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Für Dialektik in Organisationsfragen

Wenn die Bundesregierung Fluchtursachen bekämpft

Der neueste Schlachtruf der Bundesregierung lautet, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen, um die Zahl der hier Schutz Suchenden zu reduzieren. Es ist tatsächlich ein Schlachtruf, wird doch damit der erneute Kriegseinsatz der Bundeswehr begründet. Mit Tornados zur Aufklärung und einer Fregatte im Mittelmeer beteiligt sich die BRD seit Ende letzten Jahres an der Allianz gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Gleichzeitig, so versichert uns die Regierung, soll durch Verhandlungen mit allen an dem Konflikt in Syrien beteiligten Staaten ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien erreicht werden. Doch die syrische Regierung saß zunächst nicht mit am Tisch. Denn gegen diese kämpfen eben nicht nur verschiedenste oppositionelle Kräfte im Land bis hin zum IS, sondern auch ein großer Teil der verhandelnden Staatsvertreter, die fleißig dabei waren, die Fluchtursachen zu schaffen, die jetzt angeblich bekämpft werden sollen – einschließlich der Bundesregierung.

Wie äußere Einmischung …

Es ist bald 5 Jahre her, als im Zuge des „Arabischen Frühlings“ auch in Syrien die Menschen begannen, gegen Verarmung und Rechtlosigkeit auf die Straße zu gehen. Doch das syrische Volk sollte keine Chance bekommen, seine Angelegenheit selbst zu regeln. Der Versuch der syrischen Regierung, diese Bewegung mit staatlicher Gewalt zu unterdrücken, wurde zum Anlass für allerlei Einmischung aus dem Ausland genommen. Unter dem scheinbar einstimmigen Ziel, im Namen von Demokratie und Menschenrecht das undemokratische „Assad-Regime“ beseitigen zu wollen, wurden Oppositionsgruppen finanziell, diplomatisch und mit Waffen unterstützt. Auch die Bundesregierung ließ Geld fließen, lud 2012 die verschiedensten Oppositionsgruppen nach Berlin ein. Diese durften dort eine Neukonzeption Syriens mit dem schönen Namen „The Day After“ vorstellen, die unter Leitung der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik erstellt worden ist.[1] Vor gut einem Jahr startete das Auswärtige Amt zudem unter dem Namen „Leadership for Syria“ ein Programm mit syrischen Studenten in der BRD, um sie in „Regierungsführung“ auszubilden. Das Ziel ist „eine ausgewählte Elite zukünftigen Führungspersonals“ darauf vorzubereiten „das künftige Syrien gesellschaftlich, politisch, wissenschaftlich und ökonomisch … maßgeblich mitzugestalten“[2]. Es gilt, den deutschen Einfluss in dieser doch so Rohstoff reichen und strategisch wichtigen Region des Nahen und Mittleren Ostens für den Tag nach dem Sturz Assads abzusichern. Der sog. Westen ist eben kein einheitlicher Block, sondern besteht aus einer Handvoll untereinander um Absatzmärkte, Handelswege und Rohstoffe konkurrierende Großmächte.

Über Länder wie Saudi-Arabien und die Türkei, beide nicht gerade für „Demokratie und Menschenrecht“ bekannt, wurden die reaktionärsten, unter dem Mäntelchen des Islam kämpfenden Oppositionsgruppen mit Waffen versorgt – unter anderem der IS. Das dürfte auch den deutschen Verantwortlichen bekannt sein, unterhält die Bundesrepublik doch enge Beziehungen zu beiden Staaten. Doch es stört sie nicht an einem regen Waffenhandel. Allein im Jahre 2014 genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von Maschinen- und Scharfschützengewehren, Granatwerfern, gepanzerten Fahrzeugen und Panzerhaubitzen an die Türkei in Höhe von 72,4 Millionen Euro.

… Syrien in Brand setzt

Derartig unterstützt gelang es nicht nur den untereinander zerstrittenen Oppositionsgruppen, Syrien in einen jahrelangen, grausamen Bürgerkrieg zu stürzen. Es wurden so auch die klerikal-faschistischen Kräfte des IS hochgezüchtet. Solange sie nur Unterstützer der syrischen Regierung und demokratische Kräfte in Syrien ermordeten, interessierte das nicht. Erst als sie begannen, sich in den Irak auszudehnen, westliche Journalisten zu meucheln und den Terror auch in andere Hauptstädte zu bringen, wurden sie zum Feind erklärt. Seitdem greifen u.a. die US-amerikanische, die französische, britische und nun auch die deutsche Luftwaffe mit ihren Aufklärungstornados den IS auf syrischem Gebiet an – ohne die syrische Regierung auch nur konsultiert zu haben. Die einzige ausländische Macht, die nach dem Völkerrecht tatsächlich legal den IS in Syrien bekämpft, ist Russland, das auf Bitten der mit Russland verbündeten syrischen Regierung im vergangen Herbst eingegriffen hat. Doch so wird das hierzulande natürlich nicht gesehen, ist das russisch-syrische Bündnis doch mit ein Grund, warum die Assad-Regierung in Ungnade gefallen ist.

Der russischen Regierung wird nun vorgeworfen, gemeinsam mit Assad nicht nur den IS, sondern auch die sog. gemäßigte Opposition zu bekämpfen. Doch diese gibt es praktisch nicht, wie selbst Außenminister Steinmeier an anderer Stelle zugibt. Als Begründung, warum er sich für die Teilnahme reaktionärer islamistischer Oppositionsgruppen an Waffenstillstandsverhandlungen einsetzt, erklärte er: „Wo sollen denn nach mehr als fünf Jahren Bürgerkrieg, extremer Gewalt und um sich greifender Verrohung die gemäßigten Kreise herkommen? Ich fürchte, wir sind weit über den Moment hinaus, wo wir uns wirklich alle Gesprächspartner und Verhandlungsteilnehmer aussuchen könnten.“[3] Seltsam. Denn die einzig fortschrittliche, demokratische Kraft, die Syrischen Kurden und ihre „Partei der Demokratischen Union“ (PYD), die unter großen Opfern, aber sehr erfolgreich in Syrien den IS und andere reaktionäre Oppositionsgruppen bekämpft und zurückdrängt, soll bei den geplanten Waffenstillstandsverhandlungen nicht mit am Tisch sitzen. Ganz im Gegenteil. Ihre Kämpfer werden derzeit von der türkischen Luftwaffe bombardiert und als „Terroristen“ gebrandmarkt. Es geht ganz offensichtlich nicht um Frieden und Demokratie für das syrische Volk.

Der Deal mit der türkischen Regierung

Unter „Fluchtursachen bekämpfen“ versteht die Bundesregierung auch ihre Verhandlungen mit der türkischen Regierung, die in der Türkei gestrandeten Flüchtlinge daran zu hindern, ihre Flucht Richtung EU fortzusetzen. Drei Milliarden Euro soll der türkische Staat erhalten, offiziell für eine besser Versorgung der Schutz Suchenden in den türkischen Flüchtlingslagern. Außerdem sollen die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei wieder aufgenommen werden. Damit stärkt Merkel dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan und seiner AKP den Rücken, der seinen kürzlichen Wahlerfolg dazu nutzt, erneut einen Bürgerkrieg gegen das kurdische Volk in der Türkei vom Zaun zu brechen. Ganze Städte werden im Südosten der Türkei von der Armee umstellt und mit Panzer- und Artilleriebeschuss zu Trümmern geschossen. Tagelange Ausgangsperren hindern die Menschen daran, auch nur Lebensmittel zu besorgen, denn jeder, der sich auf den Straßen bewegt, läuft Gefahr, erschossen zu werden. Killerkommandos des Todesschwadrons „Esedullah Timleri“ dringen in die Wohnungen ein, zerstören sie und töten die Bewohner[4]. Jeder Protest in der Türkei gegen dieses Vorgehen – und sei es auch nur ein Protestbrief von Tausend türkischen Intellektuellen – wird verfolgt, die Unterzeichner verhaftet. Hunderte von Zivilisten wurden in kürzester Zeit ermordet. Zehntausende sind inzwischen auf der Flucht – während die Bundesregierung davon schwafelt, „Fluchtursachen zu bekämpfen“.

gr

Leicht ergänzter Artikel aus „Auf Draht“, 2.2.2016

1 Siehe „The Day After IV”, 29.8.2012, www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58411

2 DAAD Programmausschreibungen. Oktober 2015, zit. nach: www.german-foreign-policy.com „Leadership for Syria“, 18.2.2015

3 www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/aussenminister-frank-walter-steinmeier-will-islamisten-an-syrien-gespraechen-teilnehmen-lassen-14031091.html

4 www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/eskalation-in-der-tuerkei-aufstand-der-verlorenen-kurdischen-jugend-13973455.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

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aus „Auf Draht“, einer Zeitung, die vor Münchner Betrieben verteilt wird.    Herausgegeben von DKP München und Gruppe KAZ München

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2012: Syrien-Konferenz im Auswärtigen Amt. Der damalige Außenminister Westerwelle im Kampf für Freiheit und Demokratie für das deutsche Kapital in Syrien. Sein Gefolge: Abdulbassit Sieda („Syrischer Nationalrat“) und Reem al-Haschimi, Staatsministerin der Vereinigten Arabischen Emirate.

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Hier wird um ein zehnstelliges Türsteher-Honorar verhandelt.

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Oktober 2015: Ein mörderischer Anschlag auf eine Friedensdemonstration in Ankara, mit über 100 Todesopfern. Auf dem Bild: Empörte Menschen ehren die in Särgen Davongetragenen mit Applaus. Der Anschlag galt dem Frieden, den Kurden, der Arbeiterbewegung. Alle demokratischen Kräfte machen die türkische Regierung dafür verantwortlich, Tausende demonstrieren. Frau Merkel aber schreibt an Erdogan, dass jetzt das türkische Volk mit der türkischen Regierung zusammenstehen müsse.

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