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Für Dialektik in Organisationsfragen

Europäischer Gerichtshof entscheidet:

Arbeitszeit kontrollieren!

So, als ob sie auf frischer Tat ertappt worden wären, hat das am 14. Mai 2019 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) veröffentlichte Urteil die Kapitalisten und ihre Verbände nicht nur in der BRD aufgescheucht. Sie werden damit verpflichtet, zukünftig die gesamte Arbeitszeit mittels eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ zu messen.

Dabei werden ihnen vom Gerichtshof allerdings nur die Arbeitszeitrichtlinien (89/391 und 2003/88) um die Ohren geschlagen, zu denen sie selber und ihre Geschäftsführer in Brüssel bereits vor Jahren Ja gesagt haben. Es geht hierbei um tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeiten, Schicht- und Nachtarbeit sowie einzuhaltende Mindestruhezeiten wie z.B. die 11 Stunden Arbeitsruhe zwischen 2 Arbeitstagen, den Mindestjahresurlaub u.a.

Die Aufzeichnung der Arbeitszeiten betreffend heißt es in der Pressemitteilung des EuGH am 14.05.2019 u.a. zum 14-seitigen Urteil: „Der Gerichtshof stellt fest, dass ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden kann, so dass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, ihre Rechte durchzusetzen.“

Wer jahrelang in einem Betrieb gearbeitet hat oder arbeitet, in dem ein gut funktionierender Betriebsrat das alles ordentlich über eine Betriebsvereinbarung regelt und die Stempelkarte oder heute die elektronische Zeiterfassung über die Chip- und/oder Werksausweiskarte Pflicht ist, wird jetzt sagen, was soll das denn, das ist doch normal. So ist es aber offensichtlich nicht, wie sich folgend feststellen lässt. „Arbeitgeber oder Unternehmer“, so wie die Kapitalisten hier genannt und auch vom EuGH bezeichnet werden, mussten nur die Überstunden und nicht die ganze Arbeitszeit aufschreiben. Entsprechend heißt es in § 16 Abs. 2 des für die BRD geltenden Arbeitszeitgesetzes: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen ...“

Die nichtaufzuzeichnende „werktägliche Arbeitszeit“ nach § 3 Satz 1 ist die ständig vom Kapital angegriffene Formulierung: „Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten“. Den damit festgelegten Acht-Stunden-Tag hat die Kohl-Regierung mit der Änderung des Arbeitszeitgesetzes vom 6. Juni 1994 im darauf folgenden Satz wieder ausgehebelt: „Sie kann auf bis zu 10 Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.“ Die Konsequenz daraus heißt, aus dem „werktäglichen Acht- wird der werktägliche 10-Stunden-Tag“, 2 tägliche Überstunden zur Normalarbeitszeit und damit die 60 Stunden-Woche für den genannten Halbjahres- bzw. 24-Wochen-Zeitraum ebenso. Mit diesem Trick, die tägliche Arbeitszeit nach Wochen und Monaten im Durchschnitt zu berechnen, lassen sich leicht tägliche Höchstarbeitszeiten durch Flexibilisieren außer Kraft setzen und als normal erklären, was nicht normal ist. Dabei sparen sich die Kapitalisten dann auch die Überstundenzuschläge für den zusätzlichen Verschleiß der Arbeitskraft der von solchen Regelungen Betroffenen.

„Lohn und Zeitdiebstahl“

Was hierbei das Aufzeichnen von Arbeitszeiten angeht, haben lt. dem DGB-Newsletter „Einblick“ vom 3. Juni 2019 rd. 20 Prozent der Lohnabhängigen in der BRD erklärt, „dass bei ihnen überhaupt keine Zeiten erfasst werden.“

In zigtausend Fällen geht es dabei nicht nur bei diesen zwanzig Prozent auch um die Erfassung bzw. Nichterfassung von Überstunden. In ihrem Urteil (der Streitfall wurde von einer Deutschen Bank Filiale in Spanien ausgelöst) verweisen die EuGH-Richter darauf, „dass eine Umfrage unter der erwerbstätigen Bevölkerung in Spanien im Jahr 2016 ergeben habe, dass 53,7% der geleisteten Überstunden nicht erfasst worden seien.“

Unabhängig vom spanischen Arbeitsrecht gilt für die BRD: Wer z.B. nicht genauestens seine Überstundenzeiten dokumentiert und nicht nachweisen kann, dass der Kapitalist sie ausdrücklich angeordnet, verlangt oder gewünscht hat, verliert im Streitfall in der Regel auch den deswegen angestrengten Arbeitsgerichtsprozess und damit das „Entgelt“ für die gemachten Überstunden. Aufgrund der von der Bundesanstalt für Arbeit oder dem angeschlossenen Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung IAB immer wieder veröffentlichten Zahlen, ist es hierbei seit Jahren nicht nur in den Gewerkschaften eine bekannte Tatsache: Beim „Nichtaufzeichnen“ der täglichen und wöchentlichen Normal-Arbeitszeiten und der Überstunden kommt fürs Kapital ordentlich was zusammen. Im o.g. DGB-NEWSLETTER heißt es: „In Deutschland werden jedes Jahr über 2 Milliarden Überstunden geleistet, davon über eine Milliarde, die nicht bezahlt oder ausgeglichen werden.“ DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärt dazu, dass das einem „Lohn- und Zeitdiebstahl“ gleichkommt.

Das Kapital will seine Milliarde nicht bezahlter Überstunden retten

Deswegen soll es beim Lohn- und Zeitdiebstahl bleiben und damit, wie der EU-Gerichtshof festgestellt hat: Für die Lohnabhängigen „praktisch unmöglich, ihre Rechte durchzusetzen.“

In einer ersten Äußerung hat der Kapitalistenverband Bund Deutscher Arbeitgeber BDA am 14.05.2019 festgestellt, die Entscheidung des EuGH wirke wie aus der Zeit gefallen. „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert“, erklärt er in einer Stellungnahme. „Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit der Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren.“ (www.spiegel.de/karriere/arbeitszeiterfassung-arbeitgeber-kritisieren-eugh-urteil-a-1267373.html)

Am gleichen Tag hat der Kapitalverband Gesamtmetall durch Pressesprecher Dennebaum erklären lassen: „Diese Entscheidung geht in die völlig falsche Richtung und hat direkte Auswirkungen auf Arbeitszeitmodelle in den Unternehmen. Beschäftigte wünschen sich neue, flexible Arbeitsformen. Mit dem heutigen Urteil und der daraus folgenden Aufzeichnungspflicht ist beispielsweise die Vertrauensarbeitszeit tot. Das kann nicht im Sinne der Beschäftigten sein.“ (www.gesamtmetall.de/aktuell/pressemitteilungen/diese-entscheidung-geht-die-voellig-falsche-richtung)

Der angebliche Todeskandidat – Vertrauensarbeitszeit

Es ist gut, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, worum es bei dem vorausgesagten Todeskandidaten „Vertrauensarbeitszeit“ geht. Die Kapitalisten haben sie vor Jahren im Rahmen ihrer Forderungen nach Flexibilisierung der Arbeitszeit als Modell erfunden. Hierbei verzichten sie auf jegliche Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten. Es spielt keine Rolle, welche Arbeitszeit im Arbeitsvertrag steht. Bestimmend für die Arbeitszeit sind das Arbeitspensum und die seit längerer Zeit in Mode gekommenen Zielvorgaben. Wichtig ist, dass der Kapitalist darauf vertrauen kann, dass die Arbeit, das „Projekt“, zur vereinbarten Zeit fertig – oder egal wie auch immer – beim Kunden und die Zielvorgabe damit erreicht ist. Danach bestimmen dann Vertrauens-Arbeiterin und -Arbeiter „souverän und eigenverantwortlich“, wie lange sie oder er unabhängig von freiem Wochenende, Feiertagen usw. täglich arbeiten und wann Feierabend ist. Teilweise hat sich dadurch eine Arbeitszeit entwickelt, die bereits seit Jahren als „Arbeit ohne Ende“ bezeichnet wird. Bei diesem Modell kann das Kapital darauf vertrauen, eine Menge angefallener Arbeitszeit, Überstunden, Feiertags- und Nachtarbeit nicht entlohnen zu müssen. Entweder, weil getroffene Vereinbarungen das evtl. von vornherein ausschließen oder sie nicht aufgeschrieben und geltend gemacht werden. Jetzt alles aufschreiben müssen, bringt einiges ans Tageslicht, was auch viele Vertrauens-Arbeitszeit Leistende, die von ihrer „Zeitsouveränität“ begeistert schwärmen, nicht möchten. Dabei wollen sie lt. eigener Erklärung ja beim Zeitaufschreiben auch nicht so kleinlich sein. Was in ähnlich allerdings auch für das sogenannte Home Office, das „Arbeiten von zu Hause“ gilt. Wobei dann Mütter berichten, dass sie Tablet oder PC bedienen können, während sie den Säugling stillen, oder wenn die Kleinen im Bett sind, doch noch einiges erledigen, wie z.B. E-Mails und Protokolle schreiben oder anderes.

Home Office

Dazu hat o.g. Annelie Buntenbach bereits am 2. Februar 2019 in der Frankfurter Rundschau erklärt: „Auch für Arbeit im Homeoffice muss die Arbeitszeit vollständig erfasst und vergütet werden. Denn hier zeigen aktuelle Zahlen, dass das Konzept von Home Office oft zu unbezahlter und vertraglich nicht geregelter Arbeit außerhalb der regulären Arbeitszeit – also zu unbezahlten Überstunden – führt. Arbeiten im Homeoffice darf außerdem nicht zu weniger Unfallversicherungsschutz führen als Arbeiten im Büro. Und zu guter Letzt gehört zum Home-Office auch das Recht auf Abschalten, denn ständige Erreichbarkeit kann die Erholung in der Freizeit verhindern und das Familien- und Privatleben enorm belasten.“

Hierbei sind nicht nur die Vertrauensarbeitszeit und Home Office ein Springquell für unbezahlte Überstunden, sondern ebenso die „Arbeitszeitmodelle in den Unternehmen“, die Gesamtmetall als vom EuGH-Urteil „direkt“ betroffen bezeichnet. Mit „Öffnungs- und Differenzierungsklauseln“ in den Tarifverträgen hat vor allem die IGM-Führung dabei kräftig Schrittmacherdienste geleistet. Sie liefern den Kapitalisten vielfach das Rezept, um Sieben- oder Acht-Stundentage und ebenso die 35-Stundenwoche auszuhebeln. Dabei wurden und werden Betriebsräte zum Abschluss von Arbeitszeitkonten aller Art aufgefordert. Die erledigen dabei häufig, was an gesetzlichen oder tariflichen Bestimmungen zum Schutz der Regelarbeitszeit noch nicht auf der Strecke geblieben ist. Gleichzeitig wird das im Arbeitsrecht immer noch geltende „Unternehmerrisiko“ auf die Lohnabhängigen abgewälzt. Wenn die Arbeit grade mal nicht so dick ist, werden Arbeiter und Angestellte nach Hause oder in Urlaub geschickt. Arbeitszeiten, für die der Kapitalist normal den Arbeitslohn zahlen müsste, werden jetzt aus dem Konto der Belegschaft gezahlt. Das gilt auch immer mehr für betriebsnotwendige Qualifizierungen. Was früher wie selbstverständlich als bezahlte Arbeitszeit abgerechnet wurde, wird heute vielfach als Freizeitvergnügen der Beschäftigten behandelt. Wofür hast du denn ein Zeitkonto? Darauf werden auch alle Überstunden geschoben. Über Zuschläge für den zusätzlichen Verschleiß an Arbeitskraft – wie oben bereits festgestellt – wird in den meisten Fällen schon gar nicht mehr gesprochen. Der 10-Stundentag wird ja z.B. durch einen 6 Stundentag in einem halben Jahr oder irgendwann ausgeglichen (in vielen Fällen kommt es dazu nie). Damit hast du im Schnitt deinen 8-Stundentag und die 48 Std.-Woche wieder, ohne dass Überstunden gemacht werden mussten. Ist das nicht eine gute Rechnung?

In der Zeitung Metall „direkt“ 1/2017 berichtete der IGM-Vorstand, dass er bei der Befragung von 3000 Betriebsräten festgestellt hat: „In den Betrieben existieren gegenwärtig zahlreiche unterschiedliche Arbeitszeitregelungen. Zum Einsatz kommen eine Vielzahl verschiedener Zeit-, Gleitzeit-, Langzeit-, Mehrarbeits- oder Freischichtkonten – zumeist ohne eine gesetzliche oder tarifliche Grundlage.“

Über die Jahre sind hierbei in mehr als einem Drittel aller Betriebe mit Arbeitszeitkonten Teile der angesammelten Zeitguthaben verfallen. Sie wurden oder werden auch heute noch aufgrund von Betriebsvereinbarungen einfach gestrichen, weil sie die fürs Konto festgelegte Höchststundenzahl überschritten haben. Wie das dann in nichttarifgebundenen und/oder betriebsratslosen Betrieben – wo nur das Weisungsrecht des Kapitalisten gilt – gehandelt wird, ist leicht vorstellbar.

Unzulässige Einmischung

Es bleibt dabei nicht aus, dass das Kapital diesen einmal erreichten Zustand wie wild verteidigt und mehr oder weniger einen Rechtsanspruch darauf geltend macht. Die vom EuGH-Urteil geforderte Arbeitszeiterfassung wird hierbei zur unzulässigen Einmischung in das Geschäft mit der Ausbeutung der Arbeitskraft und der Länge des Arbeitstages. Und dafür gilt immer noch, was Karl Marx in seinem 1. Band „Das Kapital“ – erschienen 1867 – zum Arbeitstag feststellt: „Der Kapitalist behauptet sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lang als möglich und womöglich aus einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schließt die spezifische Natur der verkauften Ware eine Schranke ihres Konsums ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will. Es findet hier also eine Antinomie (Widersprüchlichkeit, Gegensatz, unlösbarer Widerstreit zweier Gesetze, L.J.) statt, Recht wider Recht, beide durch das Gesetz des Warenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstags als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar – ein Kampf zwischen dem Gesamtkapitalisten, d.h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesamtarbeiter, oder der Arbeiterklasse.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 23, S. 249)

Die Regierung soll Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeitmodelle vor der Zeiterfassung bewahren

Entsprechend heißt es in o.g. Presseerklärung von Gesamtmetall: „Jetzt ist die Bundesregierung gefordert, auf nationaler Ebene klarstellend und korrigierend einzugreifen. Es muss dabei bleiben, dass die Unternehmen ihre Beschäftigten damit beauftragen können, ihre Arbeitszeiten selbst aufzuschreiben. Wenn sich der Arbeitnehmer jedoch nicht daran hält, dann darf der Arbeitgeber auch nicht dafür haften. Hier sollte eine entsprechende Regelung umgesetzt werden – direkt mit der längst überfälligen Modernisierung des deutschen Arbeitszeitrechts ...“

Unabhängig davon, dass sie den Lohnabhängigen das Unternehmerrisiko per Gesetz aufbürden wollen, fordern die Gesamtmetall Kapitalisten mit diesen Aussagen ihren geschäftsführenden Ausschuss, die Bundesregierung unverblümt auf: Scheißt auf EU-Recht und auf die in der EU-Grundrechte-Charta und in den Arbeitszeitrichtlinien festgelegten Rechte der Lohnabhängigen sowie auf den Europäischen Gerichtshof, der sich darauf beruft. Darum: Keine Umsetzung dieses EuGH-Urteils in nationales Recht!

Zu dieser Umsetzung wird unter Punkt 60 im Urteil erklärt: „Um die praktische Wirksamkeit der von der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Rechte und des in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerten Grundrechts zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“

Die Verpflichtung für die Kapitalisten – wie in §16-BRD-Arbeitszeitgesetz festgelegt (s.o.) – die Arbeitszeiterfassung nur auf Überstunden zu beschränken, verstößt gegen EU-Recht und muss geändert bzw. ergänzt werden. Was dabei vom Kapital bekämpft wird, ist das nachstehende Beispiel einer Original-Formulierung aus dem spanischen „Arbeitnehmerstatut“, die im BRD-Arbeitszeitgesetz ähnlich aussehen könnte: „Für die Berechnung der Überstunden wird die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers täglich aufgezeichnet und zum für die Zahlung der Vergütung festgelegten Zeitpunkt zusammengezählt, wobei dem Arbeitnehmer eine Kopie der Aufstellung im Beleg zur entsprechenden Zahlung übermittelt wird.“

Mit der Weigerung, eine solche oder ähnliche Formulierung ins Arbeitszeitgesetz aufzunehmen, ist das Kapital allerdings wieder bei der Ursache angekommen, die das EuGH-Urteil ausgelöst hat. Dabei steht längst nicht fest, mit welchem Ergebnis die Auseinandersetzung darum ausgeht. Der unter Beschuss der Kapitalisten stehende CDU-Wirtschaftsminister Altmeier hat ihnen mit der Feststellung, „es ist der falsche Weg, die Stechuhr wieder überall einzuführen“, spontan die Füße geleckt. Hinzu kommt seine Aussage, das Urteil zunächst nicht umzusetzen und die Ankündigung, ein Rechtsgutachten durch das Wirtschaftsministerium in Auftrag zu geben.

Dabei kann dann z.B. herauskommen: Das EuGH-Urteil ist geeignet, den Industriestandort Deutschland zu gefährden. Um eine solche Feststellung zu treffen, findet sich ganz bestimmt das mit der entsprechenden Zielvorgabe geimpfte und fürstlich bezahlte Spezialisten-Team. In jedem Fall werden mit dem Rechtsgutachten und den sonstigen Überfällen von Kapital, Regierung, FDP u.a. auf dieses Urteil, ebenso die Arbeitszeit-Mindestrechte der EU-Grundrecht-Charta und der geltenden EU-Arbeitszeitrichtlinien angegriffen.

Wie aus einer ganzen Reihe von Pressemitteilungen (u.a. SZ 21.05.2019) zu erfahren war, will SPD-Arbeitsminister Heil das Urteil „zügig und modern“ umsetzen. Dafür gebe es auch einen entsprechenden „Gestaltungsspielraum“, hat er erklärt. (www.welt.de/193594879)

Auch die Kapitalisten wollen modernisieren und sehen dafür eine ganze Menge Gestaltungsspielräume. Was sie hierbei vor allem unter „modern“ verstehen und weggestalten wollen, ist an sich bekannt. Den Acht-Stundentag aus dem Weg räumen und durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzen. Wir haben darüber in vielen Ausgaben der KAZ immer wieder berichtet. Z.B. in der KAZ 358, was der 2015 amtierende BDA-Präsident Ingo Kramer (aktuell: Kampeter) der Rheinischen Post dazu am 19.12.2015 im Interview erklärt hat: „Der starre Acht-Stunden-Tag passt nicht mehr ins digitale Zeitalter, wir wollen mehr Beweglichkeit.“ Zu der Beweglichkeit, die Kramer den Lohnabhängigen im Auftrag der Kapitalisten Klasse als modern verpassen will, gehört nach seiner Meinung „auch mal 12 Stunden arbeiten“.

Bei diesen Forderungen und dem Modernisierungsgerede besteht die Gefahr, dass hierbei Arbeitszeiten aus dem 19. Jahrhundert eine gesetzliche Grundlage verschafft wird, die sich damit als notwendige im Arbeitszeitgesetz verankerte Arbeitszeit 4.0 verkaufen lässt: Eine gesetzliche Grundlage, die dann auch für die im o.g. Metallbericht genannten Kontenmodelle gilt. Was möglicherweise von dieser Art „Beweglichkeit“ unter Berufung auf das EuGH-Urteil im Arbeitszeitgesetz landet, ist abhängig davon, ob es dafür zu mehr gewerkschaftlichem Engagement, zu Mobilisierung und Streik kommt. Mit der Äußerung, „Wir begrüßen das Urteil“, lässt es sich weder umsetzen noch verhindern, dass Kapital und Regierung es zur Durchsetzung von Verschlechterungen umpolen.

Ludwig Jost

Wie ist es zu dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gekommen?

Auslöser war eine Filiale der Deutschen Bank in Spanien. Wohl eingedenk der Aussage: „In Europa wird deutsch gesprochen“ und der Führungsrolle des deutschen Imperialismus, hat sie offensichtlich versucht, spanisches Arbeitsrecht auszuhebeln und BRD-Recht einzuführen. In dem Sinne hat sie sich geweigert, der nach dem spanischen „Arbeitnehmerstatut“ zur Arbeitszeitenkontrolle berechtigten spanischen Gewerkschaft – Federacion de Servicios Comisiones Obreras (CCOO) (Arbeiter-Kommissionen) – die Arbeitszeitnachweise ihrer Angestellten vorzulegen. Dabei hat sie es ebenso abgelehnt, ein Zeiterfassungssystem einzurichten, um der Forderung aus o.g. Punkt 5 des Artikel 35 Arbeitnehmerstatut nachzukommen. Die Commisiones haben sie deswegen vor dem Tribunal Supremo, dem spanischen Obersten Gerichtshof verklagt und ihre Bestrafung wegen Gesetzesverstoß verlangt. Hierbei hat sich der „Supremo“ auf die Seite des Deutsche Bank Kapitals geschlagen, eine Bestrafung abgelehnt und trotz des gegenteiligen Gesetzestextes festgestellt, es müssten nur die Überstunden erfasst werden. Das hat im Januar 2018 zu einer Verbandsklage gegen dieses Urteil vor dem Nationalen Gerichtshof Spaniens (Audiencia Nacional) geführt, an der außer den Comisiones Obreras 4 weitere Gewerkschaften beteiligt waren. Dem Nationalen Gerichtshof ist hierbei die Gesetzesauslegung und Entscheidung des ihm untergeordneten Tribunal Supremo „spanisch“ vorgekommen. Er hat deswegen den Prozess gestoppt und den EuGH um eine sogenannte „Vorabentscheidung“ gebeten.

Das Urteil

„Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie von Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“

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