeordneten der Partei La France Insoumise (etwa: Aufrechtes Frankreich, abgekürzt FI oder LFI, Vorsitzender Jean-Luc Mélenchon) zur Rolle von namentlich genannten Reserveoffizieren und Polizisten bei Übergriffen gegen Demonstranten. Die instabile regierungspolitische Lage erreichte mit der Demission des Umweltministers Hulot im August 2018 einen weiteren Höhepunkt. Es folgten mehrere personelle Wechsel in der Regierung, für 2019 sind weitere angekündigt. Anfang Oktober 2018 demissionierte unerwartet und überstürzt der Innenminister Gérard Collomb. Sein Platz blieb über Wochen unbesetzt. Darüber hinaus ist eine Justizreform im Gange, die die Gewaltenteilung in Frage stellt.

Politische Instabilität und Machtkämpfe

Die destabilisierte Regierung Macron-Philippe steht nicht nur in der Kritik linker Kreise, sondern wird auch angegriffen von der rechten Partei Les Républicains (Republikaner, LR), die aus der Partei Sarkozys entstand, und der faschistischen Le Pen-Partei (früher Front National, jetzt Rassemblement National, Nationale Sammlungsbewegung, RN). In der Provinz besitzen die „Republikaner“ einen hohen Wähleranteil unter Kleinbürgern und Bauern, RN fischt Anhängern aus dem alten Ultrarechtssumpf, aber auch bei enttäuschten Linkswählern. Hinter den politischen Konkurrenzkämpfen stehen ganze Wirtschaftszweige, die beobachten, wer besser in ihrem Sinne vorankommt.

Das Vorspiel zur Demonstration am 17. November: Die Bewegung der gelben Warnwesten entstand nicht einfach spontan auf Facebook und anderen Plattformen. Die größte französische Boulevardzeitung Le Parisien erschuf die erste Prominente der Gelben Westen, Priscillia Ludosky mit einem Interview am 21.10.2018 und rief damit zur Demonstration gegen die Kraftstoffsteuer am 17.11.2018 auf. Le Parisien gehört zum Einflussbereich des reichsten Manns Frankreichs, Bernard Arnault, der das weltweit größte Luxusunternehmen LVMH sowie eine Mediengruppe, Finanzgesellschaften und den Lebensmittelkonzern Carrefour beherrscht. Das Interview des Parisien wurde von RTL und weiteren Medien rasch verbreitet.

Priscillia Ludosky hatte bereits am 29. Mai (!) eine Protestpetition an das Umweltministerium wegen der zu hohen Besteuerung der Kraftstoffpreise geschickt. Am Tage des Interviews hatten sich ihrer Petition ganze 12.300 Protestierende angeschlossen. Allerdings hatte sie da auch schon die Unterstützung von einem Automobilclub, mit dem zusammen für den 17. November eine „opération escargot“ (Operation Schnecke) und eventuelles Blockieren von Tankstellen und Raffinerien angekündigt wurden.

Priscillia Ludosky wurde dann mit einigen anderen Gelbe Westen, z.B. einer regionalen Abgeordneten der rechten LR, groß ins Fernsehlicht gerückt. Die Rechten und extremen Rechten unterstützten in den beiden ersten Wochen die Gelbwestenbewegung und versuchten sie an sich zu ziehen. Als aber später im November die 42 sozialpolitischen Forderungen der Gelben Westen erschienen, wurden sie, insbesondere die Erhöhung des Mindestlohnes, von den Rechten und extremen Rechten kategorisch abgelehnt. Die Gewalt der uniformierten Polizei und von kaum identifizierbaren Spezialkräften nahm immens zu.

Die Regierung unterstellt in den Medien seit Beginn der Demos nach dem Haltet-den-Dieb-Prinzip lautstark, dass die Rechtsextremen dahinterstecken. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist zu sehen, dass die Leitung der Gewerkschaft CGT anfangs Abstand von den Demonstrationen hielt. Mittlerweile rückt in den Medien die Gleichsetzung von Braun und Rot (womit France Insoumise gemeint ist) in den Vordergrund. Das ist der Ausweitung der Gelben-Westen-Bewegung geschuldet, an deren Demos Abgeordnete und Mitglieder der LFI konsequent teilnehmen.

Spontane Bewegung

Denn es kam schnell anders, als es sich die Kräfte der Rechten vorstellten. Der 17. November wurde zur großen spontanen Massenbewegung gegen die Macron-Regierung und deren unsoziale und undemokratische Sparmaßnahmen. Vielerorts haben die Gelben Westen sich mit den aktiven Gewerkschaftern der CGT vereint, die bereits 2016/17 gegen das Arbeitsgesetz Hollandes und 2018 beim Kampf für die Eisenbahner an der Basis aktiv waren, oft Kommunisten und Mitglieder der France Insoumise. Die größten Demonstrationen finden nach wie vor samstags statt, nichts deutet auf ein Ende der Bewegung. Für den neunten Tag der Demos, am 12. Januar, mussten Medien und Regierung feststellen, dass sich die spontanen Demonstrationen entschlossen organisiert und politisiert haben. Für den elften Demonstrationstag gab es mehrere angemeldete Demonstrationszüge in Paris. Eine „Gelbe Nacht“, benannt nach den „Nuits debout“ -nächtelangen Protestdiskussionen- von 2016, wurde von Polizeikräften am 26.01.2019 gewaltsam zerstreut. Als noch alles ruhig war, wurde einem der entschlossenen Anführer der Gelben Westen aus der Gruppe um Eric Drouet („La France en colère“, Frankreich im Zorn) mit einem Flashball-Schuss ein Auge schwer verletzt, als er die Demo filmte. Flashballs sind gewehrartige Polizeiwaffen, mit denen Anti-Demonstranten-Geschosse, meistens 44mm Gummikugeln, verschossen werden.

Bei den Forderungen der Gelben Westen ging es von Beginn an nicht allein um die Absenkung der Kraftstoff- und Mehrwertsteuer. Mit Erschrecken mussten die Rechten Forderungen nach Erhöhung der Löhne inklusive der Mindestlöhne, nach Abschaffung der Mehrwertsteuer für Waren des täglichen Gebrauchs, nach Absenkung von Ministergehältern, nach sozialer Steuergerechtigkeit und der Wiedereinführung der Vermögenssteuer feststellen. Viele fordern auch das Recht auf ein Referendum auf Initiative der Bürger (frz. RIC) ein.

Die Demonstrationen der Gelben Westen gaben auch den Forderungen der jungen Leute nach mehr Bildungsgleichheit Auftrieb. Oberschüler und Studenten mit ihren Gewerkschaften UNL und Fidl schlossen sich den Gelben Westen an. Andere Bewegungen entstanden im Dezember 2018, wie die Stylos rouges (Rotstifte, am 25.1. 66.500 Mitglieder), die ihrem Zorn über den Mangelzustand in Bildung und Ausbildung Ausdruck geben: „... die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Bewegungen genügen nicht mehr, weil die Regierung seit Jahren auf ihre Kämpfe und Aktionen nicht mehr reagiert.

Ideologische Vereinnahmung ...

Die Proteste der jungen Leute richten sich auch (und noch zu wenig) gegen die Einrichtung eines allgemeinen Wehrdienstes, der nach Angabe des Vertreters der Schülergewerkschaft das Land vier Milliarden Euro kostet. Wer nicht „freiwillig“ teilnimmt, riskiert die Zulassung zu Führerschein und Studium. Die erste Stufe umfasst alle 16-jährigen für drei Monate, später soll ein zusätzliches freiwilliges Jahr folgen – alles unter Obhut der Armee.

Der ständige Einsatz der Polizei in den Schulen war vom Macron-Vertrauten Christophe Castaner, der jetzt Innenminister ist, vorgeschlagen worden. Schulleiter absolvieren freiwillige Lehrgänge bei der Armee. Vorträge von Soldaten gehören in großen Betrieben nun zur Erziehung der Belegschaften zur Unterordnung. Das alles gehört zu einem am 23. Februar 2018 vom Premierminister vorgestellten „Nationalen Plan zur Vorbeugung der Radikalisierung“[1], der auch Maßnahmen zu Berufsverboten und Bespitzelung von Arbeits- und Wohnnachbarn enthält. In den Medien wurde das Programm nur kurz als Anti-Terrorismus-Thema mit Blick auf Syrien-Rückkehrer diskutiert. Die von der PS (Parti socialiste, Sozialdemokraten) gegründete Stiftung Jean Jaurès, die zu Radikalisierung arbeitet, sieht auch France Insoumise unter den Radikalisierern.

...und gewaltsame Unterdrückung durch die Regierung

Übereinstimmend wird von Beobachtern festgestellt, dass sich seit 1968 die Exekutive nicht mehr so gewalttätig gezeigt hat. Bereits am 10. Dezember war ein gewerkschaftsübergreifendes Kommuniqué der Journalisten veröffentlicht worden, das Polizeiangriffe auf Journalisten auch unmittelbar mit Flashball verurteilte. In einer von LFI und auch in der Zeitung Le Monde veröffentlichten Erklärung heißt es nun: „Die Repressionen gegen die Gelben Westen sind massiv. Mehr als 5.600 vorläufige Festnahmen, mehr als tausend Verurteilungen. Männer und Frauen, deren Leben zerstört wurde. Die Regierung hat sich angesichts der Bewegung für eine brutale Aufrechterhaltung der Ordnung entschieden: Überzogenes Polizeiaufgebot, geschlagene und an der Arbeit gehinderte Journalisten, präventive Festnahmen, systematische Anwendung von Tränengas und Schlagstöcken, gewalttätige Räumungen, Schüsse von Flashballs und Räumungs-Granaten, Drohnen und Hubschrauber, Panzerfahrzeuge... Entspannung ist nicht die Option der Regierung. Der Schlagstock ist zukünftig die einzige Option.[2] Am 12. Januar 2019 veröffentlichte die Zeitung Liberation die vorläufige Bilanz: 10 Tote, 1.700 Verletzte, davon 82 schwer, 12 ausgeschlagene Augen, 4 Hände durch Räumungsgranaten abgerissen, 5.339 vorläufige Festnahmen, 815 Haftbefehle, 292 Inhaftnahmen, tausende Strafverfolgungen.

Mehrere Klagen gegen den Innenminister und gegen einen ehemaligen Bildungsminister, der sogar Armee mit Schusswaffen zum gewaltsamen „Abräumen“ der Demonstranten forderte, sind anhängig. Am 23. Januar 2019 legte die Bezirksleitung der CGT Paris gemeinsam mit der Liga für Menschenrechte Klage gegen die Anwendung der Flashball-Waffen ein.

Die Proteste der Gelben Westen haben soziale Ursachen

Bereits am 1.1.2014 gab die damals regierende PS unter Hollande den Startschuss für höhere Verbrauchssteuerbelastung, als er den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Gas, Strom und Wasser auf das allgemeine Niveau von 20 Prozent anhob.

Die Preise für Kraftstoffe steigen seit Jahren ständig.

Das INSEE (staatl. Statistikamt) vermerkt im August 2018 zu den Preissteigerungen, dass „die Preise der Verbrauchsprodukte (...) die höchsten beobachtenden Steigerungen seit dem Sommer 2011 zeigen“.[3] Nahrungsmittel- und Energiepreise stiegen im November und Dezember 2018 erheblich. Zudem hat die Regierung Frankreichs für Januar 2019 eine bis 2022 steigende Energieverbrauchssteuer (inklusive Kraftstoffe) angekündigt. Durch die nicht-progressive Mehrwert- und Kraftstoffsteuer werden die Haushalte mit geringen Einkommen und langen Anfahrtswegen zur Arbeit am stärksten besteuert, die obendrein die seit einem Jahrzehnt stark steigenden Mietpreise am schwersten verkraften können. In Paris stiegen die Mieten in den letzten in zehn Jahren auf das Doppelte. Hinzu kommt die von Macron eingeführte „Solidarbeitragssteuer“, die die paritätische Sozialversicherungsbeiträge ersetzt, aber jetzt schon die alten Beiträge übersteigt. Die Änderung war aber als Beitrag zur Kaufkraftsteigerung verkauft worden.

Die Arbeitslosenzahl bleibt trotz ständiger Veröffentlichungen über minimale Rückgänge sehr hoch bei 9,1 Prozent der aktiven Bevölkerung. Darin erscheinen noch nicht die „Schattenarbeitslosen“, die Arbeitsuchenden ohne Berechtigung auf Arbeitslosengeld, die in etwa gleicher Größenordnung dazu gerechnet werden müssten.[4]

Die soziale Betreuung verschlechtert sich vor allem außerhalb der Großstädte deutlich – Beispiele: Gesundheitseinrichtungen schließen, eine Stunde Fahrt zur Entbindung. Heime psychisch Kranker wurden nach Belgien ausgelagert. Staatliche Zuschüsse für Jugend- und Sozialeinrichtungen oder Vereine werden abgebaut und privatisiert. Die Gemeinden beklagen den deutlichen Rückgang staatlicher finanzieller Unterstützungen.

Eine allgemeine Wut steigt auf.

Das ist der Hintergrund für den massenhaften Zulauf zu den Gelben Westen, der durch verzerrte Darstellungen zur Einkommensverteilung noch angefacht wurde. So bezog sich das oben erwähnte Massenblatt Le Parisien auf INSEE-Daten und behauptete am 22.01.2019, dass die reichsten 20 Prozent Frankreichs ein Monats-Einkommen von ganzen 4.565,80 Euro hätten!

Soziale Zusammensetzung der Gelben Westen

Ein Kollektiv von Wissenschaftlern und Studenten hat am 11. Dezember 2018 eine erste Studie über die soziale Zusammensetzung der Gelben Westen vorgelegt.[5] Sie stellten fest: Es sind zumeist Männer und Frauen zwischen 35 und 49 Jahren, einige Jüngere, viele stehen kurz vor der Rente, einige sind bereits aus dem Arbeitsleben ausgeschieden. Überproportional mit knapp 50% sind kleine Angestellte und Arbeiter mit Fachabitur- oder Berufsschulabschluss vertreten. Ein Viertel sind Rentner, die im Berufsleben standen.

Intellektuelle und Leute mit Masterabschluss oder mehr sind mit etwa 5% vertreten, 10% sind mittlere Angestellte und weitere gut 10% Prozent Handwerker, kleine Ladenbesitzer und Kleinunternehmer einschließlich der sich selbst ausbeutenden Einzelunternehmer. Der angegebene Durchschnittsverdienst pro Haushalt mit 1.700 Euro zeigt, dass sie überwiegend bescheidene Einkommen haben, aber als prekär angesehen werden können nur zehn Prozent unter ihnen.

47% der befragten Gelbwesten waren erstmals auf einer Demo, aber 44% hatten schon an Streiks teilgenommen. Neun von zehn verweigern Gewalt, um ihre Ziele durchzusetzen. Sie sind zumeist offen für Aktionen wie Besetzungen und vor allem für Demonstrationen in Paris, wenn sie sich die Reisekosten leisten können. Etwa ein Drittel sieht sich als politisch links, soweit sie sich überhaupt politisch einordnen wollen, 23% betrachten sich als „in der Mitte“ und rechts, es sind auch Macron-Wähler dabei. Die sich extrem rechts fühlenden Befragten sind unter fünf Prozent. 81% meinen, dass Parteien nichts in der Bewegung zu suchen haben, für 64 % gilt das auch für Gewerkschaften.

Als Grund für die Teilnahme an der Bewegung sehen sich die Menschen weniger in der Revolte, sondern, dass sie ihre Kaufkraft und ihren Lebensstandard gegen ein ungerechtes Steuer- und Abgabensystem verteidigen, sich auch gegen die diskriminierenden und demütigenden Worte von Macron und seiner Regierung wehren. Soweit die Studie.

Die Teilnehmer der Gelben-Westen-Bewegung kommen also zu 75% aus der Arbeiterklasse und zu 25% aus kleinbürgerlichen Schichten, die in den Kreis der unteren Einkommen abrutschen.

Viele Verschlechterungen aufgrund der Arbeitsgesetze, gegen die die Gewerkschaften bisher ergebnislos kämpften, werden erst im Laufe des Jahres zum Tragen kommen: Kürzungen von Zuschüssen zu Urlaub, Fahrgeld, Mittagessen und Miete. Das betrifft auch Erhöhungen der schon genannten Solidarbeitragssteuer für Rentner und Werktätige, die an Stelle des Sozialversicherungsbeitrags trat. Sie bewirkt den Übergang zu immer mehr Privatversicherungen und damit erhebliche Mehrausgaben für Kranke und Kinder.

Es sammelt sich weiter Protestpotential an.

France Insoumise

Das Pressebüro der France Insoumise (LFI, Das Aufrechte Frankreich) hat am 17.12.2018 angekündigt, dass ihre Fraktion am 21.02.2019 einen verfassungsrechtlichen Vorschlag unterbreiten werde, der ein Referendum auf Bürgerinitiative ermöglichen solle. Das steht bereits in ihrem Programm. Damit unterstützen sie Forderungen vieler Gruppierungen der Gelben Westen.

Die Abgeordneten und Mitglieder von France Insoumise standen von Beginn an auf der Seite der Gelben Westen und nahmen an Protesten teil. Aber schon vorher griffen sie im Parlament die antisozialen Pläne der Regierung an. Jean-Luc Mélenchon, der Fraktionsvorsitzende von LFI, hat die von der Regierung vertretene „Theorie der Berieselung“ kritisiert: Sie unterstelle „je bedeutender die Einkommen der Reichen sind, umso größere Krümel fallen auf allen Ebenen der sozialen Pyramide ab“. Es sei aber ein unbegründeter Glaube, dass die Milliardäre ihr Geld in die reale Ökonomie, also die Unternehmen der materiellen Produktion stecken würden. Vor einiger Zeit seien normalerweise 33 Prozent der in den Unternehmen erwirtschafteten Gewinne an die Aktionäre ausgeschüttet worden, heute seien es schon 57 Prozent![6]

Am 5. November 2018 erklärte die Abgeordnete der LFI Mathilde Panot anlässlich der Erhöhung der Kraftstoffsteuer: „Diesen Morgen erzählte uns Bruno Le Maire (Wirtschaftsminister) eine der Debatte angemessene große Neuigkeit: Auch er bezahlt beim Tanken. Will er einen Orden dafür? Monsieur Bruno Le Maire ist mit 9.440 Euro brutto einer der bestbezahlten Franzosen des Landes. Die Hälfte unserer Landsleute erhält laut INSEE weniger als 1.772 Euro netto im Monat. Sie profitieren nicht, wie seine Kollegin Muriel Pénicaud, die Arbeitsministerin, vom Ende der Vermögenssteuer. .. Der Zorn unserer Mitbürger erklärt sich aus dem Messen mit zweierlei Maß. Es gibt die bestrafende Ökologie für die Armen und die Freiheit zum Zerstören und Verschmutzen für die Reichen.“ Innerhalb weniger Tage wurde das Video mit ihrer Rede von mehr als drei Millionen Menschen gesehen. Eine Meldung vom 12. November über Gehaltserhöhungen beim Pressesprecher der Regierung von 4.926 auf 9.180 Euro brutto und der Gleichstellungsbeauftragten Marlène Schiappa von 5.767 auf 9.079 Euro brutto war zusätzlich Wasser auf den Mühlen der dann am 17. November Demonstrierenden.

Die Debatte des Präsidenten – mit dem Volk?

Macron eröffnete am 15.01.2019 eine große „Debatte mit seinem Volk“, die zunächst die Bürgermeister in den Gemeinden organisieren müssen. Er hat jedoch in einem „Bürgerbrief“ bereits erklärt, dass er von seinen Zielsetzungen nicht abgeht. Mit der „Debatte“ versucht die Regierung, einen Teil des abgefallenen Kleinbürgertums und der Arbeiterklasse zurückzugewinnen. Die Zugangsregeln zu dieser Debatte, an der auch Minister teilnehmen, sind streng geregelt, auch die Themen. Die Teilnahme gleiche eher einer Zuführung als freiwilligem Kommen, kritisierte Mélenchon. Der Dialog wird u.a. von LFI und CGT, aber auch vielen öffentlichen Personen abgelehnt. Die PCF (Parti communiste francais, FKP) stellt eine eigene Beschwerdeseite für das Volk zur Verfügung.

Laurent Berger von der reformistischen Gewerkschaft CFDT hatte Macron bereits am Sonntag nach der ersten Demo, am 18.11., vorgeschlagen, bei den großen Gewerkschaften für einen „sozialen Pakt der ökologischen Konversion“ zu werben. Das Gespräch fand am 6. Dezember statt – auch Martinez von der eher klassenkämpferischen Gewerkschaft CGT unterschrieb, musste jedoch auf Druck der Basis und zahlreicher Gewerkschafts-Strukturen (z.B. Chemie) seine Unterschrift noch am gleichen Tag zurücknehmen. Klar gemacht wurde ihm, dass man nicht gleichzeitig mit der pro-Macron-Gewerkschaft CFDT und ihrer antisozialen Politik gehen und gleichzeitig gegen Macron vorgehen kann. Das hieße doch, den Protesten der Gelben Westen, der Schüler und aller arbeitenden Menschen in den Rücken zu fallen.

Gewerkschafter und Gelbe Westen Seite an Seite

Gewerkschafter der CGT aus örtlichen Organisationen, mancherorts auch der Bezirksorganisationen, gingen sofort am 17.11. auf die Gelbwesten zu. Auch Mitglieder anderer Gewerkschaften, die die Haltung ihrer nationalen Leitung nicht teilten, nahmen teil. Sie konnten feststellen, dass sie gleiche soziale Forderungen vertraten. Es kam die Losung auf: Fragt nicht mehr, was die CGT macht – handelt selbst in ihr. Die aktiven CGT-Gruppen erlebten einen Mitgliederaufschwung. Zahlreiche Genossen der PCF und von kommunistischen Organisationen nahmen an den Protesten teil. In vielen Diskussionen waren die Ursachen mangelnder bisheriger Erfolge Thema.

Durch unsere Schwachpunkte wird ein gewisses Vertrauensmanko in den Gewerkschaften bei den organisierten und nichtorganisierten Kollegen geschaffen. Es fehlt ein Programm der landesweiten branchenübergreifenden Kämpfe. Auf nationaler Ebene kommt der Zorn nicht zum Ausdruck, der in den Arbeitsstätten und Haushalten aufsteigt. Das Akzeptieren des sogenannten Sozialen Dialogs ist Bauernfängerei“, fasst es ein Genosse und Gewerkschafter zusammen.

Macrons Zusagen vom Dezember wurden gemeinsam unter die Lupe genommen und als Täuschung erkannt. So werden die von der Regierung versprochenen Prämien für Niedrigverdiener aus der Kasse der Sozialversicherung bezahlt und die Aufstockung der Mindestlöhne bezahlen die Steuerzahler. Das von Mélenchon kritisierte neue Budgetgesetz mit den Zugeständnissen von Macron sei eine Kampfansage an die Werktätigen.

Weitere Entwicklung der Bewegung der Gelben Westen

Für die Versuche der Spaltung der Bewegung wird täglich viel Papier bedruckt und Medienraum besetzt. Eingeladen am 12. März vom regierungsabhängigen Rat für Ökonomie, Soziales und Umwelt unter dem Thema: Brüche und Übergänge: Frankreich versöhnen haben einige führende Köpfe (wie die obengenannte P. Ludosky) ergebnislos versucht, ihre Forderungen verständlich zu machen. Ein anfängliches Nicht-am-System-rütteln-zu-wollen wurde dadurch zum Bewusstsein, dass es schrittweise geändert werden muss. Politisch misstrauisch, schwanken allerdings viele zwischen den Linien.

Mit falschen Prognosen wie unlängst der Angabe, dass 3,5 Millionen neue Arbeitsplätze in 2019 zur Verfügung stünden (verschwiegen wird der prekäre Charakter), offenen Lügen und Diffamierungen der France Insoumise, selbst Verrat in deren Reihen, wird Verunsicherung in die Reihen der progressiven Opposition getragen und deren Zusammenschluss mit den Gelben Westen oft verhindert. Nur eine Woche vor der EU-Wahl wurde gezielt eine „grüne Alternative“ zur Abwerbung potentieller, vor allem junger Wähler, angeboten bei gleichzeitiger Diffamierungen Mélenchons im sozialen Netzwerk. Wenig neu ist die Gleichsetzung von LFI und RN unter dem Begriff „Populismus“ als wesentliches Mittel der Propaganda und zur Verschleierung des Klassenkampfes. Die Unterdrückung der seit einem halben Jahr dauernden und im Volke verankerten Bewegung gelingt trotzdem nicht in gewünschter Weise. Der 29. Akt der Demonstrationen fand am 1. Juni statt und denunzierte die Regierungsgewalt. Für den 8. Juni sollen die Proteste in die Vorstädte verlagert werden.

Die Gelben Westen haben mit ihrer Forderung nach Macrons Abdankung die Regierungsmacht infrage gestellt. Sie reagiert in einem weiteren autoritären politischen Abdriften mit immer mehr strafrechtlicher Verfolgung und blutiger Niederschlagung der Bewegung. Mit dem am 23. März beschlossenen Gesetz Belloubet werden überfallartige Durchsuchungen legal möglich sein, wie sie bei der Führung von France Insoumise im Oktober ohne gesetzliche Grundlage geprobt wurden. Macron, gestärkt aus der EU-Wahl hervorgegangen, verlangt nun von seiner Regierung eine Art Nibelungentreue mit der Androhung von Entlassungen für die raschere Umsetzung seiner Reformen. Alle hohe Ebenen der Administration sollen mit Macron treu ergebenen Leuten besetzt und die wegen der GW ausgesetzte Verfassungsänderung schnell angegangen werden (so offiziell in der Presse). Man fühlt sich an die Warnung Dimitroffs erinnert, nicht zu unterschätzen „jene Maßnahmen, die dazu dienen, die demokratischen Rechte der Werkktätigen zu unterdrücken, die Rechte des Parlaments zu verfälschen und zu schmälern, die Repressalien gegen die revolutionäre Bewegung zu verschärfen.[7]

Die Bewegung der Gelben Westen ist das deutliche politische Zeichen zur Bereitschaft, die Kämpfe des sozial benachteiligten Lagers, die politischen und gewerkschaftlichen Kämpfe gegen das Arbeitsgesetz Hollandes und der Verordnungen Macrons in den letzten Jahren und gegen den Demokratieabbau weiterzuführen. Rückschläge hat die progressive und revolutionäre Bewegung nicht nur durch die ihnen deutlich reaktionär gegenüberstehenden Kräfte erlitten, sondern auch durch die Spaltung von PCF/Linksfront und France Insoumise sowie der politischen und gewerkschaftlichen Kräfte im EU-Wahlkampf.

Einleuchtend erscheint deshalb der Vorschlag vom Rassemblement Communiste, die zwei Strategien weiterer Arbeit in den Vordergrund stellt: Weiterführung des antifaschistischen Kampfes von LFI und PCF gegen die Woge des RN und ein Vorgehen nach der „Formel“ Mélenchons: „Vor der Vereinigung der „Linken“, die sich nur auf Wahlkampagnen beschränkt, muss die „Vereinigung des Volkes“ kommen. Die Konturen dieser „Linken“ sind von unserem Klassenfeind vorgezeichnet.“ In 2017 verhalf seine klare Linie Mélenchon zu 20 Prozent an Wählerstimmen. Sie besagt: Zurückweisung aller Bündnisse mit der falschen Linken der Sozialdemokraten, der Jadot (Grüne analog Cohn-Bendit), der PS und der Hamon (Abspaltung davon). Nur so kann dauerhaft eine Front der Arbeitenden an der Basis, der politisch und gewerkschaftlich Aktiven gebildet werden, die ganz klar vom Antifaschismus, gegen den Neoliberalismus, gegen den Krieg und eurokritisch gezeichnet ist. Sie stützt sich auf einen breiten Bund mit den historischen Kräften der Gelben Westen und ihren sozialen Forderungen der letzten Monate und auf die sozialen Kämpfe der letzten Jahre.[8]

Alexandra Liebig

1 www.gouvernement.fr/sites/default/files/contenu/piece-jointe/2018/02/2018-02-23-cipdr-radicalisation.pdf

2 www.lemonde.fr/idees/article/2019/01/17/il-est-grand-temps-d-interdire-les-flash-ball-et-les-grenades-de-desencerclement_5410215_3232.html

3 www.insee.fr/fr/statistiques/3611878

4 www.insee.fr/fr/statistiques/3598305

5 Zuerst veröffentlicht in: Le Monde vom 11. Dezember 2018 oder: histoireetsociete.wordpress.com/2018/12/17/qui-sont-les-gilets-jaunes-une-enquete-pionniere-dun-collectif-de-chercheurs/

6 mélenchon.fr/2017/10/22/le-budget-des-riches-et-limpossible-ruissellement/

7 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus..,VII. Weltkongress der KI (1935), Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt 1971, S. 76 oder gleicher Titel in: Auswahl von Dokumenten und Reden vom VI. Weltkongreß bis zur Auflösung der Kommunistischen Internationale 1928-1943 der Parteihochschule „Karl Marx“ beim ZK der SED, ab Ausgabe 1956, S.  358 ff.

8 cercles.communistes.free.fr/rcc/publi.php?idArticle=2019_30_05_europeennes

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Vielerorts haben die Gelben Westen sich mit den aktiven Gewerkschaftern der CGT vereint, die bereits 2016/17 gegen das Arbeitsgesetz Hollandes und 2018 beim Kampf für die Eisenbahner an der Basis aktiv waren, oft Kommunisten und Mitglieder der France Insoumise.

Vielerorts haben die Gelben Westen sich mit den aktiven Gewerkschaftern der CGT vereint, die bereits 2016/17 gegen das Arbeitsgesetz Hollandes und 2018 beim Kampf für die Eisenbahner an der Basis aktiv waren, oft Kommunisten und Mitglieder der France Insoumise.

Je lutte donc je suis: auf deutsch: Ich kämpfe, also bin ich.

Je lutte donc je suis: auf deutsch: Ich kämpfe, also bin ich.

Eine der Gelbwesten-Demos in Lille: „Die Jungen in der Tretmühle. Die Alten im Elend. Ändern wir das System. Soziale Gerechtigkeit. Steuergerechtigkeit und Klimagerechtigkeit“. Mit dabei sind Vertreter von Attac, Gewerkschafter der CGT und Kommunisten.

Eine der Gelbwesten-Demos in Lille: „Die Jungen in der Tretmühle. Die Alten im Elend. Ändern wir das System. Soziale Gerechtigkeit. Steuergerechtigkeit und Klimagerechtigkeit“. Mit dabei sind Vertreter von Attac, Gewerkschafter der CGT und Kommunisten.