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Die territorialen Strategien des deutschen Imperialismus

„Auf die großen Jahre der wuchtigen Keulenschläge [1], die das deutsche Volk zu führen hatte, um sich aus beschämender Ohnmacht wieder zu ehrenvoller Stellung im Rate der Völker zu erheben, folge naturgemäß eine Zeit des Aufatmens, des Sammelns, des Besinnens.“[2]

Deutschland wird Weltmacht

Das Gebiet Deutschlands war vor der Reichsgründung im Vergleich zu den anderen kapitalistischen Staaten ein eher rückständiges Land. Folgende Tabelle gibt einige Produktionszahlen[3] für das Jahr 1869 wieder:

Nach der Reichseinigung ging es schnell bergauf mit dem deutschen Kapitalismus. Durch die Einverleibung von Elsaß-Lothringen wurden die lothringischen Minette-Eisenerze mit der Ruhrkohle zusammengelegt, wodurch die westdeutsche Metallurgie und die deutsche Schwerindustrie überhaupt zu einer raschen Entwicklung gelangte, ebenso entwickelte sich die Textilindustrie. Nicht zu vergessen die für damalige Verhältnisse ungewöhnlich hohe Kontribution von 5 Milliarden Goldfranken, die Frankreich an Deutschland zahlen mußte.[4] Eine geschickte Zollpolitik Bismarcks und eine außergewöhnliche Härte gegen das gegen die fortschreitende Ausbeutung und Verelendung aufbegehrende deutsche Proletariat, lassen die oben zitierten Zeilen aus den alldeutschen Blättern mehr als zynisch klingen. Offenbar prägten sich die Erfahrungen aus der gewalttätigen Bismarckschen Politik in den Köpfen der deutschen Bourgeoisie ein. Fortan sollte nahezu jeder Widerspruch und jedes Widerwort mit Gewalt beantwortet werden. Die Sozialistengesetze, erlassen am 21. Oktober 1878, sind dafür ein beredetes Beispiel. Deutschlands Kapitalisten und Machtpolitikern sollte das neu gewonnene Reich bald zu eng werden. Dazu noch mal die „Alldeutschen Blätter“: „Es hatte die Überzeugung Platz gegriffen, daß ein Staatswesen mit so viel überschüssiger, wertvoller Volkskraft eines erweiterten Wirtschaftsgebietes nicht entbehren kann, und daß von der wirtschaftlichen die nationale Zukunft eines Volkes abhängig ist. Heraus aus der bloßen Großmachtstellung in eine Weltmachtstellung!“[5] Die „überschüssige Volkskraft“ sollte bald in einen Krieg geworfen werden, der alles bis dahin gekannte an Brutalität und Menschenverachtung in den Schatten stellen sollte. Dazu war eine weitestgehende Militarisierung der Gesellschaft notwendig. Die schon angesprochenen Sozialistengesetze waren ein probates Mittel dafür. Durch sie wurden die sich organisierenden Proletarier hart getroffen. Ihr Aufbegehren gegen eine rigorose Ausbeutung und eine forcierte Aufrüstung, das sich in der Gründung von Gewerkschaften und Parteien niederschlug, wurde durch Versammlungsverbote, Gründungsverbote für Vereine, Zensur und Verbote, Geld zu sammeln, im Keim erstickt und in die Illegalität getrieben. Während so mit eiserner Hand die Ruhe im Reich hergestellt wurde, schmiedete man in den Stuben der Herrschenden Zukunftspläne, die bis heute die Begehrlichkeiten deutscher Kapitalistenträume ausdrücken. In den „Alldeutschen Blättern“ lesen wir: „Der kluge Mann baut vor. Und wer nicht den Schwertstreich empfangen will, der muß Schwertstreiche austeilen. (...) Dann aber auch den Blick nicht zimperlich, sondern bewußt und entschlossen nach dem Südosten als einer naturgemäßen (sic!) deutschen Interessensvertretung gerichtet! Die Donau, in den vergangenen Jahrhunderten die Hochstraße deutscher Kolonisation, zeigt dem Blicke den Weg nach dem Schwarzen Meere, nach der Balkaninsel, nach Kleinasien. Der alte Drang nach Osten soll wieder lebendig werden.“[6]

Und mit einem sattsam bekannten deutschen chauvinistischen Duktus wird die Legitimation dafür gegeben: „Nach Osten und Südosten hin müssen wir Ellenbogenraum gewinnen, um der germanischen Rasse diejenigen Lebensbedingungen zu sichern, deren sie zur vollen Entfaltung ihrer Kräfte bedarf, selbst wenn darüber solch minderwertige Völklein wie Tschechen, Slovenen und Slovaken, die das Nationalitätenprinzip anrufen, ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten.“[7] Durch derartig markige Sprüche suchte man die eigenen Minderwertigkeitskomplexe durch das Zuspätkommen bei der Verteilung der Welt zu kompensieren. Mit Gewalt gegen das eigene Volk und besonders auch gegen andere Völker versucht sich Deutschland von da an als eine Weltmacht zu behaupten. Einen Vorgeschmack auf das, was die Welt fortan von Deutschland zu erwarten hatte, gab es 1900 in China, als sich deutsche Truppen an der Niederschlagung des antiimperialistischen Aufstandes der Ihotuan (auch Boxeraufstand genannt) beteiligten. Von Wilhelm II. wurden die deutschen Interventionstruppen am 27. Juli 1900 in Bremerhaven mit den Worten verabschiedet: „Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen ... sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt ... gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“[8] Die deutschen Truppen eiferten diesen Worten in blindem Haß nach. Wiederum unglaubliche Brutalität und Unmenschlichkeit bewiesen deutsche Truppen bei der Niederschlagung der Herero- und Hottentottenaufstände von 1904-1907. Nach einem grausamen Kampf gegen die um die Rückgabe geraubten Landes kämpfenden Hereros in „Deutsch-Südwestafrika“ trieben deutsche Soldaten 20.000 Männer, Frauen und Kinder in die Kalahariwüste und ließen sie verdursten. Ähnlich bestialisch ging man gegen den Stamm der Hottentotten vor, von welchem nach dessen Unterwerfung von 200.000 Menschen nur noch 50.000 bis 60.000 am Leben waren. Brutalität und Menschenverachtung wurde zum deutschen „Markenzeichen“, „Made in Germany“, sozusagen. Im Reich war es vor allem der Sozialdemokrat August Bebel, der die Bevölkerung aufzuklären versuchte über die Geschehnisse in den Kolonien, über die Massaker, über Korruption und Verbrechen der Kolonialisten. Seine Aufklärungsarbeit wurde dadurch belohnt, daß die Mehrheit des Reichstages am 13. Dezember 1906 einen Nachtragshaushalt für die Unterdrückung des Aufstandes in Südwestafrika verwarf. Die imperialistischen Kräfte im Reich allerdings nutzten die Auseinandersetzungen um die Kolonien und die Aufstände dazu, eine ungezügelte chauvinistische Hetze in Deutschland in Gang zu setzen, die zum einen die oppositionellen Kräfte in Deutschland treffen und zum anderen die Kriegsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung herstellen sollte.

Die Errichtung eines deutschen Nationalstaates, die Ausplünderung der Kolonien und die Niederhaltung des eigenen Proletariats zeitigten bald auch wirtschaftliche Erfolge. Sehen wir uns ausgewählte Produktionszweige für das Jahr 1910[9] an, können wir erkennen, welch rasanten Aufschwung das Deutsche Reich genommen hatte:

In der Textil- und Kohlebranche hinkte Deutschland England noch hinterher, Frankreich war schon längst abgehängt. Aber eine weitere wirtschaftliche Expansion war für die deutschen Imperialisten auf dem bisher beschrittenen Weg nicht möglich. Mangels einer tüchtigen Hochseeflotte kam Deutschland abermals zu spät, diesmal bei der Aufteilung der Welt (zudem kontrollierte England mit seiner starken Flotte den Zugang Deutschlands zu den Weltmeeren). Die deutschen Kolonien waren zumeist Wüstengebiete mit geringer Bevölkerung - denkbar schlechte Absatzgebiete, aber wenigstens von militärstrategischer Bedeutung.

In den Villen und Palästen der Herrschenden machte man sich Gedanken, auf welchem Wege man doch noch „einen Platz an der Sonne“ erhalten könnte.

Imperiale Strategien werden entwickelt

Wie schon angesprochen, blieb dem deutschen Imperialismus nur die Stoßrichtung nach Südosten, über den Balkan, hin zum verbündeten, halbkolonialen Osmanischen Reich, das damals noch über das Persische Reich bis zum Persischen Golf herrschte. Zwei Handelswege dorthin wurden geplant und mit dessen Ausbau begonnen: Der Rhein-Main-Donau-Großschiffahrtsweg und die Bagdad-Bahn (siehe Seite 30). Die Bagdad-Bahn sollte hinter dem Bosporus an bereits bestehende Schienennetze Europas anschließen. Allerdings verlief ein Großteil der Strecke durch serbisches Gebiet. Serbien unterhielt seit dem Abzug osmanischer Truppen 1867 im Jahre 1878 die volle Unabhängigkeit und unterhielt seit der Gründung des serbischen Königreiches 1882 Kontakte zum Russischen Reich. Eine deutsche Kontrolle über Serbien war nur durch die Zurückdrängung des russischen Einflusses zu machen. Wieder schick­te sich ein deutscher Großmachtpolitiker an, mit markigen Worten eine Totallösung des Problems zu formulieren, Paul Rohrbacher mit seiner „Orangentheorie“, nach der das Zarenreich wie eine Orange in seine Einzelteile zu zerlegen sei, so daß kein unbrauchbares Chaos entsteht, sondern einzelne appetitliche Happen, die man genüßlich verspeisen könne. Behalten wir diese „Theorie“ bei unserer Geschichtsbetrachtung im Hinterkopf und sehen uns später in der Gegenwart angekommen an, was daraus geworden ist! Aber zurück zur Bagdad-Bahn. Der „Sozial-Liberale“ Friedrich Naumann, nach dem die Friedrich-Naumann-Stiftung der F.D.P. benannt ist, hat in seiner 1915 erschienenen Schrift „Mitteleuropa“, all das zusammengefaßt, was bis in unsere Gegenwart die Begehrlichkeiten des deutschen Imperialismus unmißverständlich darstellt. Diese Schrift im Ganzen zu lesen, sei jedem Interessierten wärmstens ans Herz gelegt; eine Auswahl zu zitierender Passagen zu treffen, ist nahezu unmöglich, denn aus jeder Zeile dieses Pamphlets spricht die von Naumann erdachte Zukunft Deutschlands zu uns als grausame, blutige Vergangenheit, deren Wiederholung sich wiederum deutsche Weltmachtstreber anschicken. Verlassen wir nun den geraden Weg der Geschichtsschreibung.

Bagdadbahn:

Eisenbahnlinie von Konya (Türkei) über Bagdad zum Persischen Golf, 1903-1918 von der Dt. Bank und Monopolgesellschaften zu zwei Dritteln fertiggestellt. Der Bau der B. und die sog. Bagdadbahnpolitik kennzeichnen eine der Hauptrichtungen der Expansion des dt. Imperialismus von 1914 und sind ein typisches Beispiel für die Unterwerfung unabhängiger Länder durch das Finanzkapital auf dem Wege der „friedlichen Durchdringung“. Nachdem es dem dt. Kapital bereits in den 80er und 90er Jahren des 19. Jh. gelungen war, in der Türkei wichtige Positionen zu erringen und Bahnkonzessionen in Westanatolien zu erwerben, erhielt am 16. Jan. 1902 die mit Unterstützung der Schwerindustrie (Krupp) von der Dt. Bank u.a. Banken gegründete Anatolische Eisenbahngesellschaft die endgültige Konzession zum Bau der B. Das Projekt brachte dem dt. Imperialismus erhebliche wirtschaftliche Vorteile und politische Einflußnahme. Die Türkei wurde in eine dt. Halbkolonie umgewandelt. Mit der B. verbanden führende Kreise des dt. Imperialismus das Ziel, den Vorderen Orient ökonomisch und politisch zu beherrschen und die Türkei militärisch für den Kampf um die „Neuaufteilung der Welt“ zu nutzen. Die Bagdadbahnstrategie des dt. Imperialismus stieß insbes. beim britischen Imperialismus auf hartnäckigen Widerstand. Die Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Mächten führten zu zeitweiligen Unterbrechungen im Bahnbau. Die Bagdadbahnpolitik des dt. Imperialismus verschärfte die Gegensätze zu Großbritannien und Rußland außerordentlich und trug gleichzeitig dazu bei, die zwischen diesen beiden Staaten bestehenden Differenzen zu überwinden. Sie förderte die Blockbildung der imperialistischen Großmächte.

aus: Wörterbuch der Geschichte, Berlin, 1984, Stichwort.

Im Imperialismus ist das Heute immer auch das Gestern

Wir sind angelangt am Vorabend des ersten Weltkrieges. Die bisherigen Ausführungen sollten deutlich machen, welche Besonderheiten mit dem deutschen Imperialismus, im Gegensatz zu dem beispielsweise Frankreichs oder Englands, verbunden sind. Deutlich werden sollte, was Deutschland für ein Gebilde geworden ist. Niemand anderes könnte es besser beschreiben als Naumann., schon während des ersten Weltkrieges schrieb er: „Vom ersten Tage an wurde der uns aufgedrungene (sic!) Krieg wie eine notwendige ganz allgemeine Pflicht und Arbeit angesehen, die eben getan werden muß. Jedermann erwartete von den verantwortlichen Stellen eine bis ins kleinste gehende durchdachte Organisation. Sobald man fühlte, daß die vorhanden war, fand man die Truppen und Heimatkräfte zu den größten und seltensten Anstrengungen bereit, ohne sich dieses zum besonderen Verdienst anzurechnen. Der Krieg war eben nur die Fortsetzung unseres Lebens (!) mit anderen Mitteln, aber im Grunde mit den gleichen Methoden. Darin wohl liegt das Geheimnis der Erfolge.“[10] Ein weiteres Geheimnis der Erfolge ist sicherlich auch in der gnadenlosen Verfolgung und Bekämpfung jeder Befreiungsbewegung des klassenbewußten deutschen Proletariats zu suchen, das stets dem von Naumann oben beschriebenen „Kriegervolk“ gegenüberstand. Deutlich werden sollte, daß Deutschland ohne Möglichkeit, im großen Stil Seewege zu nutzen, auf den Landweg angewiesen war (ist!). Die Richtung ist mit Osten, Südosten angegeben. (Die Einzelheiten des ersten und zweiten Weltkrieges, sowie der Zeit dazwischen, brauchen hier nicht wiedergegeben zu werden, handelt es sich, unser Thema betrachtend, dabei um die Ausführung der beschriebenen imperialen Begehrlichkeiten deutscher Monopolisten.)

Verknüpfen wir nun die territorialen Gelüste des aufstrebenden deutschen Monopolkapitals vor und während des ersten Weltkrieges mit der gegenwärtigen deutschen Kriegspolitik. Beherzigen wir Naumanns Rat: „Unsere Augen sind also zunächst auf das mitteleuropäische Land gerichtet, das von Nord- und Ostsee bis zu den Alpen, dem adriatischen Meere und dem Südrande der Donauebene reicht. Nehmt die Karte zur Hand und seht, was zwischen Weichsel[11] und Vogesen[12] liegt, was zwischen Galizien[13] und Bodensee lagert! Diese Fläche sollt ihr als eine Einheit denken, als ein vielgegliedertes Bruderland, als einen Verteidigungsbund, als ein Wirtschaftsgebiet! Hier soll aller geschichtliche Partikularismus im Drange des Weltkrieges soweit verwischt werden, daß er die Einheitsidee verträgt. Das ist die Forderung der Stunde, das ist die Aufgabe dieser Monate. Die Geschichte will im Donner der Kanonen darüber mit uns reden; an uns aber ist es, ob wir hören wollen...“[134]

Türkei, Ukraine, Jugoslawien...

Die neue Einheitsidee heißt NATO-Osterweiterung und Ausdehnung der EU nach Osten. Beides würde eine immense Stärkung deutscher Interessen bedeuten. Was zwei Weltkriege nicht zustande brachten, soll nun auf friedlichem Wege geschehen: Ein Handelsgebiet bis in die Ukraine unter deutscher Führung. „Deutschland hat von dem revolutionären politischen Wandel in Europa (gemeint ist die Konterrevolution im sozialistischen Block) am meisten gewonnen.“[15], das steht in dem vom Kriegsministerium 1994 herausgegebenen „Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage und Zukunft der Bundeswehr.“

Und weiter: „Der sicherheitspolitische Umbruch hat die strategische Lage Deutschlands grundlegend verbessert. Zugleich aber muß Deutschland neue internationale Verantwortung übernehmen; denn es besitzt aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen Stärke eine Schlüsselrolle für die Fortentwicklung der europäischen Strukturen und ist aufgerufen (Von wem bloß? Damit können nur die Pamphlete von Naumann und Konsorten gemeint sein, sozusagen als übergeordnete Mission!), zur Lösung der weltweiten Zukunftsaufgaben beizutragen.“[16] Da die Sowjetunion nun wie eine Orange zerfallen ist, sieht man auf der Hardthöhe neue Probleme kommen. (Ihr habt die Karte zur Hand genommen? Dann sehet und staunet!) „So hat die Auflösung der Sowjetunion neue Staaten entstehen lassen und Millionen von Menschen zu Angehörigen von Minderheiten gemacht. Ethnisch bedingte Konflikte bestehen vor allem in Moldawien (Galizien), Georgien, Armenien/Aserbaidschan und Tadschikistan.“[17] Aber wieso gerade da? Auf Moldawien kommen wir gleich zu sprechen, lenken wir den Blick nach Georgien. Georgien grenzt an die Türkei, die traditionell gute Beziehungen nach Deutschland unterhält, daneben liegt Armenien und schließlich Aserbaidschan, an der Küste des Kaspischen Meeres, mit einer Hafenstadt, deren Namensnennung deutschen Weltmachtstrategen das Wasser in die Augen treibt: Baku. In Baku gibt es Öl, Öl, Öl! Das schwarze Gold, auf das man ungehinderten Zugriff haben möchte. Wer ruft hier, das sei eine plumpe Verschwörungstheorie? Der schaue sich die Karte an, die in der „Information für die Truppe“ 1997 erschienen ist, (siehe nebenstehende Karte) oder lese im Weißbuch: „Auch die Versorgung mit Energie wird in den neunziger Jahren erneut zu einer entscheidenden Frage. Nach Schätzung der Internationalen Energieagentur wird der Weltverbrauch an Mineralöl bis zum Jahr 2010 um über 30 Prozent wachsen. Ansteigende Preise dieses knapper werdenden Rohstoffs könnten den ökonomischen Fortschritt in den Entwicklungsländern gefährden. Westeuropa ist an der Stabilität der Region interessiert, über die es Öl- und Gaslieferungen erhält.“[18]

Den oben aufgezählten Nationen wird „...die Wahrung der Rechte nationaler Minderheiten und der Unveränderlichkeit der Grenzen.“[19] zugesichert, weil man, nicht zuletzt durch den Versuch, über die Türkei eine größere Einflußnahme auf diese Länder zu erhalten, sich hier nicht auf Rußland zu stützen braucht. Anders bei Tschetschenien, da die Tschetschenen einen „Befreiungskampf“ geführt hatten, der den deutschen Herren nicht in den Kram paßte, pfiff man auf die Rechte nationaler Minderheiten und unterstütze Rußland bei der Niederschlagung der Aufstände. Tadschikistan hat eine gemeinsame Grenze mit Afghanistan und China, ist daher für die Fernostroute von Bedeutung. Mit welchen mittelalterlichen Parolen auch immer in Afghanistan oder im Iran irgendwelche heiligen Krieger die Bevölkerung abmetzeln, Bonn ist’s recht. Man braucht die Mullahs, um Geschäfte zu machen. Loswerden möchte man andererseits die Kurden, im Osten der Türkei, eben der Grenze zu Georgien. Dazu wird die Türkei eigens aus Bonn mit Waffen versorgt. Wenn ein Volk seine Freiheit erkämpfen möchte, dann aber nur mit dem Einverständnis Deutschlands. Allein an diesen Beispielen ist ersichtlich, wie verlogen die ganzen Debatten um nationale Minderheiten, friedenssichernde Maßnahmen und ähnliche Wortverdrehungen sind, die nun auch von einstigen Pazifisten nachgebetet werden. Erschreckendste Auswirkungen hatte dies für die Bundesrepublik Jugoslawien, wo Deutschland zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg wieder richtig Muskeln spielen läßt und eigene imperiale Interessen im Alleingang und mit unvergleichlich deutscher, will heißen menschenverachtender Weise durchzusetzen versucht. Dazu später mehr. Kehren wir zurück zu unseren Orangenstückchen. Nämlich nach Galizien, urdeutsches Land, wie wir lernen durften. Deutschland im Geiste hat also eine Grenze zur Ukraine.

Der mit Naumann befreundete Ernst Jäckh würde sagen, es ist mit Deutschland „organisch verbunden“. Die Westukraine diente sich im zweiten Weltkrieg teilweise dem deutschen Faschismus an, solche Freundschaftsdienste werden in Deutschland nicht so schnell vergessen, deshalb bietet man der Ukraine ein Bündnis an: „Deutschland ist (...) zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der Ukraine bereit. Das umfaßt neben wirtschaftlichen und politischen Bereichen auch das Angebot zur Unterstützung bei der Vernichtung von Kernwaffen sowie ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit.“[20] In einer Kriegszielschrift von Heinrich Claß vom September 1914 hört sich das so an: „Wir wünschen ferner, daß Rußland auch im Süden auf die vorpetrinische Grenzen[21] zurückgeworfen wird, am besten hinter den Dnjepr zurückweicht, damit den wichtigsten Teil der Schwarzmeerküste verliert und also auch im Süden das Gesicht völlig von Europa, dort im besonderen von der Balkanhalbinsel (!), abgewendet erhält.“[22] Auf dem Balkan mochte und möchte man freie Hand haben. Kriegsminister Stoltenberg teilt Anfang 1991 mit, es gebe „höhere Werte als den Frieden“.[23] Gemeint war der Frieden in der Bundesrepublik Jugoslawien, den sich die Deutschen an­schick­­ten zu zerstören. Denn Genscher äußerte vor dem Bundestag, die KSZE (Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) sei keine Organisation zur Festigung der bestehenden Grenzen, sondern ein Instrument, diese zu verändern.[24] Oder neue zu schaffen, nämlich zwischen Kroatien und Serbien, Bosnien-Herzegowina und Serbien. Genscher redete, als sich die Situation immer mehr verschärfte, sogar von einer militärischen Interventionspflicht der KSZE und sogar der EG.[25] Deutschland erkannte am 23. Dezember 1991 im Alleingang Kroatien an. Damit begann faktisch der Jugoslawien-Krieg. Der norwegische Friedensforscher Galtung schreibt zu der Anerkennung Kroatiens: „Kroatien als Staat anzuerkennen, wenn es Serben gibt, die Todesängste haben, ist blanker Wahnsinn. (...) Am 20. Januar 1992, fünf Tage nach der Anerkennung, kam vom Verteidigungsausschuß des Bundestages ein Schreiben, in dem steht, welches die deutschen Sicherheitsinteressen sind: ,Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zuganges zu strategischen Rohstoffen.’“[26] Deutlicher kann man es nicht sagen. „Serbien muß sterbien.“, hatte es der Kaiser seinerzeit formuliert. Die Orange Jugoslawien zu zerlegen, ist man momentan dabei, mit Hilfe weiter Teile der ehemaligen Friedensbewegung, die Freund und Feind vergessen haben. Das nächste Stückchen, das man haben möchte, ist der Kosovo. Um den Deutschen nicht freie Hand zu lassen, sind die anderen imperialistischen Mächte ihrerseits gefordert, in den Krieg einzugreifen. Unter den gleichen Vorzeichen: „Humanitäre Einsätze“.

Aber wie sieht es aus mit der „Durchdringung“ Osteuropas durch die deutschen Konzerne und deren revanchistische Vortrupps. Zum Beispiel in Kaliningrad/Rußland - für die Schaffung einer Freihandelszone Königsberg[27] oder in Polen „Schlesien bleibt unser!“[28], es ließe sich noch vieles aufzählen, es ließen sich noch viele Zitate bringen, noch viele Fakten auf den Tisch legen, aber mit dem Hintergrundwissen um die Ziele deutscher Imperialisten, kann jeder aufmerksame Zeitungsleser, jeder bewußt TV Schauende, das schmutzige Spiel der Imperialisten erkennen.

Aufmerksam machen sollte alleine schon der Tatbestand, daß der Krieg in Jugoslawien, die vielen Bürgerkriege in der ehemaligen Sowjetunion, die Unruhen in Albanien, das Bekenntnis zu souveränem deutschen Militär und zu deutscher Verantwortung in der Weltpolitik allesamt mit dem Zusammenbruch des RWG und des Warschauer Pakts auf den Plan gekommen sind.

Bei jeder neuen Information, die man erhält, stelle man sich die alte Frage Ciceros:

CUI BONO?

Wem nützt es?

Arbeitsgruppe „Militarisierung“

1 Gemeint sind die Kriege 1862 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich, 1870 gegen Frankreich.

2 Leitartikel „Deutschlands Weltstellung und der Weiterbau am deutschen Nationalstaat“ in den „Alldeutschen Blättern“, zitiert nach Opitz R., Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945, Bonn 1994, S.96.

3 aus Warga E., Die historischen Wurzeln der Besonderheiten des deutschen Imperialismus, Berlin, 1946, S.12.

4 Warga, S.17f.

5 Opitz, S.96.

6 Opitz, S.99.

7 Opitz, S.99.

8 Wörterbuch der Geschichte, Berlin, 1984, S.471.

9 Warga, S.16.

10 Opitz, S.348.

11 Fluß in Polen.

12 Gebirge im Elsaß.

13 Landschaft in Polen.

14 Opitz, S.337.

15 Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage und Zukunft der Bundeswehr, Bundesministerium für Verteidigung, Bonn, 1994, S.24.

16 Weißbuch, S.24.

17 Weißbuch, S.28.

18 Weißbuch, S.33.

19 Weißbuch, S.33.

20 Weißbuch, S.29.

21 Gemeint ist die Grenze des russischen Reiches vor der Einverleibung der Ukraine durch Zar Peter I. 1709.

22 Opitz, S.249.

23 Gudopp, Dr. Wolf-Dieter, Auf dem Weg in den Dritten Weltkrieg?, Frankfurt/Main, 1993, S.58.

24 Gudopp, S.58.

25 Gudopp, S.58.

26 Gudopp, S.59.

27 Sander, Ulrich, Szenen einer Nähe, Bonn, 1998, S.73ff.

28 Gudopp, S.66f.

Weitere Literatur:

- Atlas zur Geschichte Bd. 1, Gotha, 1989.

- Rathmann, Lothar, Berlin - Bagdad Wahrheiten über den deutschen Imperialismus, Berlin, 1962.

Kleine Entstehungsgeschichte der Bundeswehr

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