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Für Dialektik in Organisationsfragen

Fair wandeln oder mutig handeln?

Unter dem Motto #FairWandel hat der IGM-Vorstand die Mitglieder, Vertrauensleute, Betriebsräte und Belegschaften zur Großkundgebung am 29. Juni 2019 in Berlin vor dem Brandenburger Tor aufgerufen. Bei der Mobilisierung dafür betätigte sich IGM-Vorsitzender Jörg Hofmann in den metallZeitungen Mai/Juni 2019 hierbei als Prophet. Unter anderem erklärt er: „... Regierung und Unternehmen müssen endlich handeln, damit es im Wandel gerecht zugeht. Sie sollen „eine faire Transformation“ sicherstellen. Denn: „2019 und 2020 sind Schicksalsjahre für die deutsche Industrie. Es geht um die ganz großen Fragen: Schaffen wir die digitale und ökologische Wende oder fahren wir vor die Wand. Bauen wir in Deutschland die Produkte der Zukunft oder bauen wir die Arbeitsplätze ab? Wir wollen Zukunft für die Beschäftigten und daher gilt es gemeinsam ein Zeichen zu setzen, das niemand im Land übersehen kann: Ohne uns geht es nicht.“

Die Zeichen setzen aber im Moment immer noch andere. Während der IGM-Vorstand die gesellschaftliche Realität mit Fairness- und #FairWandel-Gespinsten zukleistert und verkündet: „Ohne uns geht es nicht“, zeigen uns Kapital und Regierung, was alles gegen uns geht. Ein Beispiel dafür ist immer noch der Kampf um die Arbeitszeit der „Zukunft oder 4.0“, um mit den Worten zu sprechen, die nicht nur von der IGM-Führung in Umlauf gesetzt werden. Und dabei geht es, abgesehen von der Angleichung anderer Rechte an Westniveau, immer noch um die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie Ost. Sie wird dort – angeführt vom Kapitalverband Gesamtmetall – auch für die „Transformations-Zukunft“ von den zuständigen Kapitalistenverbänden abgelehnt. Die Gespräche darüber laufen bereits seit dem Frühjahr 2019, wobei nach IGM-Infos vom 12. und 13. Juni auch das 5. Gespräch erfolglos blieb. Im IGM-Info vom 12. Juni 2019 stellt IGM-Bezirksleiter Olvier Höbel dazu fest: „Wir haben sehr konkrete Vorschläge für einen Tarifvertrag Zukunft gemacht. Dieser sieht einen 10-jährigen Einführungszeitraum der 35-Stundenwoche mit einem flexiblen Modell unterschiedlicher Geschwindigkeiten bei der betrieblichen Einführung vor. Die Arbeitgeber haben diesen Vorschlag abgelehnt. Sie beharren stattdessen auf einem Korridor-Modell, das den tariflichen Gestaltungsspielraum auf die Ebene der Betriebsparteien – ohne Beteiligung der Tarifvertragsparteien – verschiebt.“

Nach dem Korridor-Modell des Kapitals sollen „die Betriebe dabei zwischen 30 und 40 Stunden wählen können.“

Aber das ist nicht alles. Im „Info“ vom 13. Juni heißt es. „Zudem haben die Arbeitgeber einen Katalog zur ,Kostenkompensation’ präsentiert: Für die Arbeitszeitverkürzung wollen sie Geld von den Beschäftigten.“

Mit dieser Forderung fällt der IGM-Führung auf die Füße, was sie als große Errungenschaft des letztjährigen Tarifabschlusses hochgejubelt hat. Die sogenannte kurze Vollzeit: Die Verkürzung der 35- auf die 28-Stundenwoche, bezahlt mit entsprechendem Lohnverlust. Mit dieser Form durch Lohnverlust bezahlter Arbeitszeitverkürzung will die IGM-Führung fortfahren. Das hat sie bereits in ihrem Debattenpapier zum im Oktober stattfindenden Gewerkschaftstag erklärt (KAZ 366). Jetzt greifen die Kapitalisten das „Modell“ mit dem Ziel auf: Tarifverträge gegen die Gewerkschaften in Stellung bringen. Das lässt sich leicht auf die 38-Stunden im Osten anwenden. Was ist, ihr wollt die 35 haben? Dann kauft sie euch doch. Soviel kostet sie ja nicht, 3 Stunden wöchentlich und 13 Stunden Lohnverlust im Monat. Macht im Jahr 156 Stunden bzw. einen Monat.

Es ist gut möglich, dass das Kapital damit versucht, evtl. tarifliche Regelungen durchzusetzen, die als Vorlagen für entsprechende Änderungen im Arbeitszeitgesetz gedacht sind. Dafür spricht nicht nur die Tatsache, dass Gesamtmetall alles an Verhandlungen an sich gerissen hat, sondern ebenso ihr Korridor-Modell. Es deckt sich einerseits mit der Forderung: Keine Arbeitszeiterfassung, weg mit starren Arbeitszeiten und statt 8-Stundentag wöchentliche Höchstarbeitszeitgrenze und andererseits mit dem Ziel, alles in die Hände der Betriebsparteien zu legen, die sogenannte Verbetrieblichung, um die Gewerkschaften samt Streikrecht aus den Betrieben zu vertreiben. Bei Letzterem hat die IGM-Führung bei der Einführung solcher Regelungen kräftig mitgeholfen. Was allerdings für die von ihr oben beschriebene Situation genauso gilt. Sie ist der Tatsache geschuldet, dass die Durchsetzung der 35 für den Osten nicht in die Tarifbewegung 2018 einbezogen wurde. Jetzt mühen sich die Kolleginnen und Kollegen in den Ostbetrieben mit Aktionstagen und Anderem ab. Bei BMW in Leipzig heißt es jeden Mittwoch: „Roter Mittwoch“. Dann trägt die Belegschaft – Arbeiter und Angestellte – IGM-T-Shirts mit der Aufschrift „35 reicht! Keine Zeit für neue Mauern.“ Abgesehen davon heißt es in der Juni metallzeitung: „Unterstützt die Metallerinnen und Metaller im Osten. Macht mit bei unserer Fotoaktion ,35 – im Osten und Westen.’“ Es steht nicht dabei, dass ein möglichst grimmiges Gesicht gemacht werden muss, damit die Kapitalisten vor lauter Schreck zusammenzucken und zur 35 Ja sagen. Die versucht die IGM-Führung offensichtlich immer noch ohne Einbeziehung und Mobilisierung der Westbetriebe zum gemeinsamen Kampf und Streik durchzusetzen ohne die Devise: „Jetzt geht der Hebel in Ost und West aber runter“. Dabei steht allerdings jetzt schon fest, was dabei rauskommt. Die Diktate von Gesamtmetall werden geschluckt und das angeblich untätige Kapital schlägt die Pflöcke für seinen Wandel ein. Was dabei dann als #FairWandel für die von der IGM-Führung beschworenen Arbeits- und Lebensbedingungen der Metallerinnen und Metaller und Lohnabhängigen in anderen Betrieben heißt: Nochmals 10 Jahre „Mauer“ oder evtl. auch noch mehr, für die Durchsetzung von 3 Stunden Arbeitszeitverkürzung.

Für viele Kolleginnen und Kollegen ist es erstmal ein Grund zur Freude, dass die IGM endlich mal wieder zu etwas Großem, zu einer Groß-Demo und Kundgebung aufgerufen hat. Den Kritischeren ist aber sicherlich aufgefallen, dass sie mit Erfindungen wie #FairWandel, die aus der Sammelkiste eines Werbeveranstalters stammen, von den nicht gelösten gewerkschaftlichen Fragen und Aufgaben abgelenkt werden sollen. Und dabei geht es noch immer um Forderungen, wie ein gesetzliches Verbot der Leiharbeit und ebenso um die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche im Osten. Wofür der gemeinsame Kampf in Ost und West – wie oben gesagt – organisiert werden muss. Zu diesem Kampf gehört die Forderung nach weiterer und kollektiver Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Z.B. 35 im gesamten Metallbereich sowie ihre gesetzliche Verankerung im Arbeitszeitgesetz.

Statt auf diese Panikmache (Digitalisierung, Arbeitszeit 4.0) hereinzufallen, sollten wir die Diskussion darüber führen, wie wir diese Entwicklung tatsächlich für uns nutzen können. Und das geht nur, wenn wir in der Arbeiterbewegung, in den Gewerkschaften wieder beginnen, über das zu diskutieren, wofür die ganze Kapitalistenbrut und ihre Vertreter in Regierung, Parteien, an Hochschulen, in den Medien usw. den Jusochef Kühnert vor ein paar Wochen ans Kreuz nageln wollten. Und weswegen sie aufgrund einer ganz normalen demokratischen Unterschriftensammlung von Berliner Mietern die drohende kommunistische Machtergreifung an die Wand malten: Die Enteignungsfrage. Die Forderung der Arbeiterbewegung, die bisher nur in sozialistischen Ländern gesamtgesellschaftlich angepackt wurde. Die Forderung, die beim Gründungskongress der 2. Internationale am 14. Juli 1889 unter der Forderung „Proletarierer aller Länder vereinigt euch“ stand: „Politische und wirtschaftliche Enteignung der Kapitalistenklasse, Vergesellschaftung der Produktionsmittel.“

Ludwig Jost

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Januar 2018: Mehrere hundert Kollegen vom ZF-Getriebewerk in Brandenburg an der Havel streiken vor dem ZF Haupttor mit Transparenten und Trillerpfeifen für mehr Geld und Angleichung der Arbeitszeiten zwischen Ost und West.

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Wo im Westen seit Mitte der 1990er-Jahre nur noch 35 Stunden pro Woche regulär gearbeitet werden, hält sich im Osten noch immer die 38-Stunden-Woche.

Wo im Westen seit Mitte der 1990er-Jahre nur noch 35 Stunden pro Woche regulär gearbeitet werden, hält sich im Osten noch immer die 38-Stunden-Woche.

Die zentrale Forderung der IG-Metall nach der Angleichung der Arbeitszeit in Ost und West ist weiterhin nicht umgesetzt.

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