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Das humane Genomprojekt

Ziele, Arbeitsweise und Erwartungen des humanen Genom Projekts

Über Mendel (Postulierung von Erbelementen) und der Entdeckung von Chromosomen im 19. Jahrhundert sowie der Definition des Begriffs „Gen“ (1909), des Nachweises, dass Nukleinsäuren die Träger der Erbsubstanz sind (1944) (siehe Gene, Eiweiße und Evolution), der Entdeckung, dass die Erbinformation in einer Doppelhelix organisiert ist (1953) und des Nachweises, dass die Erbkrankheiten Phenylketonurie und Sichelzellanämie durch eine Mutation in einem Gen bedingt sind (60er Jahre) hat eine „Genetisierung“ unseres Lebens stattgefunden. In unserer Gesellschaft hat sich ein Erbparadigma breit gemacht, nach dem auch normale Eigenschaften, Charakter und psychische Ausprägungen als im Wesentlichen vererbt gelten. Dies wird begünstigt durch die vererbungstheoretische Fundierung der Medizin (vgl. von Schwerin S.9 – siehe Quellenliste auf Seite 44).

Hieraus ergab sich ein allgemeines Interesse an der Genomforschung.

Aus „menschelnder“ Sicht liegt der Genomforschung die Frage zu Grunde, warum unterscheiden wir uns von Tieren oder von anderen Individuen? Warum entwickeln wir uns zu dem, was wir sind?

Aus unternehmerischer Sicht: die Erwartung einer profitabel vermarktbaren Ressource für Diagnostik und Therapie, aber auch gentechnischer Veränderung von z.B. Nutztieren und Nutzpflanzen.

Dank einer gut laufenden Public Relations-Maschinerie sollen wir uns von der Genomforschung neben den Einblicken in unser Selbst, die Möglichkeit zur Heilung von Krankheiten insbesondere von Krebs, neurologischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Alzheimer oder auch von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhoffen. Es soll die Möglichkeit zur Entwicklung besserer, spezifischerer und verträglicherer Medikamente und Behandlungsverfahren entstehen. Der Spiegel schreibt hierzu: 1. Die Erkenntnisse der Genomforscher werden es den Ärzten ermöglichen, die individuellen Erbanlagen ihrer Patienten zu bestimmen und die Behandlung darauf abzustellen; und 2. Die Genanalyse wird offenbaren, von welchen Leiden einem Patienten besondere Gefahr droht; die Mediziner werden deshalb nach Wegen suchen, deren Ausbruch zu verzögern oder zu verhindern (Das entschlüsselte Genom, Der Spiegel 15/2000).

Craig Venter „der Protagonist“ des Genom-Projekts von Celera sagt: „Mit der Genomik verändert sich die Lage von Grund auf, da sie erlaubt, nicht mehr ein einzelnes Gen, sondern alle Gene, alle Proteine und alle Funktionen auf einmal zu untersuchen. Jede menschliche Krankheit wird sich in Zukunft anders behandeln lassen, und früher oder später wird diese Veränderung auf jeden Sektor der Humanbiologie übergreifen.“ (aus FTE Sonderausgabe, Januar 2001, Diskussionen um das Genom, http://europa.eu.int/comm/research/rtdinfo/de).

Das waren der Hintergrund und die Erwartungen, als im Jahr 2001 die „Entschlüs­selung“ des menschlichen Genoms der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde.

Genomforschung

meint in erster Linie die „systematische“ und koordinierte Entschlüsselung des Genoms durch das Human Genome Project (HGP) unter der Ägide der „Human Genome Organization (HUGO)“, das neben staatlichen Mitteln auch von Amersham, Aventis (der Zusammenschluss von Hoechst und Rhône-Poulenc), Novartis (Zusammenschluss der schweizer Konzerne Ciba-Geigy und Sandoz) u.a. gesponsert wird, und durch das rein privat finanzierte Projekt von Celera Genomics.

Das internationale Sequenzierkonsortium des HGP unter Leitung des HUGO bestand im Jahr 2001 als loser Verband nationaler Genomforschungsprojekte aus weltweit über 30 Ländern. Begonnen wurde mit der Arbeit 1990. Beteiligt sind Forschungseinrichtungen u.a. aus den USA, Großbritannien, Japan, Frankreich, Deutschland (seit 1995) und China (seit 1999)[1] . Die Gesamtkosten der Arbeitsversion liegen weltweit bei 300 Mio $. Unter Einrechnung von Kosten für nötige Technologieentwicklungen, Funktionsanalysen, Sequenzierung[2] von sog. Modellorganismen (Maus, Wurm, Fliege und Bakterien), Untersuchungen zu genetischen Erkrankungen sowie zu ethischen und rechtlichen Fragestellungen wurden für den Zeitraum von 1990-2005 Kosten von 3 Milliarden Dollar veranschlagt (nano online 26.06.2000).

Das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung), das mit der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) das Deutsche Human Genom Projekt (DHGP) trägt, definierte nüchtern folgende Ziele und Schritte für das HGP (BMBF 2001):

1. Verständnis des menschlichen Organismus auf molekularer Ebene durch umfassende Analyse der DNA-Sequenz, durch systematische Identifizierung und Charakterisierung von Struktur, Funktion und Regulation menschlicher Gene, insbesondere medizinisch relevanter.

2. Dies soll zum Ansatzpunkt für das Erkennen und Behandeln von Krankheitsursachen werden. Genetische Veränderungen im Entstehungskomplex von ca. 10.000 Krankheiten werden vermutet.

Auch das BMBF sieht ein, dass dieser Prozess nicht trivial ist. Zunächst musste die Abfolge aller 3,2 Mrd. Basenpaare bestimmt werden, um eine Katalogisierung des Genoms vornehmen zu können, ohne die das System undurchschaubar wäre (BMBF 2001, u.a. S.8 u.17). Da nur 1-2% der genomischen Buchstabenreihe auch wirklich Gene sind und auf Grund der Methoden[3] , die verwendet wurden, ist es ein schwieriges Unterfangen, Gene zu „entdecken“. Mit enormer EDV-Leistung mussten und müssen die Sequenzen zunächst überprüft werden und mit vorhandenen „Gen“-Datenbanken verglichen werden.

Sowohl die bereits identifizierten (15.000) – was ohne die „konventionelle“ Forschung der letzten 30 Jahre nicht möglich gewesen wäre – und die durch Berechnungen vorausgesagten Gene (ca. 17.000) (Genangaben nach BMBF-2001) stellen für die Biotechnologie Goldadern dar und die Claims werden dank reichlich fließender Börsengelder und Patente abgesteckt.[4]

Die Postgenomära

Die Leistung der beiden Genom Projekte, des internationalen HGP und des Genomprojekts von Celera besteht in der nahezu vollständigen Sequenzierung und Kartierung des menschlichen Genoms. Mit Schrecken aber mussten die Wissenschaftler und noch viel mehr die privaten Geldgeber im Jahr 2001, „dem Jahr der Entschlüsselung“, konstatieren, dass das menschliche Genom tatsächlich nur aus ca. 32.000 Genen besteht[5]. Der Mensch besitzt aber ca. 500.000 bis eine Million verschiedene Proteine. Das war ein Schlag gegen die ganze bisher vorherrschende Denkwelt. Die Hypothese der Molekularbiologie und Molekulargenetik, nach der ein Gen für ein Protein kodiert, griff zu kurz. Dies zeichnete sich zwar schon Ende der neunziger Jahre ab, aber die Wissenschaftler des humanen Genomprojekts konnten weder sich noch ihren Geldgebern ihren Denkfehler und konzeptionellen Fehler eingestehen. Die in Gang geratene bürokratische, technische und ökonomische Maschinerie musste und muss weiter laufen (Strohman 2001). Wie lässt sich so ein Projekt retten, ohne die bisherige Denkweise vollends aufgeben zu müssen und ohne die Geldgeber zu vergraulen? Man formuliert neue Ziele und schafft neue Projekte, mit denen der Mythos des Genoms nicht verloren geht. An die Sequenzierung, Kartierung und Identifizierung der Gene schließt sich die Erforschung der Funktion und Regulation[6] von DNA-Abschnitten, Genen und Genabschnitten an. Die Postgenomära hat bereits angefangen. Schlagwort ist die funktionelle Genomanalyse mit den Aspekten

– Expression und Genregulation u.a. durch Analyse von Modellorganismen

– DNA-Chip-Technologie

– Proteom

– Identifikation von sog. Zielmolekülen für die Pharmaindustrie

Diese Begriffe finden sich auch in der Beschreibung der zweiten Projektphase des DHGP. Die Zielsetzung des DHGP ist die Identifikation der Funktion der Gene: welche Proteine werden durch ein Gen kodiert, wie interagieren sie, welche Funktion kommt ihnen in einer Zelle zu. „Gesunde (!!!) Gene“, so das BMBF, müssen mit den entsprechenden defekten (!!!) Genen verglichen werden, um die Krankheitsentstehung zu verstehen (BMBF 2001, S8). Wir wissen nichts, nur was gesund und was defekt ist allemal!

Beispielhaft wollen wir den Komplex

Proteom und Proteomics

betrachten. Proteom steht für die Gesamtsumme der vielen verschiedenen Proteine eines Organismus, sowie Genom für die Gesamtheit aller Gene eines Individuums steht.

Ca. 32.000 Gene kodieren für ca. 500.000 bis 1 Million verschiedene Proteine. Die Potenzierung von so wenigen Genen in so viele unterschiedliche Proteine kann nur partiell dadurch erklärt werden, dass während und nach Transkription (Umschrei­bung von DNA in RNA) und Translation (Übersetzung einer RNA-Sequenz in Aminosäureabfolge eines Proteins) Modifikationen der Information bzw. des Moleküls stattfinden. Es wird vermutet, dass ein Gen für 6 bis 8 verschiedene Proteinprodukte kodiert. Hinzu kommt, dass diese Eiweiße durch chemische/enzy­matische Prozesse weiter verändert werden können: Anheften von Zucker- und Phosphatmolekülen sowie enzymatische Spaltung (Mertens, 2003).

Ein Genetiker kann mit der reinen DNA-Sequenz nicht viel anfangen. Erst wenn man die Abschnitte gefunden hat, die für ein gesamtes Protein oder einzelne Proteinabschnitte kodieren, wird es für die Wissenschaft spannend und für die Pharmaindustrie unter Umständen lukrativ.

Proteine werden gerne als kleine dreidimensionale Maschinen beschrieben. Einige Proteine arbeiten als Enzyme, die chemische Reaktionen hundertfach beschleunigen, andere bewerkstelligen Bewegung oder sind Bestandteil von stabilisierenden Fasern in der Zelle oder im Bindegewebe, andere sind Botenstoffe (z.B. Hormone), die über die Blutbahn durch den ganzen Körper zirkulieren, andere sind Rezeptoren, die ein Signal von außerhalb einer Zelle umformen und ins Innere der Zelle weiterleiten und dort eine Kaskade von weiteren Proteinen den Stoffwechsel und die Aktivität von Genen steuern. „Proteine sind gleichzeitig Produkte der Gene und Herrscher über deren Funktion“ (Mertens, 2003).

Das Proteom (indes) definiert den jeweils aktuellen Zustand einer Zelle, bzw. eines Organs und letztlich des gesamten Phänotyps. Es geht um das Verständnis des individuellen lebendigen Menschen auf molekularer Ebene“ (Tiedemann 2000, aus von Schwerin, S.45). Kein Wunder, dass Forschung und Industrie an der Proteinforschung interessiert sind, um mehr über Funktion, Struktur und Nutzbarmachung zu lernen. Nicht zuletzt lassen sich Aktionären und sonstigen Geldgebern leichter die Funktion, Nutzen und mögliche industrielle/kommerzielle Verwendung eines konkreten Proteins als einer abstrakten Gensequenz erklären. In diesem Zusammenhang ist die Proteomik ein Wolf im Schafspelz. Der Begriff der Proteomik ist zwar neu, aber die Denk- und Arbeitsweise ist wesentlich älter als die der Genomik. So wie Proteom und Genom zusammenhängen, hängt auch die Proteomik mit der Genomik zusammen.

So wie die Gestalt und das Wesen eines Organismus in der Genomik auf die Gene reduziert wird, so wird in der Proteomik Funktion, Entwicklungsstand und Fertigkeiten einer Zelle oder eines Organismus auf das Vorhandensein und die Funktionsweise von Proteinen reduziert.

Im Gegensatz zu einer im Großen und Ganzen noch spekulativen Genomik ist die Proteomik wesentlich handfester. Dies begründet sich darin, dass:

1. nicht mit einer kodierenden Buchstabenabfolge gearbeitet wird, deren Information erst noch in ein Produkt umgesetzt werden muss, auf dem Weg dorthin noch mannigfach modifiziert werden kann und im aktuellen Stoffwechsel des Körpers/der Zelle schläft, sondern dass das fertige Endprodukt, als physiologische Größe im Zentrum der Arbeit steht (von Schwerin S.48).

2. seit Jahrzehnten wesentlich mehr Wissenschaftler und Arbeitsgruppen (Proteinchemiker und Biochemiker in den Bereichen Biologie, Chemie, Pharmazie und Medizin) an und mit Proteinen gearbeitet haben und die Erfahrungen größer und Erkenntnisse breiter sind.

3. die Proteomik die wesentlich komplexere Situation eines Organismus erkennt und nicht in gleichem Maße simplifiziert wie es die Genomik nach außen hin tut.

Dies trifft aber nur solange zu, wie Proteine nicht als Ausfluss einer genetischen Information und begrifflich Genmaschine durch Proteinmaschine ausgetauscht wird (von Schwerin S.45f).

Denn darin liegt der wesentliche Mangel in der Denkweise: im biologischen Reduktionismus und Determinismus.

Exkurs: Genetischer Determinismus/Genetischer Reduktionismus

In unserer wissenschaftlichen Denkstruktur bestand und besteht die Tendenz Phänomene mechanisch-materialistisch erklären zu wollen, quasi auf eine korpuskuläre Ursache (physikalische und chemische Wechselwirkung von Atomen) zurückzuführen. Die Molekularbiologie und die Molekulargenetik haben ihr Korpuskel im Genom gefunden, das es nur zu entschlüsseln und zu verstehen gilt, um die Natur des Menschen erklären zu können.

Reduktionismus bedeutet nach Duden : Isolierte Betrachtung von Einzelelementen ohne ihre Verflechtung in einem Ganzen oder von einem Ganzen als einfacher Summe aus Einzelteilen unter Überbetonung der Einzelteile, von denen aus generalisiert wird.

Diesen Reduktionismus findet man sehr stark in der Molekularbiologie und noch viel stärker in der Molekulargenetik, die die Methoden der Molekularbiologie nutzt: Das Verhalten eines Organismus/des Ganzen soll auf physikalische und chemische Interaktionen zurückgeführt werden und wird da­rauf zurückgeführt. „Unabhängig von den jeweiligen (der Molekularbiologie bzw. Molekulargenetik) speziellen Interessen an Proteinen, Hormonen oder anderen Biomolekülen ist die DNA der konzeptuelle Ausgangspunkt (=DNA als Schlüsselmolekül), von dem aus die Molekularbiologie verstanden wird.“ (nach von Schwerin S.15)

Nach dem Bundesministerium für Bildung und Forschung ist im Genom nicht nur festgelegt, welche Eigenschaften vererbt werden, es steuert auch die Zellteilung und alle übrigen zellulären Prozesse und damit Wachstum und Lebensvorgänge eines Organismus überhaupt (BMBF 2001). Dies ist Reduktionismus pur und weist auf den damit verbundenen Determinismus hin. Determinismus sagt, dass sich aus einer bestimmten Ursachenkonstellation eine genau bestimmte Wirkung stets ergibt.

Das Grundprinzip der genetischen Denkweise besteht darin, dass der Genotyp den Phänotyp bestimmt. Die biologische Theorie des genetischen Determinismus geht damit davon aus, dass sich also aus einer bestimmten genetischen Ausstattung ein Erscheinungsbild (Phänotyp) eindeutig ableiten lässt, dass mit Genen bzw. DNA alle komplexen Merkmale eines Organismus erklärt werden können.

Der genetische Determinismus kann auf Mendel zurückgeführt werden. „Aus den Mendel’schen Regeln ergibt sich die Annahme, dass ein Merkmal bzw. das Symptom einer Krankheit auftritt oder nicht, je nach dem ob ein Gen vorhanden ist oder nicht. Und entsprechend der Verteilungsmöglichkeiten der Gene bei der Reifung der Keimzellen und bei der Befruchtung erfolgt das Auftauchen und Verschwinden eines Merkmals oder einer Krankheit von Generation zu Generation regelhaft. Diese Regeln werden durch die Mendel’schen Erbgänge beschrieben. Viele Merkmale verhalten sich aber nicht entsprechend der Annahmen. Für sie kann nicht ohne weiteres ein Erbgang gefunden werden. Um diese ‚Unregelmäßigkeiten‘ in die Mendel’sche Theorie integrieren zu können, wurden ergänzende Konzepte eingeführt, also Zusatzannahmen, die die grundlegende Theorie nicht in Frage stellten. Die Konzepte der Expressivität (die Ausprägung von Merkmalen wird nicht allein durch Gene bestimmt) und der Penetranz (ein Merkmal kann zwischendurch nicht auftreten, obwohl das Mendel’sche Gen vorhanden ist) sind Beispiele hierfür.“ (von Schwerin S.11ff.) Statt dieser Ausflüchte, um die alte Denkweise zu retten, werden heute Ansätze diskutiert, die die Regulation der Gene als dynamischen Prozess verstehen: Das Innen und das Außen einer Zelle stehen über Rezeptoren und Botenstoffe in einem ständigen Kontakt. Kommt ein Signal von außen, wird es transformiert, über Signalkaskaden kommt es zur Zellaktivierung oder -deaktivierung. Je nachdem in welchem Aktivitätszustand oder organischem Kontext sich eine Zelle befindet, kann das gleiche Signal unterschiedliche Signalkaskaden und somit unterschiedliche Gene aktivieren. Über Schwellenwerte eines solchen Systems ist noch nichts oder wenig bekannt. Auch die Wechselwirkungen von verschiedenen Proteinen mit der DNA selbst oder den Transkriptions- und Translationsapparaten sind nur unvollständig verstanden. In einer Zelle sind nie alle Gene aktiv, aber selbst wenn ein Gen aktiv ist, heißt das noch nicht, dass das entsprechende Produkt auch wirklich erzeugt wird (Expression eines Proteins).

Diese Systeme werden als komplex bezeichnet und derzeit versuchen einzelne Forscher dieser Problemstellung mit Netzwerkmodellen gerecht zu werden (Strohman 2001).

In diesen Ansätzen wird deutlich, dass Gen und Umfeld in Wechselwirkung zusammengehören. (s.a. Gene, Eiweiße und Evolution S.47 ff.)

Eugenik ist „schlechte Genetik“

Die Genetik versucht sich selbst auf Molekulargenetik zu reduzieren. Ihre Werkzeuge sind z.B. Gen-Krankheit-Assoziationsstudien: In diesen Studien wird zunächst ein bestimmter Bevölkerungsausschnitt und ein so genannter Genmarker ausgewählt. Der Genmarker muss nicht mit dem ursächlichen Gen (Krankheit oder Phänotyp auslösendes Gen) identisch sein. Beide müssen sich aber in räumlicher Nähe zueinander auf dem Genom befinden. Die Ergebnisse dieser Studien werden anschließend auf die gesamte Bevölkerung übertragen (vgl. von Schwerin, S.16).

Ziel ist es, ein auslösendes Gen oder einen auslösenden Genabschnitt für eine Krankheit X zu identifizieren oder zu bestimmen. Fehlerquellen für derartige Studien liegen in der Auswahl des zu untersuchenden Bevölkerungsabschnitts, der Auswahl des Genmarkers und oft schon in der Art der Fragestellung.

Diese Denkweise der Molekulargenetik wird z.B. durch den Molekularbiologen Templeton wie folgt kritisiert (nach von Schwerin S.16): Diese „Arbeiten stellen Assoziationen (Beziehungen/Abhängigkeiten -. d. Verf.) zwischen Genmarkern bzw. Genen und Krankheiten fest, die nicht eindeutig sind, sondern genauer statistischer Untersuchung bedürften. Damit werden zwar Faktoren der Verursachung einer Krankheit identifiziert, aber die eigentliche Komplexität (d. Verf.: Ausklammerung von Umweltfaktoren oder Co-Faktoren) der Ätiologie (Lehre von den Krankheitsursachen - d. Verf.) wird verkannt. Solche Assoziationen sind unhaltbar als eine Basis für eine ‚neue Eugenik‘ durch Gentherapie auf individueller Ebene oder für das genetische Screening im klinischen Zusammenhang‘ (Tempelton A.R., Science in Context , 11, 1998:384). Das Paradigma des defekten Gens mag für einige klassische genetische Krankheiten zutreffen (Anm. d. Verf.: ca. 0,2-2% aller Erkrankungen, s.a. von Schwerin S.9 und S.26), die aus Funktionsverlust-Mutationen resultieren. Wie auch immer, diese Mutationen betreffen nur einen kleinen Teil der Menschheit. Wenn der Fokus auf gewöhnliche Krankheiten und neurologi­sche und psychiatrische Phänotypen gerichtet wird, dann ist das Paradigma des defekten Gens irreführend. Mehr noch, das Paradigma führt oft zu schädlichen Wirkungen für Individuen[7]. Die Komplexität der Genotyp-Phänotyp-Beziehung bedingt, dass es keine Dinge gibt wie ,ein Gen für die Krankheit X’, trotz all der alltäglichen Schlagzeilen, die das Gegenteil behaupten. Die alte Eugenik war wissenschaftlich diskreditiert, weil sie auf schlechter Genetik beruhte. Die neue Eugenik basiert ebenso auf schlechter Genetik, auch wenn sie in die aufregenden Entwicklungen der modernen Molekulargenetik gekleidet ist.“ (Tempelton A.R., Science in Context, 11, 1998: S.385, nach v. Schwerin, S.17)

Und noch dicker: Von Schwerin berichtet, dass im Frühjahr 2000 die britische Firma Genetic Pharma Ltd. ein Patent für einen Chip angemeldet hat, auf dem 15.000 Gensequenzen untergebracht sind, die nach Meinung der Firma spezifische Aussagen zu „Krankheiten“ wie Herzkreislaufkrankheiten, Krebs, Psychosen, Personalität, Verhalten, Kopfschmerz, sexuelle Dysfunktionen usw. erlauben. (von Schwerin 2001, S.48). Eine derartige Verwendung der DNA-Chip-Technologie ist verwerflich. Hier wird suggeriert, dass Krankheiten wie Psychosen und „Krebs“ oder auch Personalität und Verhalten genetisch verankert seien – also genau das, was durch die Genforschung selbst widerlegt werden konnte. Hier wird durch den Verwertungszwang und die dadurch erzeugte Gier nach Patenten im Ergebnis nichts anderes betrieben, als eine Stigmatisierung der Kranken, die selbst – auf Grund ihrer Erbanlagen – an ihrer Erkrankung „Schuld“ seien. Zudem was hat voraussagende Diagnostik für einen Wert, wenn präventive Maßnahmen noch nicht definiert sind und Behandlungen noch nicht zur Verfügung stehen?

Die Umsetzung der Ergebnisse aus der Genom und Proteomforschung bis heute – Gentechnik und Gentherapie in der Humanmedizin

Zahlreiche Erkrankungen sind durch einen „Proteinmangel“ gekennzeichnet. Dieser Mangel kann erworben sein oder im Rahmen einer genetisch bedingten Erkrankung auftreten. Der Proteinmangel kann durch das komplette Fehlen eines Proteins/Poly­peptids (z.B. Diabetes mellitus Typ I) oder durch das Vorhandensein eines funktionell wertlosen/eingeschränkten Proteins bedingt sein (z.B. Mukoviszidose). Letzteres kann durch eine Mutation im Bereich eines Gens ausgelöst sein, man spricht dann von einer Genkrankheit. Diese Art von Erkrankungen können vererblich sein (Erbkrankheit). Beispiele hierfür sind z.B. die Bluterkrankheit (=Hämophilie), die Mukoviszidose, einzelne Tumorsyndrome.

Insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Krankheitssymptome durch den Mangel an einem im Blut löslichen Protein gekennzeichnet sind, kann die Medizin dank molekularbiologisch/gentechnischer Verfahren relativ einfach therapeutisch helfen. Beim Diabetes mellitus kann z.B. gentechnisch hergestelltes Insulin gespritzt werden[8] .

In der BRD sind aktuell 88 gentechnisch (rekombinant= Einschleusen von mensch­licher DNA in Bakterien, die dann das gewünschte menschliche Protein herstellen) hergestellte Arzneimittel mit über 60 verschiedenen Wirkstoffen zugelassen. Mit ihnen werden acht Prozent des Arzneimittelumsatzes gemacht, das heißt sie sind auch im klinischen Einsatz. (Förstermann 2003 u. Zylka-Menhorn 2003). Rekombi­nante Diagnostika haben sogar einen Marktanteil von 33%. (Zylka-Menhorn 2003). Nach BMBF Angaben sind europaweit 400 Präparate zugelassen und das Marktvo­lumen dieser Arzneien betrug 1998 allein in Deutschland 920 Millionen (BMBF S.24).

Neben dieser gentechnischen Herstellung von Medikamenten wird versucht, Krankheiten durch eine sog. Gentherapie zu behandeln. Gentherapie ist in gewisser Form die Herstellung rekombinanter Proteine im lebenden „kranken“ Organismus. Weltweit werden schon heute 600 verschiedene Gentherapie-Studien durchgeführt. Weitaus häufiger als zur Behandlung von Erbkrankheiten[9] wird die Gentherapie zur alternativen Behandlung von Krebsleiden verwendet (70% der 3500 bisher mit Gentherapie behandelten Patienten). Auch so genannte Gen-Impfungen zur Behandlung von oder zum Schutz vor Viruserkrankungen werden probiert. Die Ansätze sind zwar sehr intelligent und innovativ, aber die Möglichkeiten der Gentherapie sind eingeschränkt und die bisherigen Ergebnisse eher ernüchternd[10]. Dies begründet sich in den Methoden (Förstermann 2003) und in der „komplexen“ Organisation des Genoms.

Ullrich Förstermann resümiert in seiner Arbeit: Gentherapie: Erste Erfolge – viele noch unerfüllte Hoffnungen (Förstermann 2003): Trotz erheblichen wissenschaftlichen Aufwands und eines massiven Erkenntniszugewinns in den letzten 20 Jahren steht die Gentherapie vergleichsweise heute etwa dort, wo sich die konventionelle Pharmakotherapie Anfang des 20. Jahrhunderts befand. Verhaltener Optimismus erscheint angezeigt, auch wenn bislang nur sehr wenige Patienten mit Gentherapie dauerhaft von ihrem Leiden befreit worden sind. Gentherapie deckt ein definiertes therapeutisches Segment ab, ein Alleinmittel wird auch die Behandlung mit Genen nicht sein.

Man kann zusammenfassen, dass trotz reduktionistischer Denkweise (Gen kodiert für Protein-> Gendefekt bewirkt defektes Protein und damit Krankheit) erhält man mit gentechnischen Methoden Eiweiße, die für Diagnostik von Krankheiten und in der Behandlung von Krankheiten hilfreich sind. Die Gentherapie ist hierzu im Vergleich. weniger erfolgreich, dies zeigt an, dass die Biologie komplexer ist als die Denkstruktur der Wissenschaftler.

Zudem wartet die Gentechnolgie mit Heilshoffnungen auf, die sie zum Einen (noch) nicht halten kann und zudem Opfer, nicht nur körperliche, fordert.

Das Genom als Standortfaktor – Die Positionierung der Industrie und von Staaten im Umfeld des Humanen Genom Projekts

Die Geschichte der Entschlüsselung des humanen Genoms und die aktuelle Debatte über den Wirtschaftsstandort Deutschland in der Post­genomära zeigen zweierlei:

Zum einen war von Anfang an die Industrie an der technischen und finanziellen Realisierung und Verwertung des Projekts beteiligt und zum anderen wurden die Einzelprojekte auf national-staatlicher Ebene, nicht im Sinne eines sportlichen Wettkampfes wie der Wettlauf auf den Mount Everest, sondern zur Sicherung oder Erreichung einer wirtschaftlichen Vorreiterrolle gefördert. Eine entsprechende heimische Industrie soll kontinental oder gar weltweit an die Spitze gebracht werden. Das Genom und das Proteom werden quasi kolonialisiert und nicht zuletzt durch Patentierung monopolisiert. Von Anfang an hatte das Ganze mit der viel gepriesenen „Marktwirtschaft“ nichts zu tun. Konzerne, Banken und Staat stellten Gelder nur nach ihren Vorgaben und Interessen zur Verfügung. 1987 wurden in den USA z.B. die ersten Pläne bekannt, die Sequenzierung des Humangenoms mit privaten Geldern durchzuführen und die Ergebnisse profitabel zu verkaufen; parallel wurde ein staatliches Programm mit 1 Milliarde Dollar (berechnet auf eine Laufzeit von 7 Jahren) auf den Weg gebracht. Die „start-ups“ hatten sich danach zu richten, um an den Futtertrog zu kommen. Die Forschungen in den USA hatten dabei erheblichen Vorsprung, deutsche und japanische lagen zurück; deren Aufholjagd ist daher umso aggressiver. Deutlich macht das der Herr von den IG Farben: „Ernst Winnacker, Direktor des Genzentrums in München und später Präsident der DFG fordert ein koordiniertes Genomvorhaben auf europäischer Ebene, damit Europa in der Genomforschung mit den USA und Japan zusammenarbeiten wie auch technolo­gisch konkurrieren könne“ (von Schwerin). War lange Zeit „die Freiheit der Forschung“ die Parole, so geht es jetzt um „eigene“ Patente“, um ein Stück aus dem Kuchen für sich zu reklamieren.

Dieser Wettlauf um das Genom lässt erahnen, dass im staatlichen HGP durchaus eine Tendenz bestand, das Genom und das Wissen darüber zu internationalisieren und der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Dies kann Genomspekulanten und Genomaktionären nicht gefallen haben, und sie haben in Craig Venter ihren Vorkämpfer gefunden. Ihre Ausbeute sind ca. 6.500 Patente, die Celera Genomics im Rahmen seines Genomprojekts angemeldet hat.

In der Zwischenzeit steht fest, dass die Denkweise des HGP zu reduktionistisch war (s.o.). Das Genom arbeitet komplexer als erwartet. Folglich verschob sich das Interesse von Forschung und Wirtschaft auf das Proteom. Interessanterweise zog die Industrie aus dieser fehl gerichteten Forschungspolitik früher Konsequenzen als die staatlichen Programme[11].

Positionierung von Nationen in der Post-Genomära –geplante Weichenstellungen in Deutschland

Kaum ist der Wettlauf um das Genom „abgeschlossen“, hat der Kampf ums Proteom schon längst begonnen. Auch hier findet eine Positionierung von Staaten statt und die Europäer und insbesondere die „Deutschen“ scheinen Nachholbedarf zu haben.

Das BMBF und die DFG haben bereits während der ersten Antragsphase des HGP die biotechnologische Forschung in Deutschland zentralisiert. Ziel des BMBF ist es die Forschungsvorhaben und –aktivitäten „thematisch, strukturell und organisatorisch zur Effektivierung und gezielten „Produktion“ von Ergebnissen auf einander abzustimmen“, um dieses Material in Kooperation mit der Wirtschaft zu verwerten. Die Ergebnisse sollen „in Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze“ umgesetzt werden. Das Konzept sieht wie folgt aus: Von den Arbeitsgruppen gewonnene Materialien (im weitesten Sinne DNA-Fragmente) und Daten wurden und werden an ein sog. Ressourcenzentrum[12] und eine sog. Primärdatenbank[13] geliefert. Alles was an „Materialien, Daten, Publikationen etc. aus dem DHGP stammt, soll auf eine potenzielle Verwertbarkeit überprüft, ggf. akquisitiert und professionell schutzrechtlich abgesichert werden, um marktfähige Produkte, Verfahren und Dienstleistungen zu entwickeln. Das ist u.a. eine Aufgabe der Patent- und Lizenza­gentur (PLA) mit Sitz am Fraunhoferinstitut. Die andere Aufgabe der PLA ist es, die Projekte bzgl. Patentanmeldungen zu beraten und Patentanmeldungsgebühren etc. zu bezahlen. Die PLA ist durch den Verein zur Förderung der Humangenomfor­schung e.V.[14] initiiert und finanziert. Als Gegenleistung haben die Vereinsmitglieder ein für drei Monate beschränktes Erstverhandlungsrecht (Anm. des Verf.: Erstverwertungsrecht?) der „Erfindungen“ aus dem HGP (BMBF 2001)[15].

In Wirklichkeit bedeutet dies, dass die Vereinsmitglieder – diese Wohltäter der Menschheit – sich an staatlich finanzierten Projekten bereichern. Es handelt sich um nichts anderes als spekulative Subventionen des Staates, die der Verbraucher, sprich Patient, erst mit seinen Steuern und später über seine Krankenversicherung bezahlt. Aber wenn es unsere brave deutsche Wirtschaft voranbringt?

Für die 2. Förderphase des DHGP 2000-2003 fordert und berichtet das BMBF (BMBF 2001, S23ff): „Die Zukunft der deutschen Genomforschung: An der Spitze in Europa“ und „Wissenschaftler in deutschen Forschungseinrichtungen sollen 10% der weltweit erteilten Patente halten“.

Für eine „international konkurrenzfähige Genomforschung“ sind für die Jahre 2001-2003 397,3 Millionen € eingeplant (DGHP 61,3 Mio, Ethik 14 Mio, Proteomforschung 66,5 Mio, Bioinformatik 80,1 Mio, Nationales Genomforschungsnetz 175,4 Mio.).

Das „nationale Genomforschungsnetz: Krankheitsbekämpfung durch Genomforschung“ wurde ins Leben gerufen. Um Kernbereich-Kompetenzzentren[16] gruppieren sich indikationsbezogene Netze klinischer Forschung (genetische Aspekte von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Erkrankungen des Nervensystems, Infektionskrankheiten und umweltbedingte Erkrankungen). Es soll eine „Daten-pipeline“ vom Genomforschungslabor direkt in die klinische und industrielle Erprobung und Anwendung gelegt werden (vgl. BMBF 2001, S.27).

Nicht nur in den Verlautbarungen des BMBF, sondern selbst im Deutschen Ärzteblatt wird die „Schlagkraft“ der deutschen biotechnologischen Industrie mit der anderer Nationen verglichen. Von den kapitalistischen Staaten ist nichts anders als (Wirtschafts-)Krieg zu erwarten.

Für mich als Wissenschaftler beschämend ist die Engstirnigkeit der aktuellen Forschungspolitik, die Zentralisation und das Festhalten am genetischen Reduktionismus und Determinismus, auch wenn das BMBF von Erforschung der Genexpression und –regulation spricht, so propagiert es dennoch weiter, dass Krankheiten am Ort der Entstehung, d.h. am Genom geheilt werden können. Die Zentralisation der Forschung zwingt Antragsteller für Forschungsmittel, die Begriffe Genomics, Proteomics und DNA-Chips zu verwenden. D.h. um konkurrenzfähig zu bleiben, musste man sich Moden anpassen, um sowohl den staatlichen als auch privaten Geldgebern ein „Produkt“ zu verkaufen. Dies führt dazu, dass Hochstapelei betrieben wurde und wird. Es ist nicht vorzustellen, dass komplexe Erkrankungen wie Alzheimer oder Querschnittslähmungen durch o.g. Technologien geheilt werden können. Aber in der Kette vom Wissenschaftler über den staatlichen Geldgeber, über die private Wirtschaft, zum Aktionär und zum Konsumenten (Patient) werden Erwartungen geweckt und immer weiter verstärkt. In diese Kanäle fließt Geld dank Einsparungen im Gesundheitswesen. Prosit.

Ran/Arbeitsgruppe Gentechnik

1 In der Bermuda Konvention wurde festgelegt, dass die Sequenzdaten des internationalen HGP kontinuierlich, unmittelbar (binnen 24h), gemeinnützig und für jedermann ohne Restriktion frei verfügbar im WWW veröffentlicht wird. Dies unterscheidet sie inkl. der Methodik vom privat finanzierten Projekt von Celera. Die Bermuda Konvention hat beinahe Völkerrechtsstatus (Unesco Erklärung Mai 2000 aus: nano online 26.06.2000).

2 Durch Sequenzierung (Bestimmung der Basenpaar-Abfolge der DNA) und Kartierung (Lagebeschreibung eines Gens auf den Chromosomen) kann nur festgelegt werden, wo sich ein identifiziertes Gen im Genom befindet, und ob es noch an anderer Stelle des Genoms Kopien gibt, die für das gleiche Produkt/Protein kodieren (= verschlüsselte Produktionsanweisung). Es lässt sich nur begrenzt sagen, ob die jetzt abgebildete Sequenz des Genoms einiger Erdenbürger für sinnvolle Proteine kodiert oder ob evtl. in einigen Sequenzen relevante u.U. krankmachende Mutationen vorliegen.

3 Das HGP wählte eine sog. hierarchische Methode, die auf einer Kombination von Sequenzierung und Kartierung basiert: „Die menschliche Erbsubstanz (DNA) wird in große Fragmente zerlegt. Dann wird die Lage dieser Fragmente auf den Chromosomen bestimmt und auf einer Chromosomenkarte verzeichnet (Chromosomenkarten werden schon seit Jahrzehnten erstellt und immer weiter verfeinert). Die Fragmente werden nun in kleinere, handhabbare Stücke geteilt und sequenziert. Die Stücke überlappen sich in einer kleinen Anzahl von Basenpaaren, die gerade ausreicht, um die Stücke nach dem Sequenzieren wieder zu ordnen. Unter Zuhilfenahme der Chromosomenkarten kann nun die Gesamtsequenz zusammengesetzt werden“ (BMBF 2001, S. 22).

Celera Genomics setzte auf den Ansatz der „Komplett-Genom-Schrotschuss“-Methode, bei der die komplette menschliche DNA in kleine Bruchstü­cke zerkleinert und anschließend sequenziert wird. Ohne Kenntnis der Lage der Fragmente auf den Chromosomen ist die Computeranalyse ungleich schwieriger. Ohne die vom HGP veröffentlichten Chromosomenkarte ist es mit dieser Methode nahezu unmöglich die vollständige Sequenz zusammen zu setzen (nano online 26.06.2000). Die Celera-Methode zeigt den Verwertungsdruck ganz deutlich, wo es darauf ankommt, schnell und rücksichtslos zu Ergebnissen zu kommen, die man als Erfolg ausgeben kann.

4 Folgende Schritte sind notwendig, um von der DNA-Sequenz zur Gen-Struktur, zur möglichen Funktion des Produkts und schließlich zur kommerziellen Verwertung zu kommen:

Im Rahmen des HGP wird menschliche DNA in kleine Bruchstücke zerhackt oder aus einer Zelle gewonnene RNA wird in DNA umgeschrieben (copy DNA). Diese DNA-Bruchstücke werden dann in Plasmid- oder Virus-DNA „eingesetzt“. Diese kann dann in Bakterien oder in eine Zell-Linie eingeschleust werden (dieser Prozess heißt Klonierung, die entstehenden Klone sind Elemente einer Genbank). Wenn ein Gen oder Genabschnitt in Bakterien oder auch Zell-Linien eingeschleust wurde, synthetisieren sie das Protein entsprechend der Abfolge (Sequenz) der eingebrachten DNA. Diese Polypeptide oder Proteine können dann mit unterschiedlich großem Aufwand aus der Suppe isoliert und weiter aufgereinigt werden. Anschließend erfolgen Strukturanalysen, z.B. mit Schmelzkurven, Magnetresonanz und Röntgenanalysen. Diese Strukturanalysen werden digitalisiert, und es lässt sich am Computer eine dreidimensionale Simulation erzeugen. Hieran kann man erahnen, um was für eine Art Molekül es sich handelt (wasserlöslicher Botenstoff, Enzym, Rezeptor etc.). Mit Hilfe gigantischer Rechner wird versucht, diesen Prozess abzukürzen oder zu umgehen. Sobald ein bestimmter DNA-Abschnitt sequenziert ist, wird dieser mit Sequenzen bekannter Gene verglichen (z.B. mit Hilfe der Bioinformatik), daraus kann eine Funktion (s.u.), ein möglicher diagnostischer oder therapeutischer Nutzen abgeleitet werden, dies reicht um ein Patent anzumelden.

5 Rein zahlenmäßig unterscheiden wir uns nur gering von der Genvielfalt eine Fruchtfliege, eines Wurms oder der niedere Nager. Auch stellt sich erneut die Frage was unterscheidet uns denn nun vom Affen. Genetisch ist es wohl weniger als 2%. Der Mensch besitzt nur 300 Gene, die die Maus nicht hat. (s.a. BMBF 2001 und Strohman, S.24-26).

6 Genregulation bedeutet das gezielte An- und Abschalten von Genen während der Entwicklung eines Organismus bzw. im dynamischen Stoffwechsel eines Organs oder auch nur einer Einzelzelle.

7 von Schwerin S.16: „Diese Aussage wird durch ältere wie neuere amerikanische Studien bestätigt, die feststellen, dass genetische Diagnostik bei ätiologisch komplexen Fällen wie Alzheimer´sche Erkrankung oder Brustkrebs mehr schadet als hilft (vgl Council on Ethical and Judical Affairs of the American Medical Association: Multiplex genetic Testing, Hastings Center Report 28, Nr. 4 1998: 15-21; Evans PJ et al. British Medical Journal, 322, 2001: 1052-1056)

8 Gentechnisch hergestellte Medikamente umfassen aber auch: Wachstumsfaktoren für das Knochenmark, „Immunhormone“, zahlreiche Impfstoffe, Antikörper zur Behandlung von Störungen im Immunsystem oder zur Tumorbekämpfung. Auch wenn bisher einige der erwähnten Erkrankungen mit aus Tieren oder auch Menschen (z.B. Blutprodukte) gewonnenen Proteinen behandelt werden konnten, so stellen rekombinante Proteine/Medikamente eine sicherere und z.T. billigere Alternative dar, da z.B. allergische Reaktionen oder Infektionsrisiken reduziert sind.

9 Es sind bis heute über 1000 Krankheitsgene bekannt. Diese sind verantwortlich für ein Drittel der vermuteten 3000 monogenen (nur durch ein „defektes“ Gen bedingte) Krankheiten.

10 Krankheitsbeispiele für erfolgreiche/erfolgversprechende Gentherapie sind das schwere kombinier­te Immundefizienzdefekts (SCID), die Bluterkrankheit A und B. Nur mäßige/ernüchternde „Ergebnis­se“ ergaben Gentherapieversuche bei der Mukoviszidose und der familiären Hypercholesterinämie. Versucht wird eine Gentherapie bei der angeborenen Form des Lungenemphysems (alpha 1-Antitrypsinmangel), der Thalsämie (Defekt im Proteinanteil des roten Blutfarbstoffes), der Phenylketonurie und des Morbus Gaucher (Enzym Defekt der eine schwere Erkrankung des Nervengewebes bedingt). Die somatische Gentherapie kann aber nicht nur mäßig erfolgreich, sondern auch gefährlich sein. 6-8 Todesfälle sind i.R. einer Gentherapie aufgetreten. Der bekannteste ist der Fall Jesse Gelsinger. (Förstermann 2003).

11 dpa meldet: Anfang 2001 sah „C. Venter sich gezwungen, das Amt als Geschäftsführer und Präsident von Celera niederzulegen. Seine brillante Forschung erzielte keine brillanten Gewinne. Für den Erwerb der superschnellen Maschinen hatte Venter das Geld von Investoren gebraucht, die ihrerseits nach Gewinnen verlangten. Die Celera Aktie stieg von 25$ auf mehr als 150$, gab aber auch wieder nach. Die Fülle genetischer Daten, die das Unternehmen zum Abonnementspreis verkaufte, war weniger attraktiv für die Industrie als erwartet. [..]. Mit der Sequenz ohne eine Erklärung ihrer Funktion konnte die Pharmaindustrie nichts anfangen. „Venters Vision, den Weg zu maßgeschneiderten Medikamenten zu ebnen, war nicht ohne weiteres zu verwirklichen. Außerdem hatten Biotechfirmen schon „Rosinen“ aus dem Erbgut des Menschen gepickt und an die Industrie vergeben. Vor allem aber stellt das öffentlich finanzierte HGP seine Daten kostenlos ins Internet“ nano online /dpa/ap 14.03.2002

12 Ressourcenzentrum (RZPD): Anlage und Verwaltung von DNA-Bibliotheken (=Klon oder Genbanken=DNA-Fragmente und cDNAs von Menschen und Modellorganismen). Es bietet seine Dienstleistungen Wissenschaftlern des DHGP und Wissenschaftlern aus der Industrie (Anm. d. Verf.: nur Firmen, die sich im Verein zur Förderung der Humangenomforschung e.V. beteiligen) sowie Wissenschaftlern außerhalb des DHGP an.

13 Primärdatenbank: systematische Speicherung Aktualisierung und Abrufbarkeit aller Sequenzdaten von Mensch und Modellorganismen, der Information über Genorte und regulatorische Sequenzabschnitte und Forschungsergebnisse die mit Materialien des RZPD gewonnen wurden.

14 Gründungsmitglieder sind Asta Medica AG, Aventis Pharma Deutschland GmbH, BASF AG/Knoll AG, Bayer AG, Böhringer Ingelheim International GmBH, Merck KGaA, Roche Diagnostics GmbH und Schering GmbH weiterhin wurden aufgenommen: ARTEMIS Pharmaceuticals GmbH, B.R.A.I.N. AG, Develogen AG, LION Bioscience AG, MorphoSys AG. Diese Unternehmen haben sich zusammengeschlossen, um die Ergebnisse des HGP für den „wissenschaftlichen Fortschritt“ nutzbar zu machen. Aventis, BASF und Bayer sind Nachfolgeunternehmen der IG Farben (Zyklon B).

15 Im BMBF Material findet man weiterhin: „Medizinische Kliniken müssen zunehmend in das HGP einbezogen werden. Hier existiert viel Know-how bezüglich der Rekrutierung von gut charakterisierten Patientenkollektiven. .... Bereits jetzt existieren bei einer Reihe von verschiedenen genetisch komplexen Erkrankungen Familienkollektive, die das Ausland gerne aufkaufen würde, bzw. aufkauft. Leider ist die genetische Epidemiologie in Deutschland noch immer unterentwickelt.“ Übersetzt müsste das heißen: Deutsche Gene sollen nicht an ausländische Firmen verkauft werden)

16 DKFZ, Heidelberg, Max Delbrück Zentrum und Max Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin, GSF München und GBF Braunschweig mit den Schwerpunkten auf Genexpressionsstudien, vergleichender Sequenzierung, cDNA-Forschung, Proteininteraktionen, Genkartierung/Genotypisierung und Mausmodellsystemen

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