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KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”

Brandaktuelle Orientierung

100 Jahre „Der Hauptfeind steht im eigenen Land …“

1. Juli 1914: Die Arbeiter kämpfen gegen den Krieg – Schlaglichter aus Stuttgart

Als im August 1914 der 1. Weltkrieg begann, passierte dies nicht ohne Vorgeschichte und nicht ohne Dynamik. Es war vom deutschen Kaiser im Verbund mit dem deutschen Militär, den Rüstungsbaronen, den Großgrundbesitzern sowie dem deutschen Monopolkapital forciert worden. Innerhalb der damals stärksten Antikriegspartei, der SPD, kam es zu erstaunlichen Verschiebungen des offiziellen politischen Programms. Dazu einige Schlaglichter aus Stuttgart (wo zu dieser Zeit u.a. Clara Zetkin wirkte): Noch am 31. Juli 1914 wurde in der Schwäbischen Tagwacht, dem Zentralorgan der SPD Württembergs, zu einer groß angelegten Flugblattverteilung gegen den drohenden Krieg aufgerufen. Die Genossinnen und Genossen wurden aufgefordert, sich vielfältig zu beteiligen, um so wirksame Aktivitäten gegen den Krieg zu entfalten. Seit dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand waren zahlreiche Artikel erschienen, die die Aggressivität des Dreibundes gegenüber Serbien brandmarkten und sich auf die Beschlüsse der internationalen Sozialistenkongresse von Stuttgart, Kopenhagen und Basel bezogen. Überschriften lauteten u.a.: „Der Dreibund als Quelle der Kriegsgefahr“, „Das Proletariat fordert den Frieden!“, „Das Proletariat gegen den Krieg!“, „Krieg dem Kriege!“ – Groß-Kundgebungen und SPD-Parteiversammlungen in zahlreichen Städten des Deutschen Reiches wendeten sich noch am 30./31.07.1914 gegen den drohenden Krieg. Auch eine große internationale Friedenskundgebung mit Vertretern aus Deutschland, Frankreich, England, Italien, Spanien, den Niederlanden, Schweden und Dänemark in Brüssel am 30.07.1914 zeugt davon. Und dann von einem Tag auf den anderen: In der Ausgabe vom 01.08.1914 wurde von der Parteiführung bekannt gegeben, dass der Kriegszustand ausgerufen wurde und somit die Flugblattverteilung einzustellen sei; alle Antikriegsversammlungen wurden abgesagt. Die Einheit der Arbeiterklasse wurde damit aufgegeben. Von Protest oder gar konsequenter Handlungsanleitung, um gegen den Krieg vorzugehen, ist in dieser Ausgabe des Parteiorgans und in den folgenden keine Rede mehr. Dagegen die Feststellung und Aufforderung aus dem Parteivorstand: „Die strengen Vorschriften des Kriegsrechts treffen mit furchtbarer Wucht die Arbeiter. (…) Unbesonnene, nutzlos und falsch verstandene Opfer schaden in diesem Augenblick nicht nur dem einzelnen, sondern auch unserer Sache.“ Die Partei-Basis wurde somit vor vollendete Tatsachen gestellt und weitestgehend orientierungslos sich selbst überlassen. Vor dem Stuttgarter Rathaus versammelten sich Tausende, um Informationen zu bekommen und der Ausrufung des Kriegszustandes fassungslos beizuwohnen. Keine Spur vom Mythos der „kriegsbegeisterten deutschen Arbeiter“. Vorherrschend waren Bedrückung und Zukunftsunsicherheit. Am 05. August 1914 wird im „Schwäbischen Tagwacht“ die Erklärung von Hugo Haase (SPD) zu den Kriegskrediten vom Vortage aus dem Reichstag abgedruckt: Hier, wo es sich um Kultur und Unabhängigkeit des eigenen Landes handle, mache seine Partei das wahr, was sie immer betont habe, sie lasse in der Stunde der Not das Vaterland nicht im Stich und von diesem Gesichtspunkt aus bewillige seine Partei die Vorlage. Diese Zustimmung markiert den Übergang der SPD auf die Seite des Kaisers und auf die Seite der herrschenden Klasse. Der Burgfrieden ist geschlossen.

2. Ist man in den Krieg hineingetaumelt oder gilt: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln“?

„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln.“ – Dieses Zitat stammt von Carl von Clausewitz (1780-1831), preußischer General und Militärtheoretiker. Lenin verwendet es als Zwischenüberschrift in der Broschüre „Sozialismus und Krieg“ (veröffentlicht im Herbst 1915).

Er schreibt: „Man wende diese Auffassung nun auf den gegenwärtigen Krieg an. Man wird sehen, dass die Regierungen und die herrschenden Klassen Englands wie Frankreichs, Deutschlands wie Italiens, Österreichs wie Russlands jahrzehntelang, nahezu ein halbes Jahrhundert lang, eine Politik des Kolonialraubs, der Unterjochung fremder Nationen, der Unterdrückung der Arbeiterbewegung getrieben haben. Genau diese Politik, und nur diese, wird im gegenwärtigen Krieg fortgesetzt. (...)

Man braucht den gegenwärtigen Krieg nur von dem Standpunkt aus zu betrachten, dass in diesem Krieg die Politik der Großmächte und der maßgebenden Klassen in ihnen fortgesetzt wird, um sofort den himmelschreiend antihistorischen, verlogenen und heuchlerischen Charakter der Ansicht zu erkennen, dass man in diesem Krieg die Idee der ,Vaterlandsverteidigung’ rechtfertigen könne.“

Die wesentliche Ursache für den Ersten Weltkrieg ist die Veränderung in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen ab ungefähr der Gründung des Deutschen Reichs 1871. Der Kapitalismus der freien Konkurrenz geht über in sein imperialistisches Stadium, die Konkurrenz der Monopole prägt die bürgerliche Gesellschaft. Diese Konkurrenz findet ihren Ausdruck auch in der direkten politischen Auseinandersetzung zwischen den Staaten.

Es haben sich international agierende monopolistische Kapitalverbände gebildet, die die Erde unter sich aufgeteilt haben, die territoriale Aufteilung unter den imperialistischen Großmächten ist beendet. Die Ausdehnung in ausbeutungsfähige und für Kapitalanlagen profitable Gebiete, auch deren Besitz als Bedingung optimaler Kapitalverwertung und des eigenen ökonomischen Wachstums ist nicht mehr möglich, ohne die Hand an „Einflussgebiete“ konkurrierender Großmächte zu legen.

Eine Neuaufteilung der Erde wird von den imperialistischen Ländern gefordert, deren ökonomischem Expansionsstreben territoriale Grenzen gesetzt sind. Eine Forderung, die nur mit kriegerischen Mitteln durchsetzbar ist.

Zusammenfassend heißt es bei Lenin in der oben genannten Broschüre:

„Fast alle erkennen an, dass der heutige Krieg ein imperialistischer Krieg ist, aber zumeist verfälscht man diesen Begriff oder wendet ihn jeweils nur auf eine Seite an oder unterstellt schließlich trotzdem die Möglichkeit, dass dieser Krieg die Bedeutung eines bürgerlich-fortschrittlichen, eines nationalen Befreiungskrieges haben könne. Der Imperialismus stellt die erst im 20. Jahrhundert erreichte höchste Entwicklungsstufe des Kapitalismus dar. Dem Kapitalismus ist es zu eng geworden in den alten Nationalstaaten, ohne deren Bildung er den Feudalismus nicht stürzen konnte. Der Kapitalismus hat die Konzentration bis zu einem solchen Grade entwickelt, dass ganze Industriezweige von Syndikaten, Trusts, Verbänden kapitalistischer Milliardäre in Besitz genommen sind und dass nahezu: der ganze Erdball unter diese ,Kapitalgewaltigen’ aufgeteilt ist, sei es in der Form von Kolonien, sei es durch die Umstrickung fremder Länder mit den tausendfachen Fäden finanzieller Ausbeutung. Der Freihandel und die freie Konkurrenz sind ersetzt durch das Streben nach Monopolen, nach Eroberung von Gebieten für Kapitalanlagen, als Rohstoffquellen usw. Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum größten Unterdrücker der Nationen geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass der Menschheit entweder der Übergang zum Sozialismus oder aber ein jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der ,Groß’mächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“

Der imperialistische Krieg um die Neuaufteilung der Erde muss auf die Gewaltnatur des Kapitals zurückgeführt werden.

Die imperialistischen Mächte konkurrieren auf dem Weltmarkt miteinander, hier zeigt sich die ökonomische Stärke, die sich ungleich entwickelt. Der politische Landbesitz in Form von Kolonien entwickelt sich nicht einfach entsprechend dem Marktgesetz, er passt sich nicht einfach der ökonomischen Stärke seines jeweiligen Staats entsprechend an.

Der schwächer gewordene Besitzer von Kolonien hofft erstmal auf sein Wiedererstarken im ökonomischen Wettlauf mit den Weltmarktkonkurrenten und weigert sich, seine Schwäche mit Gebietsabtretungen zu bezahlen. Der ökonomisch stärker gewordene Konkurrent, der aber „zu kurz gekommen ist“ bei der Verteilung der Kolonien, stellt Besitzansprüche und will sie mittels Krieg durchsetzen – der Krieg als praktischer Test der tatsächlichen ökonomischen Stärke.

An einer Neuaufteilung des Kolonialbesitzes hatte das deutsche Monopolkapital seit der Reichsgründung 1871 großes Interesse.

Bis 1914 hatte es die führende Industriemacht England beim Anteil der Weltindustrieproduktion überholt und Frankreich weit zurückgelassen. Aufgrund der späten Nationalstaatsbildung beginnt die Zeit der aktiven Kolonialpolitik des deutschen Imperialismus erst 1884. Das Deutsche Reich stößt mit seinem territorialen Expansionsstreben an die Grenzen der alten Kolonialmächte und fordert einen „Platz an der Sonne“. Der imperialistische Krieg wird vorbereitet.

Neue Rechtfertigung

Die Erinnerung an das aggressive Expansionsstreben des deutschen Imperialismus und seine Hauptverantwortung für den Ersten Weltkrieg ist der aktuellen imperialistischen deutschen Politik hinderlich bei nationaler Identitätsstiftung.

Das Großmacht-Streben Deutschlands der letzten Jahre benötigt ein Ende der „Stigmatisierung Deutschlands“ in Fragen der „Schuld“ am „Ausbruch“ des Ersten Weltkriegs. Die Weste des imperialistischen Deutschlands muss reiner werden, um weniger kritisch beäugt zu werden, wenn die Verantwortlichen durch den Machtzuwachs wieder mehr „Verantwortung“ übernehmen (wollen), dann auch gerne mit Soldaten. Dafür muss Deutschland auch im Rückblick auf den ersten „großen Krieg“ besser dastehen, als das in der kritischen bürgerlich-kritischen Geschichtsschreibung seit Fritz Fischers „Griff nach den Weltmacht“ dargestellt ist.

Da trifft es sich gut, dass sich vor allem anlässlich des 100. Jahrestages des Kriegsbeginns Teile der bürgerlichen Historikerzunft um Publikationen bemühen, die die deutsche Hauptverantwortung am Krieg, die hierzulande immerhin schon in Schulbüchern erwähnt wird, relativieren helfen.

Getreu nach den Worten des britischen Premierministers David Lloyd George von 1920: „Keiner der führenden Männer jener Zeit hat den Krieg tatsächlich gewollt. Sie glitten gewissermaßen hinein, oder besser, sie taumelten oder stolperten hinein, vielleicht aus Torheit“.

Heutzutage wird aber nicht nur „getaumelt“ und „gestolpert“, sondern auch in den Krieg „geschlafwandelt“ wie in „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog.“ von Christopher Clark. Er ist ein echter Preußen-Fan, Autor von „Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947“ und „Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers“.

Clarks „Schlafwandler“ richtet sich erklärtermaßen gegen die „Fischer-Schule“, die Essenz des Buches: „In dieser Geschichte gibt es keine Tatwaffe als unwiderlegbaren Beweis, oder genauer: Es gibt sie in der Hand jedes einzelnen wichtigen Akteurs. So gesehen war der Kriegsausbruch eine Tragödie, kein Verbrechen.

Clarks wichtigster Kollege bei der Wiederherstellung der deutschen Unschuld ist Herfried Münkler, Beirat in der BAKS, in der Bundesakademie für Sicherheitsfragen, die sich amtlich um die erhöhte deutsche Verantwortung für die Welt kümmert. Die Essenz von „Der große Krieg“ ist die „deutliche Warnung vor dem Irrglauben, die Konstellationen, die in den Ersten Weltkrieg geführt hatten, seien überwunden“. Beweis: die, so nennt er das, „jugoslawischen Zerfallskriege nach 1991“. Er buchstabiert sie allerdings ohne die Buchstaben NATO und BND.

Speziell für Schulen lehrt Dr. phil. Ludger Grevelhörster vom Landesschuldienst Nordrhein-Westfalen in seinem Buch „Der Erste Weltkrieg und das Ende des Kaiserreiches“ dies: Der „große Krieg“, den „die Führung des Reiches“ lediglich „billigend in Kauf genommen“, aber nicht „von langer Hand und mit fest umrissenen Eroberungsabsichten gezielt vom Zaun gebrochen“ hat, dieser „große Krieg“ brachte „bekanntlich keinen tragfähigen Friedensschluss“ hervor, sondern trug schon den „Keim der späteren neuerlichen militärischen Konfrontation von 1939/1945 in sich“. Der „Führer“ hätte sich nicht besser entschuldigen können.

Jörg Friedrich hat den Tausendseiter „14/18“ geschrieben. Doch sein Verlag gibt schon auf der Schutzklappe die zum Buch passende Produktwarnung: „Am Ersten Weltkrieg trägt niemand Schuld, er war ein von Europa selbstgewähltes Verhängnis.“ Nämlich: „Aus der Hochblüte gemeinsamer Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft brachen die Destruktivkräfte über Nacht hervor wie eine Pandemie, die den Kontinent zerfraß.

Der Friedensverhinderer ist wie der Kriegsschuldige als Person nicht zu fassen. Die Verhältnisse geben allen einen guten Grund dafür, dass man nichts dagegen machen kann.

Ob weniger Gräuel auch weniger internationale Kritik eingetragen hätten, steht dahin, denn was die Deutschen nicht verbrachen, das wurde ihnen von der Propaganda angedichtet.

Na dann: Auf ein Neues!

Alt-neue Ideologie: „Zerbrechung der nationalen Freiheit kleinerer Völker

Das imperialistische Expansionsstreben braucht auch eine ihm angemessene Ideologie.

Das bürgerlich-liberale Nationenverständnis, soweit es in Deutschland überhaupt zur Anwendung kam, wird abgelöst von einem übersteigerten Nationalismus, zu Chauvinismus. Als Beispiel sei der in bürgerlichen Kreisen noch als „gemäßigt“ geltende Friedrich Naumann (Namensgeber der heutigen FDP-Stiftung) angeführt.

In seinem Aufsatz „Das Ideal der Freiheit“ aus dem Jahr 1908 richtet sich der Autor gegen diejenigen, für die noch immer „diese Art von Freiheitsideal nicht erloschen“ sei, das meint, „die Einheit Italiens, die Souveränität Serbiens, die Autonomie der Bulgaren, die Freiheit der Polen und die Unabhängigkeit der nordafrikanischen Raubstaaten“ seien „ungefähr dieselbe Sache“, und es „müsste sich der wackere deutsche Freiheitsmann gleichzeitig für alle bedrückten Armenier, Aschantis und Irländer erwärmen“. Dies sei „der Internationalismus der früheren Demokratie, die für die Entwicklung des staatlichen Großbetriebs noch kein Verständnis hatte. Es ist weltpolitische Kleinstaaterei, eine Gesinnung, die nichts anderes ist als die Übertragung des Kleinbürgergeistes und seiner Kleinlichkeit auf die Verhältnisse der Staaten. Die Geschichte selbst hat aber längst gegen diesen Geist entschieden. Man mag sie als hart und kalt schelten, das wird ihr gleich sein, denn sie ist ja in der Tat gefühllos. Die Geschichte, dass der Gesamtfortschritt der Kultur gar nicht anders möglich ist als durch Zerbrechung der nationalen Freiheit kleinerer Völker … Mit anderen Worten: Ein Stück des alten kleinbürgerlichen Freiheitsideals muss ins Wasser geworfen werden, damit man den technischen Kulturgedanken voll ausdenken und ihm dienen kann. Es ist kein ewiges Recht der Menschen, vom Stammesgenossen geleitet zu werden. Die Geschichte hat entschieden, dass es führende Nationen gibt und solche, die geführt werden und es ist schwer, liberaler sein zu wollen, als die Geschichte selbst es ist.

Heute steckt darin die Drohung: Griechenland – wir kommen wieder!

3. Die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung vor 1914

Auf den Kongressen in Stuttgart (1907), Kopenhagen (1910), Basel (1912) hatte die Vereinigung der Sozialisten der ganzen Welt, die 2. Internationale, als Grundsatz zur Frage des Kriegs festgehalten:

„Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit des Internationalen Bureaus, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern.

Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“ [1]

Nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo am 28. Juni 1914 durch den serbischen Studenten Gavrilo Princip folgte massiver Druck Österreichs auf Serbien. Die Gefahr eines Kriegs, der weit über den Konflikt zwischen Serbien und Österreich hinausgehen würde, zeichnete sich – wegen der Bündnissysteme und ihrer Beistandsverpflichtungen – vor aller Augen ab. Um den drohenden Weltkrieg abzuwenden, riefen die Sozialisten aller Länder zu Antikriegs-Kundgebungen auf. Noch vor und unmittelbar nach der (von der deutschen Regierung unterstützten) Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli fanden machtvolle Kundgebungen der Arbeiterbewegung in vielen deutschen Städten statt.

Es bestand völlige Klarheit über die drohenden Gefahren, wie folgende Resolution vom 25./26. Juli beispielhaft zeigt: „Die gegenwärtig drohende Kriegsgefahr kann jederzeit in das greuelvollste Völkermorden verwandelt werden. Angesichts dieser ernsten Lage erinnert die Landesversammlung der Sozialdemokraten Württembergs die werktätigen Massen daran, dass die Besitzenden und Herrschenden … sich zum mindesten als ohnmächtig erweisen, den Frieden und die Wohlfahrt der Völker zu wahren.“ In der Resolution wird an die Kraft der Massen appelliert, die „die einzige sichere Bürgschaft dafür ist, dass die frivole Hetze kriegslüsterner Cliquen und Schichten keinen Weltbrand entzündet.[2]

In Deutschland war die SPD, stärkste der Parteien der 2. Internationale, im Jahr 1912 auch die bei weitem stärkste Fraktion im deutschen Reichstag geworden (mit 34,8 % = 4,25 Mio. der 12,5 Mio. abgegebenen Stimmen = 110 Sitze). Gegen die SPD und die mit ihr verbundenen Gewerkschaften und ihren Widerstand hätten die Kriegstreiber in Deutschland es wesentlich schwieriger gehabt, den Krieg vom Zaun zu brechen und ihn gegen den Widerstand der Arbeiter auch nur über Monate durchzuhalten.

Aber während noch öffentlich Reden gegen den Krieg gehalten wurden, kam es hinter dem Rücken der Öffentlichkeit zu Absprachen des sozialdemokratischen Parteivorstands mit der Reichsregierung. Am 29. Juli wurde vom Parteivorstand ein streng vertrauliches Schreiben an die Redaktionen der Parteipresse gesandt, mit der Aufforderung die Antikriegspropaganda zu mäßigen. Triumphierend erließ das Kriegsministerium am 31. Juli folgende Mitteilung an die Generalkommandos: „Nach sicherer Mitteilung hat die sozialdemokratische Partei die feste Absicht, sich so zu verhalten, wie es sich für jeden Deutschen unter den gegenwärtigen Verhältnissen ziemt.[3]

Wie konnte es dazu kommen?

Wie wir wissen, hatte der Revisionismus über Jahre hinweg die Partei vergiftet. Aber statt die Seuche zu bekämpfen und die Revisionisten auszuschließen, wurde von der Mitte der Partei, den Zentristen, die Einheit der Partei beschworen. Ein trauriges Beispiel dafür, dass Einigkeit an sich eben nicht nur stark machen, sondern zum schleichenden Tod führen kann.

Wie wir wissen, war der Revisionismus nicht nur ein moralisches Versagen und Verrat an allem, wofür die deutsche Arbeiterbewegung seit Marx und Engels gestanden hatte: für revolutionäres Selbstbewusstsein gegenüber den herrschenden Klassen, für Siegesgewissheit und Siegeswillen zum Sozialismus.

Wir wissen, dass ab etwa 1880 mit der sich rasch entwickelnden Industrialisierung und der Herausbildung von Großkonzernen wie Krupp, Siemens, Deutsche Bank die imperialistische Expansion Deutschlands begann. Aus den daraus erzielten Extraprofiten konnte eine Oberschicht von Arbeitern bessergestellt werden, die Illusion geschaffen werden, man könne sich im Kapitalismus einrichten und der ewigen Unsicherheit der Existenz entkommen. Der Preis freilich: Partnerschaft mit dem Kapital. Partnerschaft mit einem stärkeren Gegner bedeutet aber stets Unterordnung. Aus dieser Oberschicht von besser gestellten Arbeitern bildete sich eine Arbeiteraristokratie heraus, die bald aggressiv vertrat: Wenn es meinem Kapitalisten gut geht, geht es auch den Arbeitern besser. Daraus wurde schließlich: Wenn es dem deutschen Kapital gut geht, geht es auch der deutschen Arbeiterklasse besser. Und Vieles schien dem recht zu geben: seit 1871 kein Krieg zwischen den Großmächten in Europa, stürmische Entwicklung von Industrie und Handel, einige politische Reformen, wachsender Einfluss der Sozialdemokratie.

So wurden aus Führern der Arbeiter labour lieutenants of the capitalist class, also Arbeiteroffiziere für die Kapitalistenklasse. Sie waren in den Gewerkschaften und der Partei groß geworden, hatten mit den Kollegen manchen Kampf durchgefochten, sich ihr Vertrauen erworben. Oft direkt bezahlt und bestochen, andere begannen aber auch schrittweise und kaum merklich sich daran zu gewöhnen, von den Herren hofiert und als scheinbar gleichberechtigt angesprochen und als wichtig anerkannt zu werden, Auslagen erstattet zu bekommen, eine kleine Vergünstigung zu erhalten. Schließlich erste Verrätereien und Erledigung von kämpferischen Konkurrenten, mal da ein Verhältnis, mal dort einen Vorteil für Spezis, kleine Schweinereien, über die der Kapitalist scheinbar großzügig hinwegsieht. So werden Arbeiterführer erpressbar und zu Arbeiteroffizieren gemacht. Und das auf allen Ebenen und auf allen Posten: in Betrieb und Gewerkschaft, in den Sozialkassen, in Arbeitervereinen, in den Parlamenten von den Kommunen bis in den Reichstag.

Nach dem Tod von Friedrich Engels erhoben die Revisionisten immer dreister das Haupt. Mit Eduard Bernsteins Schrift „Die Voraussetzungen des Sozialismus …“ erhielt er eine Plattform. Revolution durch Reformen ersetzen, den dialektischen Materialismus durch den Neukantianismus – und sein letztes Wort: „Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts.“ Und die Entwicklung des Kapitalismus schien den Revisionisten recht zu geben: Seit 1870/71 hatte es keinen Krieg zwischen den großen europäischen Ländern gegeben. Frieden und sozialer Fortschritt schienen sich im Selbstlauf zu entwickeln. Die Revisionisten wiesen darauf hin, dass die unvermeidlichen Wirtschaftskrisen schließlich jedes Mal doch auch überwunden wurden. Die kleineren Kriege schienen weit weg. Seit 1890 war die SPD wieder legal und eilte von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Der Schwerpunkt des Klassenkampfs wurde in die Parlamente verlegt. So wurde die revolutionäre Arbeiterbewegung eingelullt. Spätestens seit dem Essener Parteitag der SPD von 1907 war die „Vaterlandsverteidigung“, die nichts Anderes war als die Verteidigung der Kapitalistenherrschaft, nicht mehr aus der Partei hinauszubringen. Ein entsprechender Antrag gegen den Propagandisten der Vaterlandsverteidigung[4], Gustav Noske, den späteren Verantwortlichen für die Niederschlagung der Revolution in Deutschland und Verantwortlichen für die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, scheiterte. Jetzt 1914 machten die Kapitalisten den Sack zu und präsentierten die Rechnung.

Dahin also hatte die Losung des Revisionismus: „Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts!“ geführt: in den Sack der Bourgeoisie.

Die Rechtfertigungen für den von Deutschland angezettelten Krieg wurden zahlreich präsentiert: Der russische Zar Nikolaus[5], der die Revolution von 1905 im Blut ertränkt hatte, wurde als ein solches Monster hingestellt, wogegen Wilhelm II. geradezu als Arbeiterfreund erscheinen konnte. Auf Frankreich und England, die mit einem solchen Blutsäufer verbündet waren, müsse man mit Verachtung herabsehen. Geradezu widerlich wurden die beiden großen und noblen Deutschen, Marx und Engels, für alle Schandtaten als Kronzeugen herangezogen: für Russenhass, für deutsche Überheblichkeit, für die Disziplin des deutschen Arbeiters. Nicht zuletzt das deutsche Sozialsystem von Kaisers Gnaden wurde als vorbildlich hingestellt, das nun gegen die raubgierigen Kriegsgegner verteidigt werden müsse.

So versuchte jetzt eine Mehrheit von sozialdemokratischen Führern – in der Sonne von Hof und Regierung sich aalend – die deutschen Arbeiter nicht nur mehr widerstandslos gegen den Krieg zu machen, sondern direkt für den Krieg zu begeistern, ihn als fortschrittlich hinzustellen, ihm den Charakter eines Freiheitskampfs zu geben. Beachtlich, wie dieser Umschwung innerhalb von Tagen und Wochen erreicht wurde – ganz ohne Handy und Facebook; noch nicht einmal Radio oder Mikrophon standen damals zur Verfügung.

Zu den Resolutionen der Internationalen Sozialistenkongresse standen bei Ausbruch des Krieges von den Parteien aus 37 Ländern nur noch aufrecht: die von Lenin geführte Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (wobei sogar die menschewistischen Duma-Abgeordneten anfangs gegen die Kriegskredite stimmten), die Bulgarische Sozialdemokratische Arbeiterpartei („Engherzige“) unter Führung von Blagoew, Dimitroff und Kolarow, die Serbische Sozialdemokratische Partei und die Italienische Sozialistische Partei. Dafür nahmen sie Repressalien, Verbannung, Kerker und Tod in Kauf. Das war aber auch der Ausgangspunkt für die Stellung dieser Parteien nach Kriegsende und eine der Voraussetzungen für die siegreichen Revolutionen des Februars und schließlich des Oktobers 1917 in Russland.[6]

4. Der Krieg bis zum Mai 1915

Im Krieg standen sich von den Großmächten zunächst gegenüber: Deutschland mit Österreich-Ungarn, Zweibund oder Mittelmächte genannt, gegen England, Frankreich und Russland, Entente genannt.

Im Westen war der Krieg nach dem deutschen Überfall auf das neutrale Belgien in Nordfrankreich an der Marne von der französischen Armee zum Stehen gebracht worden. Seitdem war an dieser Front der Bewegungskrieg in den Stellungskrieg übergegangen. Seitdem ging der Krieg weiter im blutigen Gemetzel um jeden Meter Geländegewinn, der Krieg in der Champagne, an der Aisne und in Flandern. In der Schlacht bei Ypern in Flandern setzten die deutschen Generäle am 22. April 1915 erstmals Giftgas ein. Seine Herstellung war von den Bayer Werken in Leverkusen unter Carl Duisberg forciert worden. Hergestellt wurde es dann von der BASF.

Im Osten gingen die deutschen Truppen nach den Siegen bei Olsztynek (zu Propagandazwecken als Schlacht bei Tannenberg bezeichnet als Revanche für den polnischen Sieg von 1410 über den Deutschherrenorden bei Grunwald/Tannenberg) und den Masurischen Seen in die Offensive und rückten gegen Russland im April 1915 bis nach Litauen an die Düna vor. Die österreichischen Truppen hatten nach den verlustreichen Schlachten bei Lwow (Lemberg) erhebliche Gebietsverluste in Galizien. Die Winterschlacht in den Karpaten zog sich bis April 1915 hin. Mit deutscher Unterstützung soll ein Gegenstoß vorbereitet werden, der im Mai in der Schlacht bei Tarnow-Gorlice gelingt.

Im Seekrieg werden die Ausgänge in Nord- und Ostsee von England blockiert. Seit September 1914 setzt Deutschland U-Boote ein. Am 2. Mai eröffnet Deutschland den U-Boot-Handelskrieg, der mit der Versenkung der Lusitania am 7.5. einen ersten traurigen Höhepunkt erreicht.

Italien tritt militärisch ab Juni 1915 in den Krieg ein.

Im April 1915 beginnt im Osmanischen Reich, einem der Verbündeten Deutschlands, der Völkermord an den Armeniern – mit Wissen, Unterstützung und Beteiligung des deutschen Generalstabs unter Leitung von Graf von der Goltz.

Das ist der Hintergrund, vor dem die Gruppe „Internationale“ Karl Liebknecht beauftragt, sein berühmtes Flugblatt zu verfassen.

5. Karl Liebknecht und der Widerstand gegen den Krieg

Die Nagelprobe auf die Standhaftigkeit der Sozialdemokratie gegen den Krieg war jene Reichstagssitzung vom 4. August 1914, in der über die Bewilligung der Kriegskredite abgestimmt werden sollte.

An diesem Tag versammelten sich die Abgeordneten des Deutschen Reichstages mit Ausnahme der Sozialdemokraten um ein Uhr mittags im Weißen Saal des Königlichen Schlosses zu Berlin. Das Deutsche Reich befand sich seit dem 1. August im Kriegszustand mit dem russischen Zarenreich und auch Frankreich war am 3. August der Krieg erklärt worden. Noch hoffte die deutsche Reichsleitung auf die Neutralität Englands, doch am 5. August 1914 erklärte auch London dem Deutschen Reich den Krieg.

Der Reichstag war zusammengerufen worden, um den notwendigen Kriegskrediten die Zustimmung zu erteilen. Entgegen den Wünschen der Sozialdemokratie hielt Kaiser Wilhelm II. die einleitende Rede jedoch nicht im Reichstagsgebäude, sondern im Königlichen Schloss. Daraufhin verweigerten die SPD-Abgeordneten ihre Anwesenheit, die sie im Falle einer Verlegung in den Reichstag zugesagt hatten.

Über die heftigen Auseinandersetzungen in der Fraktion der SPD am 3. und 4. August 1914 legt Karl Liebknecht selbst Zeugnis ab: „Ich habe – mit mehreren anderen Genossen – vor dem 4.8. alles Menschenmögliche getan, um die Fraktion zur Verweigerung der Kredite zu bewegen. Wir haben einen Minderheitsvorschlag der Fraktion unterbreitet usw. Gegen unseren schärfsten Widerspruch beschloss die Fraktion dennoch die Zustimmung zur Vorlage.

Meine Bemühungen, die Minderheit zu einer Kundgebung ihrer abweichenden Meinung im Plenum zu veranlassen, misslangen leider. Mich ganz allein von meinen engsten Freunden aus dem radikalen Lager zu trennen, schien mir damals nicht angezeigt – niemand konnte ja den Verfall der Partei vorausahnen. Es ging am 3./4.8 alles Hals über Kopf. Wir hatten nur Stunden, ja Minuten Zeit und standen zu unserem Schrecken plötzlich vor einer Zersprengung des radikalen Flügels. Haase, selbst von der Minderheit, ließ sich zur Verlesung der Mehrheitserklärung bestimmen! – So fügte ich mich am 4. August mit Zähneknirschen der Mehrheit. Ich habe das selbst von Anfang aufs Tiefste bedauert und bin bereit mir jeden Vorwurf deswegen gefallen zu lassen.[7]

Am 4. August 1914 hatte der damalige Parteivorsitzende der SPD, Hugo Haase, im Namen seiner Fraktion vor dem Reichstag erklärt: „Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecken feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel. Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen. Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen. Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite.[8]

Bei der nächsten Abstimmung über Kriegskredite am 2. Dezember 1914 wird Karl Liebknecht die Konsequenz aus dieser Selbstkritik ziehen und als Einziger nicht nur der sozialdemokratischen Fraktion, sondern des gesamten deutschen Reichstags mit seinen insgesamt 397 Abgeordneten gegen den Antrag auf Bewilligung stimmen.

Dazu gab er folgende Erklärung ab:

„Meine Abstimmung zur heutigen Vorlage begründe ich wie folgt: Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarktes, um die politische Beherrschung wichtiger Siedelungsgebiete für das Industrie- und Bankkapital. Es handelt sich vom Gesichtspunkt des Wettrüstens um einen von der deutschen und österreichischen Kriegspartei gemeinsam im Dunkel des Halbabsolutismus und der Geheimdiplomatie hervorgerufenen Präventivkrieg. Es handelt sich um ein bonapartistisches Unternehmen zur Demoralisierung und Zertrümmerung der anschwellenden Arbeiterbewegung. Das haben die verflossenen Monate trotz einer rücksichtslosen Verwirrungsregie mit steigender Deutlichkeit gelehrt.

Die deutsche Parole ,Gegen den Zarismus’ diente – ähnlich der jetzigen englischen und französischen Parole ,Gegen den Militarismus‘– dem Zweck, die edelsten Instinkte, die revolutionären Überlieferungen und Hoffnungen des Volkes für den Völkerhass zu mobilisieren. Deutschland, der Mitschuldige des Zarismus, das Muster politischer Rückständigkeit bis zum heutigen Tage, hat keinen Beruf zum Völkerbefreier. Die Befreiung des russischen wie des deutschen Volkes muß deren eigenes Werk sein.

Der Krieg ist kein deutscher Verteidigungskrieg. Sein geschichtlicher Charakter und bisheriger Verlauf verbieten, einer kapitalistischen Regierung zu vertrauen, dass der Zweck, für den sie die Kräfte fordert, die Verteidigung des Vaterlandes ist. …

Die Notstandskredite bewillige ich in der verlangten Höhe, die mir bei weitem nicht genügt. Nicht minder stimme ich allem zu, was das harte Los unserer Brüder im Felde, der Verwundeten und Kranken, denen mein unbegrenztes Mitleid gehört, irgend finden kann; auch hier geht mir keine Forderung weit genug. Unter Protest jedoch gegen den Krieg, seine Verantwortlichen und Regisseure, gegen die kapitalistische Politik, die ihn heraufbeschwor, gegen die kapitalistischen Ziele, die er verfolgt, gegen die Annexionspläne, gegen den Bruch der belgischen und luxemburgischen Neutralität, gegen die Militärdiktatur, gegen die soziale und politische Pflichtvergessenheit, deren sich die Regierung und die herrschenden Klassen auch heute noch schuldig machen, lehne ich die geforderten Kriegskredite ab.

Berlin, den 2. Dezember 1914.

(gez.) Karl Liebknecht

Der Präsident hat die Aufnahme dieser Begründung in den stenographischen Bericht [Protokoll des Reichstags] abgelehnt, weil in ihr Äußerungen enthalten seien, ,die, wenn sie im Hause gemacht wären, Ordnungsrufe nach sich gezogen haben würden'.“[9]

Dem war vorausgegangen: die Sammlung der Linken in der SPD. Schon am 4. August versammelten sich in der Wohnung Rosa Luxemburgs in Berlin solch hervorragende Genossen wie Franz Mehring, Wilhelm Pieck, Julian Marchlewski („Karski“), Hermann Duncker, Hugo Eberlein, Ernst Meyer. Karl Liebknecht nimmt den Kampf auf gegen alle Widerstände durch die Führung der SPD, die der Opposition in der Partei alle Möglichkeiten nimmt, sich in der Parteipresse zu äußern. Deshalb wenden sich Liebknecht, Luxemburg, Mehring und Clara Zetkin am 10. September an Redaktionen der Arbeiterpresse in Schweden, Italien und der Schweiz, um ihre Ablehnung der Kriegspolitik der sozialdemokratischen Führung zu erklären. Auch in Parteiveranstaltungen etwa in Berlin, Stuttgart u.a. nehmen die Linken den Kampf gegen den Verrat der Parteiführung auf.

Auf der Reichskonferenz der Opposition, die in der Wohnung Wilhelm Piecks am 5. März 1915 stattfand, wird die Gruppe „Internationale“ gegründet. Am 14. April erscheint die erste (und einzige) Ausgabe der Zeitschrift „Die Internationale – eine Monatsschrift für Praxis und Theorie des Marxismus“.[10]

Welche Fragen hatten Karl Liebknecht und die Revolutionäre zu klären?

Was ist der Klassencharakter des Krieges? Ist es ein Krieg, den die Bourgeoisie für ihre Zwecke führt, oder ein Krieg des Proletariats für seine Interessen? Ist es ein imperialistischer Krieg oder ein Krieg für Freiheit und Unabhängigkeit? Vor wem muss das Vaterland verteidigt werden? Vor dem äußeren Feind oder dem inneren Feind? Wie kann der Klassenkampf in Zeiten des Kriegs geführt werden? Muss der Klassenkampf geführt werden als revolutionärer Bürgerkrieg mit dem Ziel der Niederlage der eigenen Regierung und des Sturzes der herrschenden Klasse? Mit welchen Mitteln und in welchen Formen? Welche Organisation ist dazu notwendig und mit wem und gegen wen kann sie geschaffen werden?

Auf einige dieser Fragen gibt das Flugblatt „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ klare Antworten.

6. Das Flugblatt und die Aufgaben der Arbeiterklasse im Krieg

Nach zehn Monaten blutigen Gemetzels tritt Italien am 26. April 1915 an die Seite der Entente. Italien war vor 1914 im Dreibund mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbunden. Es hatte bei Kriegsbeginn seine Neutralität erklärt.

Mit der Aufregung über Italien beginnt Karl Liebknecht das Flugblatt.[11] Mit „Alles lernen, nichts vergessen!“ bereitet er den Leser darauf vor, sich zu erinnern an die Tage vor Beginn des Krieges.

Ja, er verurteilt die Tiraden des italienischen Imperialismus, um seine Raubpolitik zu verbrämen, nebst dessen Verlockungen mit „Burgfrieden“, um aber zu dem Schluss zu kommen:

Noch widerwärtiger ist jedoch, dass wir in alledem nur wie in einem Spiegel die deutschen und österreichischen Methoden vom Juli und August 1914 wiedererkennen.

Und um schließlich die deutschen und die österreichischen Kriegshetzer als die „Hauptschuldigen“ am Kriegsausbruch zu brandmarken.

Er charakterisiert den Krieg als Krieg um die „Neuverteilung der Welt“ unter die kapitalistischen Raubstaaten.

Liebknecht geißelt die moralische Entrüstung und gekränkte Unschuld in Deutschland und Öster­reich, die sich angesichts des Bündniswechsels Italiens erhoben haben.

Er geißelt die Geheimdiplomatie, die die lebenswichtigen Verträge vor dem Volk geheim gehalten hat, „während eine Handvoll Leute in Berlin und Wien um das Schicksal Deutschlands gewürfelt hat.

Er geißelt das Verbrechen vom 7. Mai 1915, das Passagierschiff „Lusitania“ mit 1.200 Passagieren durch ein U-Boot der kaiserlichen Kriegsmarine zu versenken.

Er zeigt, weshalb Friedensangebote seitens England zurückgewiesen wurden: wegen der „Profitgier der deutschen Imperialisten“, durch „die Kapitalisten der großen deutschen Schifffahrtsgesellschaften, durch die Scharfmacher der deutschen Schwerindustrie.

Und Liebknecht stellt die Frage:

Wem hat, so fragen wir, das deutsche Volk die Fortsetzung des grauenvollen Kriegs, wem Italiens Eingreifen zu danken? Wem anders als den verantwortlichen Unverantwortlichen im eigenen Lande.

Nur spärlich sind die Hinweise auf die Auseinandersetzungen in den Reihen der Arbeiterbewegung, insbesondere gegen die auf die vollständig auf die Seite der deutschen Bourgeoisie übergegangenen sozialdemokratischen Führer wie Südekum und David, aber auch Ebert, Noske und Scheidemann, die in der Weimarer Republik noch eine traurige Rolle spielen werden. Sie hatten verbreitet, dass durch die Zugeständnisse gegenüber den herrschenden Klassen nach dem Krieg ein neues Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital in Deutschland hergestellt werden. Dagegen richtet sich Liebknecht, wenn er sich gegen die „Hoffnungsirrwische von einer Morgenröte politischer und sozialer Gerechtigkeit“ wendet.

Gegen die antiitalienische Hetzpropaganda in den deutschen Gazetten jener Tage drischt Liebknecht nicht auf „die“ Italiener ein, sondern unterscheidet zwischen den italienischen Klassen. Als wirklicher proletarischer Internationalist stellt er die Größe der italienischen Genossen im Kampf gegen deren Hauptfeind heraus, die italienische herrschende Klasse. Und nutzt so die Klassenauseinandersetzungen in einem anderen Land zur Anfeuerung der deutschen Arbeiterklasse.

Gegen die Durchhalteparolen der Kriegshetzer stellt er: „Internationaler proletarischer Klassenkampf gegen internationale imperialistische Völkerzerfleischung heißt das sozialistische Gebot der Stunde.

Und die Schlussfolgerung: „Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land!

Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie.“

In diesem Kampf muss mit dem Proletariat der anderen Länder, das selbst im Kampf gegen seine „heimischen Imperialisten“ steht, zusammengewirkt werden.

Nichts für die Herrn von Regierung, Militär und Kapital, sondern: „Nichts für diese, alles für das deutsche Volk. Alles für das internationale Proletariat, um des deutschen Proletariats, um der getretenen Menschheit willen!

Und Karl Liebknecht ruft: „Ein Ende dem Völkermord!“ und im Sinne seines „Alles lernen, nichts vergessen“, hämmert er es in unsere Köpfe, nochmals wiederholend:

Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

7. Die Lehren

Die Epoche

Deutlich ist Liebknechts Charakterisierung der Epoche als einer Epoche des Imperialismus, die, wie wir heute wissen, nicht mit dem 1. Weltkrieg zu Ende ging, wie es uns Schulbücher weismachen wollen, sondern sich seit damals erst richtig entfaltete. Sie entpuppte sich als Epoche der Kriege und Revolutionen (Faschismus und Konterrevolutionen eingeschlossen) und führte über den Zweiten Weltkrieg zu den Siegen der Revolution in Osteuropa, in China und Korea. Sie führte zur Aufgabe des offenen Kolonialismus durch die imperialistischen Großmächte und ihrem Versuch, die politisch nun souveränen Länder ökonomisch weiterhin zu beherrschen. Wo das nicht gelang, schürten sie Krieg und Bürgerkrieg, führten sog. Stellvertreterkriege, um einen sozialistischen Weg dieser Länder zu sabotieren. Kuba (1959) und Vietnam (1975) sowie Laos sind die glänzendsten Beispiele für das Scheitern dieses Konzepts der Imperialisten; Chile 1973 dagegen mit dem faschistischen Militärputsch unter Regie des US-Imperialismus eines der traurigsten Beispiele für das Gelingen jenes Konzepts.

Seit den Konterrevolutionen in Polen, der DDR (1989) und den anderen sozialistischen Ländern in Europa und schließlich seit der Zerschlagung der Sowjetunion (1992) tritt der Charakter der Epoche als Epoche der Kriege umso deutlicher hervor. Dabei geht es um die Neuaufteilung der Welt – ihrer Rohstoffquellen, Absatzmärkte und Einflusssphären – unter die imperialistischen Großmächte. Revolutionen sind dabei unvermeidlich, wie Venezuela und andere Länder Lateinamerikas zeigen.

Trotz der Beseitigung des „Reichs des Bösen“ – wie einst die Sowjetunion vom US-Präsidenten Reagan verteufelt wurde – weist der nun wieder fast schrankenlose Imperialismus keine andere Perspektive für die Menschheit auf als die der Selbstzerfleischung für den Profit, für die Ausbeutung und die Unterdrückung der arbeitenden Klassen und ganzer Völker und Nationen. Zerstörung der Springquellen allen Reichtums: des Arbeiters und der Natur. Das ist die Perspektive des Untergangs.

Insofern ist diese Epoche mit ihrem scheinbaren Triumph des Imperialismus auch eine Epoche des niedergehenden Kapitalismus, der niedergehenden Weltherrschaft der Bourgeoisie und des aufsteigenden Sozialismus, der aufsteigenden Weltherrschaft des Proletariats – wenn das Ganze nicht in der Barbarei enden soll oder wie es im Kommunistischen Manifest heißt: mit dem Untergang der kämpfenden Klassen. Sozialismus – das ist die Perspektive der Rettung und des Neuanfangs.

Der Charakter des Kriegs

Die meisten Parteien bestimmen den Charakter eines Krieges danach, wer ihn begonnen hat und unterscheiden unter diesem Aspekt Angriffs- und Verteidigungskriege. Andere versuchen den Charakter eines Krieges danach zu bestimmen, auf wessen Territorium er geführt wird. Die entscheidende Frage aber ist, im Interesse welcher Klasse wird der Krieg geführt, welche Politik wird durch den Krieg fortgesetzt und welche Ziele hat sich die herrschende Klasse in dem betreffenden Krieg gesetzt. An der Antwort auf diese Fragen entscheidet es sich, ob es sich um einen gerechten oder ungerechten Krieg handelt.

Die pazifistische Position, die alle Kriege ablehnt, erweist sich bei Ausbruch eines konkreten Kriegs nicht nur als hilflos, sondern in der Konsequenz dem eigenen Imperialismus dienlich. Denn Krieg ist auch der Bürgerkrieg, in dem die Kriegstreiber niedergerungen werden. Wird dieser Krieg nicht geführt, bleiben Appelle an die Herrn von Regierung und Kapital fromme Wünsche. So werden die Kriegstreiber im eigenen Land letztlich geschont. Damit soll den einzelnen pazifistisch eingestellten Menschen nicht der Mut abgesprochen werden, den sie oft in sog. „gewaltlosen“ Aktionen gegen den Krieg gezeigt haben und zeigen – und dabei genauso wie wir Kopf und Kragen riskieren.

Der 1. Weltkrieg war somit ein von allen kriegführenden Großmächten (als einziges Land hatte wohl Serbien ein Recht, sich mit Krieg zu verteidigen) ein ungerechter Krieg. Aber Karl Liebknecht geht noch einen Schritt weiter: Er zeigt konkret, dass der deutsche Imperialismus bewusst auf den Krieg zugesteuert ist und ihn direkt provoziert hat. Die Rolle der deutschen Rüstungsmonopole hatte er schon in seinen berühmten Reichstagsreden von 1912 immer konkret gemacht und angeprangert. Wie wir heute wissen, war der besonders aggressive deutsche Imperialismus bei der Aufteilung der Welt zu spät und zu kurz gekommen. Er war besonders aggressiv, weil der Kapitalismus in Deutschland – gemessen z.B. an der Industrieproduktion – seit 1870 wesentlich schneller gewachsen war als in Frankreich und dann auch in England. Und die Aufteilung der Welt erfolgt nach Kapital, nach der relativen Stärke, nach der Macht. Verändern sich die Macht- und Kräfteverhältnisse, muss früher oder später eine Neuaufteilung erfolgen. Erfolgt sie nicht freiwillig, wird sie gewaltsam, militärisch erzwungen. Deutschland hatte also das stärkste Interesse an einer Neuaufteilung und suchte nach dem günstigsten Moment, um zuzuschlagen.

Der Haupt- und die „Nebenfeinde“

Liebknecht überschaut den Imperialismus als Gesamtheit. Er beschönigt keineswegs die anderen Imperialisten und lässt auch besonders und konkret am imperialistischen Italien kein gutes Haar. Und er schält aus diesem Geflecht von Nebenfeinden erst den Hauptfeind heraus. Er stellt dabei auch in Rechnung, wo er die Arbeiter, die Parteigenossen „abholen“ kann, angesichts der schäumenden chauvinistischen Hetze gegen Italien und „die“ Italiener. Seine große Leistung ist, dass er im Feind den Freund nicht vergisst und herausarbeitet, dass uns mit den italienischen Klassengenossen alles verbindet, mit den deutschen Herren aber nichts. Aus dieser konsequenten Klassenposition heraus meißelt er das Gesicht der herrschenden Klasse heraus.

Das ist nicht – wie wir es auch in unseren eigenen Reihen wieder sehen – das Wiederholen von Sätzen als Zitat, sondern die lebendige, an real existierenden Konflikten immer wieder zu leistende Auseinandersetzung mit der konkreten Situation, die nach konkreter Analyse verlangt. Und er handhabt dabei meisterhaft die Dialektik von der Haupt- und der Nebenseite des Widerspruchs zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die Bourgeoisie im Inland als den Hauptfeind zu charakterisieren und damit implizit die Bourgeoisie im Ausland als Nebenfeind, aber als Feind (und nicht, wie es gelegentlich auch schon geschehen ist, als Freund nach dem Motto: Der Feind meines Feindes …).

Daraus leitet Karl Liebknecht die Aufgaben im Kampf ab. Er befindet sich dabei völlig im Einklang mit den Resolutionen der Internationalen Sozialistenkongresse. Gegen den Krieg den Klassenkampf verstärken.

An anderer Stelle wird Liebknecht die Aufgaben und Ziele noch weiter präzisieren und in zunehmendem Maß den Schulterschluss mit den Lenin’schen Positionen finden:

Für die Niederlage der eigenen Regierung im Krieg!

Für die soziale Revolution der Arbeiterklasse! Für die Niederhaltung aller Elemente, die die Ursachen des Kriegs verewigen wollen: die Ausbeutung im Dienst des Profits, den Großbesitz an Bank, Fabrik und Acker.

Die Gegner im eigenen Lager

Noch nicht offen angegriffen werden in diesem Flugblatt die Feinde in den eigenen Reihen, in der eigenen Partei. Sie werden nur als die „Hoffnungsirrwische“ angesprochen. Und nebenbei wird dabei ein Leitmotiv heutiger Sozialdemokratie verächtlich gemacht: der bettlerische Appell an die Reichen und Herrschenden, doch bitte „soziale Gerechtigkeit“ walten zu lassen.

Zwar hatte Liebknecht bereits vor dem Krieg heftige Auseinandersetzungen mit den Rechten in der Partei, mit den Opportunisten. Sie hatten sich seit dem 4. August 1914 massiv verschärft – nicht zuletzt dadurch, dass Liebknecht von solchen Parteifreunden bei der Obrigkeit denunziert und Maßnahmen gegen ihn gefordert wurden! Die Gruppe „Internationale“ hatte er zusammen mit Rosa Luxemburg und anderen bereits gegründet. Die Schaffung der USPD war in Vorbereitung, aber es sollte noch bis 1918 dauern, bis sich Liebknecht von den Zentristen, den Kautskys, Haases, Dittmanns u.a. trennen konnte, um eine echte Kampfpartei zu schaffen: die KPD!

Diese Trennung war in der russischen SDAPR bereits 1912 vollzogen worden – bei Erhaltung des Parteinamens, aber mit völlig separaten Strukturen der Bolschewiki – eigener Parteigliederung, eigener Presse, eigenen Finanzen etc.

Klar wurde hier zwischen verschiedenen Strömungen im grassierenden Opportunismus unterschieden:

Sozialimperialisten, -chauvinisten, -pazifisten – sozialistisch in Worten, imperialistisch in der Tat – die die eigene Bourgeoisie unterstützen vor allem in ihrer ökonomischen Expansion (Deutschland braucht Rohstoffe …); die Sozialchauvinisten, bei denen die Unterstützung der Bourgeoisie auf politischem Feld, bei der Unterdrückung anderer Völker und der Annexion von Gebieten (Deutschland über alles …). Dazwischen lagen keine chinesischen Mauern. Bei Zentristen besonders verbreitet war der Sozialpazifismus, der sich neben allgemeinen Friedensappellen vor allem in der Niederhaltung der klassenkämpferischen Linken hervortat unter dem Vorwand, die Einheit der Partei zu erhalten.

Nicht genug herauszustellen ist der revolutionäre Geist, der aus dem Flugblatt spricht. Da ist keine Spur von Defätismus, sondern Gewissheit, dass die revolutionäre Sache siegen wird.

Der Hauptfeind wird nicht unterschätzt, seine Machenschaften und sein Einfluss werden kenntlich gemacht. Vor allem aber wird er in seiner klassenmäßigen Borniertheit, Dummheit und Schwäche lächerlich gemacht: „ … Erhaltung der Dreiklassenschmach, die verstockte Heiligsprechung der Viereinigkeit: Halbabsolutismus – Junkerherrschaft – Militarismus – Polizeiwillkür“.

Lehren für heute

Fehler oder Beliebigkeit in der Bestimmung der Epoche führt zu falschen Schlüssen bezüglich der Kampfaufgaben.

Dazu schrieben wir:

Die größten Schwächen/Fehler der Kräfte mit kommunistischem Anspruch zeigten sich bei der Analyse und Bestimmung der Epoche, der damit eng verbundenen Festlegung des Etappenziels und der daraus folgenden Bestimmung des Hauptfeinds und der revolutionären (Bündnis-)Kräfte. Dies kam zum Vorschein in der Bezeichnung der BRD als ,Bana­nenrepublik’[12], also als nicht-imperialistisches Land. Daraus wurde die Festlegung getroffen, dass der Hauptfeind der US-Imperialismus sei oder auch der sowjetische Sozial­impe­rialismus. Vorschub wurde dem teilweise durch die Kennzeichnung des US-Imperia­lismus als dem ,Feind der Völker der ganzen Welt’ geleistet. Sie findet sich z.B. in den Dokumenten der internationalen Tagung in Moskau von 1960“ (s. „Polemik“, S. 13)

In der Geschichte nach 1945 wechselte in Westdeutschland das Etappenziel nur einmal: Bis zur Wiederentstehung des deutschen Imperialismus Anfang der 50er Jahre hieß das Etappenziel: Befreiung von der Besatzung durch die imperialistischen Mächte und der Etablierung eines neu- bzw. volksdemokratischen Staates mehrerer revolutionärer Klassen unter der Führung der Arbeiterklasse.

In der DDR war als Etappenziel bis 1949 die Errichtung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung im Bündnis mit der Sowjetunion festgelegt. Danach wurde als Etappenziel der Aufbau des Sozialismus in der DDR festgelegt. …

In der BRD war das Etappenziel seit Anfang der 50er Jahre Sturz des (wiedererstandenen) deutschen Imperialismus. Die „Stalin-Note“ von 1952 war der letzte Versuch, eine antifaschistisch-demokratische Entwicklung in Gesamtdeutschland zu ermöglichen. Seitdem war in der BRD der deutsche Imperialismus der Hauptfeind und sein Sturz durch die Errichtung der proletarischen Diktatur, des Sozialismus, das Etappenziel. Auf dem Weg dorthin bestand immer die Gefahr der Ablösung der bürgerlich-demokratischen Republik durch den Faschismus. …

Die Schwächen der Analyse zeigen sich aktuell auch im Abgehen von der Erkenntnis, dass wir uns in einer Epoche der Kriege und Revolutionen befinden, im Imperialismus, dem letzten und höchsten Stadium des Kapitalismus, als faulender, parasitärer und sterbender Kapitalismus und als Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats (siehe dagegen Vorstellung vom „transnationalen Kapitalismus“). Ebenfalls als analytische Schwäche sind Aussagen zum „kollektiven Imperialismus“ zu kennzeichnen, die die Widersprüche zwischen den imperialistischen Großmächten zum Teil negieren und daraus eine partielle Friedensfähigkeit des Imperialismus ableiten und die Kriegsgefahr, die vom deutschen Imperialismus ausgeht, leugnen. Damit eng verbunden ist die Unterschätzung bzw. Leugnung der faschistischen Gefahr[13]. Dabei ist auch der Schwäche in der Analyse zu begegnen (s.a. Erklärung der Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“ in KAZ 312), die den deutschen Imperialismus als übermächtig mystifiziert und so zum Defätismus, zur Schicksalsergebenheit bzw. zum zynischen Kommentieren der eigenen Schwäche beiträgt.

Zusammengefasst geht der Kampf der deutschen Arbeiterklasse:

Gegen den Imperialismus, den deutschen Imperialismus insbesondere, aber nicht nur gegen den deutschen.

Und es gilt: Dieser Hauptfeind ist mächtig, brutal und verschlagen, aber auch angreifbar, verwundbar und besiegbar, weil historisch dem Untergang geweiht.

Zurückgewiesen werden muss die enge Interpretation des proletarischen Internationalismus mit der bornierten Sicht nur auf die Arbeiterklasse im eigenen Land, die dann richtig geprügelt wird, wenn sie den Hintern nicht hoch kriegt. Die Losung heißt: Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch! Dafür stehen die sozialistischen Länder, die Volksbefreiungsbewegungen, der Kampf der Nationen gegen Unterdrückung und Demütigung durch den Imperialismus und dafür steht der Klassenkampf in Betrieb und Staat der Arbeiter in allen Ländern um ihre Arbeits- und Lebensbedingungen und um die Macht im Land.

Hüten sollten wir uns, in „imperialistischen Ökonomismus“ (s. Lenin Bd. 23) zu verfallen, mit dem haarklein die Unvermeidlichkeit von Kriegen aufgezeigt wird, ohne darin mehr die Chance zum eigenen Sieg zu erkennen und zu benennen – und so dem Defätismus Vorschub leistet.

Dass wir nur siegen können, wenn wir eine zielklare in der Arbeiterklasse und in den Massen verankerte revolutionäre Partei haben;

Dass wir diese Partei noch nicht haben, sondern dass sie aufgebaut werden muss;

Dass wir dazu die scharfe Auseinandersetzung mit allen sozialdemokratischen und anderen im Kern bürgerlichen Strömungen führen müssen, ohne uns dabei von den Massen in Betrieb und Gewerkschaft isolieren, wird die Nagelprobe sein, ob auch aus Deutschland wieder ein Beitrag zur revolutionären Veränderung der Welt kommen kann.

Arbeitsgruppe 1. Weltkrieg:

R. Corell, Karlchen, aha, Nahber, Rob.

Patriotismus und Patriotismus

Die scharfe Betonung unserer grundsätzlichen Auffassung aber, das ist es, was wir in der Rede Noskes vermißt haben. Sie hat stark, allzu stark die nationale Solidarität betont. Sie hat dagegen mit keinem Worte ausgesprochen, dass es eine proletarische Klassenpartei gibt, die nicht vor den Grenzpfählen haltmacht. Wir wollen nichts verheimlichen, wir wollen keine Zweifel darüber lassen, dass zwischen unserem Patriotismus und dem Patriotismus der herrschenden Klassen nicht ein Unterschied des Grades, sondern ein Unterschied des Wesens besteht. Der Patriotismus der herrschenden Klassen ist konservativ, ist reaktionär; er hat nur ein Ziel: diesen Klassen das Vaterland als Domäne der Klassenausbeutung und Klassenherrschaft zu erhalten und diese Klassenausbeutung über die Landesgrenze hinaus auf das Proletariat anderer Länder auszudehnen. Der Patriotismus des Proletariats ist dagegen revolutionär. Er geht von der Auffassung aus, dass das Vaterland erst im Kampfe gegen den inneren Feind, die bürgerliche Klassenherrschaft, erobert werden, dass es umgewälzt werden muß, um ein Vaterland für alle zu sein.“ (Clara Zetkin, Diskussionsbeitrag auf dem Essener Parteitag der SPD, 17.9.1907)

1 Außerordentlicher Internationaler Sozialisten-Kongress zu Basel am 24. und 25. November 1912, Berlin 1912, S. 23 –27

2 zit. nach Heinz Wohlgemuth, Burgkrieg nicht Burgfrieden, Berlin 1963, S. 46

3 a.a.O., S. 48

4 „Gleich in seiner ersten Reichstagsrede [, am 25. April 1907], als das Reich für einen ‚Platz an der Sonne’ aufrüstete, schlug der Abgeordnete Töne an, die das Parlament bis dahin von einem ‚vaterlandslosen Gesellen’ noch nicht vernommen hatte: ‚Wir wünschen, dass Deutschland möglichst wehrhaft ist.’ Es sei ‚unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ... dafür zu sorgen, dass das deutsche Volk nicht etwa von irgendeinem Volk an die Wand gedrückt wird‘. SPD-Chef Friedrich Ebert meinte später, ‚die Programmrede der deutschen Sozialdemokratie für den Weltkrieg’ gehört zu haben. Als es soweit war, schrieb Noske: ‚So ist denn Krieg im Land. Uns alle beherrscht jetzt nur eine Frage: Wollen wir siegen? Und unsere Antwort lautet: Ja.‘„ (s. Spiegel 28.3.1988)

5 In Briefen „Liebster Nicky“ – so von seinem Verwandten aus dem deutschen Kaiserhaus der Hohenzollern, Wilhelm II., – angesprochen, die z.B. enden mit der Formel: „von Deinem Dich liebenden Vetter und Freund Willy” (vgl. https://archive.org/stream/briefewilhelmsii00will/ briefewilhelmsii00will_djvu.txt)

6 vgl. Geschichte der KPdSU, Berlin 1977, S.-187f.

7 zit. nach Heinz Wohlgemut, a.a.O., S. 61 ff.; ausführlicher auch: Karl Liebknecht, Klassenkampf gegen den Krieg, in: Gesammelte Reden und Schriften, Bd. VIII, Berlin 1958, S. 19 ff.

8 zit. nach Rosa Luxemburg: Die Krise der Sozialdemokratie, in: Politische Schriften II, Frankfurt 1966, S. 32f.

9 Karl Liebknecht, Klassenkampf gegen den Krieg, in: Gesammelte Reden und Schriften, Bd.  VIII, S. 63

10 Seit der Reichskonferenz der Gruppe „Internationale“ im Januar 1916 werden die Spartakus-Briefe herausgegeben und die Organisation in Spartakus-Gruppe umbenannt.

11 Es wurde als Aufruf der Gruppe „Internationale“ im Mai 1915 herausgegeben.

12 Auch die neu kursierende Bestimmung Deutschlands als „Vasallenstaat“ geht in diese Richtung, wenn auch der Charakter der BRD als eines imperialistischen Landes nicht mehr geleugnet wird.

13 Drohte bis 1989/90 die faschistische Gefahr vor allem im Zusammenhang mit einem möglichen Überfall auf das sozialistische Lager verbunden mit deutschem Ostlandritt, so geht sie heute von einem Krieg aus, der von einer deutsch-dominierten Allianz um die Neuaufteilung der Welt geführt wird.

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Kämpferische Antikriegsstimmung in der deutschen Arbeiterklasse vom Attentat in Sarajewo bis noch kurz vor den Kriegserklärungen – hier ein Zusammenschnitt aus der „Schwäbischen Tagwacht“, dem SPD-Organ für Württemberg.

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Das 1961 erstmals erschienene Buch des Historikers Fritz Fischer „Griff nach der Weltmacht“ zeigte erstmals von der bürgerlichen Seite her die deutsche Verantwortung für den Weltkrieg. Fischer deckte die Kriegsziele der Wirtschaft auf und die systematische Kriegstreiberei der „Eliten“ des kaiserlichen Deutschland auf.

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Gustav Noske (SPD): Vom Protagonisten der Vaterlandsverteidigung zum Schlächter der Revolution und zum Auftraggeber für den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

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Krupp, den Liebknecht schon in seinen Parlamentsreden vor 1914, als Kriegstreiber angeprangert hatte, wird nun zum Kriegshelden stilisiert, der mit der „dicken Berta“ (der damals größten Kanone der Welt) „deutsche Grüße aus Essen“ auf die Feinde niederprasseln lässt.

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Die Hoffnung der deutschen Arbeiterklasse, Karl Liebknecht, erhebt als erster und einziger Reichstagsabgeordneter seine Stimme gegen den massenmörderischen Krieg und für seine Verwandlung in den Klassenkrieg.

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