Für Dialektik in Organisationsfragen
Seit 25. Mai 2018 ist das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz in Kraft. Es ist das dritte Mal innerhalb von nicht einmal eineinhalb Jahren, dass die CSU die Befugnisse der Polizei in drastischer Art und Weise erweitert, Grundrechte außer Kraft setzt und bürgerlich demokratisches Recht durch Willkür ersetzt.
Mit dem sogenannten Integrationsgesetz, seit Januar 2017 in Kraft, wurde festgelegt, dass die Polizei ohne irgendeinen strafrechtlichen Anlass in Unterkünfte und Wohnungen von Asylbewerbern eindringen und diese durchsuchen kann – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Unter anderem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gilt für diese Menschen seither in Bayern nicht mehr.
Nur ein halbes Jahr später beschloss die CSU mit ihrer Mehrheit im Landtag ein „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“. Danach können sog. Gefährder oder auch andere „Extremisten“ „gerade auch dann, wenn sich noch keine konkreten Straftaten ... gesichert nachweisen lassen“, (aus der damaligen Begründung zum Gesetzentwurf) ohne Gerichtsverhandlung auf Antrag der Polizei vorbeugend unbefristet eingesperrt werden. Voraussetzung ist nur der Beschluss eines Richters, der jeweils nach drei Monaten überprüfen soll, ob von der betreffenden Person noch eine Gefahr ausgeht. Im faschistischen deutschen Reich hieß das Schutzhaft. Tausende Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten verschwanden so in den Gefängnissen und Konzentrationslagern der faschistischen Macht. Die Organisierung jeglichen Widerstands gegen Kriegsvorbereitung und Krieg sollte im Keim erstickt werden. Das war der Grund, warum Anfang 1933 die Herren aus Industrie und Hochfinanz in Hinterzimmern vereinbart hatten, die Nazis an die Macht zu hieven.
Nun legte die CSU einen Gesetzentwurf vor, der nach Meinung von demokratischen Juristen wie dem Rechtsanwalt Hartmut Wächtler, die Polizei mit Machtbefugnissen ausstattet, wie es sie seit 1945 nicht gegeben hatte.
Eine „drohende Gefahr“ soll ausreichen, damit die Polizei mit einem Horrorkatalog an Befugnissen tätig werden kann: Wohnungsüberwachungen, Onlinedurchsuchungen, Beschlagnahme von Briefen, Abhören von Telefonen, Kontensperrungen, Einschleußen von verdeckten Ermittlern sowohl offline wie online bis hin zur Befugnis, E-Mails zu verändern, wie Hartmut Wächtler in der Sendung Monitor berichtet.[1]
Die Polizei soll Kontakt- und Aufenthaltsverbote erlassen, aber auch Menschen untersagen können, ihren Wohnort zu verlassen. All das und noch so einiges mehr soll ganz offiziell nicht mehr nur dazu dienen, Terroranschläge zu verhindern, sondern auch bei anderen vermutlich geplanten Delikten angewandt werden können.
Was aber ist eine drohende Gefahr? Es ist noch nichts passiert, die Polizei kann nicht einmal nachweisen, dass ganz konkret dies oder jenes geplant ist, was sie bisher dem Gesetz nach noch musste. Sondern es reicht der Verdacht der Polizei, dass jemand die Absicht haben könnte, irgendwann einmal eine Straftat zu begehen, um die genannten Maßnahmen ergreifen zu können.
Wer nun immer noch meint, das Ganze beträfe ihn nicht, er habe sich ja nichts zu Schulden kommen lassen, der soll sich die bereits erwähnte Monitorsendung anschauen. Dort wird von einer jungen Frau berichtet, die nur einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war, eine etwas punkige Frisur hat und dadurch ins Visier der Polizeibeamten geriet. All ihr Beteuern, dass sie nicht diese oder jene Absicht hatte, nützte nichts, die Polizei verhängte Meldeauflagen und hat sie weiter im Auge. Etwas nicht zu beabsichtigen, lässt sich eben schwer beweisen, während die Polizei in Zukunft für ihre sogenannten Präventivmaßnahmen nichts mehr beweisen muss.
Oder: Arbeiter, die als aktive Gewerkschafter und Antifaschisten bekannt sind, was für die bayerische Polizei schon von Haus aus suspekt ist, wollen zu einer zentralen Demonstration fahren. Die Polizei muss nun nur behaupten, es sei auf dieser Demonstration mit strafbaren Handlungen, wie z.B. Widerstand gegen die Staatsgewalt zu rechnen, an der die Kollegen voraussichtlich die Absicht haben, sich zu beteiligen. Sie kann dann nach diesem Gesetz diese Arbeiter zwingen, an ihrem Wohnort zu bleiben und sich ständig bei der Polizei zu melden. Und der Straftatbestand „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ kann schneller eintreten, als sich das die meisten vorstellen können. Das war schon bisher so, nun wurde aber im Mai letzten Jahres von der Bundesregierung der entsprechende Paragraph noch verschärft und vor allem das Strafmaß drastisch erhöht. Ein vielleicht sogar unbeabsichtigter Rempler kann genügen, um zu Gefängnisstrafen verurteilt zu werden.
Das Recht auf Freizügigkeit, das Demonstrationsrecht, all die Grundrechte, die das bürgerliche Recht einst vorsah als Rechte der Bürger gegenüber dem Staat, können mit diesem neuen Polizeiaufgabengesetz auf Verdacht hin außer Kraft gesetzt werden. Die Willkür der Staatsgewalt wird so legalisiert und der Errichtung einer faschistischen Diktatur der Weg bereitet.
Fast zeitgleich legte die bayerische Staatsregierung jedoch noch einen weiteren Gesetzentwurf vor, das „Psychisch Kranke Hilfe-Gesetz“. Was sich die CSU als Hilfe für psychisch Kranke vorstellt, ist ähnlich ungeheuerlich, wie das PAG. „Das vom Ministerrat beschlossene Gesetz erklärt psychisch Kranke zu Gefährdern, es macht ihre Ärzte zu Hilfspolizisten und die psychiatrischen Krankenhäuser zu Verwahranstalten im Auftrag der Sicherheitsbehörden. Die von diesem „Hilfe-Gesetz“ betroffenen Menschen sollen, so war der Plan, nach den Regeln des Kriminalrechts in psychiatrischen Krankenhäusern festgehalten und der Polizei gemeldet werden. Für psychisch Kranke, so wollte es der Gesetzentwurf, sollten in der Klinik die Regeln des Strafvollzugs, die Regeln des Maßregelvollzugs und die Regeln der Sicherungsverwahrung gelten. Ihre Entlassung sollte der Polizei annonciert, ihre Krankheitsdaten sollten in einer zentralen Datei gespeichert und von den Sicherheitsbehörden abgerufen werden können“, erklärte dazu Heribert Prantl von der SZ in einem Interview mit der Jungen Welt.[2] Genauso, wie den CSU-Verantwortlichen die Schutzhaft aus dem Faschismus bekannt sein dürfte, wissen sie auch darüber Bescheid, was damals mit psychisch Kranken passierte.[3] Sie wissen also, was es heißt zentrale Dateien mit Namen und Diagnose anzulegen und psychisch Kranke als Gefährder zu behandeln. Das alles noch als „law and order“ Politik abzutun, verharmlost das Treiben der CSU.
Massiver Protest nicht nur von allen möglichen demokratischen Kräften, sondern auch von Betroffenenvereinigungen, von Fachärzten und Kliniken zwang die bayerische Staatsregierung allerdings, den Gesetzentwurf erst einmal zurückzuziehen. Psychische Erkrankung kennt nun mal keine Partei- und Klassengrenzen, da sind auch CSU-ler und solche, die die CSU wählen, unmittelbar betroffen. Das ist allerdings überhaupt keine Gewähr dafür, dass es nicht in nur leicht abgemilderter Form wieder auf den Tisch kommt.
Anders beim PAG. Vierzigtausend Menschen hatten am 10.5.2018 in München dagegen demonstriert. In den Wochen davor waren bereits Tausende in Nürnberg, Regensburg, Würzburg und in anderen bayerischen Städten auf die Straße gegangen. Da demonstrierten neben FDP-lern, Grünen, Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftern auch Fußballfans oder Journalisten- und Rechtsanwaltsverbände. Über 80 Organisationen und Parteien haben sich in dem Bündnis „noPAG“ zusammengeschlossen.
Diese seit vielen Jahren größte Protestwelle in Bayern hinderte die CSU nicht, das PAG gegen die Stimmen der gesamten Opposition im bayerischen Landtag durchzusetzen.
Der Boden dafür, jeglichen Widerstand zu überwachen, zu erschweren und bei Bedarf auszuschalten, hatte für die bayerische Staatsregierung größere Wichtigkeit. Etwas nervös wurde sie angesichts der Breite der Proteste allerdings schon, entsprechend aggressiv reagierte sie. Bereits im Vorfeld der Münchner Demo verlangte sie in einem Dringlichkeitsantrag im bayerischen Landtag von der SPD und den Grünen, „verfassungsfeindliche Organisationen“ wie z.B. die Linksjugend oder die DKP aus dem Bündnis „noPAG“ auszuschließen oder das Bündnis zu verlassen. Andernfalls sei dies „eine Gefahr für unseren Rechtsstaat“. Die Wahrnehmung des Versammlungsrechts ist also nun schon „eine drohende Gefahr“. Ganz im Duktus von AfD- und Pegidaleuten warf Innenminister Hermann den Organisatoren „Lügenpropaganda“ vor, ohne konkret zu benennen, was denn gelogen sei. Polizeibeamte sollen nun in Schulen und Universitäten über die Harmlosigkeit des PAG aufklären und eine Kommission soll die Umsetzung des Gesetzes begleiten.
Der Widerstand soll gespalten werden. Schließlich hat Bundesinnen- und Heimatminister Seehofer (CSU) bereits angekündigt, das bayerische PAG als Vorlage für ein Musterpolizeigesetz zu machen, das für alle Bundesländer gelten soll. Weitere Proteste und deren Ausdehnung auf Bundesebene würden da doch empfindlich stören.
Gleichzeitig verschärft die CSU ihre völkische Hetze gegen Einwanderer, ob seit kurzem oder längerem hier im Land oder auch hier geboren. Kaum als Bundesinnen- und Heimatminister im Amt, erklärte Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, und der bayerische Ministerpräsident Söder lässt in allen Behörden Bayerns Kreuze aufhängen. Die Botschaft ist klar: Ihr gehört nicht dazu! Wer trotzdem hier unser „Gastrecht“ in Anspruch nehmen darf, muss stets freundlich sein, darf sich nicht vordrängeln, muss sich durch das Kreuz deutscher Leitkultur so zu Boden drücken lassen, dass er am besten kaum mehr sichtbar ist. Das Bayerische Ausgrenzungsgesetz wird mit Leben gefüllt.
Dieses unentwegte, immer offenere Schüren einer rassistischen Stimmung, nicht etwa nur durch irgendwelche AfD-ler, sondern durch Staatsrepräsentanten, bereitet den Boden für die nächsten Angriffe auf die Rechtsgleichheit, wie sie CSU-Landesgruppenchef Dobrindt mit seiner Hetze gegen eine angebliche „Anti-Abschiebe-Industrie“ auch gleich ankündigt: Der ganz normale Rechtsweg, gegen behördliche Entscheidungen Widerspruch einlegen und wenn nötig dagegen vor Gericht klagen zu können, wird in Frage gestellt.
1966 erklärte Georg Benz, Vorstandsmitglied der IG-Metall, anlässlich der geplanten Notstandsgesetze: „Die Gefahr, die uns droht, ich möchte es noch einmal unterstreichen, ist der totale Staat im Gewande der Legalität, die Diktatur hinter der Fassade formaler Demokratie.“
Den Weg dazu bereiten heute nicht nur Gesetze wie das neue Polizeiaufgabengesetz, sondern mindestens ebenso der permanente Angriff auf die bürgerliche Demokratie in Form von in Gesetzestext gegossene völkische Hetze, die die Rechtsungleichheit aufgrund von Herkunft und Kultur zum Grundsatz machen. Dass Letzteres spontan weniger als Angriff auf die gesamte Arbeiter- und demokratische Bewegung erkannt wird, zeigt schon alleine die sehr unterschiedliche Zahl der Demonstrierenden gegen einerseits das bayerische Ausgrenzungsgesetz im Herbst 2016 (4.000) und andererseits jetzt gegen das PAG (alleine in München 40.000)
Georg Benz erklärte weiter: „Die Gewerkschaften haben ein historisch begründetes Recht, als Hüter und Sachwalter der Demokratie in diesem Lande ernst genommen zu werden.“
Gewerkschaften werden nur ernst genommen, wenn sie sich selbst als „Hüter und Sachwalter der Demokratie“ ernst nehmen. Wenn ein DGB Bayern oder eine IG-Metall Bayern nicht einmal mit zu den Protesten gegen das PAG aufrufen, dann nehmen die Verantwortlichen die Gewerkschaften und ihre Aufgaben nicht nur nicht ernst, sondern verstoßen dagegen, schwächen die Gewerkschaften und den Kampf gegen diese Schritte hin zur Errichtung einer faschistischen Diktatur.
Führen wir also die Auseinandersetzung in den Betrieben, in den Gewerkschaften, dass der Kampf aufgenommen werden muss gegen den rasanten Abbau der Demokratie, gegen die CSU und ihre Willkürgesetze, gegen diese Angriffe auf uns alle. Und machen wir in unseren Reihen klar, dass es dazu als erstes heißen muss: „Mach meinen Kumpel nicht an!“
gr
(Aktualisierter und erweiterter Artikel aus der „Auf Draht“ vom 24.4.2018)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde,
ich spreche heute gerne zu Euch, aber ich sage Euch: Eigentlich müsste heute und hier nicht ich, sondern jemand ganz anderes von den Gewerkschaften stehen. Nicht die kleine Gewerkschaftssekretärin vom ver.di-Arbeitskreis Aktiv gegen rechts – hier müsste der der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bayern stehen, Matthias Jena!
Ich bin im Bündnis immer wieder gefragt worden:
Wo sind sie denn, die Gewerkschaften?
Und ich sage:
Ja, es ist höchste Zeit, dass die Gewerkschaften von Euch lernen und aufstehen. Es ist höchste Zeit, dass sie sich mit allen – ich betone: mit Allen – ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dieser Entwicklung entgegenstellen, gegen die heute 40.000 protestieren.
Einer Entwicklung, die im Kampf gegen die Notstandsgesetze 1966 Georg Benz, Vorstandsmitglied der IG Metall, so beschrieben hat:
„Die Gefahr, die uns droht, ist der totale Staat im Gewande der Legalität, die Diktatur hinter der Fassade formaler Demokratie.“
Die Gesetze, gegen die wir heute auf die Straße gehen, machen den Notstand zum Alltag.
Dem Staat, seiner Polizei, ist und soll alles erlaubt sein gegen uns.
Und das steht nicht nur auf dem Papier.
Das ist doch längst Tatsache, ob in Hamburg bei und nach dem G-20 Gipfel, ob in Nürnberg, wenn sich Schüler gegen die Abschiebung ihres Mitschülers wehren, ob in Donauwörth, ob in Ellwangen!
Ich stehe heute hier, weil ich will, dass die Gewerkschaften NICHT wieder wie 1933 vor lauter Staatstreue, vor lauter Furcht vor den eigenen Möglichkeiten, sich der Staatsmacht andienen, um dann von dieser verboten und physisch vernichtet zu werden.
Ich behaupte: Unsere Gegner wissen, warum sie uns klein halten wollen.
Sie wissen, dass es stimmt, was ein sichtlich verarmter Kollege auf einer Demonstration gegen die Hartzgesetze auf seinem Schild geschrieben hat:
Es kann auf Dauer nicht gut gehen, den Reichtum Weniger gegen die Armut Vieler zu verteidigen.
Sie verteidigen mit Zähnen und Klauen eine Ordnung, die keine ist.
Sie verteidigen diese Unordnung gegen uns Alle, die wir längst in der Lage sind, uns frei zu machen davon, unser aller Sein oder Nichtsein von einer Handvoll Kapitalisten abhängig zu machen. Diese Zeit ist längst vorbei!
Und auch deswegen stehe ich auch heute hier:
Lasst uns weiter gemeinsam gegen die Grenzen der Gesetze kämpfen – so wie heute.
Aber lasst uns auch die Grenzen in unseren eigenen Köpfen niederreißen:
Ihre Un-Ordnung ist NICHT das Ende der Menschheitsgeschichte!
Lasst uns darüber diskutieren, lasst uns darüber reden, lasst uns dafür handeln, so wie es vor 50 Jahren eine durch die Studentenbewegung aufgerüttelte Gesellschaft getan hat!
In diesem Sinne ende ich mit dem traditionellen sehr alten gewerkschaftlichen Gruß: Er beschreibt die Hoffnung der Bergleute, es mögen sich Erzgänge auftun. Und er lautet:
Glück auf!
1 Siehe: www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-monitor-vom-202.html
2 Junge Welt 12.5.2018
3 Mit der Verschickung der ersten Meldebögen zur „Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten“ im Oktober 1939 begann die systematische Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen während des Hitler-Faschismus. Bis zu 300.000 Menschen wurden so als „unwertes Leben“ bis zur Befreiung 1945 umgebracht – vergiftet, mit Injektionen getötet, vergast.